Der Effekt, wenn man immer lauter schreien muss, um Aufmerksamkeit zu bekommen, ist bekannt: Es wird erst schrill, dann wird man heiser. Ich will nicht vermessen, wo auf der Skala sich hier die Ex-Degussa-Größe Markus Krall gerade befindet. Aber was der libertäre Vordenker gerade via X präsentiert, ist – drücken wir es maximal positiv aus – mindestens atemberaubend, wenn nicht vollkommen abwegig.
Und ich bin absichtlich sanft mit dem mitunter klugen Analytiker, weil Markus Krall immer noch für sehr viele Menschen eine Respektperson ist. Aber so ein grotesker Irrsinn verdient eine klare Antwort.
Krall hatte sich gestern quasi ansatzlos den Thesen der X-Userin „Shira S, MD“ angeschlossen, die den Verdacht geäußert hatte, der Staat habe vier AfD-Politiker umbringen lassen. Besagte „Shira S, MD“ schrieb nämlich:
„Vier AfD-Kandidaten, die sich der politischen Auseinandersetzung stellen wollten, sterben kurz vor der NRW-Kommunalwahl. Offiziell heißt es: ‚plötzlich und unerwartet‘. (…) Zufall? So wird es uns erklärt. Doch wer sich traut, auch nur einen Schritt weiterzudenken, erkennt, wie gespenstisch das Bild ist: Ein demokratisches Land, das von sich behauptet, frei zu sein, erlebt plötzlich Todesfälle bei Oppositionskandidaten – und die Öffentlichkeit soll das einfach schlucken, ohne Fragen zu stellen.“
Was macht Markus Krall? Er setzt sich hin und befüllt eine KI so wie Hausfrauen Marmelade kochen mit den abgepflügten Aussagen vom Baum der Erkenntnis und fragt offenbar so lange nach, bis er die gewünschte dramatische und aufmerksamkeitsstarke Antwort bekommt. Krall raunt laut:
„Ich habe die Daten an eine KI geliefert und auf Basis der Sterbetafeln die Wahrscheinlichkeit ausrechnen lassen, dass die 4 toten AfD-Kandidaten zufällig gestorben sind. Diese Wahrscheinlichkeit beträgt 1 zu 1,62 Millionen, also praktisch null. In einem normalen Land würde das die Kripo auf den Plan rufen.“
Nun kann sich bereits der Laie erklären, dass es selbstredend eine besonders niedrige Wahrscheinlichkeit hat, dass in vier bestimmten Orten vier AfD-Kandidaten sterben. Oder so: Wenn ich heute weiß, wo gestern vier Mal der Blitz eingeschlagen ist, dann ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass es gleichzeitig in Blomberg, Rheinberg, Schwerte, Bad Lippspringe besonders niedrig. Niedriger als ein hoher Lottogewinn.
Und hier sind wir noch nicht einmal dort angekommen, wo man sich fragen sollte, welchen Mehrwert es generieren soll, wenn man vier – Verzeihung – AfD-Provinzkandidaten von der Platte fegt. Wozu? Es ist gespenstisch.
Tragisch auch, dass der so durchweg kluge Prof. Stefan Homburg hier offenbar eine Steilvorlage abgeliefert hat, missverstanden zu werden, die so eine Interpretation (Mordanschläge) gar nicht zulässt, aber dann dankbar aufgenommen wurde.
Prof. Homburg schrieb – und teilte dazu einen WDR-Link dazu:
„Laut WDR sind vier AfD-Kandidaten, die nicht ausgeschlossen wurden, unmittelbar vor der NRW-Kommunalwahl verstorben: Blomberg, Rheinberg, Schwerte, Bad Lippspringe. Statistisch fast unmöglich.“
Das übernahm dann ebenso tastend ausgerechnet die AfD-Parteichefin Alice Weidel und schrieb ebenso karg und nüchtern dazu: „Vier AfD-Kandidaten gestorben". Hier hätte man zunächst ein Beileid der Parteichefin für die Angehörigen erwartet, aber nicht das Pusten in die glimmende Glut.
Und das alles las dann offenbar Markus Krall. Und der weiß leider zuverlässig, wie man die Kohlen so richtig rot bekommt, bevor man das rohe Fleisch obendrauf knallt.
AfD-Politiker Jürgen Braun – er saß zwei Legislaturen für seine Partei im Bundestag – erklärt auf Anfrage von Alexander-Wallasch.de:
"AfD-Kandidaten und Mandatsträger stehen mehr unter Druck als andere. Die massiven Anfeindungen gerade in großen Teilen von Nordrhein-Westfalen sind sicher nicht gesundheitlich förderlich. Psychosomatisch kann die Belastung enorme Auswirkungen haben. In der ersten Bundestagsfraktion hat es auffällig viele schwere Erkrankungen wie zum Beispiel Herzinfarkte gegeben."
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Was für eine Gemengelage hingegen bei Krall und Co! Die Analyse gibt das aber nicht her. Sie zeigt lediglich, dass die Todesfälle zwar auffällig, aber statistisch plausibel und ohne Hinweise auf Fremdeinwirkung sind. Und die Todesfälle sind nicht exklusiv auf die AfD beschränkt – es gab insgesamt zehn verstorbene Kandidaten. Eine zentrale Säule der These ist die Annahme, dass nur AfD-Kandidaten betroffen sind, was die Häufung verdächtig erscheinen lässt.
Tatsächlich sind in NRW insgesamt zehn Kandidaten vor den Wahlen verstorben, darunter sechs von anderen Parteien wie den Grünen und der SPD. Die vier AfD-Fälle (Ralph Lange, Stefan Berendes, Wolfgang Klinger und Wolfgang Seitz) machen also nur einen Teil aus. Dies relativiert die Exklusivität und deutet auf eine allgemeine Häufung hin, die durch Zufall, saisonale Faktoren oder das höhere Durchschnittsalter von Kommunalpolitikern erklärbar ist.
Wenn man die These auf alle Kandidaten anwendet, würde sie implizieren, dass auch die anderen sechs Todesfälle „praktisch unmöglich“ sind – was absurd ist und die Selektivität der Argumentation entlarvt. Polizeiliche Untersuchungen ergeben keine Hinweise auf Fremdeinwirkung oder unnatürliche Ursachen.
In allen vier Fällen haben die zuständigen Polizeibehörden explizit Fremdverschulden ausgeschlossen. Wenn man hier seit Corona misstrauisch ist, gehen die Überlegungen weiter: Es gibt Hinweise auf Vorerkrankungen bei mindestens einem Kandidaten (lange, schwere Krankheit). Plötzliche Todesfälle in der Altersgruppe 59–72 sind häufig. Die statistische Wahrscheinlichkeit ist höher als behauptet. Realistische Parameter zeigen eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit:
Annahmen: Etwa 1.000 AfD-Kandidaten in NRW. Durchschnittliche jährliche Sterberate für Männer im Alter 59–72: ca. 1 Prozent (basierend auf Destatis-Sterbetafeln 2022/2024).
Zeitraum: 14 Tage (ca. 3,8 Prozent eines Jahres).
Erwartete Todesfälle (Lambda-Wert): Ca. 0,38 pro Zeitraum.
Wahrscheinlichkeit für mindestens 4 Todesfälle: Etwa 0,066 Prozent (oder 1 zu 1.510) – also niedrig, aber weit entfernt von „praktisch null“. Dies basiert auf einer Poisson-Verteilung https://de.wikipedia.org/wiki/Poisson-Verteilung die für seltene Ereignisse geeignet ist.
Bei angenommen 50.000 Kandidaten in NRW und einer niedrigeren durchschnittlichen Sterberate (ca. 0,5 Prozent, da nicht alle Kandidaten älter sind) ergibt sich eine Erwartung von ca. 9,6 Todesfällen. Die tatsächlichen 10 passen gut dazu (Wahrscheinlichkeit ca. 12 Prozent).
Die Häufung bei der AfD könnte durch Zufall oder einen höheren Anteil älterer Kandidaten erklärt werden – statistische Cluster treten in großen Gruppen häufig auf, ohne kausale Verbindung. Kralls Zahl scheint übertrieben, möglicherweise durch eine zu niedrige Sterberate oder Ignoranz des Gruppenkontexts. Diese vier Todesfälle passen in ein Muster natürlicher Ursachen in einer älteren Population. In früheren Wahlen gab es ähnliche Häufungen ohne Verschwörungen – Zufall und Chaos sind oft die einfachere Erklärung als ein „ausgeklügeltes Geheimnis“.
Klar: Kralls wilde Killfahndungstheorie klingt spannend, aber sie ersetzt keine evidenzbasierte Analyse. Wenn schwerwiegende Details auftauchen, könnte die Bewertung sich ändern – derzeit gibt es jedoch überhaupt keinen Grund, am Zufall zu zweifeln.
Was hier auch noch besonders auffällt: Die Corona-Impfung findet als Gedankenspiel passend zu "plötzlich und unerwartet" nicht mehr statt. Weil man davon ausgeht, dass AfD-ler nicht geimpft sind?
Ist Markus Krall the next Erik Ahrens? Das wäre bedauerlich für seine vielen treuen Anhänger.
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Kommentar von Frank Zar
Unabhängig dieser denkwürdigen Fälle:
So billig, wie vieles heute abläuft, so willig, wie die Trägheit der Masse es zeigt, so schlicht, hätte ein George Orwell sein "1984" inhaltlich niemals schreiben können, er hätt kein einziges Buch verkauft bekommen.
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Kommentar von winfried Claus
Zu viele Verschwörungstheorien wurden bestätigt. Wieviel müssen denn sterben, das es statistisch erwiesen ist, das es nur Zufall ist?
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Kommentar von Ulric
Danke für Ihren Versachlichungs-Versuch. Schon die insgesamt 10 unerwartet Verstorbenen aller Kanditaten läßt viel von der Luft raus. Ich fand es anfangs 'total voreilig', sich aufzuregen, obwohl noch von keinem der 4 Toten die 'Sterbegeschichte' bekannt war.