Frau Weidel nimmt sich die Zeit, Ralf Schuler noch ein paar Literaturtipps mit auf den Weg zu geben

Kapitulation im 45-Minuten-Porträt: Ralf Schuler wehrlos gegen Alice Weidel

von Alexander Wallasch (Kommentare: 16)

AfD-Chefin beim CDU-nahen Nius-Portal© Quelle: nius.de / Ralf Schuler, Screenshot

Gestern hatten wir noch bei Nius.de die Nase gerümpft und das Portal als CDU-Geigenkasten erkannt. Heute hat Nius-Mitarbeiter Ralf Schuler AfD-Chefin Alice Weidel zu Gast. Und er beginnt wie bei den Öffentlich-Rechtlichen mit Diffamierungen. Aber dann ...

„Jetzt sitzen Sie einer Partei vor, die aktuell die zweitstärkste Partei in den Umfragen ist, und wenn man sich umguckt, muss man schon sagen, haben Sie ein kleines Nazi-Problem. Ob klein oder groß, das ist halt so die Frage, ich will nicht wieder mit ,Vogelschiss' von Herrn Gauland anfangen ...“

„Haben Sie eine höhere Nazi-Dichte als andere, ist das für Sie normal?“

„Muss man jemanden wie Höcke, der offen mit Nazi-Vokabular spielt, nur wegen seiner Beliebtheit unterstützen?“

Soweit vorab und dem CDU-Hintergrund des Portals Nius.de geschuldet der typische Framing-Block der Mainstream-Medien im Schuler-Interview mit Alice Weidel. Aber dann geht’s mit echten Fragen weiter:

„Was würden Sie tun, um die Migration zu stoppen?“

Alice Weidel antwortet Ralf Schuler ausführlich, sie spricht von Grenzkontrollen und Abschiebungen. Hier merkt man rasch, wo Schuler zwischen 2015 und 2021 gearbeitet hat. Damals, als echte Kritik gegen eine millionenfache illegale Massenzuwanderung, hausgemacht von der Merkel-Bundesregierung, allenfalls als Alibi-Veranstaltung bei Springer geduldet wurde.

Nachfrage von Schuler: Die jetzige Regierung wolle doch die Rückführungsabkommen jetzt auch anpacken. Die AfD hätte doch „nur früher damit angefangen. Oder gibt es fundamentale Unterschiede?“

Das ist unfreiwillig komisch, bedenkt man, weshalb die Ampel acht Jahre nach Beginn der Massenzuwanderung und wenige Wochen nach den AfD-Erfolgen bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen damit begonnen hat, bestimmte Migrationsthemen kritischer zu beleuchten.

Frau Weidel erwidert, dass, was die Ampel hier gerade mache, reine Ankündigungspolitik sei und zudem eine schwere Wählertäuschung:

„Das Asylbeschleunigungsgesetz, was soll das letztendlich heißen? Asylverfahren werden beschleunigt, indem wichtige Sicherheitsüberprüfungen jetzt unterlassen werden?“

Kurz sieht man Ralf Schuler in der Totalen immer wieder auf sein Fragentablett schauen, aber da hat die Asyldebatte der letzten zehn Jahre keinen Platz. Bzw. technisch auf dem Tablett schon, aber dann müsste Schuler sich gründlich einarbeiten. Alice Weidel kann jedes einzelne Versäumnis der Bundesregierungen und jede Forcierung der illegalen Massenzuwanderung wie im Schlaf herunterbeten, da wird dem Nius-Autor schnell schwindelig.

Schuler liest eine weitere Frage ab: „Wollen Sie Grenzzäune rund um Deutschland oder bleibt alles wie es ist?“ Bald ein Wunder, dass er hier nicht an die EX-AfD-Chefin Frauke Petry erinnert, die einmal gewagt hatte zu erwähnen, dass zu einem Grenzregime nun mal im Extremfalle auch der Schusswaffengebrauch gehöre.

Weidel antwortet ihm, dass ein Staat, der seine Grenzen schützen will, das auch tun könne. Nachfrage von Schuler: „Wie konkret würde das aussehen? Mit Stacheldraht?“ Ja, warum eigentlich nicht, möchte man dazwischengehen? Alice Weidel erinnert ihn stattdessen daran, dass solche Fragen die Bundespolizei beantworten kann, das wäre deren originäre Aufgabe.

Alice Weidel gibt Schuler einen Schnellkurs in Grenzsicherung, klärt darüber auf, was Schengen bedeutet, etwa, dass offene Grenzen nur dann funktionieren, wenn auch die EU-Außengrenzen geschützt sind. Die AfD-Chefin zur EU:

„Die Menschen wollen so ein undemokratisches, ineffizientes, ineffektives Konstrukt überhaupt gar nicht mehr haben wie die Europäische Union, ein Komplettversagen auf allen politischen Feldern.“

Mal eine interessante Frage von Ralf Schuler, der wissen will, ob das alles überhaupt noch Sinn macht, ob nicht ein Kipppunkt schon überschritten sei in der Frage der Einhegung des Migrationsproblems. Wer allerdings in den vergangenen acht Jahren an der Migrationsdebatte aktiv teilgenommen hat, der weiß um die Entwicklung bis zu diesen Kipppunkten und darüber hinaus.

Frau Weidel nimmt sich die Zeit, Ralf Schuler noch ein paar Literaturtipps in Sachen Migration für das nächste Interview mit auf den Weg zu geben.

Weiterlesen nach der Werbung >>>

Ihre Unterstützung zählt

Mit PayPal

Aber hier wollen wir Schuler gegenüber auch nicht ungerecht werden. Es gibt theoretisch auch die journalistische Interviewtaktik, sich absichtlich naiv zu stellen, um das Gegenüber aus der Reserve zu locken. Mal sehen, wie es weitergeht, das erste Drittel des Interviews bei Nius.de ist an der Stelle Vergangenheit. Alice Weidel erinnert an Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ und dass dessen düstere Prognosen von der Gegenwart noch bei weitem übertroffen wurden. Aber einen überschrittenen Kipppunkt sieht Weidel nicht, hier verbreitet sie Optimismus, wenn die AfD schnell in Regierungsverantwortung käme, sei eine Schubumkehr noch möglich.

Auf die Frage von Schuler, ob die AfD die absolute Mehrheit anstrebe, macht Alice Weidel der CDU ein Koalitionsangebot. Und auch hier ist sie zuversichtlich: Die Verweigerung eines Mitte-Rechts-Bündnisses durch die CDU sei spätestens nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland im kommenden Jahr Geschichte. Alice Weidel macht allerdings eine Einschränkung: Friedrich Merz sei wohl nicht der richtige Mann für so eine Koalition der Willigen (Alice Weidel sagt nicht „Willigen“, aber es passt hier so schön).

Weidel bescheinigt Merz eine absehbare Halbwertzeit in der CDU und sie sieht eine durch die Brandmauerdiskussion entstandene strategische Sackgasse der Union, in die diese sich selbst manövriert hätte und welche die Union auf linke Politik mit der SPD, den Grünen und der FDP reduziert hätte. Interessante Kritik von Weidel an Wagenknecht, letztere sei der linken Bewegung „komplett in den Rücken gefallen“. Damit müsse sich Wagenknecht jetzt abfinden, dass ihr hier Illoyalität vorgeworfen werde. Wagenknechts Ambitionen erledigen sich „sehr schnell“, wenn klar werde, dass sie das regierungskritische Lager spalte.

Schuler kann sich schlecht trennen von der Idee eines Duos Wagenknecht/Weidel und spielt Wagenknecht ein, die etwas über Weidel sagt, das Schuler unbedingt als was Nettes sehen will.

Zwischenbemerkung: Spannend zu beobachten, mit welchen Argumentationspraktiken Alice Weidel arbeitet,. Sie verzögert ihre Antworten mitunter um ein paar Sekunden. Sie wartet mit ihrer Antwort länger, als von Schuler eigentlich erwartet und erzeugt so im empathisch veranlagten Gegenüber ein Unbehagen, vielleicht eine übergriffige Frage gestellt zu haben. Es könnte natürlich auch daran liegen, dass Alice Weidel in den letzten Jahren zu viele solcher übergriffigen Fragen gestellt wurden, dass hier eine Art vorsichtiges Vorlauern hinter einer professionalisierten Schlagfertigkeit schon in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Und wenn wir schon in der Küchenpsychologie sind: Frau Weidel hat jederzeit diesen Tonfall abrufbar, der in etwa deutlich macht: Ich kann diesen immer selben Mist schon nicht mehr hören. Dann lächelt sie wieder und schlägt die Tür doch nicht ganz zu. Ja, das hat auch etwas mütterlich Strenges. Sie mag es verzeihen: Auch Angela Merkel beherrschte diese Technik recht gut.

Von Schuler angesprochen auf Bilder der Kalifat-Demonstrationen und was das in ihr auslöse, antwortet Weidel fast staatsmännisch knapp: „Große Ernüchterung, so etwas darf eigentlich nicht sein.“

Tragisch-komische Zwischenbemerkung von Schuler: Frau Weidel hätte einmal von „Kopftuchmädchen und Messermännern“ gesprochen. Grüne und Linke werfen ihr deshalb vor, damit vor allem Muslime zu meinen. Aber wen könnte man mit Kopftuchmädchen meinen, wenn nicht Muslime? Schulers Großmutter bei der Feldarbeit vielleicht?

Alice Weidel gibt bei Schuler auch seltene Einblicke in private Ereignisse. Sie erzählt davon, dass sie selbst als Teenager Belästigungen in Schwimmbädern durch muslimisch geprägte junge Männer erleben musste, heute passiere das massenhaft in Deutschland. Etwa ab der Hälfte des dreiviertelstündigen Interviews wirkt es fast, als könne Ralf Schuler eine innere Nähe zu Weidels Sicht auf Deutschland kaum verbergen. Hatte er zu Beginn noch pflichtschuldig den Nazijäger für CDU-Nius gegeben, hebt er im Verlauf des Gesprächs öfter seinen Zwangsvorhang hoch. Tragisch eigentlich, denn Schuler kann ja, wenn er nur dürfte.

Selten ist Alice Weidel bisher auch persönlich so weit nach vorn gegangen. Ein dichter und glaubwürdiger Moment eines im negativen Sinne erwartbar begonnenen Nius-Interviews:

„Auch mir als lesbische Frau, als eine homosexuelle Frau, ich habe doch keine Lust, dann später von einer muslimischen Mehrheitsgesellschaft nach einem Scharia-Gesetz vom Dach gestürzt zu werden mit einem Sack über dem Kopf.“

Angesprochen darauf, ob alle Muslime an der Grenze zurückgewiesen werden sollen, antwortet Frau Weidel:

„Jeder ist herzlich willkommen, der sich positiv in diese Gesellschaft einbringt, aber hier nicht in das Sozialsystem einwandert und als umgekehrte Kopfsteuer interpretiert.“

Zum Terrorangriff auf Israel und die militärische Reaktion Israels gegen Gaza:

„Jede Partei muss dort deeskalierend einwirken, weil ansonsten ein Flächenbrand droht.“

Darüber hinaus moderiert Weidel für Schuler aus dem Stehgreif den Israel-Palästina-Konflikt auch historisch und auf eine Weise, wie man es von einer deutschen Außenministerin erwarten darf, aber nicht geliefert bekommt.

Noch etwas fällt auf nach diesen 45 Minuten Alice Weidel im Gespräch. Die AfD-Chefin wird oft als kühl, offensiv und berechnend beschrieben. Aber im Gespräch mit Schuler wird deutlich, dass Alice Weidel zu jenen Menschen gehört, denen man ihre Stimmungslagen und Emotionen auch mal am Gesicht ablesen kann. So etwas weckt Sympathien, aber es bedeutet eben auch, dass, wer so veranlagt ist, im Leben schnell lernen musste, Schutzmauern aufzubauen.

Ralf Schuler will wissen: "Halten sie den Überfall Russlands auf die Ukraine für ein Kriegsverbrechen?“

Antwort Alice Weidel: „Nein, halte ich nicht für ein Kriegsverbrechen.“

Die Haltung der AfD-Chefin ist da am deutlichsten, wo es Schuler vielleicht am wenigsten erwartet hatte. Zu Beginn ist Schuler Nazijäger und mit Fortdauer des Interviews wird er staunender Zuhörer. Konzentrieren sich viele auf die tagespolitischen Aussagen von Alice Weidel, kann sie hier mit historischem Wissen punkten. Ralf Schuler ist überfordert und bekommt mit Autor „Benjamin Abelow“ gleich den nächsten Literaturtipp von Frau Weidel serviert. Schuler geht da schnell zum nächsten Thema über.

Aber man sollte auch gegenüber Ralf Schuler fair sein. Wenn man sein fünf Minuten langes Diffamierungsprozedere zu Beginn einmal beiseite legt, dann hat er seinen Zuschauern hier ein Porträt von Alice Weidel, erzählt von Alice Weidel, geboten, das so bisher noch nicht zu sehen war.

Oder anders ausgedrückt: Man muss sich gar nicht fragen, ob Alice Weidel bei Nius.de eine Bühne bekommen hat, sie hat sie sich einfach genommen und Ralf Schuler hat es zugelassen oder er war nicht wehrhaft genug. Seine CDU-Finanziers müssen dabei 45 Minuten lang in ihre vergoldeten Trinkbecher gebissen haben.

Ihre Unterstützung zählt

Mit PayPal

Einen Kommentar schreiben

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen. Aufgrund von zunehmendem SPAM ist eine Anmeldung erforderlich. Wir bitten dies zu entschuldigen.

Kommentare