Die Hoffnung stirbt zuerst

Sie wollen keine Umstände machen in einer umständlichen Welt

von Alexander Wallasch (Kommentare: 23)

Die Gesellschaft wird davon indes keinen Deut besser. Alles wird einfach immer nur noch schlimmer.© Quelle: Pixabay / zephylwer0

Ich bin wütend. Heute klingelte ein Vater aus der Nachbarschaft und fragte, ob ich bitte mal über die Bewerbung seiner Tochter schauen könnte.

Der Mann hat drei Kinder, er ist Handwerker, seine Frau im Schichtdienst in der Pflege. Fleißige Leute, ehrliche Leute, einfache Leute. Und Letzteres ist alles andere als abfällig gemeint, sondern erzählt etwas davon, dass diese Menschen keine Umstände machen, keine Umstände machen wollen.

Der Vater fährt einen Bus mit langem Radstand. Wenn jemand in der Nachbarschaft etwas transportiert haben muss, ist er zur Stelle. Und wenn seine Kinder Freunde mitbringen, sitzen die am Tisch und essen wie selbstverständlich mit.

Wenn wir uns vor dem Haus treffen, hat er immer ein freundliches Wort. Als ich noch rauchte, wusste ich zuverlässig, wo ich noch nachts um 23 Uhr eine Kippe bekomme, wenn ich die letzte aus der Packung zog und umgekehrt ebenso. Mit einem Unterschied: Er kam nie, weil er umsichtig immer auf Vorrat kaufte. Er will eben niemandem Umstände machen.

Wer mehrere Kinder großzieht, weiß um die Probleme, die sich einstellen können. Öfter sprachen die Frauen über schulische Dinge, ich erinnere mich, dass ich das letzte Mal einen Elternabend mitbesuchte, als die Kinder noch klein waren. Meine Frau war aber nicht traurig darum, dass ich mich lieber um andere Dinge kümmern wollte.

Mein Nachbar ging weiter hin. Und ich bewunderte ihn damals dafür, dass er diese grün-sozialisierten Belehrstunden so klaglos über sich ergehen lassen konnte. Nein, aufzubegehren gehört einfach nicht zu seiner Grundausstattung. Er will in Ruhe gelassen werden und möchte im Gegenzug auch alle anderen in Ruhe lassen.

Silvester trinken wir vor der Tür beim Knallen immer eine Flasche Bier zusammen. Das sind gute Leute. Unkompliziert und lösungsorientiert. Und vor allem bis zu einem weit entfernt liegenden Punkt duldsam dem Irrsinn unserer Zeit gegenüber.

Ich bin wütend. Denn als ich nach einem kurzen freundlichen Austausch die Tür wieder geschlossen hatte und mir die Bewerbung seiner Tochter anschaute, war das für mich ein sehr trauriger Moment, weil sich ein kleines Fenster öffnete und ich mitten hineinschaute in eine große Wehr- und Hilflosigkeit.

In dem, was ich da lesen musste, spiegelten sich die gegenwärtigen Verhältnisse vom Leben für Menschen in diesem Land. Die Tochter kenne ich als leises und bescheidenes Mädchen. Die Freundlichkeit ihres Vaters hat sich auf sie übertragen, ihr Freund ist zwar ein wenig vorlaut, aber auch das lächelt sie ihrer Umgebung gegenüber einfach weg, sie mag ihn so, wie er ist.

Besäufnisse, Drogen oder andere Ausfälle sind mit nicht bekannt, auch der sonst in dem Alter oft übliche Wald an Tätowierungen, Piercings und Co. fehlt.

Ich kann mich auch nicht erinnern, dass sie mal mit so einem dröhnenden Smartphone-Gangster-Rapp-Verstärker die Straße auf und ab marschiert wäre. Wenn man sie fragt, wie es ihr geht, fragt sie freundlich und selbstverständlich zurück.

Ungenügend, mangelhaft, ausreichend

Jedenfalls schaute ich, wie vom Vater gewünscht, diese Bewerbungsmappe durch und auch ihre Zeugnisse. In dem Moment war mir sofort klar, dass mir der gute Mann etwas sehr Privates aus seiner Familie anvertraut hatte. Ein Zeugnis lag dabei, wie eine gigantische Ohrfeige: „Ungenügend“, „mangelhaft“, selten „ausreichend“ und ein einsames „befriedigend“ in Sport.

Nicht wesentlich, aber etwas besser sah es in einem Zeugnis einer Berufsvorbereitungsklasse aus. Was mich so wütend machte, war die Gewissheit, dass diese so auf Antidiskriminierung und Chancengleichheit für jedermann bedachte Gesellschaft diese Leute einfach im Stich gelassen hat.

Das sind Bürger, die müssen sich selbst helfen, währenddessen Milliarden in die Integration von Menschen investiert werden, die gerade erst in Deutschland angekommen sind, die jede erdenkliche Hilfe bekommen, denen die SPD jetzt sogar ein Erbe auszahlen will, damit sie bloß auch die gleichen Chancen bekommen, wie die schon länger hier lebenden Menschen.

Die gleichen Chancen? Das Nachbarsmädchen sucht seit eineinhalb Jahren einen Ausbildungsplatz, erfahre ich aus dem Lebenslauf. Da wurde auch nichts rumgetrickst. Es steht einfach dort. Ehrlich und ungeschminkt.

Das Bewerbungsschreiben richtet sich an ein Bekleidungshaus, das für besonders preiswerte Mode bekannt ist. Ich hätte ehrlich nicht einmal gedacht, dass dort überhaupt ausgebildet wird. Kann es sein, dass man sogar eine Absage bekommen kann?

Zehn Jahre ist das Mädchen zur Schule gegangen. An welcher Stelle in diesen zehn Jahren haben die Schulen dieses Mädchen eigentlich aufgegeben? Ich weiß von Inklusionsklassen an Gesamtschulen, wo Kinder mit Einschränkungen dauerhaft Betreuer neben sich in der Klasse sitzen haben, die jederzeit helfend und unterstützend eingreifen.

Die Nachbarstochter hat aber gar keine Einschränkungen. Sie mag nicht die Hellste sein – das jedenfalls suggerieren die Zeugnisse – aber sie scheint mir doch mit einem hohen Grad an Herzensintelligenz ausgestattet. Wo hat hier welche schulische Förderung versagt?

Sie ist die Tochter guter Leute, solche, wie man sie sich als Nachbarn nur wünschen kann. Aber diese Familien sind heute Opfer einer zwanghaften Jagd nach einer bunten Vielfalt geworden. Sie haben rein gar nichts Exotisches zu bieten, sie sind einfach nur da.

Und sie scheinen überflüssig geworden zu sein wie ein Kropf für die Bemühungen von Heerscharen offenbar unnützer Soziologen und Pädagogen, die verächtlich jemandem hinterherschauen, der so verdammt normal daherkommt wie meine Nachbarn. Ich bin wütend. Aber auch das nutzt kaum, es wird nichts ändern.

Kennen Sie diese Werbung „Sie hat den Job“? Wo sich unterschiedliche Menschen aus der ganzen Regenbogenfamilie darüber freuen, dass jemand einen Job bekommen hat? Das Nachbarsmädchen bekommt diesen Job möglicherweise tatsächlich, um den sie sich beworben hat. Die Gesellschaft wird davon indes keinen Deut besser. Alles wird einfach immer nur noch schlimmer.

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