Von Bio-Mohrrüben bis Haltungsklasse 5 – die Verantwortung liegt bei uns

Konsumentenmacht und Tierwohl: Wie unser Kaufverhalten den Markt prägt

von Alexander Wallasch (Kommentare: 8)

Glückliche Tiere – ist das schon eine Vermenschlichung?© Quelle: Pixabay/ELG21

Der Markt folgt dem Konsumenten, doch was bedeutet das für Tierwohl und Nachhaltigkeit? Ein Blick auf Labels, staatliche Eingriffe und die ethischen Fragen hinter unseren Einkaufsentscheidungen.

Mir fällt kein Argument ein, das der Behauptung widerspräche, der Konsument regele mit seinem Kaufverhalten den Markt selbst. Aber welchen Wert hat die Aussage noch, wenn jeder Konsument etwas anderes möchte?

Nehmen wir Bio-Produkte in Supermärkten. Wenn es eine wachsende Gruppe gibt, welche die Bio-Mohrrübe der konventionellen vorzieht, dann wird sie in der Gemüseabteilung schneller ausverkauft sein, also wird mehr beim Bio-Produzenten bestellt. Die Angebotspalette verändert sich.

Erst mit staatlichen Eingriffen, mit Subventionen oder Gütesiegeln, wird das Kaufverhalten der Bürger gewissermaßen gegen den Trend – bzw. ihn verstärkend – beeinflusst. Das muss nicht grundsätzlich falsch sein. Aber es hat in der Regel einen erzieherischen Impetus.

Staatliche Eingriffe sind immer riskant. Es können sich Nebeneffekte einstellen, die man nicht einkalkuliert hat. Aber ein gesellschaftliches Einvernehmen auf einer bestimmten Ebene zieht in einer parlamentarischen Demokratie fast automatisch staatliches Handeln nach sich.

Beispiel: Jeder weiß, dass die Industrie keine Abwässer in Flüsse leiten sollte. Wenn aber die umweltfreundliche Entsorgung immer teurer wird, wächst die Gefahr, dass es eben doch gemacht wird. Also muss der Staat regulieren, kontrollieren und bestrafen.

Grundsätzlich gilt: Die Industrie stellt Waren her, sie bezahlt ihre Mitarbeiter vernünftig und beachtet die staatlichen Regularien. Das ist der Dreiklang. Aber längst werden Produzenten unter Druck gesetzt, sich über ihr eigentliches Tun hinaus gesamtgesellschaftlich zu engagieren, diverse NGOs üben Druck aus und sorgen dafür, dass die Industrie sich an der Stelle freikauft. Negativ könnte man sagen: Die Mafia macht es nicht anders. Befürworter behaupten, dieser soziale Druck sei wichtig, von alleine passiere nichts.

Kommen wir zu einer Flut von Labels auf Nahrungsmitteln. Ich behaupte, dass die allermeisten Konsumenten nicht verstehen, was es mit dem Nutri-Score auf sich hat. Links hat die Wurst die beste Bewertung mit A, rechts bekommt der Räucherlachs nur ein D. Oder ist D besser als A? Die Farbgebung von Grün nach Rot spricht eher für A, das könnte man jetzt alles nachlesen, aber sicher nicht im Supermarkt auf der Einkaufstour.

Einfacher wird es mit den Haltungsklassen 1–4, neuerdings auch noch mit Haltungsklasse 5 für Bio. Wissen Sie, wann das alles mal angefangen hat? Flächendeckend durchgesetzt hat es sich mit den Stempeln auf Eiern. Oder gab es schon zuvor ähnliche Maßnahmen? Bei Eiern ist es wie bei Mohrrüben. Wer einmal Bio oder konventionell hintereinander probiert hat, der kann kaum mehr bestreiten, dass es hier einen geschmacklichen Unterschied gibt, bei Fleisch wird es schon komplizierter.

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Was aber klar bestimmt ist anhand der Haltungsklassen: Wer Haltungsklasse 1 wählt, der hat später Teilstücke eines Tieres auf dem Teller, das so gut wie niemals die Sonne oder natürlichen Boden unter den Füßen hatte. Wer hier innehält und sich einen Moment Gedanken macht, was das bedeutet, der ist erschüttert oder es ist ihm ganz Wurst.

Diejenigen, die erschüttert sind, stellen sich vielleicht die Frage, wie so etwas überhaupt mit dem Tierschutz vereinbar ist. Und die, denen es gleich ist, verweisen darauf, dass das betreffende Tier in jedem Fall geschlachtet wird.

Machen wir es konkret: Wer Fleisch der Haltungsklasse 1 und 2 einkauft, der isst Teilstücke eines Tieres, das sein kurzes Leben lang in Verhältnissen lebte, die ausschließlich darauf ausgerichtet waren, ein möglichst preiswertes Stück Fleisch zu produzieren. Wer hier noch an irgendeiner Stelle von „Tierwohl“ spricht, der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ein übler Zyniker zu sein.

Ich habe mir öfter die Frage gestellt, was das mit den Landwirten mit Tierzucht macht, die, um ihr Einkommen zu haben, meinen, auf diese Weise in Haltungsklasse 1 oder 2 zu produzieren. Vielfach kommen Bauern aus Familien, die schon über Generationen auf dem Hof arbeiten, sie wissen aus Erzählungen, dass das früher anders war. Aber war es dem Mitgeschöpf gegenüber mitfühlender? Sind solche emotionalen Kategorien überhaupt angebracht?

Am Ende muss jeder selbst entscheiden, was er sich leisten möchte und kann. Und das meint nicht nur die natürlich preislich aufsteigenden Haltungsformen, sondern auch die persönliche Einstellung zum Tier. Ich verstehe jeden Vegetarier, der das nicht mehr übers Herz bringt. Ich verstehe bedingt auch jeden Fleischesser, der seinen Gewohnheiten folgt, da das Leben vielen keinen Platz für solche Luxusüberlegungen lässt.

Aber ich bitte doch zu bedenken, dass wir nach wie vor in einem relativen Wohlstand leben. Und wer die Wahl hat, 300 Gramm Fleisch der Bio-Haltungsklasse 5 zu wählen versus 500 Gramm der Stallhaltung, dem fehlen zwar 200 Gramm, aber er hat bei den verbleibenden 300 Gramm die relative Gewissheit, dass das Tier hier ein kurzes Leben geführt hat, demgegenüber man nicht vor Scham in den Boden sinken muss.

Jedenfalls dann, wenn man noch über ein Koordinatensystem verfügt, das ein Mitgefühl für das Mitgeschöpf beinhaltet.

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