Aus dem Debatten­schützengraben

Corona und der Krieg - Eine anschwellende Desorientierung

von Alexander Wallasch (Kommentare: 1)

Schon zehn Minuten später der nächste Konflikt im Hause Wallasch – dieses Mal über den Facebook-Messenger. Ein Gesprächsabbruch, Gott sei Dank dieses Mal ohne Aufkündigung der Freundschaft.© Quelle: © Quelle: Pixabay / Ryan McGuire und PixxlTeufel, Freepik.com / daboost, Bildmontage: Alexander Wallasch

Geht es Ihnen auch so? Debatten werden unübersichtlicher, einfach zu viele lebenswichtige, sich bedrohlich auftürmende Themen, die sich zudem noch überschneiden und ineinander verzahnen, die auf der emotionalen Ebene keine echte Auseinandersetzung mehr zulassen.

Verständlich ist das noch bei jener Mutter, deren 15-Jährige Tochter nach einer mRNA-Impfung verstirbt, ich habe lange mit dieser Mutter gesprochen und darüber berichtet. Versuchen Sie einmal mit dieser Frau das Pro und Contra von mRNA- Impfungen zu diskutieren.

Aber solche Fälle großer emotionaler Anteilnahme meine ich nicht, wenn ich die fehlenden Debatten beklage. Was mich zunehmend irritiert, ist eine Gesprächsverweigerung unter Freunden, eine brüske Empörung, wenn man es nur wagt, anderer Meinung zu sein. Aber auch von meiner Seite fällt viel zu schnell das Handtuch.

Denn wer es etwa wagt, den Einmarsch der Russen in die Ukraine als solchen zu verdammen, muss sich nicht selten einen im Brustton der Empörung vorgetragenen historischen Abriss anhören. Lauthals hingeschmettert von Freunden, die sich zuvor mutmaßlich nicht einen Deut für die Ukraine interessiert haben. Die nicht einmal der Meinung waren, diese Ukraine würde zu Europa gehören.

Die aber nun binnen Tagen zu Welterklärern im Stile eines Peter Scholl-Latour heranreifen. Hört man hier eine Weile zu, könnte man zum Schluss kommen, dass Putin überhaupt keine andere Möglichkeit gehabt hätte, als in die Ukraine einzumarschieren.

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Aber auf der gegenüberliegenden Seite dieses Debattenschützengrabens exakt das gleich Spiel: Nach der Veröffentlichung eines interessanten Interviews mit dem Braunschweiger Stadtrat Robert Glogowski (Grüne), bin ich auf offener Straße als „Ukraine-Nazi“ beschimpft worden. Und am gleichen Tag verabschiedete sich ein Bundestagsabgeordneter der CDU aus meinem Bekanntenkreis mit wüsten Beschimpfungen, dieses Mal war ich der Putinversteher:

Ihre widerliche pharisäerhafte Galle, die Sie nun schon seit Wochen über die Ukrainer ausspucken ist mir zuwider.“

Besagter Robert Glogowski war vor Jahren Mitbegründer des Vereins „Freie Ukraine e.V.“ Glogowski hilft in Braunschweig bei der Aufnahme der ukrainischen Frauen und Kinder. Ein weiterer prominenterer Braunschweiger ist Fritz Knapp, der Gründer des international operierenden Bekleidungsunternehmens New Yorker.

Und über diesen Mit-Braunschweiger stolperte nun der grüne Glogowski, als er erfuhr, dass New Yorker eine Filiale in Russland eröffnet hat. Sein Verein schrieb einen Beschwerdebrief an das Unternehmen, die Braunschweiger Zeitung nahm den Ball auf und Vereinsgründer Glogowski veröffentlichte den Vorgang über die sozialen Medien. Die Zeitung titelte: „New Yorker eröffnet neue Filiale in Moskau – trotz des Angriffskriegs.“

Dass schon alleine New Yorker“ als Name des Unternehmens in Moskau eine subversive Botschaft sein könnte, sei mal dahingestellt. Und dass die Eröffnung schon fast einen Monat zurückliegt, wird auch zur Randnotiz. In eine US-amerikanische “Hall of Shame“ wurde das Unternehmen bereits aufgenommen ebenso wie beispielsweise Metro, Storck und Tchibo. Gab es diese Schamhalle schon zum Irak-Krieg? Eine berechtigte Frage.

Wer zuletzt mitverfolgt hat, wie es „Ritter Sport“ erging - der Schokoladenriese macht mit Russland Schokogeschäfte - der weiß, dass so ein Shitstorm für ein Unternehmen massiv imageschädigend und richtig teuer werden kann. War das die Intention des Beschwerdebriefs? Robert Glogowski möchte zunächst die Antwort des Unternehmens abwarten.

Interessant ist jetzt, wie sein Facebook-Eintrag von seinen FB-Freunden kommentiert wurde. So schrieb ein weiterer Braunschweiger Unternehmer dazu:

„Dieser Kulturboykott, der sich fast reflexhaft überall installiert hat, scheint mir eine völlige Verirrung zu sein. Denn es treibt die Menschen, gerade die kritisch Gesinnten, die Gebildeten, in die falsche Richtung. Nicht jeder, der sich nicht laut gegen einen Krieg positioniert, muss verdächtigt werden, ihm zuzustimmen. Ich glaube, da gehen die moralistischen Nerven mit den westlichen Menschen durch.“ (Philosoph Sloterdijk) - dass hier vielen die Nerven durchgehen, sieht man auch daran, dass man den ukrainischen Befehlshaber in Deutschland, ein sogenannter "Botschafter", kritiklos gewähren lässt.“

Und noch ein Braunschweiger Unternehmer fragte, was denn mit dem Vorredner passiert sei. Der Kommentar wird also postwendend pathologisiert. Aber darüber gerät der Angegriffene erst richtig in Rage und kommentiert weiter:

„Wo waren diese reflexhaften Reaktionen, als die USA im Irak mit Totalsanktionen mehr als 300.000 Kinder haben verrecken lassen. von den unzähligen Wirtschaftskriegen mit unserer Duldung mit Millionen von Toten seit WK II wollen wir hier wohl lieber nicht sprechen, oder?“

Jeder kennt diese Eskalationsspiralen mittlerweile zur Genüge. Zuwanderungskrise, Corona-Pandemie und Weltkriegsangst – die großen Verwerfungen unserer Zeit schieben sich ineinander, alles gerät durcheinander, beginnt sich unheilvoll zu überlappen, die Menschen verlieren die Orientierung. Gespräche, die von einem Meinungsaustausch getragen werden, laufen in unheimlicher Geschwindigkeit - Argumente vorgetragen wie in Stahlgewittern immer wieder abgebrochen von der totalen Erschöpfung der Teilnehmer.

Nur wo Sympathie und Zuneigung tragfähig bleiben, erfährt man etwas über den Grund der Erschöpfung: Körperliche Schmerzen stellen sich ein. Eine Art „Post-Debatten-Schmerz“. Die intensive Art des Austausches scheint dabei mindestens genauso weh zu tun, wie dieses nachhallende Schweigen nach dem Gesprächsabbruch.

Und wie sieht so ein 6. April im Hause des Autors aus? Am Morgen ein Anruf eines Bekannten, der Filme schickt, die er von russischen Nachbarn zugeschickt bekommen hat. Unvorstellbare Grausamkeiten des Krieges. Bilder, die über den gesamten Tag hinweg nachwirken, die sich tief hinein fressen ins Hirn.

Dann eine längere hitzige WhatsApp-Debatte über die Rolle des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach, der befreundete Gesprächspartner mahnt an: „Hmm … glaube echt, du bist da zu sehr im Empörungsmodus.“

Kurzes Nachdenken und die Erwiderung, dass ich das sogar für meine journalistische Pflicht halte. Aber kann oder sollte man Missstände tatsächlich noch journalistisch anprangern, wenn das Adrenalin schon so überschwappt?

Schon zehn Minuten später der nächste Konflikt im Hause Wallasch – dieses Mal über den Facebook-Messenger. Ein Gesprächsabbruch, Gott sei Dank dieses Mal ohne Aufkündigung der Freundschaft. Ein Vorteil haben diese Entfreundungen mittlerweile, es fällt nicht mehr so schwer, die zerbrochene Freundschaft Stunden oder Tage später und am Ende aller Erregungskurve wieder zu kitten.

Mitten hinein in das Chaos der Worte folgt noch ein lange verabredetes Interview und das Gefühl, für das erste lockere freundlichen „Hallo“ erst einmal eine Vollbremsung machen zu müssen, um auf der selben Wellenlänge anzukommen. Aber mit dem nachlassenden Adrenalin kommt auch prompt diese große bleiernde Müdigkeit, der gegenüber man schon ganz wehrlos ist.

Dann noch ein Anruf bei Matthias Matussek, der gute Mann muss doch wissen, wie es sich mit diesen Erregungskurven verhält. Aber Matthias geht einfach nicht ans Telefon. Er wrid schon wissen, warum.

Also wage ich es und versuche Dieter Dehm, dem langjährigen Bundestagsabgeordneten und politischem Urgestein der Linken eine Rezeptur zu entlocken, wie man mit diesem alltäglichen Wahnsinn fertig wird. Dehm ist gerade beim Waldlauf, hält inne, überlegt nur einen Moment lang und empfiehlt:

„Zunächst einmal sollte man nicht weitere Freundschaftsfäden zerreißen. Das kann man später bereuen, wenn man sie in kommenden Krisen oder anderen Mainstream-Abenteuern wieder brauchen könnte. Und im frühen Sommer wird es neue Erkenntnisse zum Kriegsgeschehen geben. Mit allzu rigiden Aburteilungen unter bisherigen Freunden sollte man sich bis dahin zurückhalten und sich die Rückkehr zum Gespräch offenhalten. Das ist im Übrigen auch ein Erfahrungswert aus dem Jugoslawienkrieg und auch aus der ersten Phase des Afghanistankrieges. Das Medientrommeln um diese Kriege hat sehr viele Entzweiungen gebracht, bisweilen vorgetragen unter einem heiligen Eifer. Die Lügenpotenziale sind selbst für gewiefte Leute schwer zu durchschauen.“

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