Diese miefige deutsche Wohnzimmer-Demokratie

Die Spaltung kommt aus der Mitte der Gesellschaft

von Alexander Wallasch

Die Frau eines Verwandten von mir wird von einem alten Freund aus früheren Tagen gebeten, bei Facebook ein älteres Bild zu löschen, auf dem die beiden gemeinsam zu sehen sind.

Aber warum? Hat sie etwa ein heimliches Verhältnis mit ihm und das Foto ist beiden durchgerutscht? Nein, die Sache ist übler: Die Löschforderung ihres Bekannten basiert auf einer Kontaktschuld. Der Bekannte hatte nämlich entdeckt, dass besagte Frau mit mir verwandt ist.

Gottseidank hat die Gute – übrigens eine Seele von Mensch – wie folgt reagiert und die Kontaktschuld kurzerhand um 180 Grad gewendet, das Bild zwar tatsächlich gelöscht, aber mit der Begründung, sie wolle ungern mit einem Hetzer freundschaftlich abgebildet sein.

In was für einer Welt leben wir eigentlich? Das Miteinander wird immer grotesker, die Umgangsformen gehen analog mit dem Kommunikationsformen verloren, die Bereitschaft zum Dialog weicht Schubladendenken und Ressentiments. Jeder meint schon im Voraus zu wissen, was der andere denkt oder zu denken in der Lage wäre.

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Bundeskanzler Olaf Scholz liegt mit seinem wenig hilfreichen Beschwichtigungen falsch: Der Graben ist tief, die Gesellschaft gespalten. Wer diese Spaltung weiterhin nicht sieht, der hat darüber einen der wichtigsten Grundpfeiler der Demokratie vergessen:

„Die Demokratie lebt davon, dass sie Minderheiten schützt.“

So jedenfalls schrieb es ein Autor artig Mitte Juli 2021 in der Zeit. Aber leider nur, um anschließend den dünnen Firnis der Zivilisation einfach abzustreifen, eine „Tyrannei der Minderheit“ zu behaupten und weiterzuschreiben:

„Sicher: Das Recht auf freie Meinungsäußerung schützt auch abwegige und ungewöhnliche Meinungen (…) Die Demokratie lebt davon, dass sie Minderheiten schützt. Aber es läuft etwas falsch, wenn sich die Mehrheit von einer – lautstarken – Minderheit die Agenda diktieren lässt.“

Aber wo führt das hin? Demokraten bewähren sich insbesondere da, wo es unbequem wird. Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden. Der Theologe Martin Niemöller sah sich einmal zu folgenden anklagenden Versen veranlasst:

„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

Wer also von einer „Tyrannei der Minderheit“ redet, der fühlt sich vor allem in seiner Bequemlichkeit in der gesellschaftlichen Mitte gestört. Der will seine Ruhe haben, der will die Störer einfach nur weghaben, selbst dann noch, wenn ihre Entfernung auf Kosten der Grundrechte und der Demokratie geht.

Solche Mitte-Charaktere sind von Natur aus auch vehemente Verteidiger der Löschorgien auf Facebook. Jägerzaun-Menschen, die in ihrem Wesenskern auch etwas gegen alles haben, das anders als sie ist. Die aber in Ermangelung einer Abgrenzung eine Umarmungstaktik anwenden, indem sie ihr Unbehagen ideologisch massiv mit einer Welcome-Refugees-Haltung überfrachten. Und so werden sie dann eben übergriffig gegen jene, die ihr auffällig bigottes Verhalten erkennen und es kritisieren.

Fast jeder kennt doch mittlerweile dieses merkwürdige Stochern im Gespräch, wenn die Corona-Debatte an der Reihe ist. Der Angstmensch als Nachbar ruft einem schon über seinen Gartenzaun prophylaktisch und – eine halbe Oktave zu schrill für einen kumpelhaften Ton - zu: „Und, wann wirst Du geboostert?“

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Und fast jeder kann im dritten Jahr der Pandemie von einer Aufkündigung von Freundschaften oder einen Bruch im Verwandtschaftsverhältnis erzählen. Deutschlandfunk schreibt über so einen Bruch:

„15 Jahre waren sie Bekannte, drei Jahre lang Freundinnen, und durch die Pandemie war es vorbei: Romina hat eine Freundin wegen unterschiedlicher Ansichten über Corona verloren. Gut ein Jahr ist es her, dass ihre Freundin sie auf allen Kanälen blockiert hat. Seitdem ist Funkstille.“

Aber damit hat es sich auch schon beim Deutschlandfunk mit dem vermeintlich empathischen Teil der Berichterstattung. Denn wenn man weiterliest, wird schnell klar: Auch hier ist immer der Andere schuld, eben der Teilnehmer der Minderheitenmeinung, wenn es da heißt:

„Dann schickte Rominas Freundin ihr Videos und Links, die die Wirksamkeit von Impfungen generell in Frage stellen. Romina weist sie auf die rechtsextremen Quellen der Seiten hin - doch die Kritik stößt auf taube Ohren. Doch Romina gibt nicht auf. Sie kommentiert die Postings ihrer Freundin und erklärt Quellen oder Behauptungen für unseriös“,

schreibt Deutschlandfunk. Dann folgt der Kontaktbruch der Damen.

Die Wahrheit ist noch viel einfacher: In den überwiegenden Fällen beenden die Anhänger der Mehrheitsmeinung die Kontakte, indem sie ihrem Gegenüber das Recht auf eine andere Meinung absprechen, weil diese gar keine wäre, sondern – siehe Deutschlandfunk – nur auf einer Reihe von falschen Fakten basieren soll.

Wie konnte sich der vielbesprochene gesellschaftliche Zusammenhalt, der in einer anderen Zeit bis weit hinaus zu den Rändern der Gesellschaft wirkte, in wenigen Jahren so in der Mitte der Gesellschaft verdichten und verengen? Dort nämlich, wo vermeintlich oder tatsächlich die Mehrheitsmeinung zu Hause ist?

Ein Hinweis mag hier in jener, der Corona-Debatte vorangehenden Zuwanderungsdebatte angelegt sein. Schon 2015 nämlich wurde die Spaltung sichtbar, als eine Reihe einflussreicher Altmedien ihre Rolle als vierte Gewalt im Staat aufgaben- und zuwanderungs- sprich regierungskritische Haltungen als nicht mehr debattenfähig brandmarkten als rechts, als im schlimmsten Fall rechtsextrem oder einfach als „Nazi“.

Ein starkes Indiz dieser Entwicklung ist der abwegige, aber hartnäckige Vorwurf gegenüber Corona-Maßnahmenkritikern, sie wären rechtsextrem. Diese Zuweisung war schon beim Gros der Zuwanderungskritiker grotesk, wurde aber fast 1:1 kolportiert.

Diejenigen Einflussträger, welche schon die Zuwanderungskritiker diffamierten, haben ihre Schmutzkampagnen einfach nur umetikettiert um jetzt Corona-Maßnahmenkritiker zu diffamierten. Was dann allerdings zu so seltsamen Konfrontationen führt, wie zuletzt in Berlin, wo man sich am Ende gegenseitig als „Nazis“ beschimpfte: Dort die Antifa, die für die Regierung und die Pharmaindustrie ins Feld zieht. Und auf der anderen Seite vielfach linksgrün sozialisierte Maßnahmen-Kritiker, die wiederum Richtung Antifa „Nazis raus!“ skandierten.

Auch die Medien sind hier übergangslos einseitig geblieben – bei den Corona-Maßnahmenkritikern die gleichen Diffamierungsmuster und -reflexe, wie schon zuvor an Kritikern der Massenzuwanderung angewandt. Aber die Front bröckelt auch hier.

Viel Journalisten der Alt-Medien sind zwar auf jener der Vierten Gewalt abgewandten Regierungsseite geblieben. Aber es gibt Ausreißer wie beispielsweise Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung, der nichts dabei fand, Zuwanderungskritiker zu diffamieren. Der aber mittlerweile mit seiner Kritik an der Verletzung der Grundrechte auch unter oppositionellen Corona-Maßnahmenkritikern zitierfähig geworden ist.

Der eigentliche Lackmustest hinsichtlich der Spaltung der Gesellschaft muss aber in Familien, im Bekanntenkreis und in der Nachbarschaft durchgeführt werden. Hier stellt sich verlässlich heraus, wie tief die Ausgrenzung schon fortgeschritten ist.

Und dass das, was dabei herauskommt, erschreckend ist, das weiß der Einzelne längst aus eigener leidvoller Erfahrung. Es hat sich bisher nur kein Medium gefunden, dass wirklich darüber berichten mag. Stattdessen verkündet der neue Bundeskanzler wie schon erwähnt, die neue Marschrichtung: Es gibt keine Spaltung!

Ein Teil der Altmedien reagiert instinktiv. Denn zu tief hat man sich schon über die Zuwanderungsdebatte hinweg bis hin zur Corona-Debatte mit der Politik engagiert, der politisch-mediale Komplex ist in diesen aufeinanderfolgenden Krisenjahren noch enger zusammengewachsen, nein, er hat sich enger zusammengekuschelt an den Honigtöpfen der Macht, jeder weiß hier, was er vom anderen erwarten kann, damit am Ende alle profitieren.

Der Focus hat sich hier übrigens auf ganz besondere Weise verdient gemacht: Selbst dem Blatt noch irgendwie wohlgesonnene Leser dürften empört sein über diese in nur wenigen Tagen vollzogene Metamorphose hin zu einer Ampel gefälligen Berichterstattung.

Hier werden dann noch die letzten Regungen der sich unbehaglichen fühlenden Leser eliminiert und diese auf Kurs gebracht. Scham kennen die wenigsten in diesen Redaktionen, denn dafür müsste man kühn über den Tellerrand schauen. Und wer es doch wagt, der spürt sofort die zwingende Handlungsaufforderung – das kann unangenehm werden, also lieber nicht.

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