Von Krebs und Männerfreundschaften

Die Premiere: Til Schweigers „Das Beste kommt noch!“

von Alexander Wallasch (Kommentare: 2)

Komm, großer schwarzer Vogel!© Quelle: Schweiger/ Constantin

Noch einmal im Leben ein Kamel streicheln und sich dann von einem sterbenden besten Freund verabschieden. Aber einfach nur Flennen war gestern. „Das Beste kommt noch!“ ist zum Heulen schön.

Gregor hat seine Autoschlüssel verbusselt. Als Nächstes findet er die Parkhauskarte nicht. Dann steckt er die Karte in den Automaten, obwohl wir doch gerade erst angekommen sind. Jetzt ist seine Bankkarte weg. Aber die benötigen wir dringend, um unsere Cola und diese sündhaft teuren Astor-Chips gleich mit zwei Soßen zu bezahlen. Gregor hat noch Geld auf seiner Karte, während ich schon wieder chronisch pleite bin.

Später sitzen wir doch noch rechtzeitig im Kino. Ich bin so selten da, dass ich den Anschnallgurt suche, und Gregor hat schon wieder seine Jacke irgendwo liegengelassen, weil wir uns dreimal erneut umsetzen mussten. Wir saßen halt immer genau dort, wo noch jemand hinwollte, weil Gregor dachte, diese Plätze seien doch viel besser als unsere, bis endlich das Licht ausging und wirklich niemand mehr kam.

Gregor ist mein Zwillingsbruder. Gregor hat Krebs. Und Gregor ist Arthur und Felix zugleich. Die beiden wiederum sind die Hauptfiguren in Til Schweigers neuestem Film „Das Beste kommt noch!“, der heute in die Kinos kam.

Schweiger hatte zuletzt mit „Manta Manta 2“ einen Kassenschlager hingelegt, mit dem er viel eher gerechnet hatte als mit diesem medialen Shitstorm-Gewitter, das wenig später über den Filmemacher und Schauspieler hereinbrach, so überraschend wie Schneefall im August auf Mallorca, dem zweiten Wohnsitz von Schweiger.

Und jetzt kommt nach diesen zänkischen Schlagzeilen der Boulevardpresse an einem nasskalten Donnerstagabend im Dezember ein Til-Schweiger-Film ums Eck, der sich gerade in seiner Bescheidenheit als Schweigers bewegendster Film überhaupt entpuppt. Schweiger ist hier ganz bei Schweiger angekommen, kein Ringen mehr, kein Hadern, einfach nur eine große Stille und eine mitreißende Traurigkeit. Eine komische Traurigkeit sogar, aber dazu gleich mehr.

Es geht um Krebs. Es geht um – na klar – eine Männerfreundschaft. Es geht darum, noch einmal im Leben ein Kamel zu streicheln. Und auch darum, sich von einem sterbenden Freund zu verabschieden. Aber einfach nur Flennen war gestern. „Das Beste kommt noch!“ ist zum Heulen schön. So sicher, wie man hier von Szene zu Szene feuchte Augen bekommt, so unerwartet ist es, dass man dabei laut lachen muss.

Aber ohne, dass es ein Ulk wäre! Das Lachen über den Krebs ist bei Schweiger ein großes Auslachen, ein Weglachen! Nur Krebs kann doch jeder. Til Schweiger ist es in „Das Beste kommt noch!“ gelungen, dieses sprachlose Grauen der tödlichen Krankheit in eine liebevolle zarte Verwechslungskomödie einzubetten.

Felix denkt, Arthur hat Krebs, der weiß aber, dass Felix Krebs hat, kann es ihm aber einfach nicht sagen. Und so leidet jeder mit dem anderen und beide vor sich hin. Das alles ist so selbstverständlich inszeniert, als ginge es um eine Erkältung und nicht um den ultimativen Sensenmann, der den besten Freund abholen will.

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Der Österreicher Ludwig Hirsch sang Ende der 1970er „Komm großer schwarzer Vogel“. Und das war wohl damals eines der traurigsten Lieder, welches man sich in der uns bekannten Welt anhören konnte. Und so endet „Das Beste kommt noch!“ fast folgerichtig inmitten eines grandiosen grau verschneiten österreichischem Bergpanoramas, dass einem das Herz beim Hinschauen noch tiefer in die Hose rutschen möchte.

Möchte! Denn da steht schon wieder Til Schweiger hinter einem und fängt einen auf, so wie sich Kinder auf dem Schulhof als Mutprobe rückwärts in die Arme eines Freundes fallen lassen und dabei darauf hoffen, aufgefangen werden.

Haben Sie schon einmal erlebt, wie sich in einem Kino-Saal, nachdem das Licht wieder angeht, die Zuschauer mit triefendnassen Augen gegenseitig anschauen und sich dabei gleichzeitig ins Gesicht lachen? Und das, obwohl der stille Held des Filmes (Til Schweiger als „Felix“) gerade zu Grabe getragen wurde?

Der Titel dieser Rezension hätte auch lauten können: Als Til Schweiger den Krebs besiegte. Als Til Schweiger das Leben annahm, weil es nun mal so ist, wie es ist. Und weil es am Ende ja nur darum gehen kann, die Angst zu besiegen und die Freundschaft, die Liebe und das Abschiednehmen noch einmal neu zu lernen, bevor es ganz zu spät dafür ist.

„Das Beste kommt noch!“, könnte man in seiner Bescheidenheit mit einer japanischen Teezeremonie vergleichen. Wenn da nicht immer kurz vor der Erleuchtung wieder ein Herr Lohse ins Bild springen, eine Palette Senf bestellen und wieder verschwinden würde, als wäre nichts gewesen.

Als das Licht im Kino-Saal noch nicht ganz aus war, weil die Werbung noch lief, spielte Gregor immerzu an seiner Sessellehne herum und fluchte leise vor sich hin. Woher sollte er auch wissen, dass man den Sitz erst dann in die Liegeposition stellen kann, wenn alles stockdunkel ist und der Hauptfilm beginnt.

Und als es dann endlich so weit war, vergaß der Zwillingsbruder, dass diese Tacoschips mit den zwei Soßen noch auf der Lehne standen und schon lief ihm die hellere Senfsoße über die Adidas-Jacke. Oder nein, hier habe ich die Rollen vertauscht, denn das Malheur ist mir selbst passiert und Gregor zischte mir nur zu: „Du Idiot!“ Und dann prusteten wir beide los, als wären wir wieder sechs Jahre alt und das Fernsehen liefe noch in Schwarzweiß.

Gregor hatte seinen Kinosessel doch nicht in die Liegeposition gekippt. Er meinte flüsternd, es drücke dann nicht so auf sein faustgroßes Krebsgeschwür, das ihm auf dem unteren Rücken aus den Rippen wächst und das in den nächsten Wochen zehnmal bestrahlt werden soll.

In einem Film von Fatih Akin gibt es diese berührende Szene: Hanna Schygulla spielt die Mutter einer verstorbenen Tochter, die sich mit jemandem in einer alten Hotellobby trifft, der sie sofort zielsicher anspricht, obwohl sich die beiden nie zuvor gesehen hatten. Die von Schygulla gespielte Figur fragt verwundert, wie er sie denn erkannt habe. Und der Mann antwortet: „Sie sind der traurigste Mensch in diesem Raum.“

Als der Bruder 2016 die Krebsnachricht bekam und ich ihn verstört auf dieser Odyssee durch die Wartezimmer Deutschlands begleitete, war Gregor der fröhlichste Mensch in diesen Elendsstuben. Gregor hat Krebs. Aber er wusste es in jeder Sekunde ganz genau: „Das Beste kommt noch!“

Und jetzt küssen wir deine Augen, Til Schweiger, denn unsere sind gerade ganz nass geworden. Wir haben geweint. Wir haben gelacht. Und jetzt findet Gregor den Autoschlüssel nicht mehr und wir kriechen einfach gemeinsam noch ein Weilchen zwischen den Kinosesseln hin und her.

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