Ich war gestern Abend mit meinen Jungs im Kino, da ist es mir gleich, was man schaut, wenn es nur nichts Einschläferndes ist. Zunächst hatte ich einen Film über das Leben des Schriftstellers Kafka in einem kleinen Programm-Kino vorgeschlagen.
Aber die Jungs entschieden sich für den neuen Leonardo-di-Caprio-Film im großen Kino-Center. Und wer kann bei DiCaprio „Nein“ sagen, wenn auch Sean Penn eine gewichtige Rolle spielt?
Gemacht, getan, drei Personen vierzig Euro, drei Getränke und ein mittelgroßer Eimer Popcorn noch mal 19 Euro dazu, da geht man schon mit Schaum vor dem Mund auf seinen Platz, der von zu Hause aus bereits vorbestellt war. Das mussten übrigens die Jungs machen, ich hab’s nicht hinbekommen. Aber nochmal: Mit den Jungs zusammen ins Kino sollte keine Kostenfrage sein, richtig?
Ich hatte als Netflix-Zuschauer schon ganz vergessen, wie lang die Werbung vor dem Hauptfilm ist. Bei „One Battle After Another“ von Regisseur Paul Thomas Anderson ist das nicht anders. Dieser Anderson galt Ende der 1990er Jahre als Genie. Sein „Magnolia“ mit Tom Cruise gehört zu den eindringlichsten Hollywood-Produktionen aller Zeiten. Ein düsterer Reigen, ein Film wie eine Vorankündigung auf das, was wenige Jahre später Regisseur Alejandro Iñárritu mit Filmen wie „21 Gramm“ und „Biutiful“ in die Kinos bringen sollte.
Ich bin noch ohne Gleitsichtbrille, habe den Termin beim Optiker immer wieder verschoben. Das bedeutet, dass Kino immer eine Herausforderung ist, denn die Leinwand befindet sich irgendwo zwischen Lese- und Fernbrille. Zum Lesen nutze ich die Rossmann 3,0 Dioptrien für 3,99 Euro und für die Ferne die 1,5 Dioptrien zum selben Preis. Für Kinobesuche hat sich eine 2,0 dazwischen als ideal herausgestellt, aber weil man dabei nie ganz sicher sein kann, nehme ich alle drei mit und die ersten Minuten im Kino-Dunkel werden also zum nervösen Brillenbingo.
Liegt‘s am Alter? Früher war mir nie aufgefallen, dass man die Leinwand auch von einem Mittelplatz aus nie in Gänze erfasst. Die Augen wandern von rechts nach links und wieder zurück. Eben dorthin, wo gerade etwas passiert. Am heimischen Laptop über Netflix gebeugt ist es eine Gesamtschau. Ist es das, was ein Kinoerlebnis so besonders macht oder auch schon Folge des Älterwerdens?
Ich frage die Jungs, aber sie verstehen die Frage nicht einmal, schütteln aber immerhin mitfühlend den Kopf. Ein Paradoxon fällt mir auf: Zwar sollen Ältere zunehmend schlechter hören, aber mir kommt der Sound im Kino deutlich zu laut vor.
Beim Popcorn-Kauf hatte der Student gefragt, ob wir „süß oder salzig“ wollen. Als ich ihn verbesserte, das hieße doch „süß oder sauer“, war ich der Einzige, der darüber lachen musste, die Söhne entschieden sich die „süße“ Variante.
Viel früher gab es immer einen Kurzfilm in der Vorschau, die Gelegenheit für junge Regisseure, sich einem größeren Publikum vorzustellen. Heute ist da nichts als Werbung, aber doppelt so lang inklusive weiterer Filmvorschauen des Großkinos.
Wir sitzen in Kino 2 von gleich einem knappen Dutzend weiterer Kinos. Aber es ist kein großer Saal wie es sie früher gab, etwa als das Remake von King Kong in den 1980ern in die Kinos kam, auf dem Dach des Kinos ein zehn Meter hoher aufblasbarer Gorilla im Wind schaukelte und sich die Kinder in der vorbeifahrenden Straßenbahn die Nasen an der Scheibe plattdrückten.
Der Betreiber des hiesigen Großkinos hatte selbst mal mit einem Programmkino angefangen und dann nach und nach die meisten Kinos der Stadt übernommen, nur um sie letztlich zu schließen und dieses gigantische Großkino zu eröffnen.
Einer der im Vorspann beworbenen Filme wird mir zum Ärgernis, aber noch nicht zum Grund, mir den Kino-Abend zu verderben, es ist ja nach wenigen Minuten vorbei. Und wer öfter YouTube schaut, der ist daran gewöhnt, Werbung über sich ergehen zu lassen.
Der vorgestellte Film heißt „The Change“, ebenfalls eine Hollywood-Produktion – mit Diane Lane, Kyle Chandler – und inhaltlich so etwas wie ein Remake von „Die Welle“. Der Plot geht in etwa so: Der Sohn bringt eine wertekonservative Freundin mit ins Haus, die sich auch als Autorin gegen den linken Mainstream wendet und damit sehr erfolgreich ist. Es ist so durchsichtig, wie schulmeisterlich und fad wie ärgerlich: Der Film macht aus der Kritik am linksfaschistischen Amerika eine Kritik an einem angeblich drohenden rechtsfaschistischen Amerika, das die bekannte Ordnung hinwegfegen und durch reaktionäre Werte ersetzen soll.
Ein klassisches Produkt des Anti-Trump-Hollywood. Ein nicht einmal klug inszenierter Hetzstreifen, vergleichbar im Kleinen mit diesen unsäglichen erzieherischen Tatort-Folgen am Sonntag im regierungsnahen deutschen Zwangsgebührenfernsehen.
Eine Frage bleibt offen: Wie viele Kinobesucher erkennen das gerade ebenfalls? Wo stehen wir aktuell in Sachen Anfälligkeit für Propaganda? Aber ich mag mir den Kinoabend mit den Söhnen nicht versauern und dann folgt auch schon die Eiswerbung, die auch heute noch zuverlässig den nahenden Hauptfilm ankündigt.
Die bereits gedimmten Lichter erlöschen ganz, das Knuspern der Taco-Chips ist für den Moment das bestimmende Geräusch. Etliche Besucher müssen tatsächlich die 11,99 Euro für ein paar warme Chips ausgegeben haben inklusive zweier Dip-Soßen, die selten ganz verbraucht werden. Die Söhne hatten beflissentlich erklärt, sie mögen diese Chips wirklich nicht, als ich sie für beide bestellen wollte, aber es war klar, dass sie mir diese Kosten einer zusätzlichen Kinokarte dann ersparen wollten.
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Jetzt will ich Ihnen endlich vom Hauptfilm erzählen: Zwei Stunden und 50 Minuten, also deutlich Überlänge. Machen wir es kurz, damit es nicht so weh tut. Hollywood bietet hier die direkte Antwort auf das „Antifa“-Verbot von Donald Trump. Gegen diese cineastische Verherrlichung linksextremer Gewalt ist der Baader-Meinhof-Komplex von Stefan Aust, der unter dringendem Tatverdacht stehen soll, eine weitere RAF-Generation hervorgebracht zu haben, ein ernüchterndes Sachbuch.
Denn was Anderson, DiCaprio und Penn hier veranstalten, ist auf besondere Weise politisch perfide und primitiv und eigentlich unerklärlich. Nicht einmal unter dem Eindruck eines Sean Penn, der nach Kiew fuhr und Selenskyj bis zum Endsieg über Putin seinen Oscar als Maskottchen überließ.
Der Plot in wenigen dürren Worten entlang des Wikipedia-Eintrags:
„Der weiße Pat Calhoun und die Afroamerikanerin Perfidia Beverly Hills gehören einer linksextremen Terrorgruppe namens „French 75“ an, die illegale Einwanderer aus Hafteinrichtungen befreit, Anschläge verübt und Banken überfällt. Pat ist der Bombenexperte der Gruppe. Perfidia ist eine toughe Kämpferin, beide sind ein Liebespaar. Während die „French 75“ eine vom Militäroffizier Steven J. Lockjaw geleitete Hafteinrichtung für illegale Migranten überfällt, zwingt ihn Perfidia mit einer vorgehaltenen Waffe zu einer Erektion, um ihn so zu demütigen. Hiernach entwickelt Lockjaw eine Leidenschaft für Perfidia.“
Ja, es ist so schräg, wie es klingt. Und es kann sich nicht entscheiden, was es sein will: ob Actionfilm, Komödie oder sonst ein Genre. In „One Battle After Another“ bekämpfen Linksextreme ein totalitäres Amerika, das ausschließlich von holzschnittartigen Militärs repräsentiert wird, die nur dann über die Linksextremisten triumphieren, wenn diese sich gegenseitig verraten, um ihre Haut zu retten.
Nicht der Mord an einem Wachmann in einer Bank wird zum Wendepunkt dieses Heldenepos für linke Schwerkriminelle mit ihrer totalitären Ideologie, sondern der Verrat der mordenden Hauptdarstellerin an ihrer Gruppe.
Teyana Taylor gibt hier als „Perfidia Beverly Hills“ eine attraktive Lara-Croft-Version, verschwindet dann aber nach dem ersten Drittel des Films. Regisseur Paul Thomas Anderson wuchs selbst bei seinem Vater auf, Leonardo DiCaprio ist der alleinerziehende Vater mit der dunklen Terroristen-Vergangenheit, die sich dann in einem lang dahinziehenden Drama entlädt, bis Vater und Tochter in die aufgehende Sonne fahren, weil die Verfolger erledigt sind.
„One Battle After Another“ endet mit einem Ausblick auf das Leben der Tochter, die jetzt erwartbar zur Linksaktivistin wird, das Böse ist ja noch nicht besiegt, noch nicht alle Konservativen und Ewiggestrigen gedemütigt, beklaut oder erschossen.
Hollywood schafft es, dass dieser handwerklich und erzählerisch schlechteste Film von Paul Thomas Anderson dank der hochkarätigen Besetzung kein Totalreinfall wird. Aber trotz vereinzelt recht eindrucksvoller Kamerafahrten – eine Berg- und Talfahrt auf einem Desert-Highway – fällt es schwer, diese Ahnungslosigkeit und Naivität Hollywoods auszublenden, wo sich „One Battle After Another“ zur Ideologieschule aufschwingt und zu einem Politmachwerk degradiert.
Und dann stehe ich um halb zwölf mit den Jungs wieder auf der Straße. Wir haben Hunger bekommen und beschließen, noch zum Nacht-Rewe zu gehen, für ein Restaurant ist es jetzt zu spät. Essen nach 18 Uhr: Ich weiß zwar, dass ich am kommenden Morgen wieder Bauchschmerzen haben werde, aber ich esse trotzdem weiter.
Ähnlich verhält es sich mit „One Battle After Another“. Natürlich weiß man es vorher. Aber wenn Leonardo DiCaprio und Sean Penn dabei sind, dann denkt man an „The Revenant“ und „Dead Man Walking“ – beide haben sich mit solchen Rollen zu Kino-Giganten, zu Welthelden gemacht. Die Fallhöhe ist gigantisch. Aber jeder ist hier seines Glückes Schmied.
Was schwerer wiegt, ist, was so ein Film weltweit bewirkt, der sich über seine Hollywood-Qualität vor allem dadurch auszeichnet, dass er auf der Meta-Ebene Gewalt gegen politisch Andersdenkende legitimiert, das ist sein eigentliches Anliegen. Und die Botschaft wird ankommen.
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Kommentar von winfried Claus
Eine Erfahrung aus DDR Zeiten: überhitzte Ideologie schlägt in ihr Gegenteil um: Phase 1 - Witze machen, als Abwehrhaltung - Phase 2 - Ignorieren - Phase 3 - Die dialektische Umkehr, das Gegenteil glauben - Phase 4 - Die Propagandaphobie, Hass auf den Verursacher!
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Kommentar von HoNi
Okay, man stelle sich vor, ein Drehbuch, dass die gegenseitige Handlung hat, würde z.B. in Deutschland null Chance auf Finanzierung haben. Jeder, der ein wenig hinter die Kulissen des deutschen Films und deren Förderstrukturen schaut, weiß dass!
Aber selbst wenn, dann gäbe es keine Schauspieler ähäh: innen, die ihre Karriere danach verschrotten könnten, der Stuff gleich mit, keinen Filmverleih, weil Kassengift, kein Kino würde ihn zeigen, da Antifa die Filmtheater brennen lassen würde und es gäbe auch keine Zuschauer, die den Spießrutenlauf ins Kino in Kauf nehmen würde. ( was dann nach der Vorführung mit den Leuten passieren würde, lass ich mal dahingestellt)
Also bleibt man bei den deutschen politisch korrekten Subventionsfilmen, die sich aber kaum eine Sau ansieht.
Dann doch zu Hause lieber NETFLIX und Popcorn und man kann dabei sogar viel Geld sparen!
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Kommentar von Axel Berger
Deshalb lehne ich, als einer der wenigen mit dem Glück ohne Glotze aufgewachsen zu sein, visuelle Medien mit Bewegtbildern konsequent ab. Machen Sie einmal die Probe auf's Exempel und sehen Sie einen Film ohne Ton oder hören Sie den reinen Filmton als Hörspiel. Im ersten Fall verstehen Sie gar nichts, im zweiten alles und vermissen fast nichts. Und vor allem, Sie hören dann erst die extrem zudringliche Filmmusik, die Sie vorher mit Bild bewußt kaum oder gar nicht wahrgenommen hatten, und merken, wie sehr gerade sie die Gefühle und moralische Bewertung dominiert. Das alles geht im Normalfall am Bewußtsein und der kritischen Urteilsfähigkeit vollkommen vorbei und wirkt direkt auf das unbewußte Gefühlsleben. Darin liegt die perfide Macht des Mediums.