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Til Schweigers persönlichster Film: „Die Rettung der uns bekannten Welt“

von Alexander Wallasch

„Liebe ist die Rettung! Das ist die übergeordnete Botschaft des Films“, sagt Til Schweiger im Interview. Sein Drama rund um einen bipolar erkrankten jungen Mann ist auch Schweigers Liebeserklärung an die eigene Familie.© Quelle: YouTube / KinoCheck Emotions

„Die Rettung der uns bekannten Welt“ von Til Schweiger ist der bisher einzige deutsche Film mit ernstzunehmenden Bezügen zu Pandemie-Erfahrungen von Familien und jungen Menschen. Ein anrührendes Drama voller Mitgefühl und Empathie.

Dabei darf, soviel kann verraten werden, auch gelacht werden – nein, bei aller Düsternis unserer Zeit: Ohne dieses verschmitzte Til-Schweiger-Schmunzeln als Markenzeichen will auch „Die Rettung der uns bekannten Welt“ nicht auskommen.

Aber sauber der Reihe nach: Kein Kinofilm kommt ohne die vorgeschaltete Werbung und die Eisverkäuferin aus, bevor das schon gedimmte Licht ganz ausgeht. Also auch hier erst einmal ein Werbeclip zum Warmlaufen und um die Vorfreude zu steigern.

Kennen Sie den Penny-Werbespot „Der Wunsch“, ein Dreieinhalbminüter, der die Folgen der Pandemie so wunderbar auf den Punkt gebracht hat?

Sohn trifft nachts in der Küche auf seine Mutter, beide können nicht schlafen. Sohn fragt, was sich Mutter zu Weihnachten wünscht. Die Mutter wünscht sich nur, dass er endlich was Verrücktes macht, wütend wird, sich verliebt und all seine Gefühle lebt. Eine Anklage gegen den Lockdown.

Dieser kurze Clip wäre im Kino wohl die perfekte Werbung, bevor Til Schweigers Film „Die Rettung der uns bekannten Welt“ über die Leinwand flimmert.

Die Handlung in wenigen Sätzen erzählt geht so: Paul ist bipolar. Nachdem er sich in Toni verliebt, muss er sich entscheiden: Läuft er weiterhin vor seiner Krankheit davon? Oder vertraut er den Menschen, die ihn lieben?

Oberflächlich betrachtet ein Familiendrama mit durchaus komischen Momenten. Aber da ist mehr: In „Die Rettung der uns bekannten Welt“ ist eine Art Zusammenfassung der Arbeiten von Til Schweiger aus den letzten 25 Jahren.
Til Schweiger hat in dieser Zeit ein eigenes Genre geprägt: Von „Knockin‘ on Heaven‘s Door“ über „Keinohrhasen“, „Kokowääh“ bis „Honig im Kopf“, um nur ein paar Beispiele zu nennen, hat Schweiger sich den Ruf eines Anti-Fassbinders hart erarbeitet und ist darüber zum Publikumsliebling geworden.

Schweiger selbst hat sich gegenüber einer Boulevard-Zeitung zur Themenfindung für „Die Rettung der uns bekannten Welt“ so geäußert:

„Damals nach ‚Honig im Kopf‘ habe ich tausende Briefe bekommen, in denen Menschen mir dafür gedankt haben, dass ich einen Film über Alzheimer gemacht habe. Manche wünschten sich, dass ich einen Film über Depressionen mache. Erst war ich skeptisch, aber dann erzählte meine Tochter Emma mir von ihrer bipolaren Freundin und deren Stimmungsschwankungen. Da hab ich mich umentschieden. Was die Rolle ‚Paul‘ in meinem Film täglich erlebt, ist eine emotionale Achterbahnfahrt zwischen zu Tode betrübt und himmelhoch jauchzend.“

Wer Schweiger will, ist bei „Die Rettung der uns bekannten Welt“ besonders gut aufgehoben. Von „Manta, Manta“ zu Manufactum: Mittlerweile bedient der kommerziell erfolgreichste deutsche Filmschaffende eine ganze Lebenswelt:

Seine eigene Marke „Barefoot Living“ beispielsweise spiegelt den Stil von Til Schweiger irgendwo zwischen „East Side auf Mallorca mit einer Prise skandinavischer Simplizität“ wider, wie es im Online-Versand heißt, der an einen Manufactum-Katalog („Warenhaus der guten Dinge“) erinnert. Aber an jene Zeit, als der Edelversand noch nicht an Otto verkauft war.

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Jetzt aber Licht aus im Saal. Bei „Die Rettung der uns bekannten Welt“ überrascht zunächst diese spitzbübig elegante Lockerheit, mit der sich Schweiger selbst zitiert. Dazu muss man wissen: Filmzitate sind heute ein wichtiges Stilmittel großer Hollywood-Produktionen geworden, zitiert werden die Klassiker der Filmgeschichte, eine echte Fundgrube.

Aber Schweiger ist viel frecher, der Regisseur, Schauspieler und Filmemacher weiß zuverlässig, wie er seine Zuschauer packen kann. Sein Fundus bietet Szenen, die bei Freunden des Schweiger-Genres sofort etwas triggern. Keineswegs aus Mangel an Ideen! Nein, Schweiger setzt ein paar Leitplanken schlicht, weil er es kann.

In „Die Rettung der uns bekannten Welt“ ist die Maisfeldfahrt wiederzuentdecken, ein dramatischer Höhepunkt in „Tschiller: Off Duty“, dann explodiert die Küche, nachdem die jüngeren Kinder im Zentrum der Geschichte von ihrem bipolaren Bruder zu Hause allein gelassen werden.

Diese Querverweise sind geeignet, dem Zuschauer ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern: In welchem Schweiger-Film brannte noch einmal die Küche? Wer erinnert sich?

In „Die Rettung der uns bekannten Welt“ spielt Til Schweiger den Witwer Hardy, einen angestellten Architekten, der Vater von drei Kindern ist, zwei noch im Vorschulalter und Sohn Paul gerade volljährig. Paul steht im Mittelpunkt der Geschichte.
Schweigers Rolle ist wieder in eine Liebesgeschichte eingebettet, wie beispielsweise in Keinohrhasen. Hier allerdings ist die Geschichte zwischen Vater Hardy und seiner Arbeitskollegin ganz an den Rand gerückt. Ins Zentrum seiner bewegenden Geschichte hat Schweiger die in einer Psychoklinik aufkeimende Liebesgeschichte zwischen Filmsohn Paul und einer Mitpatientin gestellt.

Der Zuschauer wird von Til Schweiger für einen kurzen Moment mit zurückgenommen zum Roadmovie „Knockin‘ on Heaven’s Door“. Denn auch „Die Rettung der uns bekannten Welt“ ist in einem bildgewaltigen Finale ein Roadmovie geworden. Die Klinikszenen werden auf sparsame, aber liebevolle Art und Weise zitiert, Schweiger weiß genau, was er Spitzes im Köcher hat.

Selten hat sich der Regisseur so viel Zeit gelassen, den Blick von den Gesichtern abschweifen zu lassen, wie in „Die Rettung der uns bekannten Welt“. Jede Totale wird hier zum durchkomponierten kleinen Gemälde – der Film so auch zu einer Liebeserklärung an die Heimat. Gedreht wurde unter anderem am Ammersee, am Walchensee und an einem Kloster in Jüchen.

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Eine Szene am See, ein Picknick, Kinder im Schlauchboot, oberflächlich ein Idyll, aber schon angefasst vom psychischen Ungleichgewicht des Sohnes, zerrend am Vater. Ein von Sorgen geprägter wie liebevoller Umgang mit einer Krankheit wie schon bei „Honig im Kopf“, einem weiteren Schweiger-Bestseller.

Und Til Schweiger hat sich auch als Schauspieler neu erfunden. Der immerwährende Womanizer und liebenswert strauchelnde Macho Ludo ist als Vater Hardy zum Packesel der Sorgen seiner Kinder geworden.

Hierzu muss man wissen ­– Schweiger hat es öffentlich gemacht im Dokumentarfilm „Eine andere Freiheit“ – dass eine seiner Töchter als Folge einer Schweinegrippeimpfung an Narkolepsie leidet, was sich der Künstler kaum verzeihen kann, wie er erzählt, weil er es war, der diese Impfung seiner Familie empfohlen hatte.

Wir können nicht wissen, was im Einzelnen Schweigers Gedanken waren, als er „Die Rettung der uns bekannten Welt“ erdacht hat. Aber naheliegend ist, dass die emotionale Dichte des Films auch autobiografische Stimmungen aufgenommen und filmisch umgesetzt hat.

Emilio Sakraya muss noch erwähnt werden, der 25-jährige Hauptdarsteller Paul in „Die Rettung der uns bekannten Welt“. Konnte Schweiger in einer Reihe seiner Filme auf Schauspieler seines Vertrauens zurückgreifen, nicht zuletzt auch aus der eigenen Familie, ging er hier ins Wagnis und wurde belohnt.

Emilio Sakraya drehte übrigens anschließend mit Fatih Akin, der so entstandene Film über einen Gangsterrapper erscheint im Oktober 2022. Und auf der Berlinale 2022 wurde Sakraya als europäischer „Shooting Stars“ preisausgezeichnet.

„Liebe ist die Rettung! Das ist die übergeordnete Botschaft des Films“, sagt Til Schweiger im Interview. Sein Drama rund um einen bipolar erkrankten jungen Mann ist demnach auch Schweigers Liebeserklärung an die eigene Familie.

Diese Liebe Schweigers zu den Seinen kann hier auch in einer netten Anekdote nacherzählt werden: Kurz vor Premiere zu „Die Rettung der uns bekannten Welt“ veröffentlichte Schweiger via Instagram einen kurzen Film, aufgenommen in einem Restaurant. Die Szene: Die Schweigertöchter überredeten den Papa gerade dazu, Austern zu essen. Schweiger filmt die Szene, isst und verzerrt das Gesicht.

Zu Recht! Denn am Premierenabend liegt Schweiger flach, mindestens eine Auster war wohl nicht gut. Schade für die Premierengäste, aber sie wurden mit dem persönlichsten Werk des Filmemachers belohnt. Er war also auf besondere Weise dennoch anwesend. Kino wie es sein sollte.

Eine Liebeserklärung in COVID-19-Zeiten. Der Hauptdarsteller, gefangen im Schraubstock seiner bipolaren Welt, eine Einschränkungserfahrung, wie sie Millionen junge Menschen leidvoll in den vergangenen zwei Jahren am gesunden Körper und Geist erfahren mussten.

Ein Film, nicht auf 1,5-Meter-Abstand, sondern ganz nah dran. „Man findet immer einen Weg, die verschiedenen Arten der Liebe zu finden“, kommentiert Schweiger noch im Interview. „Die Rettung der uns bekannten Welt“, jetzt kauf- und mietbar über die bekannten Filme-Anbieter.

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