Nikita R. will nicht in den Krieg

Jetzt spricht die Anwältin: Kein Asyl für russischen Deserteur

von Alexander Wallasch (Kommentare: 4)

Das gebrochene Versprechen der Bundesregierung© Quelle: Pixabay / Alexas_Foto

Es ist nicht mehr nachvollziehbar, warum ein russischer Deserteur seit September 2022 in Deutschland auf seine Anerkennung als Flüchtling warten muss, während jeder Ukrainer sofort anerkannt wird. Rechtsanwältin Christiane Meusel im Interview mit Alexander-Wallasch.de über den aktuellen Stand.

Was ist die Geschichte Ihres Mandanten?

Nikita R. ist im September 2022 aus Nowosibirsk nach Deutschland gekommen, weil er im August einen Einberufungsbefehl bekommen hatte. Er ist dann zu seinen Eltern.

Seine leibliche Mutter lebt hier und sein Stiefvater auch. Zu mir kamen sie wegen des Einberufungsbefehls, weil Nikita R. nicht in den Krieg wollte.

Ich vertrete überwiegend Nachrichtendienst-Mitarbeiter. Aber ich hatte keinen Kollegen gefunden aus dem Asylrecht, weil alle das Dublin-III-Verfahren für aussichtslos hielten. Die hatten alle Bedenken. Also habe ich mir gesagt, gut, dann muss du es halt selbst machen und dann habe ich mir das Asylrecht draufgeschafft.

Zumindest, was diese russische Kriegsgeschichte betrifft, werde ich mittlerweile oft zum Thema Asyl für russische Militärdienstverweigerer befragt. Auch weil ich das konsequent durchgezogen habe samt Kirchenasyl, um die Dublin-Frist zu überbrücken. Sie wissen, was das ist?

Ich weiß, dass Dublin oft nicht mehr praktiziert wird. Deshalb erstaunt es mich in dem Fall ...

Grundsätzlich gilt nach der Dublin-III-Verordnung, dass jeder dort Asyl beantragen muss, wo er zuerst den Boden der Europäischen Union betreten hat ...

... Jetzt ist Dublin allerdings vielfach wirkungslos. Nach Griechenland beispielsweise darf nicht zurückgeschickt werden, mit der Begründung, die Asylbewerber bekämen dort keine vernünftige Versorgung ...

Mindestens bei Griechenland stimmt das. Für Polen habe ich allerdings vom polnischen Pro-Asyl gehört, dass man die meisten Russen nach Russland zurückschickt. Es sei denn, sie können beweisen, dass die Einheit, der sie zugewiesen werden, Kriegsverbrechen begehen wird. Der Beweis dürfte schwerfallen.

Warum bekommt ein Russe in Polen einen Einberufungsbescheid?

Der Vater von Nikita R. wohnt mit der Oma in einem Haus in Russland. Der leibliche Vater hat den Bescheid aus Russland per E-Mail nach Polen geschickt.

Wie gefährdet ist Ihr Mandant aktuell, abgeschoben zu werden?

Im Moment nicht, denn ich habe Klage erhoben. Und bis zur Rechtskraft der letzten Entscheidung ist die Abschiebung ausgesetzt. Es wird unterschieden zwischen Abschiebungsandrohung und Abschiebungsanordnung.

Wie ist aktuell der emotionale Zustand Ihres Mandanten?

Das letzte Mal, als ich ihn gesehen habe, da war er sehr hoffnungsvoll. Denn ich habe ihn gemeinsam mit Pfarrer Täuber da, wo er im Kirchenasyl gewesen ist, begleitet. Und er hat das sehr gut gemacht. Das haben wir beide ihm auch gesagt.

Wie es ihm jetzt geht, nachdem er erfahren hat, dass der Ablehnungsbescheid gekommen ist, kann ich nicht sagen. Ich weiß aber über den Stiefvater, dass die Familie offensichtlich sehr großes Vertrauen in mich hat, dass ich schon irgendwie alles in Bewegung setzen werde, was man machen kann.

Gibt es denn einen Unterschied zwischen ukrainischen und russischen Kriegsdienstverweigerern in Deutschland?

Im August 2022 saß ein ukrainischer Deserteur auf meiner Küchenbank. Den hatte seine Tante zu mir gebracht. Der war aus einem Ausbildungslager, so seine Erzählung, nahe von Küstrin, quasi abgehauen mit Hilfe der Tante. Dort hatte er an seine Frau in Kiew schreiben wollen, dass er nicht töten kann. Und die haben den Brief abgefangen, so seine Erzählung, und haben gesagt, wenn du deiner Frau nicht schreibst, dass du gerne tötest, dann hängen wir dich am nächsten Baum auf und lassen es wie einen Suizid aussehen. Dieser junge Mann hat wesentlich verzweifelter gewirkt als Nikita, der allerdings auch von seinen Eltern begleitet wurde.

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Jetzt hatte die russische Armee früher keinen guten Ruf. Was wissen sie darüber? Hat Ihr Mandant Wehrdienst geleistet?

Dazu hat er etwas in der Anhörung mitgeteilt. Ich habe seinen Militärpass gesehen. Nikita R. war mit 19 Jahren zwölf Monate im Grundwehrdienst in Russland. Gegenüber Journalisten berichtete er von seiner Erfahrung mit „Dedowschtschina“. „Dedowschtschina“ bedeutet, wenn ältere Soldaten die Jungen „einnorden“, also zum Teil richtig foltern. Übersetzt heißt es „Herrschaft der Großväter“. Die Großväter sagen den jungen Leuten, was ein harter Krieger ist. Das dient dazu, die jungen Soldaten abzuhärten. Und Nikita hat davon erzählt.

Bei der Anhörung, als er dem Anhörer das erzählt hat, konnte man ihm die Emotionen ansehen. Er hatte anfangs nicht darüber berichtet. Nikita R. hat auch erzählt, dass die Suizidrate dort sehr hoch sei. Das ist auch ein Grund, warum er sagt: „Da will ich nie wieder hin.“

Um das Mal einzuordnen: Haben sie eine Idee, wie viele solcher Fälle es aktuell gibt in Deutschland oder geben könnte – verstecken sich welche unter dem Radar?

Ich weiß noch von einem, der ist auch in dem Spiegel-Interview mit Nikita R. mit dabei gewesen. Und ich weiß noch von weiteren Fällen. Wie viele das sind, kann ich Ihnen aber nicht sagen.

Wie ist die Resonanz von Menschen, die von diesem Fall über die Zeitung erfahren haben?

In meinem näheren Umfeld wie auch in einem weit entfernteren Umfeld haben die Leute sehr viel Mitgefühl mit Nikita. Die finden auch gut, was ich mache, weil ich gewillt bin das durchzusetzen, was die Bundesregierung versprochen hat. Es gab viele Hilfsangebote. Die Kirchengemeinde, die Nikita Kirchenasyl gewährt hat, stand komplett hinter dem, was der Pfarrer und ich gemacht haben, weil sie es einfach richtig fanden.

Die deutschen Kirchen haben sich zuletzt nicht mit Ruhm bekleckert in Sachen Ukrainekrieg. Die hätten ja am liebsten noch die Waffen gesegnet, die verschickt wurden ...

Die Landeskirchen schon. Ich selber bin aus der kirchlichen Friedensbewegung der DDR, und ein Großteil meiner Familie waren Pfarrer, auch mein Onkel. Und den Pfarrer, der Nikita Kirchenasyl gegeben hat, den habe ich auf einer Beerdigung in meinem Heimatort kennengelernt, weil er Pfarrer der Nachbargemeinde ist. Daher kannten wir uns, und den habe ich gefragt. Er war vorher auch Seelsorger bei der Brandenburger Polizei. Und er war sofort bereit. Und wir waren uns einig, dass wir Nikita R. helfen wollen. Diese Kirchengemeinde und ihren Pfarrer nehme ich explizit aus, die haben alles gemacht, was menschenmöglich war. Großes Kompliment!

Wie viel Mut gehört denn von Ihrer Seite dazu?

Fragen sie mich mal nach Mut! Da kann ich Ihnen erzählen, wie wir früher auf die Methoden der Leute vom Ministerium für Staatssicherheit reagiert haben. Nämlich mit Freundlichkeit und viel Humor. Wir waren ja Kirche. Was ist Mut? Mein Großvater war Pfarrer der bekennenden Kirche, mein Urgroßvater auch. Und wenn man so groß geworden ist, dann stellt sich die Frage des Mutes nicht. Ich mach das einfach.

Gibt es in der Sache unterschiedliche Rechtsauffassungen auf deutscher, europäischer und internationaler Ebene?

Es gibt offizielle Verlautbarungen und es gibt die Praxis. Wir haben die politischen Statements von Frau Faeser, Herrn Buschmann und Herrn Scholz, dass die Russen geschützt werden müssen, und gehandhabt wird es genau gegenteilig.

Danke für das Gespräch!

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