Bundeskanzler Merz schrieb jetzt via X zu den Bildern ausgemergelter Geiseln der Hamas in Gaza:
„Ich bin entsetzt über die Bilder von Evyatar David und Rom Braslavski. Die Hamas quält Geiseln, terrorisiert Israel und nutzt Gazas Bevölkerung als Schutzschild. Die Bilder zeigen: Die Hamas darf in der Zukunft von Gaza keine Rolle spielen. Es führt kein Weg an einem Waffenstillstand vorbei. Die Freilassung aller Geiseln ist dafür zwingende Voraussetzung. Israel wird den Zynismus der Hamas nicht erwidern und muss weiter humanitäre Hilfe leisten.“
Rätselhaft bleibt weiter, warum die Hamas diese Bilder veröffentlicht und damit die Weltöffentlichkeit weiter gegen sich aufgebracht hat. Diejenigen, welche die Bilder halb verhungerter Geiseln aufgenommen und verbreitet haben, war die Hamas selbst.
Was man in den verbreiteten Ausschnitten in den westlichen Medien und auf X allerdings seltener oder gar nicht sieht: Diese kaum erträglichen Bilder wurden Medienberichten zufolge von der Hamas mit Bildern abgemagerter palästinensischer Kinder zusammengeschnitten, um eine Verbindung zur Hungersnot in Gaza herzustellen. Hier wird niemand widersprechen, wie barbarisch, zynisch und menschenverachtend diese Inszenierung ist.
Es steht außer Zweifel, dass im Kriegsgebiet „Gaza“ sehr viele Menschen Hunger leiden müssen, wie in den meisten Kriegsgebieten seit Menschengedenken. Dem zu widersprechen verbietet zunächst der logische Menschenverstand, aber noch viel mehr die alarmierenden Aussagen jener Organisationen, die vor Ort sind und die Lage beurteilen.
Wer dem widerspricht, der muss Organisationen wie UN, WHO, IPC und über 100 Hilfsorganisationen als Propaganda-Organisationen einstufen. Alle gegen Israel, alle für die Hamas?
Die Presseagentur AP berichtete Ende Juli von einer grassierenden Hungersnot in Gaza und zeigte dazu eine Bilderserie schwer abgemagerter Kinder in Gaza, Kinder, verzweifelt mit Schüsseln auf Nahrung wartend, im Zentrum das schmerzverzerrte Gesicht eines weinenden Mädchens, eingeklemmt zwischen weiteren verzweifelten Menschen.
Was das Mädchen betrifft, hat die Süddeutsche eine andere Perspektive des Bildes veröffentlicht, die den Verdacht einer Inszenierung nahelegt. Die SZ kommt allerdings im Artikel (Bezahlschranke) wohl selbst zu dem Schluss, dass der Hunger real ist.
Aber was soll diese Debatte und der Propagandakrieg mit Bildern erreichen? Der Krieg selbst ist ja real, ebenso wie die Lage der Zivilisten. In diesem Krieg sind – übrigens auch bestätigt von israelischer Seite – bisher schon Zehntausende Zivilisten umgekommen.
Auch die Deutsche Welle hat sich mit den tatsächlichen Todeszahlen befasst und zitiert unter anderem umfassende Studien eines Professors vom Royal Holloway College der Universität London, der postwendend wiederum von bestimmten Gegenspielern als parteiisch eingestuft oder diffamiert wurde.
All diese Zuweisungen kann man noch Monate lang so weiter treiben. Aber keine Seite kann den Krieg selbst samt seiner massiven und flächendeckenden katastrophalen Zerstörungen durch die israelische Armee leugnen.
Den Bildern der Zerstörungen werden stattdessen überwiegend zwei Dinge entgegengehalten: Zum einen die Erwähnung, dass die Hamas-Terroristen sich hinter Kindern verstecken und sie so zu Tode bringen, und zum anderen werden die Geiseln der Hamas als ultimative Begründung für Tod und Zerstörung angeführt.
Nur die Freilassung der Geiseln beende all das. Was die menschlichen Schutzschilde angeht, werden auch übrigens auch diese von Organisationen wie Amnesty oder der UN im Wesentlichen bestritten. Das wiederum führt dazu, dass die Gegenseite bestimmte Organisationen und die UN generell anzweifelt – gemessen an der politischen Agenda einer Reihe von Hilfsorganisationen ist das keine so schwere Aufgabe.
Aber auch das ändert nichts daran, dass die Räume in Gaza besonders eng sind und Kriegshandlungen immer die Gefahr bergen, Zivilisten zu gefährden und zu töten.
Der Gazastreifen ist eines der dichtest besiedelten Gebiete der Welt, was Schutz- und Evakuierungsmöglichkeiten erheblich erschwert (365 km² für eine Bevölkerung von über 2 Millionen Menschen). Laut Berichten sind etwa 85–90 Prozent des Gazastreifens (ca. 328,5 km²) entweder als Evakuierungsgebiet oder militärische Sperrzone deklariert. Das ließe nur etwa 36,5 km² für rund 2,1 Millionen Menschen, was einer extrem hohen Dichte von etwa 60.274 Personen pro km² entspricht, oder etwa 16,6 m² pro Person.
So eine Enge würde es tatsächlich nahezu unmöglich machen, sichere Zufluchtsorte zu finden. Der Spiegel berichtet, dass Israel etwa dreißig Prozent des Gazastreifens als „Sicherheitszonen“ kontrolliert, die Palästinensern dauerhaft verboten sind. Dies ergänzt die Aussage, dass große Teile des Gebiets durch militärische Sperrzonen unzugänglich sind.
„The Guardian“ berichtete, dass Israel zudem 15 Prozent des Gaza – ein breiter Landstreifen entlang der gesamten Grenze – zu einer unbewohnbaren Art Sicherheits- oder Todeszone ausbaut:
„Das israelische Militär hat das Gebiet um Gaza herum dem Erdboden gleichgemacht, um eine ‚Todeszone‘ zu schaffen, sagen Soldaten. (…) Das israelische Militär hat riesige Landstriche innerhalb des Gazastreifens dem Erdboden gleichgemacht und Truppen angewiesen, das Gebiet in eine ‚Todeszone‘ zu verwandeln.“
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Die NGO Ärzte ohne Grenzen berichtete im Herbst 2024:
„Wiederholte Evakuierungsbefehle haben 90 Prozent der Menschen in sogenannte sichere Zonen gedrängt, die israelische Streitkräfte jedoch immer wieder bombardiert haben. Die Menschen sind nun gezwungen, auf einem Gebiet von nur 41 Quadratkilometern auszuharren – mit begrenzten Unterkünften, Nahrungsmitteln und Wasser.“
Und wenn Ärzte ohne Grenzen schreibt: „Israel muss die Tötung von Zivilist:innen im Gazastreifen sofort einstellen“, dann suggeriert das, dass Israel hier gezielt Zivilisten tötet – so wird dann von der NGO eine „Genozid“-Erzählung genährt.
Ja, man kann – muss man sogar? – auch Ärzte ohne Grenzen eine politische Agenda unterstellen. Aber inwiefern wirkt sich das auf die Glaubwürdigkeit der Aussagen in Gaza aus? Eine umfassende Kritik kommt etwa vom NGO-Monitor. NGO-Monitor allerdings ist laut Angaben einer großen Online-Enzyklopädie eine „rechtsgerichtete israelische Nichtregierungsorganisation, die die Arbeit internationaler NGOs in Israel und den palästinensischen Gebieten analysiert und darüber berichtet.“
Ja, man kann auch Unicef eine politische Agenda unterstellen. Aber inwiefern nimmt so eine Agenda Einfluss auf die Aussagen von Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland, der vor wenigen Tagen gegenüber „Der Rheinpfalz“ erklärte, für die Kinder gehe es nur ums Überleben: „Es sterben bereits Kinder an den Folgen des Hungers, für viele weitere zählt jeder Tag.“ Der Gaza-Bericht von Unicef ist ebenfalls alarmierend.
Diese Auflistungen kann man nun seitenweise fortführen. Und es gibt immer auch relativierende Stimmen, die man nicht ohne Weiteres vom Tisch wischen kann. Was aber bleibt und von niemandem ernsthaft bestritten werden kann, ist der Krieg in Gaza und die Anwesenheit von weit über ein bis zwei Millionen Zivilisten in Gaza, einem Gebiet mit weitestgehend geschlossenen Grenzen, das in großen Teilen Kriegs- und Evakuierungsgebiet ist.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat im Juli 2025 die Anerkennung Palästinas als Staat angekündigt. Das ist zweifellos ein politisches Signal im Kontext des Gaza-Krieges. Es hat sowohl symbolische als auch diplomatische Implikationen, die verschiedene Akteure im Nahostkonflikt beeinflussen. Und beeinflussen sollen. Es ist aber vor allem auch eine Reaktion auf das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung.
Was man zuletzt in den sozialen Medien über diese palästinensische Zivilbevölkerung lesen musste, wie mit ihr umzugehen sei, sprengt mitunter die Vorstellungskraft. Da schwingen sich auch deutsche Sofahelden dazu auf, den Eindruck zu erwecken, als gäbe es kein Leid für die Zivilbevölkerung.
Niemand weiß so richtig, wie man die Bedrohung durch die Hamas für Israel beenden oder eindämmen soll. Aber Gaza bzw. die Palästinenser haben keine reguläre Armee. Die Hamas ist eine Terrorgruppe in Gaza. Dort gibt es keine Kasernen oder explizit militärische Ziele, die man angreifen kann. Das mag die flächendeckende Zerstörung Teile des Gaza-Streifens durch die israelische Armee erklären, es bietet aber keinen Lösungsansatz, wie das massenhafte Sterben der Zivilbevölkerung sofort beendet werden kann.
Und aufgrund der massiven Zerstörungen und hohen Todeszahlen unter den Zivilisten müssen die Israelis die Hamas-Strukturen in Gaza restlos vernichten. Denn eine Reihe zukünftiger massiver Terrorakte als Reaktion auf die Zerstörungen und Toten ist in hohem Maße wahrscheinlich.
Etwa Nius-Chef Julian Reichelt hat seinen eigenen Weg gewählt. Er postet via X Absätze wie diesen hier:
„Tag für Tag posten Palästinenser unzählige Videos aus Gaza auf Social Media. Diese Videos zeigen nicht Hungersnot und ausgemergelte Kinder, so wie es die Hamas will. Sie zeigen ein ganz anderes Bild. Diese Videos zeigen volle Bäckereien, Kuchen, Croissants, frische Pizza, gefüllte Teigtaschen mit Fleisch und Gemüse. Sie zeigen Menschen, die Mehlsäcke auf der Straße entleeren, prall gefüllte Kioske mit Süßigkeiten und Red Bull.“
Nein, wir sind nicht vor Ort, die Presse wird vielfach daran gehindert, sich umzuschauen. Also sind wir auf Informationen der Beteiligten angewiesen bzw. auf Informationen von NGOs mit eigener politischer Agenda. Was wir aber machen können, ist, Aussagen von Kollegen zu beurteilen, die ebenfalls nicht in Gaza unterwegs sind und im Prinzip die gleichen Informationen haben, die auch uns zur Verfügung stehen. Reichelt schreibt weiter:
„Kinder können natürlich auch hungern und sogar verhungern, wenn es eigentlich genug Essen gibt. Gründe dafür können schlecht organisierte Verteilung, militärische Frontlinien oder der mörderische Zynismus einer Terrororganisation sein, aber sicher nicht ein Aushungerungsfeldzug. Es gibt militärische Belagerung und Aushungerung ODER frische Pizza. Nicht beides zusammen.“
Dieser Kommentar wurde vom prominenten Verfasser an seinen X-Account angeheftet, weil er ihn besonders vielen Lesern mitteilen will.
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Kommentar von Martin Friedland
Auch "Kontrafunk" ist vor Mythen nicht sicher: der Gazastreifen ist keineswegs "eine der am dichtesten besiedelten Gegenden der Welt" - dort lebt in etwa die Einwohnerzahl von Hamburg auf der Fläche von Bremen - das ist sicherlich recht eng, aber nicht extrem. Viele kleine Länder sind weit dichter besiedelt, Singapur, Monaco etc. - ohne als unbewohnbar zu gelten.
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Kommentar von winfried Claus
Man kann es im Koran lesen, welche Lügen es gibt und wie diese benutzt werden. Eine wichtige Form der Lüge ist die Lücke - deshalb spreche ich von *Lüg gen* ! Was geschah zuvor und danach? Was ist der Kontext einer Geschichte - Was muss man wissen, um eine Erzählung zu kapieren. Wie werden Tilgungen gesetzt (Achtung nicht lesen, weil ... ) und wie wirken sich entkernte Begriffe aus? Vom Gefühl weis man was gemeint sein könnte und glaubt zu wissen was gemeint ist (Böse oder Gut) - !
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Kommentar von Joly Joker
Klingt alles für mich wie ein Deja Vue. Jeder pickt sich das aus den vorhandenen Infos heraus, seiner Weltsicht, seiner politische Prägung oder seinem Job am ehesten entspricht. Alles was in diesem Artikel steht kann man auch für die Zeit ab 1943 im 3.Reich so oder ähnlich darstellen. Natürlich mit Unterschieden. Wir hatten reguläre Armeen und reguläre Mörderbanden(SA, SS, Polizeieinheiten hinter der Front...) . Letztendlich muss man wohl solange draufschlagen bis sich der Verursacher zur bedingungslosen Kapitulation bereit findet. Und die Palästinenser lassen es immer noch zu, dass aus ihrer Mitte heraus auf Israel geschossen wird. Solange die Bewohner Gazas die Killer und Truppen nicht anzeigen, bekämpfen oder ausliefern; die Waffen niederlegen und nach Frieden betteln..... solange müssen sie halt leiden und sterben. So war das bei uns. Schon seit dem 30 jährigen Krieg.