Springer, Nius und ein Gaza-Hiroshima

Springer-Boss Döpfner schreibt bei Reichelt ab: Man darf den Gaza-Streifen mit Bombenterror befrieden

von Alexander Wallasch (Kommentare: 5)

Das ist Wahnsinn. Und es scheint eine Krankheit unserer Zeit zu sein, keinerlei Tabus mehr zu kennen.© Quelle: Wikipedia: "Mathias Döpfner, Kai Diekmann, and Julian Reichelt, June 2019" / Ausschnitt, Screenshot

Julian Reichelt hat vorgelegt, sein ehemaliger Boss und Männerfreund Mathias Döpfner schreibt für Springer einfach bei Reichelts Nius ab. Eine brutale Leichtfertigkeit des Seins in den journalistischen Elfenbeintürmen.

Viele erfolgreiche Männer sind schon über Frauengeschichten gestolpert. Springer-Chef Mathias Döpfner gehört nicht dazu. Er strauchelte allerdings gefährlich über zwei große Männerfreundschaften. Für gleich eine Serie von Dramen sorgte hier Bestsellerautor Benjamin von Stuckrad-Barre, im Mittelpunkt eines weiteren stand Ex-Bildchef Julian Reichelt (heute nius.de).

In beiden Fällen ging es um Verrat. Um Interna aus der Kommunikation mit dem Springer-Milliardär. Stuckrad-Barre langte kräftiger hin, mit Reichelt gab es später einen außergerichtlichen Vergleich. Die Frankfurter Rundschau besuchte das Schlachtfeld, nachdem sich der Rauch verzogen hatte, und schrieb, was dort zu sehen war:

„Die Taktzahl der Vorwürfe gegen den Springer-Verlag ist hoch: Bild gegen den ehemaligen Chefredakteur Julian Reichelt, der frühere Springer-Autor Benjamin Stuckrad-Barre gegen Vorstandschef Mathias Döpfner, Zeit gegen Döpfner, Stern gegen Döpfner, Stuckrad-Barre gegen Döpfner und Reichelt, ohne letzteren Namen in den Mund zu nehmen. Offenbar ekelt es ihn dabei. Medien sind schnell dabei, von einer „Schlammschlacht“ zu sprechen – hierbei ist der Begriff gedeckt.“

Jetzt veröffentlichte Mathias Döpfner einen Leitartikel zum Terrorangriff der Hamas und den sich anschließenden Militäraktionen Israels. Ein Döpfner-Text, der sich liest wie die Kurzfassung eines Artikels von Julian Reichelt, der auch bei Nius.de selbst für heftiges Flügelschlagen sorgte, weil Reichelt die Bombardierung deutscher Städte als Legitimierung für eine von ihm geforderte Bombardierung des Gaza-Streifens heranzog. So etwas schaffen ansonsten nur eingefleischte Deutschland-Hasser.

Julian Reichelt wird mutmaßlich selbst gestaunt haben, als er jetzt den Leitartikel von Döpfner las, der sich in seiner Duplizität durchaus auch lesen kann wie eine Verteidigungsrede für den Ex-Mitarbeiter und Männerkumpel.

Unter dem nicht besonders einfallreichen aber provokanten Titel „Free Palestine!“ schrieb Döpfner:

„Es ist Zeit, dass sich der Westen einer historischen Aufgabe stellt: Palästina zu befreien wie die Alliierten einst Deutschland. (...) Nur ein geschlossenes Bündnis demokratischer Gegenwehr aus Amerika und Europa kann jetzt Menschenrechte und Zivilisation im Nahen Osten wiederherstellen.“

Auch Döpfner will keine Kompromisse. Das stärke nur die Täter. Bei Reichelts Geschichte im Mittelpunkt stand die Forderung, Palästina mit Flächenbombardements „in jeder Hinsicht“ zu brechen, einschließlich des Willens der Zivilbevölkerung. Dabei dürfe man den Tod von hunderttausenden Zivilisten in Kauf nehmen, so wie es die Briten und Amerikaner taten, als sie die deutschen Städte in Schutt und Asche legten.

Man muss es zweimal lesen: Döpfner möchte es gerne so machen wie Reichelt. Nein, er geht sogar noch weiter. Wenn man seine Forderung zu Ende denkt, dann verlangt Döpfner, dass auch deutsche Bomber über dem Gaza-Streifen eine todbringende Last abwerfen, bis Palästina von der Hamas befreit ist, inklusive der unvermeidbaren Kollateralschäden:

„Palästina muss von seinen diktatorischen Machthabern befreit werden wie Deutschland im Zweiten Weltkrieg durch die Alliierten.“

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Döpfner ist in diesem Moment Reichelt und Reichelt ist Döpfner. Beide haben es allerdings vermieden, ihre Erzählung des alliierten Bombenterrors konsequent zu Ende zu führen. Denn als Dresden vom 13. bis 15. Februar 1945 flächenmäßig bombardiert wurde, mit dem Ziel, möglichst viele deutsche Zivilisten zu ermorden, war das Undenkbare bereits in der finalen Planung:

Fast ein halbes Jahr später – die deutsche Wehrmacht hatte längst bedingungslos kapituliert – warfen die US-Amerikaner am 6. und 9. August 1945 zwei Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki ab, 100.000 Menschen waren sofort tot, weitere 130.000 starben erwiesenermaßen Jahre später an den Folgeschäden. Wie viele Japaner womöglich noch Jahrzehnte danach im Zusammenhang mit den Atombombenabwürfen an Spätschäden litten und verstarben, ist zweifelsfrei nie ermittelt worden.

Beide Texte von Döpfner und Reichelt lassen den Schluss zu, dass auch der zweifache Atomwaffeneinsatz gegen die japanische Zivilbevölkerung ein legitimes Mittel war, die Menschen von ihren diktatorischen Machthabern zu befreien. Jedenfalls jene, die das Grauen des alliierten Bombenterrors bis hin zu den Atombombenabwürfen überlebten.

Halten wir fest: 78 Jahre nach dem Terror gegen die deutsche und japanische Zivilbevölkerung ist es für zwei relevante Medienschaffende in Deutschland wieder möglich, einen Zivilisationsbruch neu zu denken.

Tatsächlich nannte eine interdisziplinäre Tagung der Universität Heidelberg Auschwitz und Hiroshima im Jahr 2011 in einem Atemzug „Bilder des Zivilisationsbruchs“ und sprach von „,Ikonen‘ der Massenvernichtung“. Eine Relativierung?

Mathias Döpfner ist kein Superlativ zu klein. Er rast Reichelt mit einem Megafon-Text hinterher und will offenbar eine noch kompromisslosere und endgültigere Lösung der Palästinafrage als Reichelt es für Nius.de formuliert hatte:

„Es ist Zeit, dass sich der Westen einer historischen Aufgabe stellt: Palästina zu befreien wie die Alliierten einst Deutschland.“

Das ist Wahnsinn. Und es scheint eine Krankheit unserer Zeit zu sein, keinerlei Tabu mehr zu kennen. Eine Zeitenwende in jeder Beziehung. Oder wie es Olaf Scholz während des Corona-Regimes und im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg für Deutschland festschrieb: „Es darf keine roten Linien geben.“

Dazu passt, dass einer von Benjamin Netanjahus Ministern gerade den Einsatz einer Atombombe über dem Gaza-Streifen ins Spiel brachte und dafür plädierte, gleichzeitig jede humanitäre Hilfe einzustellen. Die israelische Regierung distanzierte sich sofort. Immerhin.

Reichelts Portal Nius.de distanzierte sich von Reichelt. Mathias Döpfner blieb bisher unwidersprochen. Man darf aber darüber spekulieren, wann ein Alibitext folgen wird, der diesen Wahnsinn pro forma wieder einfangen wird.

Nachtrag: Grotesk wird diese Abschreiberei übrigens in dem Moment, wo sich Julian Reichelt vom Döpfnertext distanziert, also von seinem eigenen. Hier nachzulesen.

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