Wladimir Kaminer: Russendisko gegen Putin am 1. Mai am Brandenburger Tor

Wladimir Kaminer und Russendisko – exklusiv im Interview

von Alexander Wallasch (Kommentare: 1)

Wladimir Wiktorowitsch Kaminer. Seine Erzählbände Militärmusik und Russendisko machten ihn auch außerhalb Deutschlands bekannt.© Quelle: © Foto: Wladimir Kaminer / Grafik: Danny Frede

Der deutsche Bestsellerautor russisch-jüdischer Herkunft, Wladimir Kaminer, hat eine Vision für Russland ohne Namensvetter Wladimir P.: Putin kann durchaus in der Lage sein, zu verstehen, es gibt auch ein Leben nach dem Amt. Er kann als Rentner glücklich werden.“ Aber bevor es so weit ist, spricht Alexander Wallasch mit Kaminer über seine Russendisko, über ein Anti-Putin-Protest-Camp am Brandenburger Tor und über Deutschland in Zeiten von Corona.

Alexander Wallasch: Wir sind ins Gespräch gekommen, weil sie am 1. Mai vor dem Brandenburger Tor eine „Russendisko“ veranstalten wollen. Warum?

Wladimir Kaminer: In meiner Heimat Russland findet gerade eine politische Auseinandersetzung statt. Die junge Generation, die kreativen Menschen, sie wollen eine Veränderung im Land herbeisehnen. Und sie wollen auch draußen in der Welt als europäisches, demokratisches Land angesehen werden. Dabei haben sie seit zwanzig Jahren die immer gleiche Regierung, die aus den immer gleichen ehemaligen Offizieren der sowjetischen Staatssicherheit besteht. Und diese jungen Menschen sehen für sich überhaupt keine Zukunft in diesem 21. Jahrhundert in Europa. Diese Kräfte sind sehr ungleich.

Es gibt überhaupt keine Möglichkeiten mehr, in Russland eine kritische Meinung zu äußern, ohne gleich dafür geschlagen oder in den Knast gesteckt zu werden. Und das hat dazu geführt, dass Russen im Ausland – in anderen Ländern – sich solidarisieren und hier, wo sie relativ frei und unbeschwert demonstrieren können, auf die Straßen gehen um ihren Landsleuten, die dort quasi in Geiselhaft sitzen, eine Stimme zu verleihen. Und das machen wir jetzt auch mit der Russendisko. Es gibt seit 2014 diesen unerklärten Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Da sterben Menschen jeden Tag! Aber das wird hier nicht zur Nachricht.

Alexander Wallasch: Als sie das eben erzählten, musste ich daran denken, was viele Regierungskritiker in Deutschland der Merkelregierung vorwerfen, die ja auch bald zwanzig Jahre an der Macht ist. Da musste ich eben kurz schlucken und dachte: Das klingt doch genauso, wie die Leute, die das hier kritisieren – was sagen sie denen?

Wladimir Kaminer: Dabei geht es gar nicht um den Anteil von Regierungsjahren, es geht um einen reibungslosen Wechsel. Merkel müsste ja nicht bleiben. Und Menschen, die nach ihr kommen, werden da sicher nicht eine ganz andere Politik machen. In Russland stellt sich die Frage viel heftiger. Es geht darum, dass es so wie jetzt gar nicht weitergeht. Jede Privatinitiative wird sofort vernichtet oder verstaatlicht. Die Kultur wird nur dann geduldet, wenn sie diesen Staat und diesen Anführer lobpreist.

Alexander Wallasch: Aber auch das ist doch die Kritik, die heute viele Regierungskritiker hier genauso äußern: Die sagen, es gibt nur noch eine linksgrüne Kultur, alles andere wird weggetreten. Diese deutschen Kritiker würden beispielsweise auf die über fünfzig Künstler verweisen, die gerade so brutal in der Kritik stehen, weil sie es gewagt hatten, die Politik der deutschen Regierung zu kritisieren. Diese Parallelität gibt es doch. Was sagen Sie diesen Regierungskritikern? Der Graben ist tief in der deutschen Gesellschaft schon seit 2015, seit der so genannten Massenzuwanderung. Das Leben in Deutschland ist heute ein ganz anderes als beispielsweise noch 2010...

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Wladimir Kaminer: Corona ist ein Sonderfall. Das muss man wirklich anerkennen. Die Maßnahmen der Regierung sind sehr strittig. Und es gibt keine Beweise. Es gibt keine nachweisliche Forschung, dass diese Verbote etwas bringen. Es gibt auch keine Daten, dass man durch die Schließung von Gasthäusern irgendwelche Menschenleben gerettet hat. Wahrscheinlich sind sie dann anderswo gestorben, in der S-Bahn zum Beispiel. Also die Zweifel sind berechtigt. Andererseits, wenn man nicht daran glaubt, was die Regierung macht, dann ist das ein riesiges Desaster, was jetzt hier passiert. Deswegen ja, ich gebe ihnen Recht: Da werden alle Menschen, die eine kritische Meinung haben, sofort als Nazis und Verrückte und Reichsbürger und sonst wer beschimpft. Diese armen Schauspieler, die auch gern sich nur die Beine vertreten wollten im Netz, die wurden dann sofort durch den Stall gejagt. Das ist traurig, aber wahr. Hat mit unserer Disko am ersten Mai aber nichts zu tun.

Alexander Wallasch: Sie schreiben: „Tanzen, singen, herumspringen als Zeichen des Friedens“ – aber wollen sie das etwa mit FFP2-Masken machen? Sie provozieren den Staat und seine strengen Corona-Maßnahmen natürlich auch, weil sie damit viele Fans und Freunde anlocken, die Ihnen da gleichtun wollen... Also ganz so friedlich muss es nicht werden, kann ja auch sein, sie kriegen eine Menge Ärger…

Wladimir Kaminer: Nein, wieso, das ist doch ein angemeldetes Camp, die Polizei ist eigentlich immer da. Und es gibt bestimmte Regeln: Im Camp muss man Maske tragen und Abstand halten. Draußen auf der Straße ist es etwas anders. Ich glaube, jeder Mensch kann einschätzen, wie große die Gefahr ist für jeden, wie weit er von mögliche Virusträgern dann entfernt ist. Ich habe keine Erwartung, dass da jetzt tausend Menschen kommen und den ganzen Tiergarten dann zum Krachen bringen.

Alexander Wallasch: Und wenn doch?

Wladimir Kaminer: Ja, das wäre schön.

Alexander Wallasch: Für wie viele Leute haben sie angemeldet?

Wladimir Kaminer: Nein, das machen die Aktivisten im Camp. Auf jeden Fall eine Demo ist möglich und da kommen auch jeden Tag Leute, die haben unterschiedliche Themen. Das ist ein Camp, wie es in mehreren Städten – in fast allen europäischen Ländern – stattfindet, mit Aktionen, um den Oppositionellen Nawalny zu unterstützen, der von der russischen Regierung vergiftet und in den Knast gesteckt wurde.

In Berlin findet das Camp am Brandenburger Tor vom 09. April bis zum 08. Mai statt mit Ausstellungen, mit Diskussionen, mit Vorträgen – da werden auch Tage für andere Republiken der Sowjetunion eingeräumt. Republiken, die durch die verfehlte Außenpolitik der Russischen Föderation groß zu Schaden gekommen sind wie beispielsweise Belarus, Ukraine und Georgien.

Für den ersten Mai habe ich Russendisko angemeldet, um ein Zeichen des Friedens zu setzen. Mein Freund und Kollege, mit dem ich Russendisko in Berlin machte, fast zwanzig Jahre lang, kommt aus der Ukraine. Und irgendwann einmal nach diesem Konflikt, nach der Annexion der Krim, konnte er mit dem Wort „Russendisko“ nichts mehr anfangen. Ich habe sehr lange gebraucht, um diese Freundschaft zu retten. Wir kennen solche Geschichten leider von überall: Gestern haben mir Menschen aus Essen erzählt, das in der jüdischen Gemeinde ein Chor zusammengebrochen ist, auseinandergegangen, nach der Annexion der Krim. Und das war der beste Chor in ganz Deutschland, jedenfalls, was die jüdischen Chöre betrifft. Und die konnten nicht mehr zusammen singen, weil die einen waren für Putin, die anderen dagegen.

Wladimir Kaminer und Russendisko – exklusiv im Interview
Wladimir Kaminer: Russendisko gegen Putin am 1. Mai am Brandenburger Tor. © Foto: Wladimir Kaminer / Jan Kopetzky

Alexander Wallasch: Das kommt mir aber auch sehr bekannt vor bezogen auf anderen gesellschaftlichen Konflikten in Deutschland. Aber eine andere Frage, wenn man Putin-Gegner ist, muss man automatisch pro USA sein oder darf man auch die Rolle der USA kritisieren? Beispielweise in den USA sterben jedes Jahr fast so viele Menschen an Schusswaffen, wie in Deutschland 2020 an Corona…

Wladimir Kaminer: Das war schon immer ein Thema! Das wissen wir schon längst, es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Wir könnten das auch weiterdrehen und sagen, dass die Schusswaffen, die in Amerika erlaubt sind, möglicherweise auch in Deutschland produziert und nach Amerika verkauft wurden. Das heißt, die Deutschen haben nicht abgedrückt bei diesen Toten, aber sie haben schon mitgemacht auch wie bei vielen anderen Sachen, die heute als großer Unfug dastehen.

Ich wollte ihnen aber gerade noch erzählen, warum die verbrecherische Dimension von Putin einen ganz anderen Rang hat. Dieses hämische Lächeln der Opposition gegenüber – die anderen, die Politiker der Amerikaner, der Europäer, die behaupten zumindest, gut zu sein, gut sein zu wollen. Und wenn sie mal falsch handeln, dann gibt es auch eine Untersuchung und eine anschließende Debatte. Im Fall Putin ist das eine direkte Ansage, das Morden gut ist, wenn es dem Staat dient. Dass das Wohl und Schicksal jedes einzelnen Bürgers geopfert werden muss für den Staat, der ja eigentlich die Führung ist. Der Satz, der immer öfter gefallen ist: Putin sei Russland und Russland sei Putin. Das ist ein trauriger Zustand.

Alexander Wallasch: Ist das eine Entwicklung, war das bei Putin einmal anders? War das ihrer Meinung nach mal so wie bei Erdogan? In den haben einmal auch die Europäer Hoffnungen gesetzt – alles vorbei...

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Wladimir Kaminer: Der Weg des Autokraten ist überall ziemlich der Gleiche. Da ist Russland kein Einzelfall. Das, was wir heute haben, das ist schon der dritte oder vierte Putin, der sich so langsam von einem Hoffnungsträger zu einem Diktator verwandelt. Die Geschichte mit Erdogan ist sehr, sehr ähnlich tatsächlich. Das führt dazu, dass man zusammenwächst mit dieser Macht und sich dann nicht mehr vorstellen kann – vor allem sein Umfeld sich das nicht mehr vorstellen kann: – dass ein anderer an der Spitze ist. Weil auf diese Weise würden sie alles verlieren. Und es gibt keine Rückkopplung, keinen Rückwärtsgang in dieser politischen Karriere von Putin, das ist das Schlimmste. In Russland geht es jetzt um den gewaltlosen Machtwechsel.

Alexander Wallasch: Vielleicht ist etwas dran, dass man eine Gesellschaft immer an ihrem ärmsten Teil messen kann oder muss. Was können Sie erzählen über die Armut in Russland? Gibt es die, wie schlimm sieht die aus, hat sich etwas verbessert oder verschlechtert?

Wladimir Kaminer: Die Wirtschaft stagniert seit 2008. Die Regierung versucht hier mit kleinen Geldgaben an die Rentner und die schwangeren Frauen zu begegnen – das war jetzt die Entscheidung Putins, der verkündet einmal im Jahr eine kleine Geldausgabe: Letztes Jahr waren das die Rentner, dieses Jahr die schwangeren Frauen. Wobei er vergessen hat zu sagen, von welchem Monat an und wie lange die etwas bekommen sollen.

Alexander Wallasch: Sind Wirtschaftssanktionen gegen Russland in Ordnung?

Wladimir Kaminer: Wirtschaftssanktionen treffen vor allem das einfache Volk, glaube ich. Also nicht einmal die Wirtschaftssanktionen alleine, da kommen dann auch die Gegensanktionen der russischen Regierung, die dann keine Tomaten mehr kaufen in der Türkei. Oder keine Autos in Europa. Das trifft die Russen hart. 'Die eigenen Städte bombadieren', sagt man auf Russisch, wenn die Regierung so etwas beschließt. Und politisch bringen diese Sanktionen in der Tat nicht viel. Allerdings gibt es kaum andere politische Werkzeuge, welche es der Weltgemeinschaft erlauben, auf ein Land einwirken zu können – auf ein Land mit Atomwaffen noch dazu!

Alexander Wallasch: Wie würden Sie die Leser einladen zu ihrer Veranstaltung am Brandenburger Tor bitte?

Wladimir Kaminer: Wir laden ein, mit Maske und Abstand selbstverständlich. Ich möchte ihren Lesern auch sagen, wogegen wir protestieren: Wir protestieren gegen den Stumpfsinn der politischen Entscheidungen. Jedes Land sollte die Größe haben eigentlich, sich Fehler auch zuzugestehen – politische Fehler. Putin kann auch durchaus in der Lage sein, zu verstehen, es gibt auch ein Leben nach dem Amt. Er kann als Rentner glücklich werden.

Alexander Wallasch: Die Deutschen hatten einmal viel Hoffnung gelegt auch in diese Beziehung Merkel-Putin. Was ist da und warum kaputt gegangen?

Wladimir Kaminer: Putin hat die Psychologie eines Reichsbürgers: Er sagt, in Europa gibt es keine selbstständigen Politiker, sie sind alle Puppen, die von Washington aus gelenkt, werden, es hat also keinen Sinn, mit ihnen zu reden, das sind keine echten Menschen. Also wenn (denkt Putin), dann muss man mit dem Chef reden. Und der Chef sitzt in Amerika. Da ist so – Entschuldigung – seine Paranoikervorstellung.

Ich sage ihnen jetzt aber noch was ganz Schreckliches, aber ich muss es tun, passend zum Thema 'lange Präsidentschaft': Ich bin dagegen, das Merkel jetzt geht. Ich finde nach diesen 16 Jahren weiß kaum einer besser, wie dieses Land zu regieren ist. Warum soll dieser Wechsel gerade jetzt stattfinden, wo das Land in einer solchen Notsituation ist?

Alexander Wallasch: Vielleicht deshalb – hier zitieren ich die Kritiker – weil der Staat Notsituationen extra aufrechterhält, damit es den demokratisch legitimierten Wechsel nicht geben kann?

Wladimir Kaminer: Aber das, was er jetzt als Wechselpart angeboten wird, das ist ja kein Wechsel. Das sind doch dieselben Akteure nur mit dem Unterschied, dass sie neu sind und sich überhaupt nicht auskennen mit den Einzelheiten des Amtes. Das ist einfach nur verlorene Zeit, Merkel soll bleiben.

Alexander Wallasch: Das war doch schon bei Helmut Kohl so, dass Kohl mit jedem Jahr, das er mehr regiert hat, mehr Bedeutung bekommen hat auf der internationalen Bühne – für die Demokratie ist das aber kein so guter Nährboden eigentlich…

Wladimir Kaminer: Putin wartet nur darauf, dass jemand Neues kommt. Dann sieht er sich als Mann mit der größten Erfahrung: Er hat schon so viele amerikanische Präsidenten kommen und gehen sehen. Und Putin bleibt ja immer, das ist dann auch so ein Vorteil des Autokraten.

Alexander Wallasch: Joe Biden hat keine Chance gegen Putin?

Wladimir Kaminer: Biden vielleicht schon, der hatte ja schon – glaube ich mich zu erinnern – mit der sowjetischen Führung zu tun. Mit Biden hat Putin eine schwere Vorgeschichte. Das war nämlich Biden, der damals 2008 zu Putin sagte, die amerikanischen Eliten seien der Meinung, er solle nicht noch einmal kandidieren. Biden hat ihm das überbracht. Ich glaube sogar nur deshalb ist Putin es dann zum dritten Mal geworden – nur um den Amerikanern eins auszuwischen!

Wladimir Kaminer und Russendisko – exklusiv im Interview
Wladimir Kaminer und Russendisko. © Foto: Wladimir Kaminer / Silje Riise Næss

Alexander Wallasch: Aber nochmal bitte zu ihrem literarischen Werk zurück: In den 2000er – wenn man eine Frau kennenlernte, man konnte ja sicher sein, dass immer ein frischer Kaminer auf dem Nachttisch lag – als Mann war man also fast gezwungen, da mal reinzulesen. Sind sie ein Autor besonders für Frauen?

Wladimir Kaminer: Das ist eine sehr erfreuliche Nachricht. Meine Kinder, die schon erwachsen sind, die sagen zu mir, mein Publikum seien eigentlich alte Tanten so ab fünfzig plus. Aber ich glaube, dass das genau die Mädchen von damals sind.

Alexander Wallasch: Sie haben demnach ein sehr treues Publikum?

Wladimir Kaminer: Ja, allerdings muss ich zu meiner Verteidigung sagen, dass die gleichaltrigen Zeitgenossen meiner Kinder sehr oft hier vorbeischauen und auch ein Autogramm haben wollen oder nach dem neuen Buch fragen.

Alexander Wallasch: Haben sie das auch ein bisschen Matthias Schweighöfer zu verdanken? Wie zufrieden waren sie denn mit der Verfilmung von Russendisko?

Wladimir Kaminer: Das war für deutsche Verhältnisse eine leichte, gut verdauliche Komödie. Ich weiß, dass sehr lange an diesem Drehbuch gearbeitet wurde und so ist es letzten Endes den Filmemachern gut gelungen.

Alexander Wallasch: Hatten Sie an dem Drehbuch mitgearbeitet?

Wladimir Kaminer: Nein, nein, ich wollte mich da fern halten von dieser kreativen Arbeit. Und wissen Sie: Im Film muss ja alles anders sein. Ein Film ist immer ein Märchen. Da können Menschen nicht mal einfach über die Straße gehen, was ja im Leben täglich der Fall ist. Nein, sie müssen unbedingt auf der Flucht sein oder auf der Schatzsuche, immer auf etwas Großes hoffend ...

Alexander Wallasch: Wie fühlt sich das an für einen Schriftsteller, wenn eine Verfilmung des eigenen Buch ins Kino kommt?

Wladimir Kaminer: Ich bin ja gerne im Licht der Öffentlichkeit. So war das für mich schon eine coole Geschichte in Berlin, am Potsdamer Platz mit dem roten Teppich. Die Produktionsfirma hat sich da wirklich ins Zeug gelegt. Aber mit mir als Schriftsteller hat das wenig zu tun, das ist eine ganz andere Art des Denkens. Mit Matthias Schweighöfer, als das begann mit dem Film, da war meine Tochter glaube ich fünfte Klasse, da waren sie alle Fans von Matthias Schweighöfer, die wollten alle unbedingt ein Autogramm. Als die dann mit dem Film fertig waren, da war sie schon siebte Klasse und da schämten sie sich schon alle für Schweighöfer und wollten ihre Autogramme nicht mehr haben. Das ist eine sehr flüchtige Angelegenheit diese Modetrends.

Alexander Wallasch: Ihr neustes Buch heißt: „Der verlorene Sommer. Deutschland raucht auf dem Balkon.“

Mich erinnerte der Titel an Hesses „Klingsors letzter Sommer“ da heißt es nämlich: „Klingsor steht nachts auf dem Balkon seines Arbeitszimmers und blickt in die üppige Vegetation unter sich. Er versagt sich den dringend benötigten Schlaf, weil er den Rausch des Sommers voll ausschöpfen und nichts verpassen will.“ Wie geht es ihnen so auf ihrem Balkon? Gibt es ein tröstliches russisches Sprichwort gegen das Älterwerden?

Wladimir Kaminer: Ja, das Älterwerden ist eine Veränderung, auf jeden Fall. Aber diese Veränderung will ich nicht als Weg ins Nichts sehen. Das ist keine Sackgasse auf jeden Fall. Ich glaube schon an ein Leben danach und an eine endlose Reise, die auch sehr ereignisvoll ist. Was heißt glauben, ich weiß es! Und sonst mit dem Alter … im Russischen sagt man – obwohl in Deutsch gibt es das ja auch – man sagt, dass mit dem Alter die Weisheit kommt. Aber manchmal möchte ich sagen, kommt das Alter auch allein.

Alexander Wallasch: Kommt manchmal auch die Melancholie mit dem Älterwerden, das große Traurigsein?

Wladimir Kaminer: Also ich kenne sehr viele lustige Rentner. Ich glaube sogar, die Rentner in Deutschland sind die optimistischsten Menschen. Die haben auch am meisten zu Lachen, die sind schon alle geimpft und haben ein endloses Leben vor sich, sie müssen keine Probleme lösen, sie müssen keine Entscheidungen treffen, die für die Zukunft Deutschlands wichtig sind. Also Rentner sind eigentlich sehr glückliche und frohe Menschen.

Alexander Wallasch: Es gibt auch arme Rentner, aber die meisten sind doch nach wie vor gut situiert in Deutschland …

Wladimir Kaminer: Auch das noch. Und das ist die friedlichste Generation, die es jemals gab auf dem Planeten Erde, fast achtzig Jahre ohne Krieg, wann gab es das schon?

Alexander Wallasch: Wenn wir beide achtzig sind, wird dann die Corona-Krise unser Krieg gewesen sein?

Wladimir Kaminer: Ich glaube Corona bedeutet in erster Linie ein Signal zu einer radikalen Lebensveränderung. Und diese Lebensveränderung wird ihre Aktualität nicht verlieren, auch wenn das Virus vorbei ist. Jetzt schon wird überall darüber diskutiert, wie es weiter gehen soll mit dem wachsenden Wohlstand. Sollen wir beschleunigen oder bremsen? Und alle sagen: Ja, wir müssen bremsen. Aber wie das geht, das weiß keiner! Diese Ökonomie des Bremsens existiert überhaupt nicht.

Alexander Wallasch: Lieber Herr Kaminer, haben wir noch etwas vergessen?

Wladimir Kaminer: Nein.

Alexander Wallasch: Dann danke Ich ihnen für das Gespräch!

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