Die Renaissance des Klassenfeindes

Mit Corona-Maßnahmen-Kritikern wird nicht diskutiert

von Alexander Wallasch (Kommentare: 1)

Die ZEIT beginnt das neue Jahr gleich mal mit einer Kampfansage gegen einen imaginären Klassenfeind – Journalismus zum Thema Corona-Maßnahmen im Angriffsmodus gegen den Andersdenkenden.© Quelle: © Foto: Pixabay / Gundula Vogel

Zeit Online Redakteur Christian Vooren teilte am Silvesternachmittag einen Artikel mit den Worten: „Ich habe zum Jahresende versucht, was halbwegs Versöhnliches zu schreiben.“

Aber mit wem hat der einst beim Tagesspiegel im Volontariat gestartete Vooren hier einen Beef, mit wem will er sich versöhnen?

Tatsächlich bewältigt Vooren gerade seine Probleme mit Andersdenkenden und hat sich zum Jahreswechsel ein Herz genommen: „Es ist okay, nicht mehr diskutieren zu wollen.“

Bevor wir zum Inhalt kommen, hier noch ein paar Worte zum Autor selbst. Zeit Online hat das ganz schön gemacht samt Autorenprofil:

Die Renaissance des Klassenfeindes
© Screenshot: ZEIT ONLINE

Inmitten von viel Weißraum steht da unser Autor im blütenweißen T-Shirt. Dabei blickt er den Betrachter an, als hätte er sich wirklich gerade erleichtert in der bahnbrechenden Erkenntnis: „Es ist okay, nicht mehr diskutieren zu wollen.“ Da ist ein Unmutsknoten geplatzt bei Vooren.

Voorens Artikel wurde mit zwei bissigen Stuten bebildert und mit der Bildunterschrift versehen: „Wer lauter schreit, hat deshalb noch nicht immer recht.“

Während der Online-Lektüre seines Artikels muss der Leser immer mal wieder ein Werbebanner wegklicken: „Die Zeit vier Wochen im Abo statt 22,40 Euro für einen Euro.“ Voorens Artikel wurde also für den Ein-Euro-Laden der Zeit geschrieben und jetzt ahnt man auch, wie es die Zeitung schafft, gegen jeden Trend ihre Abonnementzahlen zu halten.

Der Autor behauptet eingangs, Omikron lasse ein düsteres Frühjahr erwarten und es gebe zuverlässige Impfstoffe.

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Aber für Vooren gibt es nicht nur tolle Impfstoffe, sondern auch weniger tolle „selbst ernannte Querdenker“, die „weiter auf die Straße gehen, krude Geschichten und Lügen verbreiten, die sie im Internet aufgeschnappt haben, und an ihrer Seite werden immer häufiger Rechtsextreme stehen.“

Der Zeit-Online Autor hat zudem eine Beobachtung gemacht:

„Die Querdenker werden weniger, das kann man jetzt schon beobachten. Der Teil, der übrig bleibt, wird allerdings wohl in Teilen radikaler und gefährlicher.“

Tatsächlich war es der Regierung unter Merkel unter tatkräftiger Hilfe der Altmedien gelungen, die in wenigen Monaten gigantisch angewachsene Querdenken-Bewegung von Michael Ballweg so zu diffamieren, dass die Zahl der Demonstrationsteilnehmer deutlich zurückging – eine Erwähnung der Querdenker im Verfassungsschutzbericht sorgte für weitere Irritationen.

Was Vooren hier allerdings übersieht: Über die Spaziergänger-Bewegung ist die Opposition gegen die Corona-Maßnahmenpolitik längst wieder auf der Straße und es werden Montag für Montag mehr Menschen, die sich trauen. Die Mitte der Gesellschaft lässt sich von Politik und Medien längst nicht mehr rechtsradikalisieren.

Christian Vooren möchte etwas Besonderes sein, dabei ist er der typische Vertreter dieser Generation Hafermilch/Mark Foster. Selbst Voorens Artikelüberschrift wirkt, wie bei Foster geklaut. Heißt es bei ihm „Es ist okay, nicht mehr diskutieren zu wollen“, singt Foster:

„Erst hast du dich verrannt und dann verkeilt. Trägst es rum und fühlst dich ganz allein. Warum machst du dich so klein, frisst das alles in dich rein. (…) Bist du okay?“

Mark Forster, Sänger

Aber Vooren will nichts mehr in sich hineinfressen:

„Um daran nicht völlig zu verzweifeln und um im Jahr drei der Pandemie nicht die letzten Energiereserven noch für Diskussionen darüber zu verschwenden (…) gibt es hier ein paar Tipps fürs neue Jahr.“

Tipps im Umgang mit bösen Querdenkern will er geben. Neu ist die Idee allerdings nicht, keine geringere als die Bundesregierung hat es Vooren vorgemacht.

„Es ist okay, nicht zu diskutieren“, meint Christian Vooren:

„Auch wenn vom Rande der Gesellschaft gern behauptet wird, man dürfe nichts mehr sagen: Das meiste sagen sie ja doch ungestraft. Doch es gibt kein Anrecht darauf, dass ihnen geantwortet wird, und schon gar keines auf Zustimmung.“

„Das meiste sagen sie ja doch ungestraft“ - das klingt so enttäuscht, wie der Verzicht auf die öffentliche Auspeitschung oder wie die verpasste Kulturrevolution von deutschem Boden ausgehend.

Vooren weiß, wann man ein Gespräch mit Andersdenkenden beenden darf. Dann nämlich, „wenn der Onkel am Kaffeetisch oder die Freundin aus dem Sportstudio mit wissenschaftsleugnenden, demokratiefeindlichen Ideologien kommen.“

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Viel erstaunlicher ist hier doch aber, dass der Zeit-Online-Autor selbstbewusst annimmt, dass Kritiker von Corona-Maßnahmen noch Lust haben, mit ihm zu diskutieren.

Vooren bedauert es, dass man den Kontakt zur Schwester, zum Nachbarn „oder dem Kumpel aus Schulzeiten“ verliert. Hier lässt er eine Ausnahme zu, eine Art verständnisvolle Pathologisierung:

„Im Einzelfall kann man versuchen, diese Ängste zu identifizieren und darüber ins Gespräch zu kommen.“

Dabei dürfe man allerdings nicht darauf verzichten, dem Gegenüber klarzumachen, wer die Regeln bestimmt: „Setzen Sie sich Grenzen, ab denen es nichts zu diskutieren gibt.“ Und wer das nicht hinbekommt, der soll allen Ernstes Vereine wie Veritas in Berlin aufsuchen, dort werde – das meint der Autor – auch Angehörigen von unbelehrbaren Querdenkern Hilfe angeboten.

Christian Vooren hat es nicht so mit Minderheiten. Die interessieren ihn nicht, solange die Mehrheit diese in Schach halten kann: „Die Gesellschaft zerfällt nicht in zwei gleich große Teile“, will er beruhigen. Voosen ermuntert seine Leser, Menschen aktiv auszugrenzen, die sich „wissenschaftsfeindlich“ äußern.

Es folgen Vooren-Weisheiten, die klingen, als hätte sie Vooren schon in der Kita beim „Faustlos“-Training verinnerlicht:

„Eine Minderheit, die sehr laut brüllt und die große Mehrheit damit einzuschüchtern versucht, bestimmt nicht, was richtig ist. Das darf und soll die Mehrheit diesem Teil dann auch gern so deutlich sagen und zeigen.“

Vooren hat auch etwas gegen Homöopathie. Auch hier ist es für ihn okay, nicht mehr zu diskutieren, weil da nicht mehr sei als der Placebo-Effekt. Die Triage, ja, so etwas dürfe man diskutieren ebenso, wie die „Ungleichheit in der Pandemie“, meint Vooren. Der Elfenbeinturm-Akrobat bestimmt, was diskutiert werden darf und was nicht mehr. Punkt.

Weil ihm dann aber doch ein Licht aufgegangen sein muss, wie vermessen das ist, drosselt er ein bisschen das Tempo:

„Bei der Gelegenheit lohnt sich auch eine Selbstprüfung, ob man die eigenen Positionen nicht manchmal doch etwas zu entschlossen vertreten hat.“

Ja, das klingt auch amüsant, weil es natürlich auch unglaublich ungebildet klingt, was Vooren da zum Besten gibt. Sein Zeit-Silvesteraufsatz wirkt, als hätte er schon sehr lange vor Corona entschieden, Diskussionen, Debatte und Diskurse dort zu verweigern, wo es ihm ganz persönlich weh tun könnte.

Oder präziser: Wo man sich mal in die Materie reinknien muss, um mehr zu verstehen.

Aber so recht vergnüglich ist das alles leider doch nicht. Warum nicht, weiß ein Artikel aus der Zeit von vor Corona zu erzählen. Darin geht es nämlich um Meinungsfreiheit in der DDR und um die Rolle der Medien. Und da heißt es über Journalismus in der DDR:

„Journalisten entwickelten ein ziemlich genaues Gespür dafür, was sie schreiben durften und was nicht. Das oberste Gebot lautete, dem Klassenfeind nicht in die Hände zu spielen. Diesem Grundsatz hatte alles und jedes zu dienen.“

Allerdings mit einem Unterschied: Von der der Berliner Zeitung der DDR ist überliefert, dass staatliche Tabus in ein großes Buch eingetragen und ständig ergänzt wurden. Der Chef vom Dienst arbeitete täglich mit diesem Buch.

2022 braucht es so ein Buch nicht einmal mehr, eine freiwillige Selbstkontrolle eilt jedem staatlich verordneten Tabu noch ein paar Meter voraus.

Der DDR-Staat gab regelmäßig Linien, Argumentationen und Verbote an die Redaktionen weiter. Wie eingangs erwähnt, gibt es auch für Voorens Artikel eine Blaupause der Regierung.

Und im Zeit-Artikel von 2019 heißt es von DDR-Journalisten:

„Die Schere in unserem Kopf wog schwer genug und wir waren froh, in Texten gelegentlich ein paar Spitzen und Wahrheiten unterzubringen. Aber in erster Linie funktionierte die Selbstzensur.“

Christian Vooren hat sich für Zeit -Online gleich für den ersten Tag des neuen Jahres den Klassenfeind zur Brust genommen.

Der Definition nach waren Klassenfeinde in der DDR „der Arbeiterklasse und dem Sozialismus antagonistisch gegenüberstehende feindliche Klassenkräfte“.

Wer im Reden, Denken und Handeln von der vorgegebenen politischen Meinung abwich, der war Klassenfeind, war im internen Sprachgebrauch der Staatssicherheit eine „feindlich-negative“ Person.

Was Vooren in seinem Zeit-Artikel letztlich fordert, ist die Renaissance des Klassenfeindes. Aber nicht nur. Er besteht auch auf die Rückkehr des Cleverle besonders da, wo er seinen Lesern eine Orientierungshilfe gibt, die textlich auch prima in diese lästigen Zeit-Abonnement-Werbe-Pop-Up-Fenster passen könnte:

„Als Orientierungshilfe gilt: Jemand, der einen YouTube- oder Telegram-Kanal betreibt und diesen stündlich mit vermeintlichen Fakten füttert, ist in der Regel nicht cleverer und fachlich kompetenter als all die Virologinnen, Ökonomen, Juristinnen und Politikwissenschaftler da draußen.“

Also gar die Renaissance des Fachidioten?

Cleverness wird zu einem Schlüsselgedanken im Artikel von Christian Vooren. So ist er sich im Abgang seines Artikels ganz sicher: „Ja, es wäre cleverer gewesen, sich schon vor Monaten impfen zu lassen.“

Zum Schluss die finale Forderung des Artikels: Corona-Maßnahmenkritiker sollen den Mut haben auszusteigen. Es erfordere Größe, sich einen Fehler einzugestehen. Zu dieser Aufmunterung verlinkt Vooren den Bericht eines vermeintlichen Querdenken-Aussteigers. Dort heißt es wie aus einem bräsigen Schneider-Jugendbuch:

„Harry war Querdenker. So radikal, dass er fast zur Waffe gegriffen hätte. Jetzt lässt er sich impfen. Ohne seinen Freund Dieter hätte er das nicht geschafft.“

Lieber Corona-Maßnahmenkritiker, der Zeit-Redakteur Christian Vooren will - so wie Dieter für Harry - auch dein Freund sein. Aber dafür musst du die Vooren-Regeln einhalten. Christian Vooren etikettiert seinen Teilzeit-Faschismus als versöhnliches Angebot. Es ist furchtbar und abstoßend zugleich.

Weil aber das neue Jahr gerade erst angefangen hat, soll auch Christian Vooren ein versöhnliches Angebot erhalten. Hier in Form eines fast zweihundert Jahre alten Gedichtes von Friedrich Güll.

Friedrich Güll

Das Büblein auf dem Eise

Gefroren hat es heuer
noch gar kein festes Eis.
Das Büblein steht am Weiher
und spricht zu sich ganz leis:
»Ich will es einmal wagen,
das Eis, es muß doch tragen.
Wer weiß!«

Das Büblein stapft und hacket
mit seinem Stiefelein.
Das Eis auf einmal knacket,
und krach! schon bricht's hinein.
Das Büblein platscht und krabbelt,
als wie ein Krebs und zappelt
mit Arm und Bein.

»O helft, ich muß versinken
in lauter Eis und Schnee!
O helft, ich muß ertrinken
im tiefen, tiefen See!«
Wär' nicht ein Mann gekommen –
der sich ein Herz genommen,
o weh!

Der packt es bei dem Schopfe
und zieht es dann heraus,
vom Fuße bis zum Kopfe
wie eine Wassermaus.
Das Büblein hat getropfet,
der Vater hat's geklopfet
zu Haus.

Friedrich Güll (1827)

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