Die Science-Fiction von gestern ist der reale Horror von heute

Corona war der Booster für viele Dystopien

von Alexander Wallasch (Kommentare: 4)

Google, Facebook und Amazon haben nicht das Monopol über den Informations- und Unterhaltungsmarkt abgeschafft, sondern reißen dieses heute Stück für Stück an sich© Quelle: Youtiue / KinoCheck

Die sozialen Medien zensieren, kontrollieren, manipulieren und verunsichern ihre Nutzer. Die bald zehn Jahre alte literarische Dystopie „The Circle" war hier mit ihrem kritischen Blick ihrer Zeit voraus. Die „Twitter-Files“ von Elon Musk haben jetzt gezeigt, dass Science-Fiction Realität geworden ist.

Bereits 2013 erschien der Science-Roman „The Circle“ des US-amerikanischen Schriftstellers Dave Eggers, 2017 folgte die gleichnamige Hollywood-Verfilmung mit Tom Hanks, „The Circle“ ist aktuell auf Netflix abrufbar.

Der Inhalt ist schnell erzählt: Es geht um eine Dystopie, eine Art Schauergeschichte über Macht und Machtgelüste großer amerikanischer Internetkonzerne. „The Circle“ ist ein Unternehmen, das solche großen Plattformen wie Facebook, Twitter und Co vereint und damit über eine gewaltige Datenmenge verfügt. Daten sind Macht. Der Konzern entwickelt als Überbau eine Ideologie, eine Art Transparenz-Religion, zu der sich öffentlich in großen Events immer mehr Prominente bekennen.

Hinzu kommt die Entwicklung firmeneigener Technologien wie „SeeChange“, tragbare Kameras, die an jedem beliebigen Ort der Welt einfach platziert werden und die in Echtzeit Videos in die Welt senden. Diese Kameras werden auch von immer mehr Menschen der Transparenz-Religion getragen. Das Leben der Menschen ist für jeden Circle-Nutzer jederzeit, in jeder Sekunde transparent.

Jetzt weiß man spätestens seit Beginn der Veröffentlichung der Twitter-Files durch Elon Musk, mittlerweile in 17 Folgen, dass die sozialen Medien tatsächlich massiv in das Leben von Menschen eingegriffen haben, zudem auf politische Weisung bzw. in Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten. Die Dystopie ist demnach wahr geworden, Menschen mit der falschen Meinung wurden ausgeschlossen, diffamiert, schikaniert und denunziert. Oder anders gesagt: die vollkommene Implosion von Datenschutz und Privatsphäre.

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War der Datenschutz – und darum geht es ja letztlich – früher eine starke linksgrüne Domäne, sind es Vertreter ausgerechnet aus dem woken Umfeld, die seit etwa zehn Jahren in Sachen Datenschutz so fundamental versagt haben.

Spiegelkolumnist Sascha Lobo schrieb Mitte 2014 über Eggers „The Circle“ unter der Schlagzeile „Dämonisierte Digitalkonzerne“ folgendes Intro:

„Internetunternehmen wie Google, Apple oder Facebook werden in der Öffentlichkeit oft dämonisiert. Das ist kontraproduktiv. Eine viel differenziertere Kritik wäre nötig.“

Lobo rümpft die Nase darüber, dass „The Circle“ in voller Absicht „die herumwabernde Vermutung“ bediene, hinter den Siegeszügen von Google, Facebook, Apple, Amazon stehe ein „technofaschistoides Menschenbild“. Und der Spiegel-Kolumnist begeisterte sich beim von Bill Gates subventionierten Spiegel unterschwellig für die Möglichkeit solcher Konzerne wie Facebook, die Menschen zum Wählen zu animieren:

„Auf Facebook wurde einer Gruppe von Leuten in einer Grafik sechs Freunde angezeigt, die schon gewählt hatten. Samt der Aufforderung, ebenfalls wählen zu gehen. Laut Untersuchung ließ sich die Wahlbeteiligung so signifikant steigern.“

Ja doch, nach hinten raus grübelte der Autor darüber, ob das nicht auch missbraucht werden könnte.

Aber ernsthaft: Was passiert, wenn jeder alles über jeden weiß, wie sortiert man diese Unmengen an Daten überhaupt für sich selbst und wer zweifelt daran, dass Konzerne diese Datenmacht missbräuchlich verwenden? Dem Film „The Circle“ gelingt es, aufzuzeigen, wie geschickt der Konzern seine Machbestrebungen hinter einer vermeintlich menschenfreundlichen Ideologie versteckt.

Hier muss man Dave Eggers rückschauend Weitblick bescheinigen. Denn bald zehn Jahre nach seiner Veröffentlichung könnte man den Aufkleber „Sience-Fiction“ für seinen Film heute umetikettieren und „The Circle“ unter Gegenwartsliteratur neu sortieren.

Davon inspiriert hat alexander-wallasch.de via Twitter gefragt, wie sich Twitter-User die totale Transparenz für sich selbst vorstellen:

„Stellt Euch bitte kurz mal vor, die gesamte Menschheit würde jede Sekunde Eures Lebens kennen. Was glaubt Ihr, fände man euch sympatisch, neutral oder unsympathisch?“

Ist das Ergebnis eine Überraschung? Jedenfalls war ein knappe Mehrheit (Stand 10:30 Uhr, 6. März) von 38,9 Prozent der Befragten der Auffassung, dass man sie bei vollkommener Transparenz „unsympathisch“ fände. Immerhin noch 33,8 Prozent stimmten für „sympathisch“ und 27,4 Prozent für „neutral“.

Interessant auch die Kommentare zur Twitter-Umfrage. Nutzer „8/12“ beispielsweise schreibt:

„Wenn es mir wichtig wäre, was andere von mir denken, wäre ich heute doppelt geimpft, 2x geboostert, hätte ne blau/gelbe Fahne im Profilbild und würde meinen Grill verschrotten! Aber es ist mir Mumpe!“

Nutzerin „Hausfrauenschokolade“ schaut eher negativ auf das Allwissen über ihre Mitmenschen und kommentiert:

„Im Allgemeinen finde [ich] Personen umso unsympatischer, desto mehr ich sie kenne. Es ist schon gut, dass man sein Gegenüber nicht komplett durchleuchten kann. Man fände Jeden zum kotzen.“

User Frank Mußhoff kommentiert ausführlicher:

„Nur als externer Beobachter ohne Kenntnis des Seelenlebens, der Beweggründe? Denn dann wäre es eine oberflächliche Betrachtung. Zudem dürfte es erhebliche Differenzen in der Interpretation vom Verhalten allein auf Basis der kulturellen Identität und der individuellen Bewertung von Verhaltensmustern kommen. Und eigentlich brauchen wir im richtigen Leben doch nur eine echte Begegnung mit einem Menschen und wir fällen unser Urteil, ob wir einen Menschen sympathisch finden. Dazu braucht es kein Einblick in ein ganzes Leben.“

Der Twitter-Nutzer „Der Nachtragende“ wird seinem Namen gerecht und kommentiert:

„Es wäre mir egal, was sie von mir denken würden. Die Corona-Plandemie hat die wahren Gesichter der Menschen zum Vorschein gebracht. Ich habe gelernt, dass die Meisten es nicht wert sind, dass man sich um sie bemüht.“

„Jürgen Podzkiewitz“ schreibt:

Kann nicht antworten, muß gerade vor dem Rest der Menschheit flüchten, da sie jede Sekunde meines Lebens kennen.“

Demgegenüber blickt Nutzerin „Irene“ eher nüchtern auf die Fragestellung:

„Hm, eher zum schnarchen langweilig. Eine ganz normale ottonormalverbraucherin... Finden die hier...“

Interessant hier vielleicht, dass ein großer Teil der Twitter-User Fantasienamen verwendet, sich also gewissermaßen der Welt mit einer zweiten Identität vorstellt. Viele haben vielleicht sogar noch eine dritte und vierte Identität bei Twitter oder in einer der vielen virtuellen Welten. Und auch diese Welten sind schon wieder so viele Jahre aktiv, dass demnächst die Kinder der Spieler selbst in diesen Welten eintauchen und dort Avatare auftauchen, die im realen Leben schon in zweiten Generation im Digitalen ihre Avatare für sie auf die Reise schicken.

An einer Stelle im Film „The Circle“ heißt es, „Geheimnisse sind Lügen“. Das Online-Portal „Perspektive“ schreibt dazu:

„Doch der Circle-Philosophie geht es um viel mehr: Jeder soll Alles wissen. Geheimnisse sollen vollständig ausgemerzt werden. Alles, was auf der Welt passiert, soll in den Datenspeichern der Firma landen (…) ,Sharing is caring' (,Teilen heißt kümmern') und ,Secrets are lies' (,Geheimnisse sind Lügen').

Die Filmrezension formuliert auch eine bemerkenswerte Kritik der Arbeit von heute, an Unternehmen, die sich zunehmend ideologisieren und politisieren lassen:

Dazu gehört auch die Aufhebung der Trennung zwischen Arbeit und Privatleben unter ausbeuterischen Bedingungen: Die Firma wird zur vermeintlichen Event-Location oder zur pseudo-philosophischen Bewegung, die Beschäftigten werden zu feiernden Jüngern oder ausgebrannten KarrieristInnen (…) – nicht nur im kalifornischen Silicon Valley oder in Seattle bei Amazon gibt es diese ,Kultur' schon heute.“

Und noch ein bemerkenswertes Fazit zog Thomas Stark damals (er ist Autor des Artikels von 2014):

„Google, Facebook und Amazon haben nicht das Monopol über den Informations- und Unterhaltungsmarkt abgeschafft, sondern reißen dieses heute Stück für Stück an sich. Regierungen und staatliche Behörden stehen heute nicht unter der digitalen Kontrolle der Bevölkerung, sondern nutzen die Möglichkeiten des Internets selbst für den Informationskrieg.“

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