Von Impfpflicht bis AfD-Verbot: Die umstrittene Verfassungsrichterin-Kandidatin bleibt bei Lanz ohne Selbstkritik

Lanz und die Opferrolle: Wie Brosius-Gersdorf die Debatte verdreht

von Alexander Wallasch (Kommentare: 11)

Selbstgerecht und uneinsichtig© Quelle: ZDF, Lanz, Screenshot

Markus Lanz lässt Frauke Brosius-Gersdorf ihre Opferrolle ausspielen, während sie Medien angreift und ihre umstrittenen Thesen verteidigt. Eine Debatte, die nur eines zeigt: Es geht um Macht, nicht um Wahrheit.

Lanz spricht alles an, von Impfpflicht bis zum AfD-Verbot. Und er erinnert daran, dass die Wahl zur Verfassungsrichterin eigentlich abgemacht war, reine Routine. Die Zustimmung galt als sicher.

Es gehe ihr den Umständen entsprechend, sagt Frauke Brosius-Gersdorf, ihr gesamtes soziales Umfeld sei betroffen. Sie findet die Angriffe infam. Wörtlich erwähnt sie einen Erzbischof, der sie angegriffen habe. Sie sei Wissenschaftlerin und keine Politikerin.

Lanz bringt Morddrohungen zur Sprache. Aber es hat wohl doch keine gegeben, jedenfalls nennt Frauke Brosius-Gersdorf ein KI-Video, das ihr geschickt wurde, in dem sie eine Faust ins Gesicht bekommt. Es seien aber nur ganz bestimmte Medien gewesen, die unsachlich waren.

Brosius-Gersdorf erwähnt explizit immer wieder die Debatte um den Schwangerschaftsabbruch, da sieht sie ihren Punkt. Brandgefährlich sei die Politisierung der Debatte um eine Verfassungsrichterin. Sie vertrete doch gemäßigte Positionen "aus der Mitte der Gesellschaft".

Aber was alles von illegaler Massenmigration bis zum Corona-Regime aus der Mitte kam, scheint Brosius-Gersdorf vergessen zu haben. Ihre Einwände klingen, als lebten wir noch in den 1990er Jahren.

Alle Debatten um gravierende Demokratiedefizite der letzten zehn Jahre sind offenbar an der Verfassungsrichterin in spe vorbeigegangen, bis hin zu den schweren Verletzungen des Grundgesetzes in den Corona-Jahren. Darauf basiert doch die große Vorsicht und das gefestigte Misstrauen vieler Deutscher.

Markus Lanz kritisiert immerhin die Medienschelte des gestern veröffentlichten Briefs von Brosius-Gersdorf. Man müsse sich in einer solchen Aufarbeitung mehr mit sich selbst beschäftigen. Und tatsächlich hat es bis zu diesem Zeitpunkt noch kein einziges Wort der Selbstkritik von der Juristin gegeben. Sie dreht und wendet sich in ihrer Opferrolle, als habe es zuvor niemals Diffamierungen, Ausgrenzungen, Gewaltandrohungen und Angriffe gegen oppositionelle Politiker, Wissenschaftler und Medienvertreter gegeben, die nicht so systemgängig sind, wie sie selbst.

Brosius-Gersdorf steht zweifelsfrei auf der Seite der Verursacher solcher Verfolgungen und Übergriffe. Auf der Täterseite, die sich mit Frauke Brosius-Gersdorf eine Bundesverfassungsrichterin gegen die AfD wählen wollte.

An dieser Stelle wird noch deutlicher – ob man es nun erwähnt oder nicht – dass sich die Debatte im Kern um das AfD-Verbot dreht. Es geht faktisch um nichts anderes. Aber Lanz lässt es zu, dass Brosius-Gersdorf eins ums andere Mal Medienkritik übt, die ihr überhaupt nicht zusteht. Denn sie ist Juristin und keine Vertreterin eines objektiven und unpolitischen Presserates – den es im Übrigen gar nicht gibt. Es ist geradezu eine Anmaßung der Juristin, was Lanz hier an Angriffen gegen die vierte Gewalt durchgehen lässt.

Das Schulrecht, Verfassungsrecht und Sozialversicherungsrecht seien ihr Fachgebiet, das in der Kritik viel zu kurz gekommen sei, beschwert sich Brosius-Gersdorf. Dabei vergisst sie allerdings, dass sich ihre Aufgaben als Richterin am Bundesverfassungsgericht nicht darauf beschränken werden. Und der dröge Fleißstoff ist mutmaßlich auch nicht, weshalb sie von der SPD nominiert wurde.

Sie habe bei ihrer Zusage nicht im Traum darüber nachgedacht, dass ihre Thesen der Vergangenheit zu Debatten führen könnten, jammert – oder besser: hadert– Brosius-Gersdorf. Sie habe sich vorher überhaupt nicht gefragt, was da jetzt komme werde. Dann kamen ab dem Tag der verhinderten Wahl noch die Plagiatsvorwürfe dazu.

Aber auch hier ist Brosius-Gersdorf bei Weitem nicht die Erste, die mit so etwas konfrontiert wird. Besonders schlimm blieb in Erinnerung, wie die Süddeutsche Zeitung im Vorfeld der Wahlen erfolglos versucht hatte, der AfD-Chefin Alice Weidel eine Plagiatsaffäre anzuhängen. Die Juristin ist hier ganz sicher nicht Patientin Nummer 1.

Zu den Plagiatsvorwürfen will sie nichts Konkretes sagen. Auch nicht, als Lanz ihr die Doublette zum Werk ihres Ehemannes im Wortlaut vorträgt. Ihre Anwälte würden morgen dazu ein Statement abgeben.

Lanz verrennt sich nach bald zwanzig Minuten erneut in der Abfrage der emotionalen Situation von Brosius-Gersdorf. Das wirkt streckenweise so, als suche Lanz nach einem Weg, die spröde und wenig empathisch wirkende Juristin irgendwie positiv aufzuladen. Aber warum liegt dem Moderator so daran?

Der Journalist Marc Felix Serrao von der Neuen Zürcher Zeitung ist später ebenfalls zu Gast. Er forderte im Vorfeld von Verfassungsrichtern „moderate politische Positionen“. Hier fragt man sich dann, warum nicht Julian Reichelt der Gast sein kann, der ehemalige Chef der „Bild“ und heutiger Boss von „Nius“, der ja hauptsächlich kritisiert wird von Brosius-Gersdorf.

Hier beschneidet das ZDF und Lanz selbst nicht nur die Debatte, sondern vor allem die Glaubwürdigkeit solcher Sendungen mit Schere im Kopf.

Mehrfach betont Brosius-Gersdorf, sie vertrete „absolut gemäßigte Positionen aus der Mitte unserer Gesellschaft“. Aber bei der dritten Wiederholung bekommt diese Phrase eine immer größere Unwucht, und man beginnt zu verstehen, was in dieser angeblichen Mitte der Gesellschaft tatsächlich passiert, wenn sie dort Positionen verfestigen, die eher dem linksradikalen Rand entsprungen sind.

Brosius-Gersdorf kokettiert, sie habe die „alte Schwäche, sich relativ klar auszudrücken“. Das alles wirkt leider wenig sympathisch und noch weniger authentisch. Auf Letzteres käme es viel mehr an.

Dann endlich, nach etwa einer halben Stunde, kommt die erste Selbstkritik: Sie habe sich in einer Vorgängersendung nicht glücklich ausgedrückt, als sie gesagt habe, dass ein AfD-Verbot nicht die Anhängerschaft der AfD beseitigen würde. Aber was heißt das? Dass sie dasselbe gern weniger direkt gesagt hätte, aber weiter exakt diese These vertritt? Einsicht geht wahrlich anders.

Lanz versucht wieder, eine Brücke zu bauen: Brosius-Gersdorf sei halt kein Medienprofi. Sie nimmt den Ball gern auf, aber eine inhaltliche Distanzierung findet dennoch nicht statt. Brave Reparaturdienste à la Lanz. Wird er noch zustechen? Aber Brosius-Gersdorf positioniert sich. Folgte sie viel zu rasch dem Verbotsansinnen?

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Sie will eine Impfpflicht, beruft sich aber hinterher darauf, dass es nur ein wissenschaftliches Nachdenken war. Warum hat sie dann nicht darüber nachgedacht, dass es so eine Impfpflicht NICHT geben darf – bestenfalls sogar in derselben Lautstärke? Und dann will die Juristin Lanz noch erklären, was eine dialektische Auseinandersetzung ist.

Man darf nicht vergessen, wer da eigentlich sitzt. Eine ausgebildete Rechtsanwältin, die sich mit den Winkeln der Advokatentätigkeit auskennt, die gelernt hat, gerissen mit Worten umzugehen – niemand sollte hier glauben, dass so jemand nicht mit jeder Silbe wisse, was er ausdrücken will.

Null Selbstkritik in ihren Aussagen zur Impfpflicht. Die ganzen Corona-Maßnahmen seien im Spiegel der Zeit zu sehen. Ihre Haltung sei von den damaligen medizinischen Erkenntnissen geprägt – aber von welchen? Von jenen von Drosten und Wieler? Brosius-Gersdorf ist Juristin, keine Medizinerin. Aber sie weiß offenbar immer genau, welche Institutionen die Wahrheit verkünden: der Bundesverfassungsschutz und das Robert Koch-Institut.

Zuletzt legitimiert Brosius-Gersdorf ihre Positionen damit, dass diese von einer Mehrheit der Bevölkerung geteilt worden seien. Aber was soll das heißen? Populistische Wissenschaft? Volksjuristerei à la Brosius-Gersdorf?

Als die Juristin dann noch die Solidargemeinschaft ins Spiel bringt, wird es auch Lanz zu viel, und er wechselt das Thema hin zum Kopftuchstreit. Und damit gibt er Brosius-Gersdorf die Gelegenheit, zu dozieren, schlicht, weil er nicht wirklich erfasst bzw. den Zuschauern vermitteln kann, worum es inhaltlich geht, warum das Kruzifix verboten, aber ein Kopftuch der Lehrerin erlaubt sein könnte (weil der Staat sich das Kruzifix zu eigen macht, aber nicht das Kopftuch, erklärt Brosius-Gersdorf).

Sie wollte doch nur ihr juristisches Handwerkszeug sauber anwenden, aber sie glaubt, „das habe ich bei den Themen getan“, erteilt sich Frau Brosius-Gersdorf im längeren Einzelgespräch mit Lanz selbst eine Art Generalamnestie. Nichts da mit Einsicht oder Abkehr.

Lanz ist beim § 218 angekommen. Und da ist Brosius-Gersdorf dann endgültig auf der sicheren Seite, denn da sind ihr tatsächlich Dinge unterstellt worden, die sie so nie gesagt hat. Im Kern hier die Aussage, sie sei für Schwangerschaftsabbruch bis zum neunten Monat eingetreten, was sie faktisch nicht getan hat. Hier wird auch deutlich, welchen Schaden solche Ungenauigkeiten anzurichten in der Lage sind. Die sichere Stimme für ein AfD-Verbot bekommt klar Oberwasser.

Und wieder bekommt Brosius-Gersdorf Gelegenheit, breit zu referieren. Lanz auf der Schulbank. Fairerweise muss man zugestehen, dass Brosius-Gersdorf an der Stelle wirklich sehr klar und verständlich ist. Die Anwürfe vor allem aus der katholisch und freikirchlich geprägten konservativen Ecke waren nicht nur übergriffig, sondern teilweise falsch und logisch nicht mehr nachvollziehbar.

Und sie spielen der Anti-AfD-Juristin bei Lanz in die Hände.

Lanz erwähnt, dass 75 Prozent der Deutschen für eine Legalisierung der Abtreibungen seien, wie sie aktuell noch strafbar seien, aber toleriert werden. Irgendwer hat also irgendwo eine Umfrage dazu gemacht.

Brosius-Gersdorf will keine Debatte mehr um die Wahlen zum Bundesverfassungsgericht, das schade der Demokratie. Ganz energisch wird die Juristin an dieser Stelle. Aber was, wenn das Gegenteil wahr ist und so endlich einmal diese von politischen Eliten verabredeten Wahlen eine Öffentlichkeit bekommen?

Von Debattenkultur ist bei Brosius-Gersdorf die Rede, die man verbessern müsse. Als die Debatte um Corona-Maßnahmen kriminalisiert wurde, als die Debatte um die Migration kriminalisiert wurde, fühlte sich die Juristin allerdings nicht gestört. Das begann offenbar erst, seit sie selbst in der Kritik steht.

Lanz hat leider keinen Biss. Er ist kein Totalausfall, muss aber vorab deutlich zu viel Weichspüler getrunken haben. Und wieder darf Brosius-Gersdorf ihre Opferrolle ausbreiten, ohne dass Lanz mal erklärt, dass sie sich schon noch kritisieren lassen darf, ohne Gott und die Welt dafür zu verfluchen.

Deutschland habe sie aufgefordert, dabei zu bleiben. Tausende Zuschriften, sogar von Pastoren und Pfarrern habe sie bekommen.

An der anschließenden Diskussionsrunde nimmt Brosius-Gersdorf nicht mehr teil.

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