2021 erreichte Penny mit einem Weihnachts-Clip Millionen – Der Discounter wiederholt 2022 diesen Überraschungserfolg

Ein Discounter denkt quer: Neuer Penny-Weihnachtsfilm „Der Riss“

von Alexander Wallasch (Kommentare: 3)

„Der Riss“ erreicht die Menschen, er regt zum Nachdenken an. Wenn so etwas ein Discounter für billiges Klopapier und andere Artikel des täglichen Bedarfs schafft, dann ist das deutlich mehr, als man an der Stelle erwarten durfte.© Quelle: penny.de, Montage Alexander Wallasch

„Lass reden“ ist die Botschaft des Discounters Penny, dort, wo man allenfalls mal an der Kasse einen Schnack mit der Kassiererin macht um die Frage: „Haben Sie Payback, nehmen Sie die Treuepunkte?“

Was der Lebensmittel-Discounter Penny da macht, das hat schon etwas avantgardistisch Subversives, das muss man sich erst einmal trauen.

Gefühlt vollkommen unpassend zum orange-rot-spießigen Wohlfühlkosmos zwischen Geschirrspültabs und Aufbackbrötchen nutzt eine Werbeagentur die Etats des Unternehmens für Werbefilme, die so ausschauen, als hätte Michael Ballweg von seiner Zelle in Stammheim aus Regieassistenz gemacht.

Schon zum zweiten Mal übrigens: Zuletzt in der Vorweihnachtszeit 2021 mit einem Video, das recht unverblümt zum Ausbrechen aus der Corona-Maßnahmenfalle aufrief. Damals schrieb ich möglicherweise mit einem Maß zu viel an Begeisterung:

„Verdammt noch einmal, wenn es viele nicht längst täten, weil es der Discounter ums Eck ist, müsste man es spätestens jetzt jedem eindringlich empfehlen: Belohnt den Discounter Penny für ein Weihnachtsvideo, das besser als jeder kritische und aufgeregte Artikel zeigen kann, was in diesem Land heute los ist.“

Der knapp vier Minuten lange Clip „Der Wunsch/ Penny Weihnachtswunder“ um den es damals ging, hat heute sagenhafte 17 MiIlionen Klicks, da müssen sich Netto, Lidl und Aldi schon etwas einfallen lassen, hier auch nur ansatzweise mitgehen zu können.

Rückblickend kann man sagen, den Werbefilmemachern ist es zum Jahresabschluss 2021 mit einer Dialogszene zwischen Mutter und Sohn gelungen, die Menschen zu Tränen zu rühren.

Die besondere Leistung hier: Emotionen zu erzeugen ist in der Debatte um Corona nicht schwer, die Wut ist schnell da. Aber Wut auszuschalten und Mitgefühl über Gräben hinweg zu generieren und das aus dem Hause eines eigentlich drögen Discounters ist schon ein echtes Glanzstück.

Die Agentur heißt übrigens ServicePlan und ihren Weihnachtsfilm „Der Wunsch“ haben die Münchner Fachleute der „Leitagentur Serviceplan Campaign“ hier erklärend beschrieben.

Und es gibt eine Fortsetzung: Das gerade veröffentlichte neue Vorweihnachtszeitstück heißt „Der Riss“. Der Vierminüter konnte schon nach drei Tagen 1,5 Millionen Klicks generieren. Von so viel Traffic träumen selbst noch bereits bekannte Musiker.

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Beide Clips sind Imagefilme, es werden keine Produkte vorgestellt, keine direkten Kaufanreize gesetzt. Wer einmal wöchentlich einen aktuellen Prospekt von Penny erhält, der weiß um den besonders hohen Wiedererkennungswert unter den Discountern.

Pennys Corporate Design, wie es die Werber nennen, ist mit seiner warmen Farbgebung gelb/orange/rot das gefühlte Gegenstück zu Aldi, dessen Farben eher für Sanitärartikel zu stehen scheinen – die es in beiden Discounter-Sortimenten gibt –, während Pennys Farbwelten emotionaler wirken, näher am warmen goldgelb gebackenen Brötchen aus Pennys Frühstückswelt.

Horizont, so etwas wie das Fachmagazin der Werber, berichtete über den neuesten Penny-Clip unter folgender Schlagzeile: „Penny setzt ein berührendes Zeichen gegen die zunehmende Spaltung der Gesellschaft“.

Mit „Der Riss“ ist Penny in diesem Jahr noch weiter aus der Deckung gekommen als im Vorjahr. War „Der Wunsch“ noch subtil, quasi ein Raunen, ist „Der Riss“ demgegenüber geradezu ein Politikum, ein gewollter, gewünschter gesellschaftspolitischer Anstoß. Und wir sind – nicht vergessen – immer noch bei(m) Penny.

ServicePlan stellt den neusten Clip so vor:

„Lass reden: Der neue Film zu Weihnachten von PENNY und Serviceplan ist ein eindringliches Plädoyer gegen die Spaltung der Gesellschaft.“

Die Zusammenfassung des Inhalts bietet die Agentur selbst an und besser hätte man es auch kaum aufschreiben können:

„‚Können wir reden?‘, fragt ein Junge seine Nachbarin, die er noch wenige Minuten zuvor wutentbrannt angeschrien hat, in den letzten Sekunden des neuen PENNY Weihnachtsfilms. Eine Frage, die wir einander in den vergangenen Jahren immer seltener gestellt haben – und es viel öfter sollten. Krieg, Corona, Klimakrise und vieles andere beherrschten die Diskussionen der vergangenen Jahre. Die Gesellschaft ist gespaltener denn je. Dabei sollte doch gerade Weihnachten die Zeit sein, um wieder näher zusammenzurücken. (…)

Der Film zeigt in starken Bildern die Risse, die sich durch unsere Gesellschaft ziehen: Generationskonflikte, Rassismus, Putin-Anhänger(…) gegen Kriegsgegner(…), Auto gegen Fahrrad, Corona-Vorsicht gegenüber Pandemie-Müdigkeit. Das alles zeigt der Spot innerhalb eines gewöhnlichen Wohnblocks, der zunehmend und wortwörtlich auseinandergerissen wird. Im Hintergrund spielt leise Stille Nacht, doch alles weihnachtliche Verständnis füreinander scheint zu fehlen. Bis zum entscheidenden Einlenken: Lass reden.“

Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging, mir ziehen sich schon beim Lesen die Nervenbahnen emotional zusammen. Die bedrückende Erkenntnis daraus: Ein Discounter macht der Politik und den Medien vor, wie es vielleicht gehen muss.

Über diesen Clip ermahnt Penny-Markt diese Institutionen im Subtext: Hört endlich auf, die Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Macht endlich wieder eure Arbeit, beendet die Hetze.

Die deutlich schwierigere Aufgabe wird sicher sein, sich mit der Politik und den Medien zu versöhnen. Mit den Herren der Spaltung.

Auf der gesellschaftlichen Ebene hat „Der Riss“ das Kunststück vollbracht, keiner Seite in irgendeiner Weise den Fehdehandschuh hinzuwerfen.

Hier geht es auch nicht um Politik und Medien. Den aufeinandergehetzten Menschen wird der Spiegel vorgehalten. Man ist fast schon geneigt zu vergessen: Penny rettet nicht die Welt, Penny will Umsatz machen. Auch mit diesem Imagefilm, der ganz ohne Produktwerbung auskommt.

Der Abbinder im Film geht dann so:

„Wir alle können etwas gegen die Risse in unserer Gesellschaft tun: Wir können aufeinander zu gehen. Penny.de/lass reden“.

Auf der Seite von Penny fragt das Unternehmen seine Kunden:

„Auf wen geht ihr zu? Dieses Jahr wünschen wir uns, dass wir alle einander mehr Verständnis schenken. Natürlich ist jede Meinung wichtig, aber es ist auch wichtig, andere Meinungen zuzulassen.“

Aber der Discounter belässt es nicht dabei und bietet „10 Tipps für bessere Diskussionen“ an. Die klingen zunächst banal, sind aber zweifellos richtig, wenn es da unter Punkt 1 heißt: „Versucht, zu verstehen“ und unter Punkt 10 endet mit „Versetzt Euch in die Lage des anderen.“

Interessant ist abschließend vielleicht noch ein weiteres Angebot der Penny-Seite zum Spot: Nahegelegt wird dem Leser ein Link zu einer „Initiative offene Gesellschaft e.V.“, dort soll es mehr Informationen geben.

Hat die Penny Agentur ServicePlan hier gleich einmal vorgemacht, wie es geht, wieder aufeinander zuzugehen? Denn im Vorstand des empfohlenen Vereins sitzt Stefan Wegner. Er ist Geschäftsführer von Scholz & Friends. Und ausgerechnet diese Werbeagentur hatte ServicePlan 2020 in einem Pitch den fetten Werbeetat für die AOK abgenommen. ServicePlan hätte also theoretisch ein paar Gründe, richtig böse zu sein.

Jetzt könnte man hier noch ein Fass aufmachen über Scholz & Friends. Diese Agentur verantwortet nämlich die Werbefilme sowohl aus der Hexenküche von Karl Lauterbachs Gesundheitsministerium wie auch jene von Minister Habecks Laienspieltruppe. Kampagnen, welche die Spaltung der Gesellschaft zweifellos massiv vorantreiben. Vielleicht wäre ServicePlan mit seiner Penny-Referenz hier zukünftig sogar die bessere Wahl?

Die Vorstandstätigkeit von Wegner ist demnach kalkulierter Teil der Bewerbung bei den Ministerien und somit potenziell unglaubwürdig. Auch hier wurden Grenzen überschritten, die es zurückzubauen gilt.

Scholz & Friends sind mittlerweile eindeutig Teil des Problems, das im Penny-Weihnachtsfilm 2022 thematisiert wird. Also gilt auch für ServicePlan: Die Regisseure der Spaltung können nicht Teil der Lösung sein.

Oder ist das der eigentliche Hintergrund? Die Agenturen wissen um ihren Anteil, den sie im Hintergrund zur Spaltung beigetragen haben, und haben Penny jetzt quasi eine Abbitte auch in eigener Sache untergeschoben?

Wie auch immer. „Der Riss“ erreicht die Menschen, er regt zum Nachdenken an. Wenn so etwas ein Discounter für billiges Klopapier und andere Artikel des täglichen Bedarfs schafft, dann ist das deutlich mehr, als man an der Stelle erwarten durfte.

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