Während es bei Anhängern – Ausnahmen bestätigen hier die Regel – der ehemaligen Volksparteien, der Grünen und der FDP mittlerweile oft so wirkt, als fühlten sich diese jedem verpflichtet, nur nicht den eigenen Leuten.
Wagenknecht schrieb vor wenigen Stunden mit Verweis auf ein Radio-Interview, das sie den Öffentlich-Rechtlichen gab, via Facebook:
„Die Schlangen an den Tafeln werden immer länger. Mehr als zwei Millionen Menschen stellen sich dort für Lebensmittel an, weil sie die steigenden Preise nicht mehr zahlen können, jede dritte Tafel musste sogar schon einen Aufnahmestopp verfügen. Der Wirtschaftskrieg gegen Russland treibt aber nicht nur hierzulande Menschen in die Armut, sondern verschärft auch die Lage in den Hungergebieten dramatisch. Warum die Russland-Sanktionen vor allem uns schaden, während Putin dank explodierender Preise sogar seine Kriegskasse füllen kann, und warum es keine Alternative dazu gibt, sich an den Verhandlungstisch zu setzen und auf ein schnelles Kriegsende hinzuwirken, begründe ich im MDR-Interview:“
Bevor es zum Interview geht, zwei Anmerkungen: Wenn man schon für sich in Anspruch nimmt, Tacheles zu reden, dann sollten wir auch bei Wagenknecht auf die ganze Wahrheit bestehen:
Ein Hauptproblem der Tafeln sind nämlich seit Jahren die wachsenden Zahlen von Migranten und Zuwanderern. Sie sind überproportional vertreten, wenn es darum geht, die kostenlosen Angebote der Tafeln für sich in Anspruch zu nehmen.
Das führte in der jüngeren Vergangenheit schon zu bitteren Auseinandersetzungen, nicht nur den unterschiedlichen Mentalitäten geschuldet.
Ihre Unterstützung zählt
Beispielsweise 2018 war das Problem so massiv geworden, dass die Essener Tafel damals die Notbremse zog und es so begründete:
„Bis auf weiteres treten folgende zusätzlichen Kriterien in Kraft: Da aufgrund der Flüchtlingszunahme in den letzten Jahren der Anteil ausländischer Mitbürger bei unseren Kunden auf 75% angestiegen ist, sehen wir uns gezwungen, um eine vernünftige Integration zu gewährleisten, zurzeit nur Kunden mit deutschem Personalausweis aufzunehmen.“
Wenn also die linke Bundestagsabgeordnete schreibt „Jede dritte Tafel musste sogar schon einen Aufnahmestopp verfügen“, dann liegt es nahe, dass es hier auch aus dem genannten Grund zu Engpässen und einem Aufnahmestopp führt, dann sind hier die Folgen der Russland-Sanktionen, Inflation und illegale bzw. ungeregelte Zuwanderung drei gewichtige Ursachen, die es entlang der tatsächlichen Begebenheiten schonungslos zu benennen gilt.
Ein Auslöser für die Wortmeldung von Sahra Wagenknecht war sicherlich ein Notruf des Dachverbandes der Tafeln, den gestern schon die Zeit thematisiert hat.
Dort heißt es:
„Eine Umfrage unter den bundesweit 962 Einrichtungen ergab, dass die Zahl der Kundinnen und Kunden seit Jahresbeginn um etwa die Hälfte gestiegen sei, teilte der Dachverband Tafel Deutschland mit. ‚Damit suchen deutlich über zwei Millionen armutsbetroffene Menschen Unterstützung bei der Ehrenamtsorganisation – so viele wie nie zuvor‘.“
Und weiter:
„Mehr als 60 Prozent der Tafeln verzeichnen einen Zuwachs von bis zu 50 Prozent. Zu den neuen Kunden zählten vor allem Geflüchtete aus der Ukraine, aber auch viele Arbeitslose, Geringverdiener und Rentnerinnen.“
Ihre Unterstützung zählt
Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass geflüchtete Ukrainer hier so hürden- und umstandslos unterstützt werden, wie es beschlossen und schnell umgesetzt wurde, dann ist die beim Tafelgang mutmaßlich bestehende Notlage befremdlich und sollte erschöpfend analysiert werden.
Gegenüber der Zeit sagte der Tafel Deutschland-Vorsitzende Jochen Brühl, die Tafeln seien am Limit: „Wir sehen deutlich, dass es den Menschen jetzt am Nötigsten fehlt, und rufen weiterhin zu Spenden für die Tafeln auf." Brühl kritisierte weiter, dass der Staat für die Versorgung der Menschen sorgen müsse – nicht das Ehrenamt.
Aber auch hier ist eine ergänzende Anmerkung wichtig: Es gibt eine wachsende Zahl an Organisationen, die teils lukrative Geschäfte ausgerechnet mit jenen Lebensmitteln machen, die eigentlich potenziell den Tafeln zugutekommen könnten. Food-Sharing, To Good to go, SirPlus und Wefood sind nur eine kleine Auswahl der anglizistischen Neuverwerter von Lebensmitteln, die im Discounter nicht mehr verkauft werden.
Zugespitzt formuliert: Eine dunkelgrüne aufstrebende oder etablierte oder schon wohlhabende Ein-oder-kein-Kind-Mittelschicht findet es total schick, den Armen noch die abgelaufenen Lebensmittel wegzuessen für einen guten Ruf als patente Allesverwerter. Mehrfach geboosterte Grünwähler mit Ukraineflagge in den Profilen der sozialen Medien, die den ukrainischen Flüchtlingen hintenrum den Bauer-Joghurt, Geschmacksrichtung „Birchler“, mit MHD von vorgestern vom Teller ziehen.
Was sagt Sahra Wagenknecht dazu in ihrem von ihr via Facebook verlinkten MDR-Radio-Interview?
Zunächst äußert sich die Politikerin zu den russischen Umgehungen der Sanktionen. So würde beispielsweise Öl an Indien verkauft, dass von dort dann teilweise aufbereitet zu teuren Preisen in die europäische Union verklappt wird. Wagenknechts Hauptkritik hier: Viel zu wenige Staaten beteiligen sich überhaupt an den Sanktionen gegen Russland, also machen sie auch keinen Sinn. Und Staaten wie Ungarn hätten für sich längst Sonderregelungen vereinbart.
Explizit zum Problem der Tafeln äußert sich Sahra Wagenknecht im Interview nicht. Für den MDR schweift ihr Blick in die Ferne nach Afrika. Die Ergänzung um die deutschen Bedürftigen erscheint im Facebook-Kommentar hin zum verlinkten Interview.
Hier würde man sich wirklich wünschen, die Politikerin begebe sich direkt vor Ort zu den Tafeln, würde sich dort einmal im übertragenen Sinne für einen Tag die Finger schmutzig machen, anstatt – Verzeihung – im Morgenmantel den Öffentlich-Rechtlichen Fünfminuten-Interviews zu geben, die im Detail nur wenig mehr zu berichten haben, als aktuell auch anderswo debattiert wird.
Angriff ist die beste Verteidigung – damit ist keineswegs Russland gemeint, sondern soll Ansporn für die prominente Linke sein, nicht dort aufzuhören, Missstände anzuprangern, wo es um unbequeme Wahrheiten geht.
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Kommentar von H. Jacobsen
Zur Eindämmung des Problems sollte man nur noch Menschen mit Rentenbescheid zulassen. Alle anderen sind erst einmal arbeitsfähig und können ihren Unterhalt selbst erwirtschaften. Es mag dann immer noch Einzelfälle geben, wo das ungerecht sein mag, aber irgendwo muss man die Grenze ziehen, um die Schnorrer den Tafeln fernzuhalten. Für die anderen nicht arbeitsfähigen Härtefälle muss man schauen, ob hier wirklich die staatlichen Hilfen nicht ausreichen.
Wer diese Forderung für zu hart hält, der sollte sich mal auf Servus TV anschauen, was dort gegen Ende der Gastronom erzählt.
https://www.servustv.com/aktuelles/b/talk-im-hangar-7/aa-1q676hwq91w11/
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Kommentar von Rudi Knoth
Danke für den interessanten Text. Allerdings möchte ich zu dem Thema "Food-Sharing" und "To Good To Go" folgendes anmerken. Food-Sharing wird in München etwa im "Eine-Welt-Haus" praktiziert. Dort wie in der Begengnungsstätte "Kontakt-Tee" werden die Lebensmittel teilweise umsonst. Bei "to Good To Go" sind dies um mindestens die Hälfte reduzierte Angebote kommerzieller Anbieter wie Gaststätten oder Einzelhändler (nicht Discounter).
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Kommentar von Andreas Rolfs
Die Finger in die richtigen Wunden zu legen, das kann auch eine Frau Wagenknecht nicht. Das eigene Volk interessiert doch alle nur noch einen Scheissdreck. Hauptsache die ungehinderte Zuwanderung steht, egal ob alle Sozialsysteme krachen gehen. Milliarden werden in der ganzen Welt verteilt und bei uns stehen die Leute Schlange für abgelaufene Nahrungsmittel. Aber anscheinend gefällt es ja, so wie es ist.
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Kommentar von Lili Moon
Das ist mir auch schon aufgefallen, dass Frau Wagenknecht meistens ein paar Argumente auslässt, die ihre Thesen stützen würden. Aber wenigstens macht sie überhaupt den Mund auf.
Mit Ihnen, Herr Wallasch gehe ich nur in dem Punkt nicht konform, der Foodsharing und Co. betrifft. Ich bin wirklich froh, dass es solche Angebote gibt. Denn nicht nur die HartzIV-Leute etc. sind knapp bei Kasse, sondern zunehmend auch Menschen, die noch keinerlei Ansprüche auf staatliche Unterstützung haben. Und ich persönlich finde es richtig, dass Lebensmittel eben nicht weggeworfen werden, sondern für kleines Geld verkauft. Je mehr, desto besser. Und die Supermärkte, Retsaurants etc., die jetzt noch nicht an die Tafeln spenden würden es auch nicht machen, wenn es Foodsharing und Co. nicht gäbe. Dann hauen sie es eben wieder in die Tonne.