Tote-Hosen-Frontmann mit perfektem Spagat zwischen Punk-Attitüde und Establishment

We want you: Zivildienstleistender Campino wäre heute beim Wehrdienst

von Alexander Wallasch (Kommentare: 1)

Der Frontmann der Toten Hosen ist ein Trüffelschwein, wenn es darum geht, irgendetwas zu äußern, das gleichzeitig rebellisch klingen soll und dazu einhundert Prozent treffsicher mitten im linksgrünen Mainstream landet.© Quelle: Wikimedia Commons / Avda, Freepik.com / freepik, Bildmontage: Alexander Wallasch

Wer nicht hinwollte und es in den 1980er Jahren trotzdem nicht schaffte, seinen Wehrdienst zu verweigern, der musste schon ordentlich einen unter der Mütze haben. Denn, wer nicht hinwollte, musste auch nicht. Es gab damals gefühlt mehr kirchliche Beratungsgespräche als Gottesdienste.

Aber nicht nur die Kirchen, auch weltliche Stellen waren überaus aktiv. Wer links war, wer grün war, wer friedensbewegt war, der wurde an die Hand genommen, und die schriftliche Verweigerung von unermüdlichen Helferlein so lange gedreht und gewendet, bis sie wirklich durchgegart war.

Und wenn die Verweigerung doch mal abgelehnt wurde, dann wurde die obligatorische peinliche Befragung noch intensiver trainiert als die schriftliche Prüfung zum ebenfalls begehrten Führerschein.

Wie es also der Düsseldorfer Sänger Campino von den Toten Hosen hingekriegt hat, trotz innerer Verweigerungshaltung in die Kaserne eingezogen zu werden, bleibt ein Rätsel oder eben auch nicht.

In Campinos (bürgerlich „Andreas Frege“) Biografie heißt es, er sei im Oktober 1983 eingezogen worden und dann hätte es noch acht Monate gedauert, bis er als Kriegsdienstverweigerer anerkannt wurde. Seinen Zivildienst leistete er anschließend in der Landespsychiatrie Düsseldorf-Ludenberg ab.

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Aber warum ist das heute wichtig? Weil Campino sich offensichtlich mit dem Nachfärben seiner Augenbrauen auch dazu entschlossen hat, am Camouflage-Look der Bundeswehr Gefallen zu finden. Oder es ist eine Versöhnung mit seinem Vater, also eine Familienaufstellung gewissermaßen, wie es der Sänger in seiner Biografie schrieb, aber dazu gleich mehr.

Man muss nicht lange raten, was Campino dazu treibt, jetzt ein Fan der Bundeswehr zu sein. Es geht natürlich um die Ukraine. Um den Krieg und um den Wunsch, die wie aus heiterem Himmel nicht mehr linksmainstream-kompatible Verweigerung aus seiner Biografie zu löschen, irgendwie ungeschehen zu machen.

Im Angesicht des Krieges, teilt der Sänger jetzt mit, hätte er das Gefühl, „als ob die Welt über uns zusammenstürzt“.

Hier möchte man ihm bereits zurufen, wo er denn war, als im Irak die Kinder zu Hunderttausenden starben, weil die USA das so wollten und die Außenministerin Albright diese toten Kinder für einen hinzunehmenden Kollateralschaden hielt. Damals gab es keinen Welteinsturz im Hause Campino. Afghanistan? Kein Welteinsturz. Wikipedia-Eintrag „Kriegsverbrechen der USA“? Kein Weltuntergang. Putins Tschetschenienkriege? Kein Welteinsturz im Hause Campino.

Dafür erklärt der Sänger der Toten Hosen jetzt in seiner unverwechselbaren Kompatibilitätsbetroffenheit:

„Ich persönlich habe den Kriegsdienst 1983 verweigert. Das würde ich heute, unter diesen Umständen, wenn ich jetzt meine Einberufung bekäme, wahrscheinlich nicht mehr tun.“

Und ntv verrät auch etwas über Campinos innere Haltung, aber man weiß es natürlich längst: Politisch würde sich der Sänger „links und als Wähler bei den Grünen verorte(n)“.

Dass sich der Sänger in der Ukraine-Frage unweigerlich so positioniert, hätte in England nur mäßige Wettquoten erreicht, einfach zu erwartbar. Der Frontmann der Toten Hosen ist ein Trüffelschwein, wenn es darum geht, irgendetwas zu äußern, das gleichzeitig rebellisch klingen soll und dazu einhundert Prozent treffsicher mitten im linksgrünen Mainstream landet:

„Gerade lernen wir doch eindrücklich, warum eine Identität als Europäer so wichtig ist und warum wir eine Wertegemeinschaft sein müssen. Das hat dann leider auch etwas mit Aufrüstung zu tun. Wir können es uns nicht leisten, völlig wehrlos gegenüber Despoten zu sein, wie Putin einer ist, der alte Machtfantasien auslebt. So einen Mann kann man nur stoppen, wenn er auch Respekt vor der Gegenseite hat.“

Und wo wir schon in England sind. Und wenn es um Wertegemeinschaft und Liebe zum Eigenen geht: Campino ist seit 2019 Doppelstaatsbürger, seine Mutter kommt aus England. Und die Einbürgerung ist wohl Campinos Antwort auf den Brexit: Schnell noch einen Anker werfen, bevor die Trennung vollzogen ist.

Herrn Campino scheint es nicht anders zu gehen als anderen älteren Männern und Frauen: Auf der Zielgeraden – wenn man Glück hat, erwischt man noch 15 oder 20 gesunde Jahre – will sich der wilde Vogel nochmal an sein Nest erinnern.

Interessant dazu ein biografischer Auszug vom Online-Auftritt der Hosen, da erzählt Campino aus seiner Jugend und ehrt auf seine Weise noch einmal Vater und Mutter:

„Alle Toten Hosen sind ja Kinder von Leuten, die den Krieg durchgemacht haben, jeder auf seine Weise, teils mit schlimmen Flüchtlingsgeschichten. Da gab es dann die einen, die es so verarbeiteten wie mein Vater, der unbedingt wieder für die Gründung einer Bundeswehr war. Der Bürger müsse wieder Kontrolle haben über die Wehrpflicht, die in einer demokratisierten Form eine Instanz gegen die Diktatur sei.“

Der Vater war Reservesoldat und Sohn Andreas kam in Vaters Bataillon:

„Dass ich ausgerechnet im Umfeld seiner alten Kameraden verweigerte und gewissermaßen als Versager durch die Kaserne lief, muss ihm sehr wehgetan haben. Zumal es für ihn überraschend kam. Ganz „niedergeschlagen“ wäre er darüber gewesen, schreibt der bürgerliche Punk aus gutem Hause Jahrzehnte später, „Ich hatte das Gefühl, ihn tief enttäuscht zu haben“.

Und weiter schreibt Campino:

„Mein Vater hatte mir verziehen, aber nur unter der Prämisse, dass ich meine Entscheidung ernst meinte. Er hätte eine politische Verweigerung nicht anerkannt, aber die Gewissensentscheidung im ursprünglich gemeinten Sinn war okay für ihn.“

Jetzt also die späte Heimkehr des Sohnes in den Schoß des Kriegers, des Verteidigers von Demokratie und Menschenrechten. Passend dazu gewinnt eine ukrainische Kapelle den Eurovision Song Contest, alles passt wieder so wunderbar zusammen beim Edelpunker. Da ist nichts in Unwucht.

Schon 2017, als die Jamaika-Verhandlungen platzen, muss sich das im Hause Campino so angefühlt haben, „als ob die Welt über uns zusammenstürzt“. Und Andreas Frege wandte sich direkt an Angela Merkel und lud sie zum Trost zu einem Konzert der Toten Hosen ein. Nein, das war ein Scherz – Campino bat Merkel:

„Bitte halten Sie das durch! Dass sie nicht alles zum Leuchten bringt, nur, weil sie in den Raum kommt, das ist mir auch klar. Aber gerade international, wo die ganze Welt gerade händeringend nach Halt sucht und nach einer Beständigkeit, diese Person auszutauschen, das wäre für mich das Zeichen, dass die Bundesrepublik Deutschland sich selber zerlegen möchte.“

Fünf Jahre später bricht es nun wieder aus ihm heraus, er muss es einfach loswerden. Und wer die eine oder andere MDR-Talkshow oder weitere solcher Unterhaltungsformate gesehen hat, der kennt diese Campino-Ergüsse schon zur Genüge, hier sein aktueller einfach mal in voller Länge:

„Alle diese Gelder, die wir in Zukunft für Rüstung ausgeben werden, könnten wir verdammt nochmal für unser Sozialsystem, Kitas, Schulen, öffentliche Infrastruktur und nicht zuletzt den Kampf gegen den Klimawandel gebrauchen. (…) Wir alle dürfen uns Verunsicherung erlauben. Selbst die gescheitesten Leute können uns derzeit kein Rezept geben, wie es weitergeht. (…) Trotz der gesellschaftlich angespannten Lage ist es aber wichtig, dass wir Menschen uns selbst auch eine mentale Gesundheit erhalten, Glücksmomente finden. Und ich hoffe, dass wir als Band einen Beitrag dazu liefern können, mit unserer Musik solche Momente zu schaffen.“

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