Eine berührende Leserantwort

Eine Mutter zieht ins Heim

von Alexander Wallasch (Kommentare: 12)

Unsere Mütter hatten sich durch Kriegs- und Nachkriegszeit sowie insbesondere die lange Kriegsgefangenschaft ihrer Männer im besten Sinne emanzipiert und wollten auch im Alter ihre Selbstständigkeit nicht aufgeben.© Quelle: PIxabay/ geralt

Vor ein paar Tagen hatte ich Ihnen etwas über den Wunsch meiner 87-jährigen Mutter erzählt, ihre Unterlagen zu sortieren, und was für eine Achterbahnfahrt das auch für mich war. Jetzt bekam ich dazu einen Text von einem Leser, den ich Ihnen nicht vorenthalten will:

Angeregt durch den Artikel "Meine Mutter will ihr Haus in Ordnung bringen" von Alexander Wallasch musste ich unwillkürlich an die Zeit zurückdenken, als meine Mutter und meine Schwiegermutter ihren Haushalt nicht mehr selbst versorgen konnten und ihre letzten Jahre in einem Heim verbringen mussten.

Daraufhin schrieb ich ihm den nachfolgenden Brief, in dem ich ihm von meinen Erfahrungen berichtete und auf schwere Zeiten einstimmte. Weil viele Menschen seines Alters vermutlich vor einer vergleichbaren Situation stehen, kamen wir überein, diese Erfahrungen den Lesern seines Blogs zur Verfügung zu stellen – wegen der privaten Natur in anonymer Form:

Lieber Herr Wallasch,

seien sie dankbar, dass ihre Mutter von selbst auf sie zugekommen ist, um die anstehenden Dinge zu regeln. Natürlich ist es schmerzhaft, diese Aktivitäten zu besprechen oder nach dem Tod der Mutter deren Haushalt aufzulösen. Wesentlich problematischer ist es jedoch, den Haushalt noch zu Lebzeiten der Eltern auflösen zu müssen und zu entscheiden, welche Einrichtungsgegenstände mit ins Heim ziehen und welche Kleidung die Eltern im Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter benötigen.

Unsere Mütter (beide Jahrgang 1913) hatten sich durch Kriegs- und Nachkriegszeit sowie insbesondere die lange Kriegsgefangenschaft ihrer Männer im besten Sinne emanzipiert und wollten auch im Alter ihre Selbstständigkeit nicht aufgeben. Erst als sie aufgrund ihrer geistigen und körperlichen Einschränkungen sich und ihren Haushalt nicht mehr versorgen konnten, willigten sie ein, in ein Heim zu gehen. Damit meine Frau und ich uns um ihre Angelegenheiten kümmern konnten, baten wir sie, uns eine notariell beurkundete Generalvollmacht zu geben.

Glücklicherweise bestätigten die von uns beauftragten Notare, dass unsere Mütter im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte waren. Da meine Frau und ich Einzelkinder sind und deshalb von dritter Seite keine Erbansprüche geltend gemacht werden konnten, waren diese Erklärungen unproblematisch. Auch brauchten wir als Alleinerben kein Testament. Die gerade noch rechtzeitig abgegebenen Vollmachten erleichterten uns den Umgang mit Ärzten, Altersheimen, Behörden, Krankenkassen, Vermietern und Umzugsunternehmen erheblich.

Bei den Vollmachten haben wir darauf Wert gelegt, dass sie über den Tod hinaus gültig sind, das Selbstkontrahierungsverbot (§ 181 BGB) ausschließen, die Erteilung von Untervollmachten erlauben und wir im Falle einer erforderlichen Betreuung vom Amtsgericht als Betreuer vorgesehen werden. Ferner haben wir die Hinterlegung im Zentralen Vorsorgeregister veranlasst. Im Falle meiner Mutter verzichtete ich auf die vom Notar empfohlene Klausel, freiheitsentziehende Maßnahmen (das bedeutet in der Praxis das Anbringen von Bettgittern oder die Fixierung durch einen Beckengurt bzw. ein Vorbrett am Rollstuhl) anordnen zu können, was mir viel Arbeit erspart hätte. Als das Heim mich um eine entsprechende Genehmigung bat, da meine Mutter aus dem Rollstuhl zu fallen drohte, musste ich mich vom Amtsgericht für diesen speziellen Fall zum Betreuer bestellen lassen und regelmäßig Bericht erstatten.

Hilfreich waren die Patientenverfügungen, in denen die Mütter ihre Vorstellungen von einem würdigen Leben und Tod formuliert hatten – auf der Basis von Textbausteinen des Bundesgesundheitsministeriums. Sie waren eine wertvolle Grundlage für die Gespräche mit den behandelnden Ärzten.

Aufgrund der hohen Belastung neigen Altenheime bei pflegeintensiven Bewohnern gern dazu, bei Erkrankungen den Notarzt zu rufen, der dann eine Einweisung ins Krankenhaus veranlasst. Das bringt dem Heim mehrfachen Nutzen: Die Verantwortung wird abgeschoben, die in dieser Phase extrem mühsame Pflege entfällt ebenso wie lästige Gespräche mit den Angehörigen, während das Geld weiterhin fließt. Für die Betroffenen allerdings führen der Transport mit Blaulicht und die Verlegung ins Krankenhaus zu unnötigem Stress und Angstzuständen. Dieses Vorgehen der Heimleitung widerspricht bei hochbetagten Personen zumeist auch den Anweisungen aus der Patientenvollmacht („lebensverlängernde Maßnahmen“) – in unserem Fall konnte ich den herbeigerufenen Arzt in letzter Minute vor dem schon absehbaren Tod dank der Vollmachten von einer Einweisung abhalten. So konnte meine Mutter am nächsten Tag in Ruhe und Würde sterben.

Auch meine Schwiegermutter landete eines Tages im Krankenhaus – und verweigerte die Mahlzeiten, woraufhin der Arzt anregte, sie mittels einer Magensonde künstlich zu ernähren. Aufgrund der Vollmachten konnten wir dieses Ansinnen in einem sehr konstruktiven Gespräch abwenden und einigten uns mit dem Arzt darauf, sie selbst zu versorgen. Dem Angebot von Mousse au Chocolat konnte Oma nicht widerstehen und schon nach wenigen Tagen mit hochkalorigen Köstlichkeiten (die nicht unbedingt den Erkenntnissen der Ernährungsphysiologie entsprachen) kehrte sie zurück ins Heim, wo sie noch drei schöne Jahre verleben konnte.

Allein die Kreditinstitute zeigten sich unwillig, trotz der beurkundeten Generalvollmachten unsere Anweisungen zu befolgen. Sei es, dass sie die lukrative Kundenbeziehung fortsetzen wollten, oder die schlichte Unfähigkeit, Nachlasssachen rechtskonform abzuwickeln. Hier wären die bankinternen Formulare (mit denen sich die Angestellten auskennen) zur Kontovollmacht hilfreich gewesen. Nach dem Tod meiner Schwiegermutter wollte die Filialleiterin einer Großbank die Abwicklung auf eine zentrale Nachlassabteilung in Frankfurt abschieben – daraufhin hob meine Frau das restliche Guthaben am Geldautomaten ab, während ich die Dame in ein Gespräch verwickelte. Vorausschauend hatten wir den größten Teil der Ersparnisse schon zu Lebzeiten übertragen und auf Unterkonten ("w/Oma") angelegt, um die monatlich anfallenden Zahlungen im vierstelligen Bereich unkompliziert abwickeln zu können.

Rechtzeitig vereinbarten wir auch Vorgespräche mit einem vertrauenswürdigen örtlichen Bestatter, um das Procedere im Todesfall festzulegen. Das klingt zwar pietätlos, wird aber nach Aussage des Unternehmers immer häufiger praktiziert – und er begrüßte unser Vorgehen, weil diese Vorgespräche konstruktiv und ohne Zeitdruck ablaufen. Danach haben wir dem Heim in einem versiegelten Umschlag die im Falle des Ablebens zu ergreifenden Maßnahmen mitgeteilt. Den Erhalt dieser Anweisungen haben wir uns schriftlich bestätigen lassen, denn uns war zu Ohren gekommen, dass Heimverwaltungen beim Ableben von Bewohnern gern einen "befreundeten" Bestatter mit den erforderlichen Maßnahmen beauftragen, was meist zu unnötigen Kosten führt.

Falls Sie sich nun fragen, weshalb wir die Mütter nicht einfach in unserem Haus untergebracht haben: Erstens fehlte der Platz, da unsere Kinder noch bei uns wohnten. Zweitens hätte das zwar nicht zu „Mord & Totschlag“ geführt, gewiss aber nicht nur unsere Ehe, sondern das gesamte Familienleben auf eine harte Probe gestellt. Meine Schwiegermutter hatte aufgrund ihrer Demenz schon einige Eskapaden hinter sich – wir hätten sie Tag und Nacht niemals unbeaufsichtigt lassen können. Und meine Mutter zeigte auf ihre alten Tage ein nochmals verstärktes Dominanzverhalten.

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