Dieter Stein und Boris Reitschuster protestieren via X

Selenskyj im Bundestag: Scharfe Kritik am Fernbleiben von BSW und AfD

von Alexander Wallasch (Kommentare: 27)

Die Rede des ukrainischen Präsidenten in Abwesenheit der Oppositionsparteien.© Quelle: Youtube / Phoenix, Screenshot

BSW und AfD haben mit Abwesenheit bei der Selenskyj-Rede im Reichstag ihr Missfallen ausgedrückt. War das respektlos einem Staatsgast gegenüber? Zwei Journalisten der Alternativen Medien sprechen von „demonstrativem Männchen machen vor Putin “ und von „Radio Moskau“. Berechtigte Kritik? Ein Debattenbeitrag.

Boris Reitschuster und Dieter Stein muss man nicht extra vorstellen. Reitschuster hat sich überaus verdient gemacht mit seiner Corona-Maßnahmenkritik und Stein ist seit Jahrzehnten erfolgreicher Verleger eines der dienstältesten rechtskonservativen Magazine in Deutschland.

Was die beiden heute zusammenbringt, ist ihr scharfer Protest gegen den Protest der anderen. Gemeint ist damit das demonstrative Fernbleiben der Gruppe Wagenknecht und der AfD-Fraktion beim Auftritt des ukrainischen Präsidenten im Deutschen Bundestag.

Die Neuen Medien reagierten überraschenderweise bisher überwiegend gar nicht auf die Rede des ukrainischen Präsidenten. Dieses bewusste Nichtberichten des Ereignisses in den Neuen Medien kann man ebenso als Statement werten wie das Fernbleiben des BSW und der AfD. Es bleibt ungewöhnlich, über so ein herausragendes Tagesereignis nicht zu berichten. Die Idee liegt nahe, dass die Redaktionen hier mehrheitlich anderer Auffassung sind, als sie das von ihren Lesern annehmen können.

Reitschuster und Stein positionierten sich explizit per X. Und beide beziehen sich auf das Verhalten der AfD, das Fernbleiben des BSW wird von ihnen nicht kommentiert.

Stein schrieb folgenden Tweet auf X:

„Wenigstens vier Abgeordnete widersetzen sich dem unwürdigen Beschluss der Fraktion, den Auftritt des ukrainischen Präsidenten zu boykottieren. Die Pressemitteilung der AfD hat übrigens ,Radio Moskau'-Sound.“

Und Reitschuster schrieb dazu Folgendes:

„Genauso wie sich ein aufrechter Demokrat gegen die Verteufelung und Diffamierung der #AfD aussprechen muss, genauso muss er es scharf verurteilen, dass #Chrupalla #Selensky als ,Kriegs- und Bettelpräsidenten' diffamiert und seine Partei dessen Rede im Bundestag fernbleibt (genauso wie das Wagenknecht-Bündnis). Das ist demonstratives Männchen-Machen vor Putin.“

Das sind in der Stoßrichtung zwar ähnliche, im Klang allerdings unterschiedliche Herangehensweisen. Der Gründer der Jungen Freiheit diffamiert die Haltung der ferngebliebenen Abgeordneten der AfD als von Moskau gesteuert, nichts anderes meint er ja, wenn er von einem „Radio Moskau“-Sound spricht und damit direkt auf aktuelle Diffamierungsvorwürfe abhebt, die der AfD eine Fernsteuerung aus Moskau nachsagen – ebenso übrigens dem BSW.

Auch kann nicht von einem Boykott des Auftritts Selenskyjs die Rede sein, das demonstrative Fernbleiben hatte ja an keiner Stelle das Potenzial, den Auftritt Selenskyjs zu unterbinden. Wenn Dieter Stein die vier Abgeordneten der AfD erwähnt, die der Selenskyj-Rede beiwohnten, dann gehört zur Wahrheit auch dazu, dass auch ein BSW-Abgeordneter im Plenum gesichtet worden sein soll.

Reitschuster geht etwas anders vor als Stein. Er will AfD und BSW den Spiegel vorhalten, indem er die ferngebliebenen Abgeordneten daran erinnert, dass sie sich selbst sich doch immer wieder gegen Diffamierungen zur Wehr setzen müssen. Hier bezieht sich Boris Reitschuster allerdings mit seiner Kritik auf die schriftliche Begründung der AfD-Fraktion zur Empfehlung, der Rede Selenskyjs fernzubleiben.

Für Reitschuster ist nicht das Fernbleiben der AfD an sich eine Diffamierung von Selenskyj, sondern die schriftliche Begründung der Fraktionsspitze. Erst mit dem Satz „Das ist demonstratives Männchen-Machen vor Putin“ erfolgt eine direkte Bewertung des Fernbleibens der AfD. Reitschuster spielt hier wie Stein mit dem Vorwurf des polit-medialen Komplexes gegen die AfD, von Russland gesteuert zu sein.

Der Spiegel hatte 2019 das Logo der AfD auf dem Titelbild an Marionettenfäden hängend und titelte dazu in einer doch eher taz-üblichen Alliteration von „Putins Puppen“.

Interessant hierzu auch ein Gastartikel bei Reitschuster von Klaus Kelle, der dort Anfang April schrieb:

„Die AfD als die deutsche .Putin-Partei' zu schmähen, wie es Medien und politische Gegner gern tun, wird der Sache nicht gerecht. Aber, Sie kennen das alte deutsche Sprichwort: Wo Rauch ist, da ist auch Feuer.“

Und besagtes Feuer beschrieb Kelle bei Reitschuster dann wie folgt:

„Regelmäßig treten AfD-Politiker und -Politikerinnen, oft mit russischen Wurzeln, in Moskau im Fernsehen auf und schmähen dort unser parlamentarisches System. Ich bin vielleicht ein bisschen altmodisch, aber Patrioten sollten sich nicht zu Lakaien einer fremden Macht machen lassen, denke ich.“

Interessant dürfte hier der Blick über den großen Teich sein. Fordert der Autor bei Reitschuster diesen deutschen Patriotismus ebenso vehement ein, wenn er sich gegen die USA richtet oder richten müsste?

Kelles Fazit im April dieses Jahres bei Reitschuster.de soll versöhnlich klingen, wenn er meint: „Die AfD in der Gänze ist keine Putin-Partei.“ Aber ob die AfD sich hier wiedererkennt?

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Stein und Reitschuster kritisieren die AfD-Abgeordneten für ihr Fernbleiben bei der Rede von Selenskyj. Wenn Reitschuster von einem „demonstrativen Männchen-Machen vor Putin“ schreibt, dann bietet sich folgende Frage an: Ist es nicht auch ein demonstrativen Männchen-Machen des Plenums vor Selenskyj, dem sich AfD und BSW nur durch Fernbleiben entziehen wollen?

Dazu ein paar Fragen und Überlegungen: Die Rede von Selenskyj kann man im digitalen Zeitalter gar nicht mehr verpassen. Man darf also davon ausgehen, dass die nicht anwesenden Abgeordneten vom Inhalt erfahren haben, möglicherweise bereits auf einen übertragenden Monitor im Foyer außerhalb des Plenums.

Fragen stellt die Inszenierung selbst. Werden die Abgeordneten automatisch zur zustimmenden, zu Passivität verurteilten Kulisse, wenn sie eine ablehnende Haltung zu Selenskyjs Rede nicht erwidern können?

Aber wie soll jemand seine fehlende Zustimmung zu Selenskyjs Waffen- und Milliardenforderungen in den tosenden Applaus der Abgeordneten der etablierten Parteien hinein artikulieren? Anwesend sein, aber lautstark „Buh“ rufen? Der Bundestag ist der wichtigste Debattenraum der Deutschen. Hier debattieren gewählte Vertreter des Volkes über die Geschicke des Volkes.

Eine widerspruchslose Zustimmung zu den Forderungen von Selenskyj war bei dieser Veranstaltung tatsächlich am seriösesten zu verhindern durch Fernbleiben und demonstrativ leere Sitze. Der BSW konnte diesen erwünschten sichtbaren Effekt innerhalb der Fraktion der Linken übrigens gar nicht erzielen, weil die Linksfraktion die freigewordenen Sitze einfach nach vorne raus besetzte und so die leeren Sitze fast unsichtbar machte.

Es gab für die Abgeordneten überhaupt nur diese eine Möglichkeit, ein fremdes Staatsoberhaupt nicht zu beleidigen und gleichermaßen dessen Forderungen nicht passiv zuzustimmen.

Eine Opposition darf sich in so einer wichtigen Frage gar nicht instrumentalisieren lassen. Denn der Anlass der Rede von Selenskyj hatte ohne jeden Zweifel das Ziel, durch einen emotional und mit viel Pathos aufgeladenen Auftritt und via Tagesschau und Live-Übertragung die deutschen Zuschauer dafür zu gewinnen, dass die Deutschen noch mehr Milliarden Euro für Waffen für die Ukraine zustimmen. Ebenso, wie für den milliardenschweren imaginären Wiederaufbau. Es geht um wesentliche Geschicke des Deutschen Volkes – möglicherweise mit Auswirkungen auf Generationen!

Naheliegend ist, dass der Auftritt Selenskyjs eine Stimmung in der deutschen Bevölkerung dafür schaffen wollte, dass nur ein Siegfrieden diesen Krieg beenden könne. Damit war der Auftritt von Selenskyj im Bundestag ein lupenreines Politikum. Und die Reaktion der Abgeordneten nicht nur gestattet und legitim, sondern absolut angemessen und die richtige Wahl in Richtung Selenskyj und Bundesregierung und der ihr folgenden Unionsparteien.

Die Kultur der Abwesenheit im Debattenraum „Bundestag“ ist übrigens ganz sicher keine Erfindung der AfD. Wer einmal Reden im Bundestag live verfolgt hat oder per Übertragung miterlebt hat, der kann bestätigen, dass ganze Fraktionsteile der etablierten Parteien und auch Minister das Plenum verlassen, wenn ein AfD-Abgeordneter einen Debattenbeitrag hält.

Im Falle der Rede von Selenskyj ist zudem interessant, dass mehrere Abgeordnete auf Nachfrage nicht sicher sagen können, wer Selenskyj überhaupt eingeladen hatte. Die Bundestagspräsidentin? Der Bundeskanzler im Zusammenhang mit der Wiederaufbaukonferenz? Der Ältestenrat?

Während der Rede war der Deutsche Bundestag entgegen seiner ureigensten Rolle zur Passivität verurteilt. Das Signal war eindeutig: Applaus bedeutet Zustimmung. Fehlender Applaus wird aber kaum wahrgenommen. Leere Sitze bleiben hier eine gute Möglichkeit, Missfallen auszudrücken, ohne dem ukrainischen Präsidenten ins Wort zu fallen, was wiederum als Eklat gewertet worden wäre.

Das BSW und die AfD haben mit ihrer Abwesenheit ihr Missfallen ausgedrückt. Und sie taten es auf eine Weise, die ausreichend respektvoll dem Staatsgast gegenüber auszulegen ist. „Demonstratives Männchen-machen vor Putin “ oder „Radio Moskau“ ist es definitiv nicht.

Dieses ist ein Debattenbeitrag. Ich erlaube mir anderer Auffassung zu sein.

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