„Beim SDS haben wir uns kennengelernt und mochten uns sehr.“

„Rainer Langhans: Liebe statt Kampf – Zum Tod von Horst Mahler“

von Alexander Wallasch (Kommentare: 1)

Rainer und Horst waren befreundet© Quelle: Youtube/ Christa Ritter, YouTube/ARD, Screenshots, Montage: Wallasch

Horst Mahler, einst charismatischer Anwalt der 68er und Verteidiger der Kommune 1, endete im Rollstuhl, verstrickt in Antisemitismus und radikalen Ideologien. Rainer Langhans, sein Weggefährte aus SDS-Zeiten, spricht über ihre Freundschaft, Mahlers Absturz und warum er trotz allem sagt: ‚Nicht der Kampf, sondern die Liebe ist es.‘ Ein bewegendes Gespräch über Revolte, Tragik und Hoffnung.

Rainer, du bist jetzt 85 geworden. Herzlichen Glückwunsch nachträglich. Es ist halb zwei am Nachmittag, brauchst du keinen Mittagsschlaf?

Nein, das mache ich nicht. Etwas später dann, nachmittags, setze ich mich zur Meditation hin.

Wir haben lange nicht mehr telefoniert. Deine Stimme klingt sogar noch jünger.

(Lacht) Wie heißt es so schön: Forever young.

Horst Mahler ist gestorben. Es gibt ein Foto von dir, Mahler und Fritz Teufel auf der Straße in den 60ern in Berlin. Was war da los?

Das war vor dem Gericht, da sind wir zusammen reingegangen zu dem Brandstifter-Prozess.

Prozess gegen dich und Herrn Teufel?

Ja, gegen Fritz und mich.

Und da war Mahler euer Anwalt?

Ja.

Wie habt ihr euch kennengelernt?

Mahler war ein älteres Mitglied des SDS (Red.: Sozialistischer Deutscher Studentenbund). Und ich war zu der Zeit auch Vorsitzender des Berliner SDS. Und da haben wir uns dann kennengelernt und mochten uns sehr. Und das hat sich meiner Ansicht nach bis heute fortgesetzt.

War das so ein intellektuelles Mögen? Ihr seid die Generation meiner Eltern. Mein Vater ist Jahrgang Mahler. Worüber sprach man damals? War das überwiegend ein intellektueller Austausch oder wurden auch persönliche Probleme besprochen und rumgealbert? Wie muss man sich das vorstellen zwischen Schah-Besuch und Kommune 1 irgendwo?

Ja, genau. Und da hat Horst uns verteidigt und wir haben im Wesentlichen immer über diese Dinge gesprochen. Kommune war ja auch persönlich und da haben wir allerdings vor Gericht immer nur diese politischen Angriffe abzuwehren versucht, die gegen uns gestartet wurden, weil wir so anders waren. Horst hat uns juristische Schützenhilfe gegeben und wir haben alle Regeln gebrochen, die es da vor Gericht gab. Das war wirklich eine schöne Angelegenheit. Horst hat da eine wichtige Rolle gespielt.

Das war also kein privates Zusammensein, wo man stundenlang sitzt und um das Leben im Allgemeinen ringt?

Nein, nein, Horst hatte sein Privatleben. Davon wussten wir wenig. Er hatte seine Kanzlei irgendwo am Ku'damm weiter oben. Er war ja ein berühmter Wirtschaftsanwalt. Da haben wir ihn dann öfter besucht am Anfang. Und später kamen wir immer wieder vor Gericht zusammen. Und um das vorzubereiten, auch mal so, aber nie in dem Sinne privat.

Wenn man sich so lange kennt, was denkt man da so als erstes, wenn man von dem Tod des anderen erfährt, der ja nicht unbedingt unerwartet kommt?

Ja, was denkt man da? Ich denke dann okay, Horst hat es gelangt, das war es. Er hat nicht mehr rausgefunden aus der Ecke, in die er sich manövriert hat am Schluss. Ich verstand ihn sehr gut und habe auch vor drei, vier Jahren oder so mal versucht, ihn zu besuchen. Da war er schon raus aus der Haftanstalt und hat, glaube ich, auch dann den Unterschenkel abgenommen bekommen. Da wollte ich ihn besuchen und habe über seine Tochter versucht, Kontakt aufzunehmen. Und da hat er leider gesagt, er wollte mich nicht sehen. Das fand ich sehr bedauerlich, denn ich mochte ihn immer und habe auch diese ganzen politischen Geschichten sehr gut verstanden, die er am Schluss gemacht hat. Horst ist ein unheimlich liebenswürdiger und charmanter Mensch gewesen. Politisch ist das natürlich was ganz anderes.

Jetzt hatten wir 2022 im Interview schon über Christian Ströbele gesprochen. Da gibt es ja die drei Anwälte Schily, Mahler und Ströbele, die auch in einem Film zumindest nacheinander zusammenkommen …

… das sozialistische Anwaltskollektiv (lacht) …

Ich hatte durchgehend den Eindruck, Mahler sei von den dreien immer noch der geistig Fitteste, der Agilste, der Lebendigste. Demgegenüber ich bei Ströbele und Schily den Eindruck hatte, die sind vom Politapparat so richtig versteinert worden. Oder täuscht der Eindruck?

Horst hatte halt so eine extrovertierte Art. Er ist sehr auf einen zugegangen und war hochintelligent und auch sehr charmant. Der war ja auch so ein Womanizer ein bisschen. Das ist etwas, was ihn unterschied von den beiden anderen, die eher zurückhaltend waren. Insofern war er immer der aktivere oder aggressivere und die anderen beiden mehr so im Hintergrund.

In einem früheren Interview hast du erwähnt, du hättest noch einen Schlüssel zum Hause von Mahler in Berlin-Kleinmachnow gehabt. Wie kam es dazu?

Ja, genau. Den habe ich immer noch gehabt, bin dann allerdings nicht mehr hingefahren, weil dieser Kontakt schwieriger wurde. Aber ich hatte den, ja. Ich weiß gar nicht, ob ich ihn noch irgendwo habe – wahrscheinlich. Aber ich könnte ihn jetzt nicht finden.

Ich kenne mich nicht mit dem Philosophen Hegel aus. Nun soll Otto Schily Horst Mahler die gesammelten Bände in den Knast gebracht und der wiederum seinen Antisemitismus herausgelesen haben. Bist du mit Hegel vertraut?

Nicht allzu sehr. Etwas natürlich schon, aber nicht allzu sehr. Und nicht so, wie Horst das dann sehr ausgedehnt hat. Aber ich habe schon verstanden, was Hegel gemeint hat und warum Horst sich seiner zu bedienen versuchte.

Was waren Mahlers Verdienste als Anwalt?

Dass er als erster Anwalt damals vor allem die Kommune gegen die ersten Angriffe verteidigt hat. Das kam daher, weil ich ihn vom SDS kannte und mit ihm etwas befreundet war. Er war allerdings, wie gesagt, einer der älteren SDSler, der zunächst eher zurückhaltend war. Aber da ich mit ihm befreundet war, hat er uns dann – obwohl die eigenen SDS-Leute gesagt haben, das sei doch ein Scheiß, was die Kommune da macht – vor Gericht sehr, sehr gut vertreten können.

Er konnte unser Tun juristisch sehr gut absichern, weil er das ein Stück weit ziemlich früh verstand. Das ist übrigens das Gleiche, was er dann am Schluss gemacht hat: Wie provoziert man die Leute? Man zwingt sie zu einem Gespräch über die ganzen Sachen, die nicht in Ordnung sind, indem man eben etwas nimmt, wo sie erst mal in die Luft springen. Das war in seinem Fall jetzt zum Schluss noch die Holocaust-Leugnung. Und früher waren das eben diese Kommune-Aktivitäten. Er hat das im Grunde genommen von uns gelernt, glaube ich, was er da gemacht hat.

Er wollte eigentlich nur – und da hat er völlig recht, in gewisser Weise – ein größeres Gespräch mit der Gesellschaft haben, weil die in seinen Augen natürlich überhaupt nicht in Ordnung war. Da war er dann schon mehr auf unserer Seite und hat das eben in der bei uns üblichen Weise gemacht, indem er versucht hat zu provozieren. Und die Leute sind zwar in gewisser Weise provoziert worden, aber nicht zu einem Gespräch offensichtlich.

Jetzt spielen Anwälte offenbar bei diesen versuchten Revolten eine besondere Rolle. Ich habe das wiederentdeckt auch bei den Corona-Maßnahmen und der Impfkritik, wo die Anwälte auch wieder eine enorm wichtige Rolle spielen. Wie erklärst du das?

Ganz einfach, weil natürlich sofort mit Gefängnis und strafrechtlichen Maßnahmen gedroht wird. Das holen die sofort raus und setzen einen unter Druck. Jetzt bei dem Querdenken-Zeug, da machen sie es genauso wieder, nur jetzt mehr übers Geld. Und da sind Anwälte besonders wichtig, weil sie die Sprache dieser Verfolger, dieser Leute, die einem ans Leder und einen ausschalten wollen, gut verstehen und die Betroffenen vor Gericht vertreten können.

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Erklärt das auch die Radikalisierung solcher Anwälte?

Ja, natürlich. Die kriegen einiges mit. Zunächst halten sie sich raus, das war auch bei Horst so, sie sind da nicht direkt parteiisch. Dürfen sie ja eigentlich auch nicht sein. Aber dann werden sie ein weiter reingezogen, politisieren sich und dann geht das bis zum Terrorismus. Das ist eine sehr bezeichnende Entwicklung immer gewesen.

Wie erklärst du diesen Wechsel von links nach rechts außen? Einige Linke haben ihn ja vollzogen, aber niemand so radikal wie Mahler selbst. Auch dir wurde das teilweise vorgeworfen und ich werde als AfD-nah markiert. Was passiert denn da mit uns?

Tja, wer andere Ansichten hat, wird leicht als rechts verschrien. Das ist leider immer das übliche. Das stimmt zwar nicht, aber das heißt eigentlich nur, dass wir, die wir da entsprechend angegriffen wurden oder werden, dass wir etwas vertreten, was man mit dem Rechts-Links-Schema nicht erreichen kann. Aber was dann als rechts verschrien wird, damit man uns nicht zuhören muss. Das heißt, man wird dadurch im Grunde zum Schweigen gebracht. Und das finde ich natürlich blöd, weil sie auf diese Weise sich eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Neuen, das wir vertraten und das eben nicht links oder rechts nur war, eben ersparen wollen.

Das ist überhaupt so eine Sache. Was war denn 68? Woher kam dieser ganze Aufbruch usw.? Und da vertrete ich eine andere Ansicht als die meisten und kann mir aber dadurch gut erklären, weswegen wir mit diesem Rechts-Links-Schema ein bisschen verrannt haben. Weil man das immer wieder versucht hat, uns in dieses Schema reinzupressen. Das ist etwas, was jenseits von rechts und links ist.

Was ist dieses Jenseits und worum geht es dabei? Wenn man das tut, wird man sofort als Schwurbler abgetan oder als Verschwörungstheoretiker bei Bedarf. Das ist halt so, das geht nicht anders. Das verstehe ich und das habe ich immer wieder erlebt bis heute.

Mahler zum Schluss ohne Beine im Rollstuhl, auf der vergeblichen Suche nach Asyl in Ungarn.

Ja, das sind schon harte Bilder … ach Horst … Horst war wirklich hochintelligent, aber was das Politische anging, ist er zwar ein ganzes Stück weiter gegangen als viele, aber eben nicht weit genug, wie ich finde. Darüber hätte ich damals gerne mit ihm geredet und er wollte es leider nicht. Ich hätte ihm, glaube ich, das erklären können, auch mit Hegel usw., warum das ein bisschen anders ist oder nicht an dieser Kriegsgeschichte hängen bleibt, in die er sich dann erst mal begeben musste. Und ja, schade, ich weiß es nicht, warum das nicht ging, aber er wollte einfach nicht.

Muss man denn für zwanzig Jahre Knast eine bestimmte Konstitution mitbringen? Das war ja fast so eine Knast-Sehnsucht zum Schluss bei Mahler.

Ja, natürlich, das ist dieses Märtyrerding, was er da auch drauf hatte. Und demgegenüber habe ich mich ja, als ich mal dran war, massiv verweigert, als er mir sagte: Ja, das musst du doch tun!

Was war da?

Wir hatten eine Anklage wegen eines Bombenanschlags gegen Vizepräsident Heinemann, da hat er uns vertreten. Und da hat er zu mir gesagt: Ja, geh doch ruhig ins Gefängnis, die Bewegung wird dich dann stützen von außen. Da habe ich aber klar gesagt: Nein, das mache ich nicht. Märtyrer, das ist keine Sache, die finde ich nicht gut.
Und jetzt hat er es selber gemacht oder tendenziell jedenfalls in diese Richtung sich bewegt. Und das ist ihm nicht gut bekommen. Das wusste ich schon recht früh und deswegen bin ich aus diesem Spiel rechtzeitig ausgestiegen.

Ich habe noch ein Bild im Kopf: Rainer Langhans ganz in Weiß, bei Fritz Teufel auf der Beerdigung mit einer sehr stoischen Miene. Wirst du zu Mahlers Beerdigung gehen?

Ich weiß es einfach noch nicht. Ich muss mal sehen, ich bin ja immer weit weg davon. Damals mit Fritz hat sich das so ergeben. Aber ich war nur deswegen – wie du es nennst – „stoisch“, weil ich dort massiv angegriffen worden bin. Weil ich ein Verräter war für viele von diesen Leuten, die bei Fritz noch mal das große Bekenntnis ablegten, wie toll er war. Und wenn man dann angegriffen wird, das ist schon sehr unangenehm und das kannst du nur so „stoisch“ über dich ergehen lassen.

Also ein „Horst, der Kampf geht weiter“ von Rainer Langhans am Grab von Mahler ist nicht zu erwarten?

Im Gegenteil. Der wahre Kampf, wenn man das so bezeichnen will, würde ich Liebe nennen. „Die Liebe geht weiter!“, auch wenn wir erst mal – oder viele von uns, auch Horst – im Kampf stecken geblieben sind auf dem Weg zur Liebe. Es geht wirklich die ganze Zeit um Liebe, aber zu der kommst du nicht, weil du vorher erst mal durch den ganzen eingeborenen und angeborenen auch politischen Kampf hindurchmusst. Und da bleiben die meisten stecken. Unsere Eltern ja auch, damals unsere Nazieltern. Ich bin da durchgekommen und deswegen ist für mich der Kampf in dem Sinne vorbei. Jetzt herrscht die Liebe vor und das ist wirklich schön.

Also: „Horst, die Liebe herrscht vor!“ am offenen Grab.

Ja, das würde ich schon sagen. Nicht der Kampf geht weiter, sondern die Liebe ist es.

Danke für das Gespräch!

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