Rechtsextremisten an die Front: Der Feind meines Feindes…

„Der Spiegel“ und das Regiment Asow

von Alexander Wallasch

Mariupol 21. April 2022: Die von den russischen Streitkräften eingeschlossenen Soldaten und Zivilisten im gigantischen Stahlwerk der Stadt senden einen verzweifelten Hilferuf in die Welt. Auch deutsche Zeitungen berichten aktuell.© Quelle: © Quelle: Screenshot / YouTube, WELT Nachrichtensender, Freepik.com / yamonstro und MrDm, Bildmontage: Alexander Wallasch

Der Spiegel titelte im November 2017: „Kampf gegen prorussische Separatisten - Deutsche heuern bei rechtsextremem ukrainischem Bataillon an“. Eine Geschichte von Spiegel-Autor Martin Knobbe (kno), die davon erzählte, dass das ukrainische Regiment Asow in Deutschland mit Flyern auf Neonazi-Veranstaltungen um neue Mitglieder warb.

„Offenbar erfolgreich: Immer mehr Söldner schließen sich an, um "Europa vor dem Aussterben" zu bewahren“, schreibt das Magazin weiter.

Der Spiegel erklärte seinen Leser 2017 auch, um was es sich bei diesem Regiment handelt:

„Asow wurde im Frühjahr 2014 von nationalistischen Politikern gegründet und ist dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Der Kommandeur des Regiments, der rechtsextreme Politiker Andrij Bilezkyj, erhielt 2014 vom ukrainischen Innenminister den Rang eines Oberstleutnants.“

Waldimir Putin nutze nun seinerseits die behauptete Existenz ukrainischer Rechtsextremisten als einen zentralen Vorwand für seinen Einmarsch in die Ukraine. Der russische Präsident sprach von einer „Entnazifizierung“. So vorgeschoben und zynisch das sein mag, unter diesem Vorwand einen Krieg am Rande Europas vom Zaun zu brechen, so unbestritten bleibt für den Spiegel die Existenz dieser ukrainischen Rechtsextremisten.

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Hinzu kommt hier, dass dieses Regiment eine zentrale Rolle spielt beim jahrelangen verlustreichen Stellungskrieg gegen die russischen Separatisten im Osten der Ukraine.

Tagesschau.de schrieb einen Tag nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine:

„Das Bild einer 'Nazi-Ukraine' wird vom Kreml seit Jahren aufgebaut.“ Meint Tagesschau damit auch den Artikel im Spiegel, der von den Anwerbeversuchen rechtsextremistischer Ukrainer in Deutschland erzählt?

Ist der Spiegel jetzt für die Tagesschau ein Putin-Propagandablatt?

Tagesschau befragte auch die deutsch-ukrainische Publizistin Marina Weisband, „die aus einer jüdischen Familie stammt“, zum Rechtsextremismus in der Ukraine. Und Weisband erklärte dazu und also auch zum Artikel im Spiegel: „Es handelt es sich dabei schlicht um Propaganda.“

Aber der Spiegel bleibt dabei. Aktuell schildert das Magazin die Einnahme von Mariupol unter dem Themenblock „Russische Invasion“ und titelt folgendermaßen: „Putin sagt Sturm auf Stahlwerk in Mariupol ab – und verordnet Blockade.“

Im Intro des Artikels heißt es:

„Bis zu tausend Zivilisten sollen noch neben dem rechtsextremen Asow-Regiment im Stahlwerk von Mariupol ausharren. Kremlchef Putin will nun das Gelände komplett abriegeln. Den Rest Mariupols erklärt Russland für erobert.“

Besagtes Stahlwerk zählt zu den größten in Europa. Nach der jüngsten Eroberung Mariupols durch russische Verbände verschanzen sich jetzt Soldaten mit Zivilisten in dem ausgeklügelten Bunker- und Tunnelsystem des Stahlwerks.

Das Stahlwerk trägt übrigens denselben Namen wie das Regiment, was zunächst in der Berichterstattung irritiert, aber in beiden Fällen auf die Ortsbezeichnung zurückzuführen sein dürfte, wie Deutschlandfunk Online erklärt:

„Verwurzelt ist das früher als Asow-Bataillon bekannte Regiment in der seit Wochen von der russischen Armee belagerten Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer.“

Als Russland zwei Wochen nach Beginn seines Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar eine Geburtsklinik in Mariupol bombardierte, begründete der Kreml dies damit, so Deutschlandfunk weiter, „dass sich Mitglieder des Asow-Regiments 'und andere Extremisten' in dem Gebäude verschanzt hätten“.

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Inzwischen soll besagtes Regiment mit seinen aktuell 2.000 bis 3.000 Kämpfern ebenso wie andere paramilitärische Verbände auch in die ukrainische Nationalgarde integriert worden sein. Laut Deutschlandfunk befindet es sich aktuell „unter dem Kommando des ukrainischen Innenministeriums“.

Der Historiker Götz Aly weiß zu berichten, dass es in der Ukraine inzwischen vierzig Denkmäler für den ukrainisch-nationalistischen Partisanenführer Stephan Bandera gäbe. Und Aly nimmt für Deutschlandfunk die historische Einordnung vor:

„Nachdem die Deutschen 1941 in der Ukraine einmarschiert seien, sei die Kollaboration dort sehr weit verbreitet gewesen. Die Deutschen hatten laut Aly 200.000 ukrainische Hilfspolizisten, von denen mindestens 40.000 unmittelbar an der Erschießungen jüdischen Menschen teilgenommen haben. Diese Kollaboration habe gen Osten hin immer weiter abgenommen. „In der Ostukraine war sie schon sehr gering, im heutigen Russland hat es sie kaum noch gegeben“, führte Aly aus, „es existierte keine russische Hilfspolizei der deutschen Besatzer. Diesen historischen Hintergrund dürfe man nicht leugnen", mahnt er.

Anfang März klärte der Spiegel bereits in seiner Headline darüber auf, wer in der Hauptsache an der Verteidigung der Stadt Mariupol beteiligt ist:

„Die Hafenstadt Mariupol wird vor allem vom rechtsextremen Asow-Regiment der ukrainischen Nationalgarde verteidigt. Auch aus dem Ausland ziehen Radikale in den Ukrainekrieg – sie kämpfen auf beiden Seiten.“

Wieder die Tagesschau sieht es deutlich differenzierter: Dort nämlich heißt es lediglich: „Die ukrainische Asow-Bewegung hat rechtsextremistische Bezüge.“

Ebenfalls bedeutsam für die emotionale Aufladung dieser Auseinandersetzung dürfte sein, dass Mariupol schon zu Beginn 2014 von russischen Separatisten eingenommen, später aber wieder von der Asow-Truppe befreit wurde.

Alexander Ritzmann von einer linken Berliner Nichtregierungsorganisation kommentierte gegenüber der Tagesschau bezüglich des Rechtsextremismus-Vorwurfs gegen das Asow-Regiment, dass „Schablonendenken in Kriegszeiten hier nicht weiterhelfe. Der Ukraine gehe es seit 2014 vor allem darum, die russische Aggression zurückzudrängen“.

Das hört sich hier so gar nicht nach der Leitlinie des Spiegel an. Bei Ritzmann/Tagesschau klingt es so, als heilige der Zweck die Mittel. Also Rechtsextremisten an die Front für den Sieg gegen die russische Invasion?

Die von den russischen Streitkräften eingeschlossenen Soldaten und Zivilisten in diesem gigantischen Stahlwerk haben jetzt einen verzweifelten Hilferuf in die Welt gesandt. Viele Zeitungen berichten aktuell darüber.

Für das Nachrichtenportal von T-Online fühlt sich dessen Chefredakteur Florian Harms gar aufgefordert, einen Bezug zum Kampf der Wehrmacht in Stalingrad zu finden, wo sich in einem Stahlwerk verschanzte, russische Soldaten unter hohen Verlusten einen verzweifelten und heroischen Kampf gegen Wehrmachtverbände lieferten.

Was Harms da schreibt, mutet leider auf irritierende Weise ahistorisch, ja fast sträflich naiv an. Denn hier werden fast achtzig Jahre nach Kriegsende angreifende russische Soldaten mit der Wehrmacht Hitlers gleichgesetzt und ein eingeschlossenes „rechtsextremistisches“ (Spiegel) ukrainisches Regiment mit den von der Wehrmacht zusammengeschossenen Rotarmisten.

Harms schreibt, als wäre er live mit deutschen Großvätern dabei gewesen oder als ginge es um den Plot für ein Landserheft. Ein Totalausfall, ein journalistisches Desaster:

„Wochenlang dauerte der Nahkampf, manche Gegner lagen keine 50 Meter voneinander entfernt in Schützengräben und Bombentrichtern und feuerten pausenlos aufeinander. Wer keine Munition mehr hatte, ging mit dem Messer auf den Feind los. (…) Verwundete lagen wimmernd zwischen dem Schutt, die Wände der Fabriken sollen blutbespritzt gewesen sein.“

Nachtrag:

Mit dem Spiegel habe ich hier begonnen, mit T-Online soll es enden. Oder noch nicht ganz. Ich will T-Online Chefredakteur Florian Harms noch eine Geschichte mitgeben als Inspiration für seine neudeutschen Kriegserzählungen: Mein Großvater war ein tapferer Mann. Er überlebte den Zweiten Weltkrieg und auch noch die russische Kriegsgefangenschaft. Und vor Charkow wurde ihm in den Allerwertesten geschossen.

Ja, möglicherweise hat er auch vor Mariupol gekämpft. Ich weiß es nicht. Ich erinnere mich aber noch gut daran, wie Opa die Geräusche der Stalinorgeln nachahmen konnte. Ein faszinierendes wie furchtbares Geräusch aus dem Mund meines Großvaters. Und er erzählte auch davon, dass sich die Kameraden reihenweise „eingesch...“ hätten. Dann sei stundenlang gebetet worden.

Aber nicht zu irgendeinem Gott, sondern darum, dass doch endlich die Waffen-SS käme und sie aus dem Schlamassel heraushauen würde. Und diese einhundertzehnprozentigen Nazis kamen und hauten sie heraus. Nein, mein Großvater war kein Nazi, er war ein Deutscher, der den Krieg mit viel Glück überlebt hat. Vielleicht auch, weil die Waffen-SS kam. Aber das wäre Kaffeesatzleserei. Ja, es ist furchtbar kompliziert. Und es ist furchtbar.

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