Es ist eine Volksseuche. Ein weltweites Massenphänomen. Und gemessen an den täglichen und unausweichlichen Beschwerden, welche diese bisher unheilbare Krankheit bis zum Lebensende auslöst, ist der Name dieser Erkrankung geradezu verharmlosend – die Rede ist von Hashimoto.
Wer nicht weiß, was es ist, denkt vielleicht an die neue Variante einer japanischen Sportart, an eine Manga-Figur, an eine neue Sushi-Variante auf der Karte oder an den Produktnamen eines neuen Rauchgeräts im Bong-Shop.
Hashimoto-Thyreoiditis ist die häufigste Autoimmunerkrankung in Deutschland. So sollen laut Studien knapp zwei Millionen Deutsche eine Hashimoto-Diagnose haben. Beeindruckend ist der Zuwachs. So stiegen die Diagnosen von 2012 bis 2022 um 72 Prozent von 1,3 auf 2,3 Prozent der Bevölkerung. Das hat zunächst damit zu tun, dass heute viel häufiger labordiagnostisch nachgeschaut wird. Aber wie hoch ist die Dunkelziffer dieser am weitesten verbreiteten Autoimmunerkrankung tatsächlich?
Viele Hashimoto-Patienten können ein Lied davon singen, wie lange es dauerte, bis ihre Krankheit überhaupt von Hausärzten festgestellt wurde. Oft geht hier zudem noch eine Odyssee durch die Wartezimmer verschiedener Fachärzte voraus.
Mit der Hashimoto-Diagnose haben die vielfältigen konkreten bis diffusen Beschwerden dann endlich einen Namen bekommen. Aber was nun? Standardmäßig werden Schilddrüsenhormone wie L-Thyroxin verschrieben. Denn das zunächst auffälligste Merkmal von Hashimoto ist eine Selbstzerstörung der Schilddrüse.
Aber damit beginnt das Drama erst. Betroffene berichten von einem teils jahrelangen Aufbau der richtigen Dosierung, immer schwankend zwischen Lethargie und Durchdrehen, zwischen Unter- und Überdosierung. Bedrückend hier besonders: Nicht erkannte Hashimoto-Schilddrüsenproblematiken werden regelmäßig als rein psychische Erkrankungen fehldiagnostiziert. Betroffene erhalten Psychopharmaka wie Antidepressiva oder werden psychotherapeutisch behandelt, statt die Hormonstörung zu therapieren. Das verzögert die richtige Behandlung und kann Symptome sogar verschlimmern.
Wenn jemals die so oft geforderte Ganzheitlichkeit angebracht wäre, dann bei Hashimoto. Aber zur Wahrheit gehört auch: Die meisten Hausärzte sind mit dieser Erkrankung überfordert. Viele Mediziner diagnostizieren zunächst nur eine Schilddrüsenunterfunktion – ohne Antikörper-Test auf Hashimoto – und empfehlen dann Jod oder jodiertes Salz gegen „Jodmangel“.
Wenn dann später doch Hashimoto festgestellt wird, kann die Jodgabe kontraproduktiv gewesen sein. Denn bei bestehender Autoimmunerkrankung kann zusätzliches Jod – besonders in höheren Dosen – die Entzündung verstärken, Antikörper erhöhen und Symptome verschlimmern.
Der Fokus auf die Schilddrüse bei Hashimoto ist medizinisch wichtig. Aber dabei werden nicht selten die Hashimoto begleitende Autoimmunerkrankungen an anderen Organen wie Bauchspeicheldrüse oder Darm unterbewertet oder sogar übersehen. So fühlt sich der Betroffene krank, mitunter schwer, wird aber vom Arzt regelmäßig nur auf seine Schilddrüsenwerte labortechnisch untersucht und bekommt dann entgegen seinem Gesamtgefühl zu hören, es sei alles in Ordnung.
Und wieder landen seine Beschwerden dann im psychologischen Bereich, während etwa eine mit Hashimoto einhergehende Zöliakie oder ein Mangel an Verdauungsenzymen unentdeckt bzw. von der eigentlich verursachenden Hashimoto-Erkrankung abgekoppelt behandelt wird.
Bis heute ist nicht einmal geklärt, wie es zu Hashimoto kommt. Es ist kein Virus, aber Viren können die Entstehung auslösen – neudeutsch „triggern“. Diskutiert wird, ob etwa eine Erkrankung an Pfeifferschem Drüsenfieber hier begünstigend wirkt. Aber auch hier wieder das Problem der fehlenden Ganzheitlichkeit, zu der auch die Beobachtung über Jahre und Jahrzehnte hinweg gehört.
Aber was ist diese Ganzheitlichkeit? Das Modewort meint vor allem Zeit. Sich als Arzt Zeit nehmen, den Patienten und seine Beschwerden kennenlernen und diese Beschwerden zusammenbringen. Eine Seltenheit in einer profitorientierten Schulmedizin.
Und findet sich dann doch mal einen Arzt oder Heilpraktiker, der es ernst meint mit der Ganzheitlichkeit, müssen erst einmal die überproportional vertretenen Scharlatane ausgesiebt werden. Denn klar ist auch: Wo es ein lang anhaltendes Leid gibt, wächst auch die Bereitschaft, privat tief in die Tasche zu greifen, und damit schießen dann die Profiteure und Scharlatane wie Pilze aus dem Boden. Betroffene Patienten können davon ein Lied singen.
Und weil diese Hashimoto-Erkrankung immer noch so nebulös und unbefriedigend von der Diagnose bis zur Behandlung erscheint, haben sich viele Selbsthilfegruppen gebildet, die wiederum oft genug im eigenen Saft schmoren müssen auf der Suche nach Linderung.
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Und wem medizinisch-ganzheitlich so wenig geholfen wird, der verliert sich schnell in einer anwachsenden Selbstbeobachtung, die immer anstrengender werden und zusätzlich auf das Wohlbefinden drücken kann – hier kann man mit Fug und Recht von einem Teufelskreis sprechen.
Was bei einer Hashimoto-Erkrankung am wichtigsten bleibt – leichter gesagt als getan –, ist die Abkehr von einer dauerhaften Selbstbeobachtung. Betroffene wissen es längst: Diese Abkehr gehört dann allerdings zu den echten Königsdisziplinen. Man kann sich immer nur schrittweise annähern.
Und wirklich ohne jedweden Anspruch, irgendeinen medizinischen Ratschlag geben zu können geschweige denn zu dürfen: Aus der langjährigen Beschäftigung mit engen Verwandten mit Hashimoto-Erkrankung kann ich erzählen, was hier am Ende ein Stückweit hilfreich gewesen ist:
- Bewegung – idealerweise tägliche Spaziergänge bis zu einer Stunde.
- Bewusste Beschäftigung mit Ernährung (keine Fertiggerichte, Zutaten einkaufen, Mahlzeit selbst zubereiten).
- Immer wieder das Gespräch mit dem Hausarzt suchen und ruhig darauf hinweisen – idealerweise fragend –, dass das Krankheitsbild von Hashimoto mehr ist als nur eine angegriffene Schilddrüse, die natürlich im Mittelpunkt der Erkrankung steht.
- Kontinuierliche und regelmäßige Besuche beim Radiologen. Er ist am ehesten der Fachmann für Hashimoto-Erkrankungen. Hier wird etwa eine regelmäßige Gabe von Zink und Selen empfohlen bzw. der Vitamin-D-Spiegel gemessen. Tatsächlich ist auch dieser Mangel ein häufiger Begleiter einer jahrzehntelangen Hashimoto-Erkrankung.
- Und zuletzt natürlich Ablenkung. Aufmerksam nach innen bleiben, ohne sich in der Hashimoto-Erkrankung zu verlieren. Und bewusst nach außen gehen, die Vergnügungen des Lebens suchen und sich nicht vor dem Außen verstecken.
Denn leider ist auch das ein häufiger Begleiter von Hashimoto: Viele Betroffene fühlen sich in der Gruppe nicht mehr wohl. Sie ecken nicht selten mit ihren Hashimoto-bedingten Stimmungsschwankungen an, fühlen sich in der Folge nicht gemocht und ziehen sich in sich zurück. Leichter gesagt als getan: Aber dem ist entgegenzuwirken, indem man diese Schwankungen klar der Erkrankung zuordnet.
Wer sich ein Bein verstaucht, muss sich auch nicht dafür entschuldigen, dass er bei der Reise nach Jerusalem immer gleich als Erster ausscheidet. Wer hier gütig und wohlwollend mit sich selbst umgeht, lernt auch über sich zu lachen. Und Lachen ist ein gefährlicher Virus. Lachen steckt an.
Disclaimer:
Nichts von dem, was ich hier geschrieben habe, ist als medizinischer Rat zu verstehen. Es sind lediglich persönliche Erfahrungen und Beobachtungen aus meinem direkten privaten Umfeld. Jeder Mensch und jeder Krankheitsverlauf ist anders – bitte sprechen Sie immer mit Ihrem Arzt, bevor Sie etwas an Ihrer Behandlung oder Lebensweise ändern.
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