Nach Angriff auf iranische Atomanlagen: Israel unter Feuer

Live aus Israel: Und plötzlich im Bunker in Tel Aviv

von Alexander Wallasch (Kommentare: 1)

Tel Aviv© Quelle: Pixabay/ Pix-Off

„Mit jedem Tag und mit jeder nächsten Welle, die kommt und auch mit jeder schwereren Welle von Angriffen, wird einem eben immer bewusster, dass das hier was Historisches ist und nicht einfach irgendwie Alltag in Tel Aviv.“

Wir sprechen mit einem öffentlich-rechtlichen Journalisten, der in Israel gerade seine Feuerprobe erlebt. Der junge Kollege möchte nicht genannt werden. Die Frontstellung zu den neuen Medien besteht weiterhin. Aber die Kontakte sind vorhanden, die neuen Trassen gelegt.

Wir erreichen den Journalisten in Tel Aviv. Wir duzen uns im Alltag und behalten es für das Interview bei.

Du hast von der Evakuierung gesprochen? Große Hektik vor dem Telefonat. Wie muss ich mir das vorstellen? Im Hintergrund höre ich exotische Vögel zwitschern. Als ob du auf Costa Rica wärst.

Es ist tatsächlich auch tagsüber so. Rein vom Wetter her wachst du auf und denkst: Ah, Sommerurlaub. Aber es ist natürlich die ganze Zeit sehr angespannt. Und wenn du nach Draußen gehst, merkst du, dass hier gar nichts mit Urlaub ist. Es ist super gespenstisch und es ist niemand auf der Straße.

Und wenn du mit Locals hier sprichst – wir sind viel mit Locals unterwegs –, dann sagen die auch alle, das sei eine andere Hausnummer jetzt. So hätten sie es die letzten zehn, 15 Jahre nicht mehr erlebt.

Nun haben wir in Deutschland in den Nachrichten gesehen, dass tatsächlich auch in Tel Aviv iranische Raketen eingeschlagen sind, Menschen sind getötet worden. Was habt ihr davon mitbekommen?

Also bei uns im Bunker nichts. Wir waren aber gestern vor Ort, da wurde ein Hochhaus getroffen, in Zentral-Tel-Aviv. Das haben wir uns angeguckt und auch mit ein paar Bewohnern gesprochen. Die haben in ihrem Safe-Room und im Bunker diese Explosion richtig stark gespürt. Und sie haben dann irgendwann auch gemerkt, dass die Luft im Bunker nicht mehr gut ist. Sie hatten direkt Angst, dass sie da vielleicht nicht mehr rauskommen, und sind dementsprechend irgendwann auf eigene Faust rausgegangen.

Draußen haben sie dann gesehen, dass ihr Haus zerstört ist. Und ich weiß nicht, wie die aktuelle Lage ist, aber gestern war es so, dass das gesamte Hochhaus gesperrt gewesen ist, weil sie Angst hatten, dass das einstürzt.

Es gibt ja Journalisten, die durch ihre Kriegsreportagen bekannt geworden sind, wie etwa Peter Scholl-Latour. Journalismus ist dein Traumberuf. Plötzlich findest du dich in einer Situation wieder, die man das Saigon-Gefühl nennen könnte.

Ja, definitiv. Wir sind hergereist, weil wir uns mit dem Konflikt vor Ort auseinandersetzen wollten. Wie ist die Lage in Israel wirklich? Bezogen auf den 7. Oktober wollten wir auch an jene Stätten gehen, die damals so schwer betroffen waren, wie etwa dieses Festivalgelände, wo so viele junge Menschen ermordet wurden. Aber wir waren erst zwei Tage hier, da war das mit einem Schlag kein Thema mehr.

Wie empfindet man Israel allein von den räumlichen Dimensionen her, wenn man aus Deutschland kommt? Wie beengt ist es?

Man hat schon das Gefühl, gerade im Vergleich zu Deutschland, dass es ein kleineres Land ist, weil die Locals hier alle mal schnell mit dir nach Jerusalem fahren oder wo immer man hinmöchte. Alles kein Problem. Man fährt dann einfach mal drei bis vier Stunden. Aber das sorgt auch nicht dafür, dass es sich irgendwie beengt anfühlt. Man weiß ja: Hinter Tel Aviv, da ist Wüste, Weite, da ist irgendwo auch ein Meer.

Jetzt geht es für Journalisten ans Eingemachte, du bist plötzlich da, wo es knallt.

Ja, das ist jetzt quasi für mich die Feuerprobe. Auch wie ich das mental packe und wozu ich bereit bin. Da schaut man schon nochmal anders auf sich selbst und auch auf die Verantwortung, die man hat. Man fährt ja nicht dorthin in dem Wissen, dass die Israelis jetzt eine Aktion im Iran machen, und plötzlich passiert das alles.

Kannst du das für uns noch mal zusammenfassen?

Wir sind hierhergekommen mit dem Gedanken, uns mit dem Nahostkonflikt zu befassen. Und na klar: Etwas Erholung von der eigentlich stressigen Arbeit haben wir eingeplant.

Du bist mit Kollegen hier …

Genau. Wir haben hier Bekannte und Verwandte und einiges an Ausflügen geplant. Und dementsprechend war ich die ersten Tage fast überrascht über die Ausgelassenheit und diese Lebensfreude in den Straßen. Ich bin das erste Mal in Israel …

…Tel Aviv und das berühmte Nachtleben. Und dann spitzte sich das zu über den nächtlichen Angriff der Israelis?

Genau: Über den nächtlichen Angriff von heute auf morgen. Wir waren gerade mit IDF-Soldaten unterwegs, die uns dann auch verdeutlicht haben: Hey, das ist jetzt hier eine ernste Sache, das ist nicht normal, das ist nicht vergleichbar mit Angriffen, wie wir sie sonst kennen.

Und mit jedem Tag und mit jeder nächsten Welle, die kommt und auch mit jeder schwereren Welle von Angriffen, wird einem eben immer bewusster, dass das hier was Historisches ist und nicht einfach irgendwie Alltag in Tel Aviv.

Wie erlebst du diese Iron Domes? Sind die präsent, bekommt man überhaupt etwas vom Abwehrsystem mit? Oder sind die versteckt am Stadtrand?

Nein, tatsächlich nicht. Sie befinden sich zum Teil direkt in der Stadt. Wir haben sie auch gestern gesehen, als wir uns die Orte angeguckt haben, die getroffen wurden, weil da so ein Abwehrsystem direkt daneben steht. Aber die sind wirklich überall verteilt und präsent. Natürlich nicht präsent, wenn sie gerade nicht gebraucht werden. Aber jetzt, wo man eben mit einem anderen Fokus durch so eine Stadt läuft, fallen sie eben doch auf.

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Man sieht heute in den sozialen Netzwerken Nachtaufnahmen von Bombardierungen, da ist schon ordentlich was los, da passiert was. Das kriegt ihr alles gar nicht mit, weil ihr dann sicherheitshalber in den Bunker gebeten werdet?

Genau. Jeder – auch wir – hat hier mindestens eine App installiert, die früh genug im besten Fall warnt.

Die Israelis haben so extra Warn-Apps?

Genau, da gibt es verschiedene, die hat eigentlich jeder. Und sobald sie wissen, okay, da kommt was geflogen, soll man die Nähe eines Bunkers suchen. Und wenn es dann konkret wird, dann sagen sie: Bitte bleiben Sie auf ein bis zwei Minuten Laufzeit zum nächsten Bunker, sodass man schnellstmöglich im Bunker ist.

Und das ist aber so ein Moment, wo man eigentlich schon dringend in den Bunker reingehen sollte oder direkt neben der Tür stehen sollte. Denn wenn dann die Sirenen kommen, dann sieht man zum Teil auch schon die Raketen am Himmel, die abgefangen werden – im besten Fall. Und das ist natürlich ein sehr, sehr komisches Gefühl, wenn man aus Deutschland und aus dem Westen kommt. Aber gezwungen wird keiner. Alle sind informiert, wo die Bunker sind. Man trifft auch – jetzt, wo sich das alles wiederholt – immer die gleichen Leute im Bunker, der in der Nähe der Unterkunft ist.

Hast du ein wenig ein Gefühl dafür bekommen, wie es vielleicht deinen Großeltern im Keller 1944/45 ging?

Ich würde mal sagen, das ist definitiv nicht vergleichbar, es ist einfach unglaublich, was Israel auf die Beine stellt an Verteidigung für ihre Zivilisation. Das ist etwas, was mich sehr beeindruckt.

Okay, Thema Demokratie und Meinungsfreiheit: Israel gilt in seiner Region als eine Art einsamer Mahner, eine große Hochburg, umgeben von Ländern, in denen das eben nicht der Fall ist. Spürt man das?

Ja, das ist schon ein Kulturschock auf eine ganz andere Art und Weise. Denn man erwartet natürlich erst mal – auch rein geografisch – dass man in Nahost ankommt. Und dann kommt man hier an und hier ist einfach alles sehr frei, sehr offen.

Hier gibt es zwar auch verschiedene Viertel, also es gibt arabische Viertel, israelische Viertel. Aber insgesamt leben alle ganz friedlich nebeneinander her und sind auch ganz hilfsbereit, sprechen zum Teil die jeweils andere Sprache. Hier sind die Schilder auf Arabisch und auf Hebräisch und auf Englisch.

Und ja, es ist einfach sehr bezeichnend gewesen, dass dieser Angriff am Freitag gestartet ist, als eigentlich die Pride-Parade sein sollte. Und jetzt stehen hier quasi wie Mahnmale an der Strandpromenade Zelte, die aufgebaut waren, die nicht genutzt wurden. Ich muss immer wieder daran denken, dass wir uns eigentlich gerade in Nahost befinden und dass es unglaublich ist, dass hier so viel Freiheit in dieser kleinen Gegend ist, in einer Gegend, wo es drumherum zum Teil Terrorregime mit großem Bedrohungspotenzial gibt.

Hier lebt man quasi aus, was man in keinem Land drumherum ausleben könnte. Es ist wirklich das westliche Lebensgefühl. Und inzwischen, würde ich sagen, ist hier mehr das westliche Lebensgefühl, als man es zum Teil in Deutschland hat.

Weil in Deutschland was genau ist?

Das muss ich doch niemandem mehr erklären, glaube ich (lacht). Hier kann man sein, wie man ist! Und da wird auch keiner komisch angeguckt. Hier laufen auch super viele homosexuelle Paare rum, gerade jetzt aufgrund der Pride-Parade. Und das ist schon ein Gefühl, das ein bisschen abhanden gekommen ist in den letzten Jahren in Deutschland.

Ist etwas von der deutsch-jüdischen Kultur in Tel Aviv lebendig geblieben? Buchläden oder Ähnliches?

Wir hatten ja ein paar Abende, wo noch alles okay war. Und wenn man mit den Locals spricht – viele sprechen oder verstehen auch Jiddisch –, die haben einen Bezug zur deutschen Sprache. Viele waren schon oft in Berlin oder sie sagen, sie würden gerne mal nach Berlin. Man wird mit offenen Armen empfangen, wenn man aus Deutschland kommt.

In Restaurants, wo wir waren, gab es „Bavarian Cream“ und deutsches Brot und so was. Also als Beilagen. Also es ist so ein bisschen in der Kultur, wenn man darauf achten will.

Wie präsent ist der Holocaust in deiner Generation? Ist das für Deutsche ein Thema, wenn man in Israel unterwegs ist?

Das spielt eigentlich überhaupt keine Rolle. Die Juden gehen da sehr gelassen damit um. Im Gespräch, wenn es dann doch irgendwie mal in Richtung Holocaust geht, da haben wir sogar einmal Witze gehört! Da schaut man sich als Deutscher dann schon schockiert an, aber eigentlich wird das so im normalen Leben nicht thematisiert.

Danke für das Gespräch! Und gute Heimreise!

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