Ein Freund schickte mir heute einen Post auf X von Markus Krall, Unternehmensberater und im weitesten Sinne auch ein rechter politischer Aktivist. Der Freund meinte, er sei hier nahe bei Krall. Der schrieb auf X:
„1949: Artikel 1 Grundgesetz: "Die Menschenwürde ist unantastbar". 2025: Verfassungsrichterin in Spe (?) Brosius: "Die Menschenwürde ist abwägungsfähig". Mehr muss man über dieses heruntergekommene Land nicht wissen. Wer die Menschenwürde relativiert, der steht in Feindschaft zu allem, was dieses Land einmal ausgemacht hat. Artikel 1 war die Reaktion auf den Holocaust und die Verbrechen der nationalsozialistischen Tyrannei. Ihn zu relativieren ist das verfassungsfeindlichste, was man sich überhaupt vorstellen kann. Wir sind nicht auf dem Weg in den Abgrund, wir sind schon drinnen, im freien Fall.“
Daraufhin gingen Kommentare und Sprachnachrichten via WhatsApp hin und her. Hier die Zusammenfassung meiner Sicht der Dinge:
Die umstrittene Kandidatin zur Bundesverfassungsrichterin, Frauke Brosius-Gersdorf, ist viel näher an Markus Krall, als es dem politisch aktiven Unternehmensberater recht sein kann: Die juristische und politische Auseinandersetzung um die Strafbarkeit von Abtreibungen wurde vor etwa dreißig Jahren ausgiebig geführt. Eine lange Debatte und eine zähe und schmerzhafte Diskussion mit dem Ergebnis, dass die Juristen und politischen Entscheider die Strafbarkeit von Abtreibungen absichtsvoll in einer Grauzone belassen haben.
Solche Grauzonen entstehen oft, wenn gesetzliche Regelungen bewusst vage gehalten werden, gesellschaftliche oder ethische Kontroversen bestehen oder die Rechtsprechung Spielräume lässt.
Und diese bewusst gewählten Grauzonen sind alles andere als ein Einzelfall. Vergleichbares gibt es etwa zur Sterbehilfe/Euthanasie, Cannabis-Konsum und -Besitz, Eizellspende und altruistische Leihmutterschaft, beim Demonstrationsrecht und Sitzblockaden oder im Filesharing und bei Urheberrechtsverletzungen.
Hier stehen ethische, gesellschaftliche oder individuelle Rechte in Konflikt. Politik und Gesetzgebung lassen solche Bereiche bewusst offen, um flexibel auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren zu können oder um kontroverse Themen nicht endgültig zu regeln. Dies führt zu einer Art Schwebezustand, in dem Handlungen formal strafbar sind, aber unter bestimmten Bedingungen toleriert oder nicht verfolgt werden.
Die Regelung von Abtreibungen bis zur 12. Woche ist das mit Abstand bedeutendste und auch moralisch und ethisch umstrittenste Beispiel dafür. Dinge bleiben in der Grauzone weiter strafbar. Sie werden nur nicht mehr strafrechtlich verfolgt.
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Das Erstaunliche ist hier, dass Frau Brosius-Gersdorf in ihrer Argumentation viel näher bei Markus Krall ist, als diesem recht sein kann. Denn auch die Juristin mag diese Grauzone nicht, sie tut sich damit so schwer wie Krall. Sie wünscht sich klare Regelungen versus Grauzone. Und ebenso wie Krall ist Brosius-Gersdorf vollkommen klar, dass man dann mit der Menschenwürde anders umgehen muss.
An der Stelle ist die Debatte dann auch ganz einfach zu verstehen, und man wundert sich nur, worüber aktuell überhaupt diskutiert wird. Man muss sich in der Sache nicht positionieren, um ganz nüchtern die Argumente zu verstehen:
Brosius-Gersdorf wie Krall sind Schwarz-Weiß-Denker, sie wollen absolute Klarheit, Grauzonen sind ihnen ein Graus, Grauzonen sind die natürlichen Feinde ideologischer Gedankengebäude. Grauzonen sind Freiheit. Aber wofür?
Brosius-Gersdorf ist nah bei Krall, nur eben mit einer ganz anderen Schlussfolgerung.
Hinzu kommt allerdings erschwerend wie symptomatisch für die Verheerrung der Debatte, dass man bei Markus Krall immer den radikalen – besser „konservativen“ oder „traditionellen“? – Christen mitdenken muss. Krall soll Mitglied des päpstlichen Ritterordens vom Heiligen Grab sein, was immer das im Detail für ihn bedeuten mag.
Und da wird es dann deutlich schwieriger, wenn in der Debatte auf der Metaebene etwas mitschwingt, was immer in die Argumentation hineingreift aber für den Gegenüber schwer erkennbar bleibt. Die Beweggründe von Krall und Brosius-Gersdorf sind ganz unterschiedlich. Aber beide lehnen juristische Grauzonen kategorisch ab.
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Kommentare
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Kommentar von Rainer Möller
Die Grauzone ist in der Tat unvermeidlich. Aber Brosius ist halt sehr viel radikaler als Krall, weil sie sagt:
"Die Annahme, dass die Menschenwürde überall gelte, wo menschliches Leben existiert, ist ein biologistisch-naturalistischer Fehlschluss."
M.a.W. sie entkoppelt den Würdeschutz vom Mensch-Sein als solchem und überlässt es der freien Diskussion, welchen Menschen wir einen Würdeschutz zuerkennen wollen und welchen nicht.
Das geht über die bloße "Interpretation" von Art.1 GG hinaus und zielt auf eine Neuformulierung durch eine neue Verfassungsgebende Versammlung, etwas was nicht ihre Aufgabe sein dürfte (und schon gar nicht als Verfassungsrichterin).
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Kommentar von HoNi
Krall und diese Frau auf einer Stufe? Wow!
Antwort von Alexander Wallasch
gern lesen, da steht es begründet.
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Kommentar von Ostdeutsche
Nein, meiner Ansicht nach ist das Gegenteil der Fall. Zwar stimmt es, daß die Regelung zum Schwangerschaftsabbruch sich in einem Feld zwischen Lebensrecht des Ungeborenen und Autonomie der Schwangeren bewegt, aber Frau B. möchte diese Grauzone bis zur Geburt des Kindes ERWEITERN, so daß bei einem Kind im 6. Schwangerschaftsmonat ABGEWOGEN werden kann, ob es Menschenwürde besitzt oder nicht. Das ist das glatte Gegenteil dessen, was im GG steht.
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Kommentar von Stefan W
wallasch = "Grauzonen sind Freiheit?"
aha, "Haß und Hetze" ist auch eine Grauzone. Für Wallasch auch ok?
Gender ist auch eine Grauzone. Für Wallasch auch ok?
Antwort von Alexander Wallasch
Hass und Hetze sind wann eine Straftat? Schlechtes Beispiel
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Kommentar von Carl Peter
Sehr geehrte justiziable Möchtegern-Transformationswillige!
"Handel und Industrie können in einem Staat selten lange blühen, wenn die Rechtspflege nicht wohlgeordnet ist, das Volk sich nicht im Besitz seines Eigentums gesichert fühlt, die Erfüllung der Verträge nicht durch Gesetze aufrechterhalten wird und die Macht des Staates nicht jeden Schuldner, der zahlen kann, auch wirklich zum Bezahlen anhält.
Kurz, Handel und Industrie können selten in einem Staat blühen, wenn nicht ein gewisser Grad von Vertrauen auf die Gerechtigkeit der Regierung vorhanden ist."
Wer hat's uns ins Ohr gesagt?
Ein gewisser Adam Smith, insbesondere bei seinen Ansichten über Staatsschulden.
Nun kommt es seltener vor, dass man von Idioten regiert wird, als dass man über Idioten regiert - umso häufiger kommt es bei ersterem vor, dass Kriege, wirtschaftliche Zusammenbrüche, Moralverlust, geistiger und kultureller Verfall entstehen, was dann die ewige Wiederkehr des Phönix aus der Asche herbeizaubert.
Jeden Lenker der Massen ereilt dieses Schicksal, dem auch die Massen zum Opfer fallen - dieser Vorgang ist einsichtslos, um einen Gedanken von Frau Merkel zu seinem Ende zu bringen.
Einsicht kann aber auch einseitige Sicht bedeuten, und alles daneben liegende zu Asche verbrennen:
"Herr, der Abend naht,
ich hab nur müde Gesten,
es dunkelt deiner Sonne Pfad
im Unkraut der Gebresten.
Herr, meine Hand ist leer,
ich hab dein Wort verschwendet,
meine Seele ist voll Teer,
ich bin im Kot geendet.
Herr, schick mir deine Taube,
ins Herz soll sie mir picken
nach einem Körnchen Glaube,
ach, könnt es sie erquicken."
Ich weiß nicht wer das verbrochen hat, mir gefällts für diese Zeit und meine Recherchen führten nicht zu einem eindeutigen Autor, aber zumindest zu einem interessanten Umfeld - es gäbe nun noch Prometheus, Laokoon, den zu tötenden Buddha und weitere illustre Gestalten der schlampigen Menschheitsgeschichte.
Aber was machen wir nur mit unserer Regierung, die sich immer mehr selbst ermächtigt und nun noch mit der Würde Handel treibt?
Antwort von Alexander Wallasch
Ach, irgendein "Herr" kann mir da gestohlen bleiben. Warum? Ich habe die Anhänger dieses Herrn kennengelernt.
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Kommentar von Heiko Meyer
Hallo Herr Wallasch, ich kann Ihnen nicht folgen. Da ich auf X gesperrt bin (keine Ahnung warum), bin ich auf Ihre Zitierungen angewiesen. Diesen kann ich lediglich entnehmen, dass Krall sich zu einer Änderung des GG Art. 1 (1) äußert, welche Brosius-Gersdorf dem Vernehmen nach befûrwortet (oder doch nicht?), um eine rechtliche Grauzone zu beseitigen. Inwiefern Krall Gleichartiges befûrwortet oder anstrebt, ist für mich nicht ersichtlich.
Antwort von Alexander Wallasch
Meine Webseite kann. niemanden sperren, dort lesen Sie den Artikel. Wo sonst? Danke