Maxim Billers Gaza-Text wird gelöscht – doch die Relevanz des „Skandalautors“ lebt von der Zensur

"Zeit" zensiert Billers Kolumne: Skandälchen um jüdischen Autor entfacht neue Debatte

von Alexander Wallasch (Kommentare: 6)

Endlich Zensur – endlich Aufmerksamkeit© Quelle: Zeit-Online, Screenshot

Die „Zeit“ löscht Maxim Billers Kolumne wegen eines Gaza-Halbsatzes und entfacht einen Shitstorm. War’s ein Fehler oder pure Absicht? Biller ist zurück im Fokus – und die Debatte beginnt. Irgendwie.

Das ist ungewöhnlich, dass eine große Zeitung die Kolumne eines ihrer Autoren löscht, nachdem dieser weit über ein Jahrzehnt regelmäßig für das Magazin schreibt. Ungewöhnlich, weil die „Zeit“ ihren Maxim Biller kennt und sicher nicht das erste Mal ein paar Diskussionen um Inhalte geführt haben muss.

Die „Zeit“ löscht jetzt den Inhalt der aktuellen Biller-Kolumne und ersetzt die gelöschten Zeilen durch einen Hinweis in eigener Sache:

„Der an dieser Stelle erschienene Beitrag enthielt mehrere Formulierungen, die nicht den Standards der ZEIT entsprechen. Unsere aufwendige redaktionelle Qualitätssicherung hat leider nicht gegriffen. Wir haben den Text deshalb nachträglich depubliziert.“

Nun ist Biller der Autor von gestern, seine ganz große Zeit ist vorbei, in Sachen Relevanz sieht es dünner aus, wo sich die sozialen Medien früher noch dafür interessiert hatten, wenn der Autor mal gemeinsam mit Ex-Spiegel-Autor Georg Diez in Berlin Pullover einkaufen ging. Oder waren es Hosen mit Christian Kracht? Egal. Spiegel Online notierte einer anderen Zeit mal über den Autor:

„Biller schreibt mit einer selbstverständlichen, unaufdringlichen Eleganz, mit der sich kein anderer der deutschsprachigen Schriftsteller seiner Generation messen kann. Seine Novelle erreicht weltliterarisches Niveau.“

Biller ist Deutscher jüdischen Glaubens, seine Eltern waren Russen, geboren wurde der Autor in Prag, 1971 emigrierte die Familie nach Westdeutschland. Biller wurde Journalist mit Stationen beim legendären „Tempo“-Magazin, beim Spiegel, der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und der „Zeit“.
Billers Texte drehen sich oft um die Nichtverarbeitung des Holocaust von deutscher Seite, um deutschen Antisemitismus und um jüdisches Leben in Deutschland. In seinen Büchern ging es Biller noch mehr um Biller und Billers Leben in Deutschland.

Auch als Romanautor machte Biller Erfahrung mit Depublizierung im weitesten Sinne. Nämlich im Zusammenhang mit einer Ex-Frau und anderen Personen, die in „Esra“ ihre Persönlichkeitsrechte verletzt sahen, woraufhin der Biller-Roman vom renommierten Verlag Kiepenheuer & Witsch nicht mehr gedruckt werden darf. Der Fall ging erfolglos bis zur Verfassungsbeschwerde.

All das sind auch relevanzsteigernde Faktoren mindestens für den Autor, die Medien haben umfangreich berichtet. Und nicht erst seit Ulf Poschardt und seinem zunächst von einem Verlag abgelehnten „Shitbürger“ weiß man um den Wert solcher Zensuren. Oder anders ausgedrückt: Der – gemessen an seiner früheren Relevanz – irgendwie in Vergessenheit geratene Autor (irgendwo las ich mal: Was macht eigentlich Biller? Oder war es auch Diez oder Kracht?) erfährt eine besondere Aufmerksamkeit, die seine Kolumnen alleine nicht mehr bekommen.

Die Relevanz erwächst aus der Zensur. Wenn es der „Zeit“ und Biller nur um Relevanz gegangen wäre: Als Inszenierung wäre es perfekt gewesen. Aber das ist Spekulation.

Aber was hatte Biller eigentlich geschrieben, dass die „Zeit“ so herausgefordert hatte? Der „Spiegel“ hatte eine Verlagssprecherin der „Zeit“ befragt, die erklärte, nicht der von Biller angegriffene Markus Lanz habe sich beschwert, sondern da wäre dieser Halbsatz, in welchem der Autor von einer „strategisch richtigen, aber unmenschlichen Hungerblockade von Gaza“ schreibe. Das habe in den sozialen Medien zu einem Shitstorm geführt.

Die „Zeit“-Sprecherin ergänzte, auch die „Zeit“ halte die Formulierung für „problematisch und nicht vertretbar“. Warum man sie trotzdem nicht mit dem Autor diskutiert und abgedruckt hat, steht da nicht. Sowieso kann nur die Online-Version gelöscht werden, die Zeitungen sind bereits verkauft und liegen zu Hause auf dem Wohnzimmertisch oder Billers Stück liegt schon beim Altpapier, wo jede Zeitung unweigerlich endet.

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Der Biller-Text beginnt und endet mit einem Witz. Der zum Abschluss geht so:

„Kommt ein Israeli zum Arzt und sagt: ‚Herr Doktor, ich war gerade vierzig Tage mit meiner Einheit in Gaza und hab keine Lust mehr, auf Araber zu schießen. Was soll ich tun?‘ ‚Sie könnten damit natürlich sofort aufhören, wenn Sie wollten‘, sagt der Arzt, ‚aber raten würde ich es Ihnen nicht. Auch nicht nach unserer Therapie.‘“

Nun ist die Mahnung – in welche Richtung auch immer – auch in Form eines Witzes keine ungewöhnliche literarische. Und offenbar sieht sich auch Biller entlang seiner Kolumnen als so etwas wie den Bewahrer des jüdischen Witzes. Ob und wie ihm das gelingt, sei dahingestellt. Die Verlagssprecherin sagt gegenüber dem Spiegel:

„Es bleibt aber ganz allein unser Fehler, dass wir mit Maxim Biller vor Veröffentlichung nicht über mögliche Änderungen gesprochen haben.“ Man bedauere die Panne sehr.

Biller schrieb in seinem Text auch Absätze wie diesen hier:

„Ich selbst habe zum Glück privat mit dem Morbus Israel der Deutschen kaum zu tun, denn bei der Auswahl meiner Freunde achte ich immer darauf, dass kein faules Ei dabei ist, kein Juden- und Israelhasser, aber auch kein eifriger Philosemit, denn bei Eiferern weiß man nie, welcher Glaube ihnen gerade passt. Womit ich beim Kern der neugermanischen Orient-Neurose wäre – der enttäuschten Liebe der Deutschen zu ihren Opfern von früher, locker formuliert.“

Offenbar hat Biller vor allem auch keine Kontakte zu nicht-deutschen Antisemiten. Davon ist aber hier nicht die Rede. Was Biller „Morbus Israel der Deutschen“ nennt, betrifft allenfalls noch Deutsche der Boomer-Generation, die nachfolgende(n) Generation(en) haben den Holocaust als Teil der deutschen Geschichte weggebucht, für die sie sich wenig interessieren oder nicht mehr interessieren sollen.

Fakt ist eben auch: Mit dem Verlust der deutschen Identität geht auch der Bezug zum Holocaust verloren. Und damit dann eben auch die Häufigkeit und Relevanz des Biller-Anwurfs vom „Morbus Israel der Deutschen“, der konkreter ein „Morbus Juden der Deutschen“ ist bzw. war.

Hatte Biller einmal den neuen Antisemitismus zugewanderter Muslime literarisch verarbeitet, die auf den Straßen Berlins Jagd auf Juden machen? Das führte ihn dann allerdings weg von seinem ewigen „Morbus Juden der Deutschen“, weg vom Zentrum seines literarischen Schaffens.

Schade, dass Biller hier nicht mehr neugierig genug war und darüber die Gegenwart vergessen hat – das hätte doch die eine neue relevanzschaffende Arbeit des deutschen Kolumnisten jüdischen Glaubens sein können.

Die „Zeit“ generiert eine neue Biller-Relevanz aus einer Zensur. Den Autor mag die Aufmerksamkeit jetzt an das Theater mit „Esra“ erinnern. Wie er sich dabei fühlt, hat er bisher nicht öffentlich geäußert.

Abschließend noch ein Zitat aus der von der „Zeit“ gelöschten Biller-Kolumne. Wenn es um Gaza gehe,

kennen die meisten Deutschen keinen Spaß. Das Drama, das sie dann aufführen, begleitet von der bigotten Beschwörungsformel ‚Das Völkerrecht! Das Völkerrecht!‘, mit der sie niemals Leute wie Sinwar oder Ali Chamenei belegen würden, hat nichts mit einer zivilisierten politischen Auseinandersetzung zu tun. Es ähnelt eher einer Teufelsaustreibung am eigenen Leib, ohne Priester und Handbuch, und die Frage ist nur, wer oder was hier der Teufel ist: das schlechte Gewissen des Täterenkels?“

Der Täterenkel? Ob es Biller und anderen deutschen Boomern nun passt oder nicht, die jüngeren Generationen sind frei von schlechtem Gewissen. Die Urenkel und Ururenkel der Nazis sind dafür viel zu weit von einer eigenen deutschen Identität entfernt, die irgendwie drücken könnte. Was sie bewegt ist allenfalls der Blick auf die Ukraine und auf Gaza.

Und hier generieren sie ihre Empörung und gehen auf die Straße, wenn sie nicht gerade von einer Vorfeld-Zivilgesellschaft politisch dazu genötigt werden, „gegen Rechts“ zu demonstrieren. Aber warum sie das tun, verschwindet dann im Nebel des Rituals.

Biller hat ein bisschen getrommelt. Und dann ist ihm – was die Relevanzkriterien angeht – das Beste passiert, was ihm passieren konnte. Sein Boomer-Text wurde gelöscht und seine alten Kumpels aus den Redaktionen haben Biller noch mal den Gefallen getan.

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