Der Staatsrechtslehrer, Autor und Rechtsanwalt Prof. Ulrich Vosgerau gehört für mich auch 2025 zu den großartigen Persönlichkeiten des Jahres. Zu den Überraschungen des Jahres gehört für mich Felix Perrefort (NIUS), einer der klügsten Köpfe der Neuen Medien – der Investigativjournalist scheut das Feuer nicht.
Vosgerau und Perrefort sind jetzt via X indirekt zusammengetroffen. Der Journalist hatte angekündigt, sich zur Jahreswende noch einmal tief in den NSU-Komplex einzuarbeiten. Zu viele Fragen waren hier offengeblieben. Zu den wichtigsten Fragen gehört sicher, was der politisch-mediale Komplex hier unter den Teppich gekehrt hat. Prof. Vosgerau nahm die Ankündigung des „NIUS“-Journalisten zum Anlass, einmal aufzuschreiben, welche Ungereimtheiten ihm zum NSU-Komplex als einfachem Zeitungsleser spontan eingefallen sind.
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Mit freundlicher Genehmigung übernimmt Alexander Wallasch hier die umfassenden Erläuterungen von Ulrich Vosgerau via X:
„Felix Perrefort (@FPerrefort) kündigt Recherchen um "NSU-Komplex" an. Das scheint mir ein wichtiges Vorhaben zu sein! Ich war mit der Sache nie befaßt und habe mich nicht in sie eingearbeitet, sondern halte hier nur einmal fest, welche Ungereimtheiten mir als einfacher Zeitungsleser spontan einfallen:
1) Andreas Baader, der Anführer der 1. RAF-Generation, unterzeichnete seine Bekennerschreiben nicht nur mit Vor- und Zunamen, sondern auch mit einem Daumenabdruck. Er befürchtete nämlich, die Polizei würde ansonsten behaupten, er sei längst im Ausland und verstecke sich, die vermeintlichen RAF-Taten würden inzwischen von weithin unorganisierten Nachahmern begangen. Ob solche Befürchtungen berechtigt gewesen sein mögen, braucht uns hier nicht zu interessieren; interessant ist vielmehr, was man im Zusammenhang mit politischem Terrorismus unter einem "Bekennerschreiben" verstehen mag.
2) Das berüchtigte Paulchen-Panther-Video nennt hingegen überhaupt keine Personennamen, sondern führt lediglich den (nie zuvor gehörten) Begriff des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) ein. (In Schwaben ist die Abkürzung "NSU" hingegen immer schon gebräuchlich und steht für "Neckarsulm". Nachdem die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn ermordet worden war, fand sich in der Nähe des Tatortes der Schriftzug "NSU" als Graffiti; dieser Umstand, der in den Medien vorübergehend als Sensation gemeldet worden war, dürfte in keinem Verhältnis zur Tat stehen). Wie dem auch sei: das Panther-Video ist einerseits natürlich "authentisch" – es enthält Fotos der "Dönermord"-Opfer, die nur ein Tatbeteiligter gemacht haben kann – wirkt aber andererseits wie ein "Passepartout", das angefertigt wurde, bevor überhaupt feststand, welche natürlichen Personen später einmal der Öffentlichkeit als Mitglieder dieses "NSU" präsentiert werden sollten.
3) Kern der Dinge ist aber jedenfalls: das "offizielle" Narrativ geht davon aus, "die beiden Uwes" hätten jahrelang, ohne persönlichen Nutzen und unter erheblichen Risiken für ihre ohnehin illegale, durch gelegentliche Banküberfälle finanzierte Existenz, einen politischen Terrorismus ausgeübt, den niemand – weder dessen Opfer noch die Politiker – als solchen wahrnahm oder auch nur bemerkte. Deswegen sprach man ja auch, später skandalisiert, von "Dönermorden" – niemand vermutete ein politisches Motiv oder nahm eine politische Botschaft wahr. "Unbemerkter Terrorismus" ist aber ein Widerspruch in sich. Organisierte Kriminalität – so brutal sie sich gelegentlich äußern mag – wird letztlich immer nur veranstaltet, um Geld zu verdienen. Warum genau sollte jemand, der ohnehin gewisse Schwierigkeiten hat, sein Leben zu finanzieren, auf eigene Kosten und als Zuschußgeschäft organisierte Kriminalität "simulieren"? Damit die Leute denken, "manche türkische Gewerbetreibende haben auch mit krummen Geschäften zu tun"? Das denken die Leute ohnehin, dafür bräuchten nicht zwei Uwes ihr Leben endgültig an die Wand zu fahren.
4) Beim letzten "Dönermord", dem an Halit Yozgat in Kassel, war nachweislich und unbestreitbar ein hauptamtlicher Mitarbeiter des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz persönlich anwesend und nur wenige Meter entfernt, als Yozgat erschossen und dann seine Leiche photographiert wurde. Der Verfassungsschützer meldete sich nicht auf öffentliche Fahndungsaufrufe, wurde aber schließlich vorübergehend festgenommen. Er behauptete, vom Mord nichts mitbekommen zu haben.
5) Nach seiner vorübergehenden Festnahme endete die "Dönermord"-Serie dann sofort und endgültig. Entsprechende Sonderkommissionen wurden aufgelöst, weil nichts mehr passierte und nichts zu ermitteln war. (Nach dem "offiziellen Narrativ" besteht jedoch keine Verbindung zwischen dem VS-Mitarbeiter und "den beiden Uwes", diese wußten angeblich nichts von seiner Existenz).
6) Angeblich haben sich "die beiden Uwes" im Anschluß an einen Banküberfall etliche Jahre später dann spontan Selbstmord begangen, als zwei Polizistin sich ihrem angemieteten Wohnmobil näherten. Uwe Mundlos soll erst Uwe Böhnhardt und dann sich selbst erschossen haben. Allerdings wurde die Patrone noch nach dem zweiten Schuß, also nach dem Selbstmord von Uwe II, durch hin- und herschieben des Schlittens aus dem Gewehr ausgeworfen. Das kann eigentlich nur ein Dritter gemacht haben, was die Frage aufwirft, ob dieser Dritte dann nicht auch die beiden Uwes erschossen haben wird. (Das Auswerfen der Patrone wäre natürlich eine grobe Fehlleistung beim Vortäuschen eines Selbstmords – die aber gerade jemandem, der völlig routiniert mit Waffen umgeht, unterlaufen mag, weil es es eben immer so gemacht hat).
7) Das Wohnmobil, in dem die beiden Uwes gefunden wurden, war dann regelrecht vollgestopft mit Waffen und Beweismitteln aus völlig anderen Straftaten, die mit dem Banküberfall nichts zu tun hatten und dafür nicht benötigt wurden. (Wegen der vielen Waffen wären die beiden Uwes auch den Polizisten an Feuerkraft weit überlegen gewesen – und es stand ja gar nicht fest, daß sie "erwischt" worden waren, es ging der Polizei wohl eher um eine Routinekontrolle). Es fand sich darin sogar eine Hose, die offenbar jahrelang niemand getragen hatte, und auf der daher auch noch genetische Spuren von Michèle Kiesewetter nachgewiesen werden konnten.- Wenn jemand dauerhaft ein Wohnmobil besitzt, mag dieses mit der Zeit zur einer Erweiterung der Wohnung werden und auch als Stauraum dienen (wiewohl es wegen des Kraftstoffverbrauchs nicht ratsam ist, ein Kraftfahrzeug als zusätzliche Abstellkammer zu verwenden). Aber dieses Wohnmobil war – wie immer für die Banküberfälle – nur für wenige Tage gemietet worden! Es bleibt daher völlig unbegreiflich, was für einen Sinn es gehabt haben mag, zentnerweise Waffen und Beweismittel in das Wohnmobil zu schleppen, bevor man darin Selbstmord begeht (nach dem Selbstmord allerdings dann noch die Waffe entlädt, s.o.). "Sinn" schien zu sein: auch der tümbste Polizist oder Feuerwehrmann durfte an der Beweis- und Spurenlage nicht vorbeikommen!
8) Auch die Wohnung in der Frühlingsstraße wurde erst als völlig abgebrannt, explodiert und vernichtet beschrieben – um dann aber höchst detaillierte Spuren und Beweismittel in weithin unversehrter Form freizugeben. (Skeptiker sprachen von der Chemnitzer "Wunderasche").
9) Bei ihrem Leben im Untergrund war das Frühlingsstraßen-Trio (wie jeder, der noch nicht einmal ein eigenes Konto eröffnen kann) auf vielfältige und permanente Hilfe Dritter angewiesen – und von V-Leuten des Verfassungsschutzes regelrecht "umstellt". Die Akten sind für 120 Jahre (!!) geperrt. Warum genau? Wurde denn nicht im Strafprozeß gegen Beate Zschäpe alles aufgeklärt?
10) Nein: im Strafverfahren wurde das völlig unplausible Narrativ, nach dem "die beiden Uwes" jahrelang einen unbemerkten und unbemerkbaren politischen Terrorismus ausgeübt hatten, der jedoch sofort und endgültig geendet hatte, als ein hauptamtlicher VS-Mitarbeiter, der bei der letzten Tat unmittelbar zugegen gewesen war, vorübergehend festgenommen worden war, als endgültig feststehende und gesicherte historische Tatsache behandelt. Die Frage war nur, ob Beate Zschäpe, die den beiden Butterbrote geschmiert und gemeinsame Campingurlaube organisiert hatte, mitbekommen habe, daß "die beiden Uwes" nicht nur Banküberfälle begingen.
Das Gericht meinte: das muss sie mitbekommen haben! (Große Strafkammer; keine Berufung möglich, eine eigenartige Besonderheit des deutschen Rechtssystems). Also: ich habe hier keine Insider-Kenntnisse und ich habe auch nicht journalistisch recherchiert; dies sind einfach die Umgereimtheiten, die mir als einfacher Zeitungsleser spontan noch erinnerlich sind. Was mag und müßte also herauskommen, wenn sich jemand professionell dieses Themas annehmen würde?"
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Kommentar von Axel Berger
Schon in meinem eigenen Blogbeitrag vom 27. November 2011 schrieb ich: "Alle Aktionen der Rote Armee Fraktion waren auf maximale Öffentlichkeit ausgerichtet, ein heimlicher, ein geheimer Terrorismus ist ein Oxymoron und grober Mißbrauch der deutschen Sprache."
http://berger-odenthal.de/random/C-000349.htm