Sollte man hier als Deutscher nachgereicht beleidigt sein? Der Fußballer Mesut Özil (aktuell Fenerbahce Istanbul) sang jetzt vor dem Spiel seiner Mannschaft die türkische Hymne mit, was er den deutschen Zuschauern bezogen auf die deutsche Hymne 92 Nationalspiele lang verweigert hatte. Dazu muss man wissen, dass in der Türkei auch bei Liga- und Pokal-Spielen die ersten beiden Strophen der Hymne gesungen werden. Zwar schwieg er bisher auch bei seinem neuem Klub, hatte aber jetzt ein musikalisches – oder gar ein nationalistisches? – Coming-Out.
Allerdings war sein Schweigen in Istanbul zuvor nicht gut angekommen. Die Türken verstehen überhaupt kein Spaß, wenn es um ihre nationale Identität und ihren Nationalstolz geht. Es hagelte Kritik. Zunächst versuchte es Özil noch mit der Vereinshymne, die er im Auto trällernd veröffentlichte, aber zuletzt gab er dem Drängen der türkischen Fenerbahce-Fans doch nach.
Was wiederum die Frage aufwirft, ob die deutschen Fans zu wenig gedrängelt haben. Dazu aber gleich mehr, zunächst ein Blick zurück:
Der deutsche Ex-Nationalspieler Mesut Özil hat sich um den deutschen Fußball verdient gemacht. 92 mal (bei 23 Toren) lief er im deutschen Trikot auf den Platz – zuletzt war er Teil der deutschen Mannschaft, die 2014 in Brasilien Weltmeister wurde. Trotzdem es dort Kritik hagelte, war es Özil, der im Achtelfinale in der Nachspielzeit das entscheidende 2:0 gegen Algerien schoss. Damals brüllte er seine Erleichterung in den südamerikanischen Himmel über Porto Alegre. Was freilich WM-Experte Andi Brehme schon ein Spiel weiter nicht daran hinderte über das Viertelfinale gegen Frankreich zu sagen, Özil sei der schlechteste Mann auf dem Platz.
Unbenommen bleibt: Der gebürtige Gelsenkirchener, der 2007 seine türkische Staatsbürgerschaft ablegte zugunsten der deutschen, hat sich für dieses Land verdient gemacht. Obwohl es immer mal wieder thematisiert wurde, störte es am Ende nur wenige, dass sich Özil in allen 92 Spielen dem Absingen der Nationalhymne verweigert hatte. Angeblich, erklärte er einmal fast beschwichtigend, würde er in der Zeit für den Sieg beten und so der Mannschaft indirekt doch auch helfen.
So bleibt es leider Spekulation, sich zu überlegen, was eigentlich passiert wäre, hätte Özil sich irgendwann – oder ganz konkret in Brasilien – dazu entschlossen einfach mal die Hymne des Landes mitzusingen, in dem er geboren und dessen Staatsangehörigkeit er schließlich gegen die türkische tauschte.
Ihre Unterstützung zählt
Ohne Sie ist hier alles nichts. Ihre Unterstützung ist wichtig. Sie gewährleistet uns weiterhin so kritisch und unabhängig wie bisher zu bleiben. Ihr Beitrag zählt für uns. Dafür danken wir Ihnen!
Stattdessen traf sich Özil nicht nur einmal, nämlich als es zum Eklat kam mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, sondern zuvor schon 2011, 2012, 2016 und 2017 von der deutschen Öffentlichkeit weitestgehend unbeachtet. Wer sich also 2018 über das Trikot-Geschenk an Erdogan empörte, der hätte das schon 2011 tun können, denn auch damals überreichte Mesut Özil Präsident Erdogan ein von ihm signiertes Trikot von Real Madrid und man schüttelte sich freundschaftlich die Hände. 2012 ist Erdogan in Madrid und trifft sich dort mit Mesut Özil.
Damals war alles möglich, eine deutsche Wochenzeitung beispielsweise staunte über die boomende Wirtschaft der Türkei und die rasante Annäherung an Europa: „Es gab noch keine „Gezi-Proteste“ keinen Putsch, kein Präsidialsystem, keinen türkischen Staat, der deutsche Journalisten bei ihren Recherchen einsperrt.“ Auch für Özil schien seine Welt in Ordnung, als er gegenüber dem Männermagazin GQ sagte: „Ich spiele für Deutschland, weil ich mich als Deutscher fühle. Gleichzeitig betone ich aber, dass ich stolz bin auf meine türkischen Wurzeln.“ Sogar Gänsehaut will er bekommen habe im deutschen Trikot auf dem Platz neben seinen Kumpels stehend.
Lange ist es her. Dann folgte auf die vorübergehende sportliche Krise Özils – wenn auch auf höchsten Niveau beklagt – der persönliche Niedergang, der Bruch mit der Nationalmannschaft und letzten Endes auch der Bruch mit Deutschland und der Geburtsheimat. Heute lebt, lacht – und singt sogar! – der Fußballstar im Land seiner Eltern und Großeltern.
Die linke Tageszeitung taz hatte im August 2018 den Mittelfeldstar Toni Kroos im Zusammenhang mit der Özil-Erdogan-Affäre kritisiert: Nein, Kroos sei nicht „ kroosartig“. Und nicht Özils Verhalten wurde in diesem Artikel kritisiert, als der sich mit dem türkischen Autokraten beim freundlichen T-Shirt-Geschenkmoment ablichten ließ. Nein, die taz bemängelte an Kroos, dessen Kritik sei „undifferenziert und unangebracht“.
Was hatte Toni Kroos gesagt? Er hatte dem eigentlich „lieben Kerl“ und Nationalspieler-Kamerad Mesut Özil bescheinigt, der hätte in seiner Rücktrittserklärung „viel Quatsch“ erzählt. Unter anderem wehrte sich Kroos vehement gegen die Behauptung, es würde innerhalb der deutschen Nationalmannschaft Rassismus geben. Für die taz aber ist Kroos per Se wenn nicht schon Rassismus verdächtig, dann doch außen vor: „Zudem kennt er sich als blonder, weißer Mann sicher weniger mit Rassismus aus, als ein Deutscher mit türkischen Wurzeln – wie Özil es ist.“ Mal davon abgesehen, dass die taz hier ohne mit der Wimper zu zucken rassistische Ressentiments einfach umkehrt, verweigert sie Kroos auch, an der Debatte überhaupt teilnehmen zu dürfen, weil seine Haut zu hell, seine Augen zu blau und seine Haare zu blond sind.
Gehen wir noch einmal in dieses wundervolle Stadtteilstadion Sükrü-Sracoglu-Stadion, dem Heimathafen von Fenerbahce Istanbul. Über 50.000 Fans haben hier mittlerweile Platz, das Stadion verfügt über eine Stadionheizung, sogar im Winter, der auch in Istanbul durchaus mal kalt sein kann, ist es hier angenehm warm. Aber unter der Corona-Pandemie spielt man sowieso wie anderswo auch ohne Publikum. Mesut Özil sang also bzw. bewegte mindestens die Lippen für die Fernsehübertragungsgeräte.
Bleibt zuletzt noch die Frage, ob die Deutschen ihren Özil zu leichtfertig haben gehen lassen. Warum haben sie nicht genau wie die Türken rechtzeitig noch mehr darauf gedrängt, die Hymne auch hier zu singen und keine Ausnahme zu machen? Geht es überhaupt um ein Bekenntnis zum Land in diesem an Selbstbekenntnissen so verarmten Deutschland? Tatsächlich ist die Frage interessant, ob Mesut Öziul mehr Deutscher (Pass, Geburtsort), mehr Türke (Herkunft der Eltern) oder am Ende am allermeisten längst der Multimillionär ist, der überall leben könnte.
Fest steht, die Deutschen wissen viel weniger was deutsch ist, als die Türken wissen was einen Türken ausmacht. Der Deutsche hat sein Deutschsein tief vergraben in seinem Inneren. Er hat sich zurückgezogen, ist allenfalls still und heimlich deutsch. Dadurch sind Leerstellen entstanden, wie der türkischstämmige deutsche Nachbar des Autors hier auf Nachfrage erzählt:
„Die freien Flächen besetzen die Migranten, die NGOs und die linksdenkenden Deutschen.“
Der Nachbar ist im Gegensatz zu Özil noch in der Türkei aufgewachsen. Zum Fall Özil sagt er jetzt: „Als ich Ende der 1970er Jahre in der Türkei in die Schule ging, da wurde jeden Freitag zum Schulschluss die Hymne gesungen und die Fahne gehisst und das gleiche nochmal am Montag. Noch heute ist der Druck in der Türkei enorm - Verweigerungen werden wirklich übel genommen. In Deutschland hingegen gibt es immer welche, die sich nicht dran halten. Hier gibt es ja sogar eine Vize-Bundestagspräsidentin, die hinter einem Banner demonstriert auf dem steht so etwas wie „Deutschland du mieses Stück Scheiße.“ In der Türkei wäre so etwas vollkommen unmöglich, das würde für einen kollektiven Aufschrei sorgen. Da verstehen die Türken keinen Spaß. Ehrlich, jeder Afrikaner, jeder Syrer – jeder Türke sowieso –ist stolzer auf sein Land als ihr Deutschen auf Eures.“
Der türkischstämmige Nachbar glaubt auch zu wissen, was da mit Özil passiert ist, für ihn ist diese ganze Migrationsgeschichte etwas scheinheilig, der Mensch bleibe im Inneren immer was er ist.
Die deutsche und die türkische Kultur seien auf ganz besondere Weise zwei Paar Schuhe. „Wenn du in beiden leben willst, lebst du in zwei Scheinwelten, wenn du es dir mit der türkischen Community nicht verscherzen willst, dann betonst du dort deine türkische Seite. Und wenn du in die Arbeit geht, betonst du die deutsche Seite.“
Mesut Özil arbeitet und lebt in Istanbul. Und er betont seine türkische Seite: Özil singt jetzt im Stadion die türkische Nationalhymne.
Einen Kommentar schreiben
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen. Aufgrund von zunehmendem SPAM ist eine Anmeldung erforderlich. Wir bitten dies zu entschuldigen.
Zur Anmeldung
Kommentare
melden
Kommentar von E T
Da alle wichtigen Positionen in Gesellschaft und Staat von den Antifaschisten besetzt sind, ist klar, dass Schmidt-Denter so gut behindert wird, wie es geht. Sein Buch ist vergriffen, sein Lehrstuhl aufgelöst und seine Mitarbeiter im Winde verweht.
Erstaunlich ist die Machtposition der Antifaschisten, da ihre Machtposition auf einer Lüge basiert. Sie behaupten, eine Wierderholung der Vergangenheit verhindern zu wollen und haben das deutsche Nationalbewusssein zerstört, sodass das für die Bildung eines Nationalstaats notwendige Zusammengehörigkeitsgefühl zerstört wurde.
Frür die Zerstörung des Nationalbewusstseins gab es nie einepolitische Mehrheit und gibt es keine. Die Zestörung des Nationalbewusstseins ist nur möglich durch die Lüge, die ich wegen ihrer Bedeutung Mutter aller Lügen nenne.
Nun gibt es die Behauptung, dass man eine kleine Zahl von Menschen dauerhaft anlügen kann. Bei einer großen Menge gelingt das in aller Regel nicht.
Die Frage ist also, warum es gelungen ist, auf Dauer die deutliche Mehrheit erfolgreich anzulügen. Der Grund dafür ist meiner Ansicht nach, dass auch die Kritiker der jetzigen Verhältnisse diese Lüge nicht ausreichend durchschauen.
Gauland mit seinem Vogelschiss deckt die Mutter aller Lügen nicht auf. Auch Höcke geht in die Falle des Geschichtsrevisionismus und fordert nicht das Ende der Umerziehung.
melden
Kommentar von Eddy Nova
Das muss ich jetzt einmal verallgemeinern : DER SCHRIFTSTELLER HAT KEINEN VERLEGER GEFUNDEN ,DA ER SICH KLAR UND DEUTLICH AUSGEDRÜCKT HAT ...Sagt viel aus über die Zustände im Land der Merkel Bande ...
melden
Kommentar von E T
Dass Evaluation zu undeutlich ist, trifft den Nagel auf den Punkt. Ich habe die Wortwahl von Schmidt-Denter übernommen. Schmidt-Denter hätte sicher keinen Verleger hefunden, wenn er sich klar und deutlich ausgedrückt hätte: Die Umerziehung zerstört die Demokrtie und gefährdet die Gesundheit.
melden
Kommentar von Eddy Nova
Interessanter vorletzter Satz ! *Das Gegenmittel ist Transparenz,Schmidt Denter fordert daher einen Evaluation der Holocaust Erziehung* Beginn der eigenen Transparenz wäre sicher die Nutzung des Wortes Bewertung oder Auswertung anstatt Evaluation gewesen. Verändert meiner Ansicht nach den Wortsinn gewaltig - egal ob Bewertung oder Auswertung der Holocaust Erziehung ...bringt das Unrecht erst richtig zur Geltung da der Begriff Holocaust vor 1980 gar nicht existierte-erst eine auf die Sklaverei Pseudo Doku "Roots"folgende grottenschlecht gemachte "Shoa" Doku namens Holocaust kreierte den Begriff ... Platterweise die Story einer GUTEN jiddischen Familie Weiss die auf eine BÖSE deutsche Familie Schwarz trifft ...
Die "Roots & Holocaust" Macher sind dem platten "schwarz weiss" Modus also treu geblieben...
melden
Kommentar von E T
Wenn man das fehlende deutsche Nationalbewusstsein nicht nur beklagen, sondern verändern will, ist wichtig, ob die Deutschen ihr Nationalbewusstsein freiwillig abgelegt haben oder unter Druck. Wenn die Deutschen angesichts ihrer Geschichte freiwillig auf ein Nationalbewusstsein verzichten, kann man nur abwarten und Tee trinken.
Wenn die Deutschen aber unter Druck auf ihr Nationalbewusssein verzichten, kann man überlegen, ob und wie man diesen Druck verändern kann.
Schmidt-Denter hat nun in einer gigantischen Idenditätsstudie festgestellt, dass die Deutschen durch die anhaltende Umerziehung so unter Druck gesetzt werden, dass die Mehrheit kein Nationalbewusstsein entwickelt hat.
Da die Unterdrückung des Nationalbewusstsein unter dem Vorwand erfolgt, eine Widerholung der Geschichte verhindern zu wollen, beruht die Zerstörung des deutschen Nationalbewussseins auf einer Lüge. Das Gegenmittel ist Transparenz. Schmidt-Denter fordert daher eine Evaluation der Holcocaust-Erziehung.
Wichtig ist natürlich, dass man keinen Geschichtrevisionismus sondern ein Ende der Umerziehung fordert.
melden
Kommentar von Eddy Nova
Die Frage warum deutsche Fans Özil nicht gedrängelt haben die deutsche Nationalhymne mitzusingen dürfte einfach zu beantworten sein.Die Bevölkerungshälfte die sich Patriotismus dem System BRD zum Trotz erhalten hat,Wert auf die Tradition einer Nationalhymne legt wollte den türkischen BRD Pass Inhaber gar nicht erst in der formal noch deutschen Nationalmannschaft sehen.
Die Hälfte der Deutschen die von Özil in der BRD Mannschaft überzeugt war, sind zu 90% auch die die auf Nation,Nationalhymne gern verzichten würden.Özil selbst hätte durch Lippenbewegungen beim Klang der Nationalhymne gar nichts gewonnen,im Gegenteil...er hätten von seiner linken 50% Anhängerschaft noch einen erheblichen Teil verloren ohne auch nur einen einzigen der 50% die ihn ablehnen zu gewinnen.
Die Gebets-,Konzentrationsargumentation ist Bullshit-aus seiner Sicht jedoch zu verstehen.A,müßte die Argumentation dann ja unabhängig vom Trikot gelten,tut sie wie wir heute sehen nicht,über Özil hinaus erkennt man ja mit (fast) 100% Quote wer Deutscher und wer lediglich BRD Pass Inhaber ist. B,an Özil ist nun einmal fast alles türkisch-nicht nur die Wurzeln,auch die Äste...völlig klar das er seine Zukunft in seiner Heimat sieht und die ist definitiv nicht Deutschland sondern die Türkei.Den Malus nicht für die türkische sondern für die BRD Elf Länderspiele bestritten zu haben kann er seinen Landsleuten mit seiner Jugend und den Erfolgsaussichten begründen,das Mitsingen einer fremden Nationalhymne als gereifter Mann jedoch sicher nicht...
Beinahe lustig der (angebliche) Erdogan Eklat,wahrscheinlich das einzige Mal innerhalb der letzten 15 Jahre das Özil Beifall von den 50% die ihn nicht so mögen erhielt.
Mich erinnert das Händele der BRD in puncto Nationalelf an das dritte Reich-1935,1936 war Deutschland sehr erfolgreich ,dank Quotenreglungen mußten plötzlich auch 5 Anschlußdeutsche im Nationalteam stehen...tat den sportlichen Leistungen noch nie gut wenn Politik die Aufstellung bestimmt.
Schlussendlich wurde die BRD nicht mit, sondern trotz Özil 2014 Weltmeister- ob sie die Zahl von 3 deutschen WM Titeln 54 ,74 ,90 jemals erreichen wage ich zu bezweifeln, ich hoffe das es bei dem einen Titel 2014 bleibt.
Hier sehe ich vielleicht eine kleine Schwäche im Artikel-die minimum 30%,40% starke schweigende Minderheit die noch in irgendeiner Form an das "goldene Band des Blutes einer Nation" glaubt wurde gar nicht erwähnt.Bei den im Artikel erwähnten "Deutschen und ihrer Mentalität" ist maximal von einer 2/3 Gruppe ALLER Deutschen auszugehen.Das 1/3 das fehlt entspricht eher der erwähnten türkischen Mehrheitsmeinung ,die sicher 99% Ablehnung zeigen würde wenn plötzlich Nichtmuslime für die Türkei auflaufen würden.Gleiches Verhalten von Deutschen nennt Özil deutschen Rassismus ...ich sage dazu: jetzt bei Fenerbahce Istanbul ist Özil endlich zu Hause angekommen.Ich wünsche ihm Erfolg und werde mich erstmals über seine Tore freuen.