Versammlungen die keine sein wollen und die Reaktion des Staates

Spaziergänge sind laut Polizei „stumme Meinungsäußerungen“

von Alexander Wallasch

Schon mal was von Schloss Holte-Stukenbrock gehört? Die Stadt im Kreis Gütersloh hat etwas mehr als 27.000 Einwohner. Und, wie neuerdings Menschen in vielen deutschen Städten, gehen auch hier regelmäßig ein paar Schloss-Holte-Stutenbrocker montags spazieren.

Laut einer örtlichen Zeitung sollen es zuletzt 80 Personen gewesen sein. Unter den Spaziergängern im Bereich des Rathauses der Stadt sollen sich auch Mitglieder des AfD-Stadtverbandes befinden.

Jetzt haben solche Spaziergänge grundsätzlich einen subversiven Charakter. Sie werden Spaziergänge genannt, weil Demonstrationen oft nicht mehr genehmigt werden. Eine Anmeldung solcher Zusammenkünfte würde auch ihrem Grundgedanken widersprechen. Denn hier wird schon von vorneherein ein Katz- und Mausspiel eingeplant.

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Eine Zeitung berichtet, dass jetzt der Staatsschutz ermittele, weil „angesichts der Personenzahl nicht von einer spontanen Versammlung ausgegangen werden kann.“

Gegenüber dem Westfalen Blatt teilte eine Polizeisprecherin nach dem Spaziergang am Montag Folgendes mit:

„Da die Veranstaltung nicht ordnungsgemäß angemeldet worden war, stellt sie einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz dar und wird als Straftat gewertet.“

Solche polizeilichen Lageeinschätzungen finden aktuell überall im Land statt. Und der Unmut wird auch bei der Polizei größer, so erklärte der Chef der sächsischen Polizeigewerkschaft: „Es darf nicht Aufgabe der Polizei sein, einen breit auf der Straße ausgeführten Meinungsstreit, sofern er friedlich ist, mit polizeilichen Mitteln zu stoppen, nur weil die Politik diesen Disput an die Polizei outgesourct hat.“

Versammlungen die keine sein wollen und die Reaktion des Staates
© Screenshot: NDR

Also auch in Schloss Holte-Stukenbrock der übliche Ablauf? Nicht ganz. Denn eine Äußerung einer Sprecherin der zuständigen Polizei Gütersloh lässt aufhorchen und sorgt in den sozialen Netzwerken für eine aufwallende Empörung.

Denn laut dieser Gütersloher Polizeisprecherin soll es sich mutmaßlich um einen Spaziergang „mit stummer Meinungsäußerung“ gehandelt haben.

Aber was bitte soll eine stumme Meinungsäußerung eigentlich sein, wenn auch keinerlei Plakate hochgehalten werden, auf denen man eine Meinung stummer Menschen zweifelsfrei ablesen könnte?

Das wollen wir von der Pressestelle der Polizei in Gütersloh wissen.

Ein Pressesprecher bestätigt zunächst einen telefonischen Kontakt seiner Kollegin mit der Zeitung. Aber was sie da am nächsten Tag gelesen habe, sei wohl etwas aus dem Kontext gerissen worden. Jedenfalls was die rechtliche Bewertung des Spazierganges angeht.

Der Spaziergang sei von der Polizei als „stumme Meinungsäußerung“ gewertet worden. Deswegen sei ein Verfahren eingeleitet worden.

Das wollen wir genauer wissen: „Ein Verfahren wegen „stummer Meinungsäußerung“? Nein, sagt ein Sprecher, nicht wegen stummer Meinungsäußerung, sondern wegen §26 Versammlungsgesetz.

Nachgefragt: Demnach wird hier ein Begriff verwendet, der nachher für die endgültige Einschätzung keine Rolle mehr spielen darf?

In der Regel wird Folgendes vor Ort bewertet, so der Sprecher weiter: „Was finden wir dort vor? Wie sieht es möglicherweise der neutrale Betrachter eines solchen Zusammenkommens? Und das wird dann von der Polizei bewertet.“

Auf welchen Grundlagen stützt sich so eine Bewertung, wollen wir weiterwissen. Gibt es da eine Art Handreichung für Einsatzleiter, die die Bezeichnung Wording solch einer Beurteilung erleichtern? Oder ganz konkret: Gibt es ein Papier, dem die Polizei in Gütersloh den Begriff „stumme Meinungsäußerung“ entnommen haben könnte?

Der Sprecher antwortet, die Polizei bewerte nicht die stumme Meinungsäußerung, sondern sie bewerte, ob man da nun eine Versammlung gesehen hat oder nicht, und wie die Gegebenheiten aussehen, welche die Polizei dort vorfindet.

Jetzt wird es haarig, das Gespräch bekommt seltsam dadaistische Züge, oder der Autor hier ist begriffsstutzig.

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Noch einmal der Sprecher: Im ersten Schritt würde festgestellt, haben wir hier eine Versammlung oder nicht.

Wir intervenieren erneut: Aber ein Kriterium dafür ist doch laut dokumentierter Feststellung der Sprecherin gegenüber dem Westfalen Blatt, dass eine stumme Meinungsäußerung vorgelegen habe.

Als Bewertung einer Versammlung könne sich aber auch eine nonverbale Meinungskundgebung ergeben, lautet eine weitere Antwort. Es könne ja durchaus sein, so ein Sprecher der Polizei Gütersloh, das einhundert Personen, die sich treffen, den Eindruck erweckten, sich dort zu versammeln, um ihre Meinung nonverbal zu äußern. Das könne sich auch darin äußern, das besagte einhundert Personen irgendwo Kerzen abstellen.

Wir bleiben hartnäckig: „Also stumm?“ Und weiter wollen wir wissen, ob es denn überhaupt irgendetwas Schriftliches gäbe, dass der Polizei helfe einzuschätzen, ob es sich um eine Versammlung handelt.

Es gäbe Bundesverfassungsgerichtsurteile dazu, wie genau Versammlungen zu bewerten sind, sagt der Sprecher.

Ein Einsatzleiter, der solche Urteile liest für seine Bewertung? „Warum nicht?“ Das sei auch Teil des Jobs der Polizei, antwortet der Sprecher.

Und er betont weiter, dass man schon sehr individuell bewerte. Da würde man nicht einfach auf einen Zettel schauen, um das Passende abzulesen.

Der Begriff „stumme Meinungsäußerung“ steht nun wie ein Elefant im Raum. Es hätte nicht viel gefehlt und die gesummte Melodie von „Die Gedanken sind frei“ hätte dieses besondere Gespräch zusätzlich vertont.

Der Sprecher erklärt noch einmal auf unsere wiederholte Nachfrage, dass eine Versammlung nicht erst dann eine Versammlung sei, wenn sich Menschen verbal äußerten, sondern Versammlung könne auch dann eine Versammlung sein, wenn sie das nicht täten. Die Meinungsäußerung könne ja auch anders kundgegeben werden.

Leider sorgt auch dieser Satz eher noch für eine anwachsende Verstörung. Welches Bundesverfassungsurteil, das sei, das er erwähnte, wollen wir noch wissen. Der Sprecher hat den Beschluss tatsächlich vorliegen, er stamme vom 10. Dezember 2010 und trage die Kennzeichnung „BVR 1 1402/06“

Tatsächlich heißt es dort unter anderem:

„Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfGE 69, 315 <345>).“

Interessant an dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist, dass der Kläger damals - im Gegensatz zu den „Spaziergängern“ heute – darauf bestanden hatten, als Versammlung verstanden zu werden.

Deshalb erklärt das BVerfG im Urteil weiter:

„Die Versagung der Versammlungseigenschaft kann das Amtsgericht verfassungsrechtlich tragfähig nicht darauf stützen, dass nach dem Willen der Gruppe weder mit den Teilnehmern der angemeldeten Demonstration noch mit der Öffentlichkeit eine verbale Kommunikation stattfinden sollte. Ein kollektiver Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung kann auch non-verbal, durch schlüssiges Verhalten wie beispielsweise durch einen Schweigemarsch, geäußert werden.“

Jetzt haben wir den kuriosen Fall, dass dieses Urteil nicht etwa genutzt wird, die Spaziergänge zu legitimieren, sondern dafür, sie zu diskreditieren, weil sie nicht angemeldet sind und auch bei Anmeldung nicht genehmigt werden.

Nach diesem Urteil fällt es also viel leichter, jede irgendwie geartete Menschenansammlung einfach als nicht angemeldete verbotene Versammlung aufzulösen. Ist weiterer Willkür damit Tür und Tor geöffnet?

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