In der Früh um 6:15 Uhr: „Kriminalpolizei Schweinfurt – Hausdurchsuchung“

Schwachkopf-Affäre – Der Film: Ein berührendes kleines Deutschlandporträt

von Alexander Wallasch (Kommentare: 3)

Familie Niehoff© Quelle: Alexander Tuschinski „Schwachkopf-Affäre (Tale of a Meme)“ Screenshot

Der Filmemacher Alexander Tuschinski hat hier mit kleinem Budget ein feines Sittengemälde der deutschen Provinz 2025 geschaffen, wie man es in einer anderen Zeit vielleicht von den Öffentlich-Rechtlichen erwarten konnte, die die Mittel haben, denen aber der Kontakt zum Gebührenzahler längst verloren gegangen ist.

Was Filmemacher Alexander Tuschinski auszeichnet, ist, dass er einfach gemacht hat, was andere Dokumentarfilmer liegen gelassen haben. Der 36-Jährige – mit obligatorischem Strohhut als Markenzeichen – hat sich auf den Weg zum fränkischen Rentner Stefan Niehoff gemacht. Der wohnt mit Frau und Tochter in Ibind, Markt Burgpreppach, Kreis Haßberge.

Auf den Weg gemacht hatten sich Ende 2024 auch die Kripo, die bei den Niehoffs eine Hausdurchsuchung durchführte. Und so ein morgendlicher Überfall ist bei den Niehoffs noch einmal eine ganz andere Hausnummer, denn Tochter Alexandra wird von ihren Eltern liebevoll betreut und reagiert besonders aufgeregt auf Veränderungen in ihrem Alltag.

Stefan Niehoff war in das Visier der Ermittler geraten, weil er via X den damaligen grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck als „Schwachkopf“ im Kontext mit der Shampoo-Marke Schwarzkopf karikiert hatte. Die Hausdurchsuchung sorgte für viel medialen Wirbel und machte deutlich, dass das übergriffige Corona-Regime noch lange nicht auf irgendeine Normaltemperatur zurückgefunden hat.

Viel wird über Internet-Nutzer berichtet, immer wieder werden Menschen von der Regierung oder ihnen nahestehenden Organisationen als Hass- und Hetze-Deutsche diffamiert. Nun sind Hass und Hetze nicht grundsätzlich verboten. Aber die Intention dieser Zuweisung erfüllt einen Zweck, es geht um Ehrabschneidung, Diskreditierung und eine pauschale Ausgrenzung von Kritik.

Alexander Tuschinski wollte wissen, was das für Leute sind und wie Menschen leben, die im Internet eine harmlose Spitze zu Lasten eines Ministers veröffentlicht haben und dafür in ihren Grund- und Freiheitsrechten angegriffen wurden, als morgens mit dem ersten Hahnenschrei Beamte die gute Stube stürmten.

Stefan Niehoff befand sich damit von der einen auf die andere Sekunde in Gesellschaft von Verlegern wie Jürgen Elsässer, denen ebenfalls am frühen Morgen ein schwerbewaffnetes Kommando in den Bademantel zwang. Aber der interessierte Filmemacher trifft in Ibind – hier leben kaum mehr als 200 Einwohner – keinen apokalyptischen Reiter oder Politaktivisten, sondern einen Rentner, der nichts zu verbergen hat und vor der Kamera sein Innerstes nach außen krempelt – vom akkuraten Fotoalbum aus der Bundeswehrzeit bis hin zum Wertstoffplatz des Ortes, wo er ab und an mithilft und seine Rente aufbessert.

Der Vater sei der Liebe wegen aus Westfalen zugewandert, erzählt Niehoff, die Familie der Mutter lebt seit Generationen am Ort. Der Vater Fernfahrer, die Mutter Bedienung in einem Fernfahrer-Restaurant. So findet man zusammen, geerdete Biografien auf beiden Seiten. Stefan Niehoff hält eine Schwarz-Weiß-Fotografie der Mutter in die Kamera, man sieht eine junge Frau im dunklen Wollpullover, die ernst wie schüchtern zur Seite blickt, die Haare lockig und einfach ohne viel Schnickschnack zu einer Frisur gekämmt.

Auf dem Wertstoffhof, wo sich Rentner Niehoff ein Zubrot verdient, wird ihm in der Papierecke sicher auch mal ein Kästchen mit entsorgten alten Fotografien untergekommen sein, wenn sie nicht im Papier-Container um die Ecke gelandet sind. Erinnerungen werden immer öfter entsorgt als hervorgeholt. Auch Niehoff muss mit dem plötzlichen Interesse an seiner Person erst noch umgehen. Aber er vertraut dem Filmemacher und erzählt, was sonst niemand außerhalb seiner vier Wände wissen will.

Konservativ sei er, kein Rechter, betont Niehoff. Und ob seine Freunde schwul sind oder grün, das sei ihm „sowas von wurscht“. Wenn die Menschen anständig sind und man mit ihnen zurechtkommt, „dann werden die auch akzeptiert“. Kommandant vom M48-Panzer war er, acht Jahre Bundeswehrzeit, zuletzt als Feldwebel. Im Keller hat er die Brustabzeichen sämtlicher zu seiner Zeit aktiver Panzerbataillone gesammelt, die Wand hängt dicht an dicht von links nach rechts.

Ein Bild von „Onkel Hans“ mit hohem Zylinder wird auch noch in die Kamera gehalten. Frau Niehoff füllt draußen die Futterhäuschen, die Vögel bekommen hier 365 Tage im Jahr Extrakörner, erklärt sie zufrieden.

Es geht in den nahen Ort, wo Stefan Niehoff dem Filmemacher die Bäckerei, den Schlachter und das Kino seiner Kindheit zeigt – alle längst dichtgemacht, nur noch Erinnerungen an Torte, Wurstbrot und den Filmeabend mit der Mutter sind ihm geblieben. „Winnetou“ gab’s und auch dazu wieder das passende kleine Foto aus der Kiste: der kleine Niehoff im Winnetou-Kostüm. Im Film ist er als Rentner unterwegs, gewissermaßen in der liegengebliebenen Umverpackung eines gelebten Lebens.

„Bäckerei Lauerbach hat vor 20 Jahren das letzte Brot gebacken“, erfährt der Zuschauer, der Lauerbach kaum kennen kann, der aber oft seinen eigenen geschlossenen Lauerbach um die Ecke hat. Jeder weiß aus dem eigenen Erleben, was hier von Niehoff erzählt wird.
Was Filmemacher Tuschinski so achtsam und respektvoll einfängt, ist der kleine Fassbinder im Doku-Format. Das Genie des deutschen Nachkriegsfilms hatte solche Geschichten zu Dramen verdichtet, die hier noch einmal als Versatzstücke und in der entspannten Version auftauchen – aus der musealen Requisitenkammer gerissen gewissermaßen.

Rührend auch die Szene, wo der alte Vater in die Kamera vom Geschick der gehandicapten Tochter mit Videotechnik und Gameboys berichtet: Da mache sie manchem Älteren noch etwas vor, weiß Stefan Niehoff zu berichten. Die Tochter streicht ihm dafür sanft, beinahe beruhigend unterm Kinn, ist schon gut Papa, Zuneigung und Vertrauen eben.

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Zwei schon über zehn Jahre alte kleinere Hunde gehören zur Familie, bis heute besucht man die Züchter, wenn es denn passt. Zur Bundeswehrzeit war er mal acht Wochen in Mainz untergebracht, berichtet Niehoff weiter. Und so wird dann Mainz von Ibind aus betrachtet, unvermittelt die weite Welt, und Niehoff schüttelt den Kopf: „Stadtleben, das brauche ich nicht."

Aber im Gegensatz zu seinen Vorfahren hat Niehoff das Fenster in die weite Welt heute mit dem Internet nur einen Klick weit entfernt. Diese Interaktionen haben ihm jetzt Schwierigkeiten bereitet und viel Aufmerksamkeit beschert.

Und dann wird’s nach einer Hälfte des 45-Minüters doch noch politisch: Niehoff habe zu Kohls Zeiten brav die Regierung gewählt, aber Kohl sei im letzten Viertel seiner Kanzlerschaft übergeschnappt, da habe er zum ersten Mal SPD gewählt und später sogar mal die Linkspartei. Aber einmal auch Frau Merkel, erinnert er sich. Und er sagt dabei immer „wir“, als wäre es undenkbar, dass Eheleute unterschiedlich wählen könnten. Aber mittlerweile sei man ja „da gelandet, wo man mittlerweile gelandet ist, politisch gesehen“. Wie viele der über zehn Millionen Wähler der AfD mögen es wohl ähnlich kryptisch beschreiben, wenn sie von ihrer inneren Emigration ins Blaue erzählen?

Die letzten 25 Jahre seines langen Arbeitslebens habe er Fensterheber zusammengeschraubt. Frau Niehoff war von Beruf Bekleidungsnäherin.
In der Corona-Zeit hat Niehoff Freunde verloren, „aber die waren es dann auch nicht wert“, weiß der Maßnahmen- und Impfkritiker, der er damals geworden sei, heute. Er habe da oben in seiner Nut-und-Feder-getäfelten Dachschräge mit dem Kommentieren und den sozialen Medien begonnen, „um einmal darauf hinzuweisen, was hier alles schräg läuft“, wie er erzählt.

@IchBinsGarNet heißt sein Account, fast zehntausend Follower hat Stefan Niehoff mittlerweile und „Alice für Deutschland“ als Profilbild. Vor der Schwachkopf-Affäre waren es kaum mehr als 800.

Haßfurt, Schweinfurt, Bamberg – hier hatte Niehoff während der Corona-Zeit sein Demonstrations-Coming-Out.

Ob der Staat überhaupt schon begriffen hat, welches Widerstandspotenzial er hier freigesetzt hat mit seinen Freiheitsbeschränkungen und der jahrelangen Hetze gegen Ungeimpfte? Stefan Niehoff und Familie wurden mit der Hausdurchsuchung Opfer eines „Aktionstages gegen Hass und Hetze“. Das klingt neutraler als Säuberung nach dem Motto: Bestrafe einen, erziehe hunderte.

„Wer das Schwachkopf-Bild nicht als Satire versteht, der hat in seinem Leben noch nie gelacht“, lacht Stefan Niehoff in die Kamera von Alexander Tuschinski.

„Wenn das ein feiner Kerl ist, ich komm mit jedem zurecht“, endet Stefan Niehoff und will sich dann noch für die große Solidarität so vieler Leute auch im Namen seiner Familie bedanken.

Filmemacher Tuschinski hat hier ein Fenster weit aufgemacht. Seine Arbeit ist vor allem auch deshalb so besonders, weil alles so unaufgeregt daherkommt um diese große Aufregung herum. Ein Deutschlandporträt voller Zärtlichkeit für das Detail ist es geworden und eine universelle Zuneigung zum Menschen wird hier offenbar, die sich gegenüber der Kamera öffnet und einfach erzählt, was Menschen im Deutschland von heute widerfahren kann und was sie bewegt.

Hier zum Nachschauen der Film „Schwachkopf-Affäre (Tale of a Meme)“ von Alexander Tuschinski:

https://www.youtube.com/watch?v=2xvAFT-7jJo

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