Fällt Ihnen was auf? Die ehemalige BlackRock-Tätigkeit des Kanzlers ist auf eine Weise von seinen Kritikern überstrapaziert worden, dass eine damit automatisch einhergehende Verstörung und Düsternis verschwunden ist. Neue Lesart: Merz, BlackRock, Tralala.
Merz kommt zudem eine kollektive Amnesie-Sehnsucht der Deutschen zugute: Nach den Corona-Jahren wollen viele einfach vergessen, was an Bedrängnis hinter ihnen liegt. Es ist eine Art kleine zweite Nachkriegszeit. Wäre der Ukrainekrieg nicht dazwischengekommen, dann hätte es womöglich sogar eine Romantik 2.0 gegeben – eine Rückbesinnung und Verklärung der Vor-Corona-Zeit.
Erinnert sich noch jemand an den legendären Bierdeckel von Friedrich Merz, auf dem der damalige CDU-Finanzexperte 2004 beispielhaft eine Einkommensteuer skizzierte? Das wurde lange positiv wahrgenommen. Es kippt aber rasch, wenn man als Steuerzahler auf seine Steuererklärung schaut.
Der Merz’sche Bierdeckel war eine listige Sache. Denn kein Jahr später, als der 15. Deutsche Bundestag gerade beschlossen hatte, die Vorschriften für Nebeneinkünfte der Bundestagsabgeordneten zu verschärfen, stellte sich ausgerechnet Friedrich Merz ab 2005 an die Spitze eines knappen Dutzends Abgeordneter, die ihre Einkünfte nicht im geforderten Maße offenlegen wollten.
Geklagt wurde bis zum Bundesverfassungsgericht, das im Juli 2007 ein Urteil fällte, das Merz einmal mehr zum großen Verlierer machte: Merz und seine Mitstreiter hatten argumentiert, dass die Pflicht zur Offenlegung sämtlicher Einkünfte Auswirkungen auf die generelle Bereitschaft der unterschiedlichsten Berufsgruppen habe, sich um ein Mandat zu bewerben. Vor allem für Unternehmer, Freiberufler und sonstige Selbständige könne dies unattraktiv werden.
Das ist deshalb bald zwanzig Jahre später von herausragendem Interesse, weil Wolfram Weimer als guter Tegernsee-Freund des Kanzlers wohl keinerlei Unattraktivität des Postens als Kulturstaatsminister empfunden hatte aufgrund irgendwelcher Offenlegungspflichten. Warum nicht? Weil es für Weimer als Nicht-Abgeordneten diese spezifischen Pflichten gar nicht gibt!
Das beschäftigt immer wieder Gruppen wie LobbyControl, die diese Ungleichheit zwischen Abgeordneten und Ministern scharf kritisieren. Wählte Weimer die Position als Staatsminister bewusst als großes Sprungbrett, um sein Familiengeschäft – interimsweise unter Mitwirkung mindestens eines Sohnes und von seiner Frau geführt – hier mit seiner Tätigkeit etappenweise aufzuwerten? Jedenfalls stehen dem keine verschärften Offenlegungspflichten entgegen.
Im Übrigen: Genau darauf zielte Merz auch in Johannesburg ab! Der Kanzler erklärte dort nämlich wörtlich: „(Er) hat jetzt auch seine Anteile an der Firma komplett abgegeben, was er nicht hätte tun müssen.“ Das sähen die Verhaltensregeln für Mitglieder der Bundesregierung nicht vor und Weimer habe es dennoch getan. „Damit gehe ich davon aus, dass alle Vorwürfe ausgeräumt sind“, zitiert der Tagesspiegel Friedrich Merz.
Oder zugespitzt formuliert: Was mir als Abgeordnetem jahrelang auf den Keks ging, perlt jetzt an mir und Kumpel Wolfram ab: Denn wir sind jetzt Bundesregierung!
Nicht nur Gerhard Schröder, Sigmar Gabriel und viele andere mehr, auch Weimer-Freund Merz hatte bereits mit BlackRock erfolgreich vorgeführt, wie man sein Adressbuch ohne lange Übergangszeiten vergoldet. Der mittlerweile 70-jährige Merz geht allerdings den umgekehrten Weg: Seine Kanzlerschaft folgte erst auf den Adressbuchhandel bei BlackRock. Merz ist der Prinz Charles der deutschen Politik: Besser spät ein König als nimmermehr.
Warum nahm Weimer die Position als Kulturstaatsminister überhaupt an? Die Weimers befanden sich mit ihrem – oder trotz ihres – potemkinschen Medienimperiums auf dem Weg zu einem real gedeihenden „Mini-Davos“, wie der Ludwig-Erhard-Gipfel angeblich mal von der ARD bezeichnet wurde. Schon hier lohnt es sich, genauer hinzuschauen, wer da eigentlich wen zitiert hat: Hatte Weimer diesen Begriff geprägt und erst über seine Schrottmedien verbreiten lassen, die dann von der ARD zitiert wurden und in der Folge wieder von Weimer als ARD-Zitat neuverpackt wurden? Wenn dem so war, dann beschreibt es perfekt das System Weimer.
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Es geht um Bereicherung. Der Wunsch war schon zwanzig Jahre zuvor bei Friedrich Merz angelegt: Ungestört sein beim Geldeinsammeln. Vom Amt profitieren, niemals daran verschlanken. Nicht an Deutschland verarmen.
Laut aufgeschrien hatte die Riege um Merz herum schon 2005, es sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, dass Abgeordnete ihre Nebeneinkünfte veröffentlichen müssen. Die Unabhängigkeit des Abgeordneten sei, so hieß es von Merz und Co weiter, „nicht durch Einkünfte gefährdet, die (ein Abgeordneter) aus einer neben dem Mandat fortgeführten Tätigkeit in einem bereits vor der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag ausgeübten Beruf erziele“.
Merz scheiterte. Und die mittlerweile ausgewachsene Affäre Weimer steht zwanzig Jahre später vor exakt derselben Problematik. Nur dass Merz und Weimer glauben, sie schütze der sichere Hafen „Bundesregierung“, man wähnt sich hier gewissermaßen als Unberührbare.
Im November 2024 formulierte Christina Deckwirth von LobbyControl, mit Friedrich Merz dränge ein Politiker in das Kanzleramt, „der jahrelang als Lobbyist tätig war und bis heute mächtigen Wirtschaftsinteressen zu nahe steht“.
Schon als einfacher Abgeordneter verdiente Friedrich Merz etwa laut LobbyControl im Jahr 2006 satte 250.000 Euro zusätzlich. Ein Fazit von LobbyControl damals: „Das spricht für ein höchst fragwürdiges Verständnis von Transparenz und Integrität.“
Und weiter heißt es da:
„Seine Ämterhäufung von Aufsichtsrats- und Beiratsposten machte ihn zum Millionär. Bei der Kanzlei Mayer Brown war Merz von 2005 bis 2021 als Anwalt tätig – und nahm dort auch Mandate an, bei denen ihm seine politischen Kontakte zugute kamen. (…) Für einiges Aufsehen und Kritik sorgte Merz’ Lobbytätigkeit für den Finanzkonzern BlackRock, die er 2016 annahm. Zu seinen Aufgaben zählte laut dem Unternehmen auch, Kontakte zu Behörden und Regierungen zu pflegen. (…) Merz hatte zudem jahrelang Spitzenpositionen im ‚Wirtschaftsrat der CDU‘. Der Wirtschaftsrat ist aber kein Parteigremium, sondern ein mächtiger Lobbyverband, der Konzernen privilegierte Zugänge in die CDU ermöglicht.“
Oder kürzer gesagt: Wenn Merz jetzt mit seiner Ehrenerklärung für seinen Tegernsee-Freund die Affäre Weimer zur Staatsaffäre macht, dann rückt er wissentlich und automatisch auch seine eigene Vergangenheit ins Blickfeld. Überraschend daran ist vor allem das offensichtliche Selbstverständnis der Tat. Oder soll man es Kaltblütigkeit nennen?
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