„Vorsicht, diskriminierende Sprache und Haltung“

Alte Harald-Schmidt-Sendungen werden vom WDR mit Warnhinweis versehen

von Alexander Wallasch (Kommentare: 11)

„Das folgende Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt.© Quelle: WDR/ Mediathek Screenshot

Wer heute älter als 50 ist, der ist mit hoher Wahrscheinlichkeit medial auch ein Stück weit vom Entertainer Harald Schmidt beeinflusst worden. Der 65-Jährige schrieb Fernsehgeschichte. Seine LateNight-Formate liefen fast zwanzig Jahre lang von 1995 bis 2014.

Schmidts besonders ätzender und bissiger, aber niemals menschenfeindlicher Humor hat sich in die DNA seiner deutschen Zuschauer eingeschrieben. Was Harald Schmidt machte, war neu im deutschen Fernsehen. Seine Nachahmer von Stefan Raab bis Oliver Pocher schwammen auf dieser Welle zu eigenem Erfolg.

Aber der katholische Nürtinger kam nicht aus dem Nichts zu seinen Talkshows. Vom Statisten zur Schauspielschule ging er später durch die harte Schule der Theater-Kabarettisten beim Düsseldorfer Kom(m)ödchen, bis ihn der Westdeutsche Rundfunk zunächst für „MAZ ab!“ und dann für „Pssst ...“ engagierte.

Vom Geheimtipp zum Kassenschlager entwickelte sich das Satire- und Comedy-Format „Schmidteinander“, das Harald Schmidt gemeinsam mit Herbert Feuerstein moderierte, und das es vom Sendeplatz beim WDR ab Folge 33 ins Samstagabendprogramm der ARD schaffte. Einige der Running-Gags der Sendung schafften es als Bestseller auf deutsche Schulhöfe wie beispielsweise Schmidts den Rennfahrer Michael Schumacher parodierender „Schumi-Daumen“.

Nach Einstellung des Formats wurden die Folgen mehrfach wiederholt. So bereits zwischen 2009 und 2011 auf dem ARD-Sender „Einsfestival“ und von 2011 bis 2013 als Best-of-Sendungen. Im Frühjahr 2016 wurden Samstag und Sonntags auf WDR 18 komplette Folgen erneut abgespielt.

Und weil der öffentlich-rechtliche Sender längst um die hohen Zuschaltquoten des Nostalgiepublikums weiß, werden Schmidteinander-Folgen auch 2023 wieder aus der Mottenkiste geholt. Der WDR strahlt aus und gleichzeitig landen Folgen in der Mediathek, wo die über dreißig Jahre alte Kreuzung aus Late-Night, Talk und Comedy weitere Zuschauer unabhängig vom Sendezeitpunkt erreichen kann.

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Um kurz noch zu verdeutlichen, was junge Zuschauer damals so verrückt gemacht hat, hier eine exemplarische Szene: Der Musiker und Komiker Helge Schneider ist zu Gast, er will sein Kaugummi loswerden und klebt es unter den Schreibtisch von Harald Schmidt. Der wiederum holt es sich dort weg und kaut es ein paar Sekunden lang einfach selbst weiter. So etwas war zu Beginn der 1990er Jahre ein gefeierter Spaß für die Zuschauer.

Jetzt also in der x-ten Wiederholung. Und wer ohne Nostalgiegefühle an diese Sendung herangeht, der entdeckt gewisse Längen, der versteht schnell, dass es sich hier um keine zeitlose Kunst, sondern vielmehr um Material für Zuschauer handelt, die sich erinnern wollen.

Und jetzt passiert etwas Seltsames, das schon 2021 Zweitausstrahlungen beispielweise älterer Schimanski-Tatorte widerfahren ist: Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten warnen neue und jüngere Zuschauer montagabends in der Wiederholung mittels eines eingeblendeten Warnhinweises vor politisch unkorrekten Witzen der „Fernsehgeschichte“.

Im Wortlaut lautet der Einblender:

„Das folgende Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen mit diskriminierender Sprache und Haltung.“

Auch beispielsweise den Wiederholungen der Sendung „Zimmer frei“ mit Christine Westermann und Götz Alsmann wurde dieser Disclaimer vorgeschaltet. Es ist hier zunächst alles so wie bei Arzneimittelwerbungen oder Filmausstrahlungen mit FSK-Altersbeschränkungen. Nur das hier bereits ohne Beanstandung ausgestrahlte Sendungen nachträglich und über dreißig Jahre später auf dem Index gelandet sind, wie sonst nur kontaminierte Bücher aus der NS-Zeit, bei deren Verkauf etwa penibel erwähnt wird, dass es den Lesern natürlich nur um die rein wissenschaftlich-historische Analyse gehen darf.

Das ist Cancel-Culture im vorauseilenden Gehorsam: Mit seinen Zwangsgebühren bezahlt der Nostalgie-Zuschauer jetzt obendrein den belehrenden Hinweis, dass er sich früher für eine diskriminierende Sprache begeistert oder sie sogar weitererzählt hat. Schämen soll er sich und nur noch mit Entsetzen und schlechtem Gewissen schauen.

Aber schauen soll er schon noch, damit die Quoten des WDR stimmen. Und für die Quote ist dieses alte kontaminierte Zeugs dann offenbar doch noch sendefähig, wenn auch mit Anstandswauwau-Vorspann, während sich auf den Berliner Straßen alte Männer Stahlringe um den runzeligen, regenbogenbunt angemalten Penis binden, damit flanieren gehen und der Bundestag ihnen zu Ehren den Reichstag mit Ostertischdecken beflaggt.

Was der WDR hier betreibt, ist die Verächtlichmachung und Entsorgung einer ganzen Generation.

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