Bundesregierung warnt vor Fake News: „Menschen mit blutverschmierten Gesichtern“

Die zweite Frontlinie: Der Krieg um die Wahrheit

von Alexander Wallasch

Oft hört man in diesen Tagen den mahnenden Ausspruch: „Das erste Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit“. Eigentlich erstaunlich, dass diese vom Vorabend des ersten Weltkrieges überlieferte Anklage in der Zeit der digitalen Medien überhaupt noch eine Rolle spielt.

Die Frankfurter Rundschau weitete die Kampfzone vor fast zwanzig Jahren noch einmal aus, als es da hieß, „noch bevor die Wahrheit stirbt, geht die Sprache unter, die den Krieg begleitet.“ Beispielhaft nannte die Zeitung Begriffe wie „chirurgische Eingriffe“ und "schmutziger Häuserkampf“.

Wenn es um die Wahrheit geht, lässt auch die Bundesregierung nichts unversucht: Gleich nach Beginn des Krieges in der Ukraine veröffentlichte das Bildungsministerium Orientierungshilfen für den Bürger, wie man Wahrheit von Unwahrheit unterscheiden lernt. Die Schlagzeile lautet: „Ukraine-Krieg: So erkennen Sie Fake News“.

Der IT-Sicherheitsexperte Martin Steinebach schickt auf der Seite des Ministeriums folgende Information vorweg: „Der Zugang zu Informationen ist Teil der Kriegsführung. Information und Absicht vermischen sich. Dies gilt es erstmal auszuhalten.“

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Und dann folgen eine ganze Reihe praktischer Tipps. Unter anderem heißt es dort:

„Insgesamt müssen wir – zumindest was diese tagesaktuellen Ereignisse angeht – vielfach mit Unsicherheit leben und Geduld haben. Viele Ereignisse können erst mit einer gewissen Verzögerung auf Fakten geprüft werden. Deswegen ist eine generelle Skepsis angebracht. Umso wichtiger ist es, sich nicht von emotional präsentierten Darstellungen, wie beispielsweise Menschen mit blutverschmierten Gesichtern, vereinnahmen zu lassen.“

Schockierende Bilder sind pauschal zurückzuweisen? Aber wem gelingt es aktuell, angesichts der Bilder und Informationen zum Massaker von Butscha/Ukraine diese Faktenchecker-Coolness des Deutschen Bildungsministeriums an den Tag zu legen? Nein, das kann und sollte man von niemandem erwarten.

Als es den Begriff „Fake News“ noch nicht gab, verwandte man Begriffe wie „feindliche Propaganda“. Die belgische Historikerin Anne Morelli veröffentlichte 2001 „Principes élémentaires de propagande de guerre“, Deutsch: „Die Prinzipien der Kriegspropaganda“.

Morelli formulierte für ihr Buch zehn Gebote der Kriegspropaganda:

  • Wir wollen keinen Krieg!
  • Der Führer des feindlichen Lagers wird dämonisiert.
  • Der Gegner ist allein für den Krieg verantwortlich!
  • Wir verteidigen ein edles Ziel und keine besonderen Interessen!
  • Der Feind begeht wissentlich Grausamkeiten, wenn wir Fehler machen, geschieht dies unbeabsichtigt.
  • Der Feind benutzt unerlaubte Waffen.
  • Wir erleiden geringe Verluste, die Verluste des Feindes sind erheblich.
  • Anerkannte Kulturträger und Wissenschaftler unterstützen unser Anliegen.
  • Unser Anliegen hat etwas Heiliges.
  • Wer unsere Propaganda in Zweifel zieht, arbeitet für den Feind und ist damit ein Verräter.

„Das erste Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit.“ Wenn dem so ist, dann müsste man sich diesen einen letzten Moment vor Beginn eines Krieges vergegenwärtigen, will man der Wahrheit näherkommen. Und hier ist zweifellos der 24. Februar 2022 das herausragende Datum. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte diesen Tag in seiner Regierungserklärung eine „Zeitenwende“ für Europa:

„Mit dem Überfall auf die Ukraine hat der russische Präsident Putin kaltblütig einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen. Aus einem einzigen Grund: Die Freiheit der Ukrainerinnen und Ukrainer stellt sein eigenes Unterdrückungsregime infrage. Das ist menschenverachtend. Das ist völkerrechtswidrig. Das ist durch nichts und niemanden zu rechtfertigen.“

Russisches Militär begann am 24. Februar ukrainisches Territorium anzugreifen. Die deutsche Verteidigungsministerin Lambrecht veröffentlichte auf der Internetseite des Verteidigungsministeriums einen „Tagesbefehl“ der mit folgenden Worten begann:

„Soldatinnen und Soldaten (…) seit heute Nacht greifen russische Truppen das Staatsgebiet der Ukraine an. Das, was wir mit Diplomatie verhindern wollten, ist eingetreten.“

Der Angriff ist zweifellos passiert und wahr. Aber der Nachsatz könnte bereits Anlass für Spekulationen geben. Möglicherweise empfindet insbesondere der ukrainische Präsident die diplomatischen Verhinderungsversuche heute nicht so, wie die Bundesregierung sie ihm verkaufen will.

In den sozialen Netzwerken bekriegen sich unterschiedliche Erzählungen zur Vorgeschichte des Krieges in der Ukraine. Kaum eine These würde hier unbeschadet den Lügendetektortest überstehen.

Und damit sind wir dann bei der Mutter der modernen Kriegspropaganda angekommen, die, als der Pulverrauch verzogen war, hunderttausende zivile Opfer gekostet hat:

Die Rede ist von Colin Powells Auftritt vor dem UN-.Sicherheitsrat, als der Außenminister der USA mit einer faustdicken Lüge über Massenvernichtungswaffen im Irak eine Massenvernichtung in Gang setzte: Das angesehene Medizinfachblatt "Lancet" errechnete schon 2006 die Zahl von über 650.000 "zusätzlichen Todesfällen" .

Diese personifizierte Lüge hat sich bildhaft ins kollektive Gedächtnis der Weltgemeinschaft eingebrannt: Powell bei seiner Rede vor dem Weltsicherheitsrat der UN am 5. Februar 2003.

Die Deutsche Welle schrieb dazu:

„Sechs Wochen vor Kriegsbeginn stimmte Powell 76 Minuten lang die Weltöffentlichkeit auf den Krieg ein. Zentraler Inhalt seiner Rede: Saddam Hussein sei im Besitz von biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen; sein Regime unterstütze den internationalen Terrorismus und strebe den Bau von Atomwaffen an.“

„Das erste Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit“ - Der Opfergang findet aber viel früher statt. Präziser oder ergänzend müsste es heißen: „Wer die Wahrheit opfert, will den Krieg.“

Und zuletzt noch einmal die Bundesregierung mit einem Tipp an russischstämmige Menschen in Deutschland, hier zitiert vom Handelsblatt:

„Die Bundesregierung hat in Deutschland lebende Menschen mit russischen Wurzeln aufgefordert, sich vernünftig über den Krieg in der Ukraine zu informieren. "Die Bundesregierung bittet die russischsprachigen Menschen in Deutschland, sich umfassend in den verschiedenen nationalen und internationalen Medien zu informieren", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner, am Montag in Berlin. "Niemand sollte der Desinformationskampagne der russischen Staatsmedien mit ihren zynischen und verharmlosenden Darstellungen Glauben schenken", fügte er hinzu.“

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