Hans-Georg Maaßen beantwortet Ihre Fragen

Die CDU ist mittlerweile eine linke Partei

von Alexander Wallasch

"Was wir brauchen, ist ein Neuaufsetzen einer europäischen Zusammenarbeit."© Quelle: privat

X-User und Leser haben ihre Fragen an Dr. Maaßen gestellt. Hier sind die Antworten. Danke für das große Interesse und die vielen klugen – und oft sehr besorgten – Fragen. Im zweiten Teil folgt noch ein Fragenblock von Alexander-Wallasch.de.

Vorab ein paar Fragen von X-Usern, die ich darum gebeten hatte. „Für Gerechtigkeit und Frieden 2.0“ will wissen: Sollte Deutschland aus der EU austreten bzw. ist ihrer Meinung nach die EU noch reformierbar?

Eine europäische Zusammenarbeit halte ich für notwendig, weil sich über die Jahrzehnte gezeigt hat, dass jeder einzelne europäische Staat zu klein ist, um zwischen den globalen Mächten bestehen und sich durchsetzen zu können. Von daher ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten im Interesse der Staaten wichtig, damit wir nicht zerrieben werden zwischen den USA, Russland, China und anderen globalen Spielern.

Die jetzige Europäische Union ist allerdings in einer Richtung fehlentwickelt worden, die den nationalen Interessen der meisten europäischen Mitgliedsstaaten schadet und die sich weit von den Vorstellungen der Gründer der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Union entfernt hat. Was wir brauchen, ist ein Neuaufsetzen einer europäischen Zusammenarbeit. Ich halte die EU in der jetzigen Form für nur noch schwer reformierbar. Wir sollten einen kompletten Neuanfang wagen.

X-User „Betreutes Denken“ will wissen: Wann erreicht der Zustand „unserer Demokratie“ den Status, welcher GG Art. 20, Abs. 4 erreicht? Und wie sähe dieser Widerstand aus?

Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz liegt dann vor, wenn die Gerichte feststellen, dass Artikel 20 Absatz 4 vorliegt. Über das Vorliegen entscheiden letztendlich dann die Gerichte, wenn sie einmal angerufen werden. Heißt aber letztendlich: Es handelt sich hier eher um eine proklamatorische Regelung als um einen wirklichen Tatbestand.

Ich sage es mal so: Wenn die Milch vergossen ist, hilft auch Artikel 20 Absatz 4 nicht mehr. Es ist eine Regelung, die im Rahmen der Notstandsgesetzgebung aufgenommen worden ist und letztendlich die Bürger daran erinnern soll, dass die Bundesrepublik eine wehrhafte Demokratie ist.

X-User „D'oh!“ will wissen: Ab welchem Grad des Verlustes an öffentlicher Sicherheit würden Sie als Jurist, Beamter und Geheimdienstler die Bewaffnung von Otto-Normalen zum Selbst- und Fremdschutz befürworten? Ist sowas überhaupt denkbar?

Das Waffenrecht würde ich nicht in Zusammenhang bringen mit der Erosion öffentlicher Sicherheit. Ich glaube, wir brauchen eine Liberalisierung des Waffenrechts, für die ich mich einsetze. Was wir in den letzten Jahrzehnten erfahren haben, ist eine Entmündigung des Bürgers in vielen Bereichen, auch im Bereich des Waffenrechts.

Wir müssen mehr Vertrauen zum Bürger haben. Wir müssen auch den Mut haben zu erkennen, dass auch der Bürger durchaus ein Recht haben darf, Waffen zu tragen, Waffen zu nutzen, unabhängig davon, ob er nun Jäger ist oder Sportschütze. Und dabei muss man nicht immer dem Jäger, dem Sportschützen unterstellen, weil er eine Waffe hat, würde er dann auch diese Waffe missbrauchen. Ich glaube, wir brauchen ein grundlegendes Verständnis auch des Waffenrechts im Interesse der Freiheit der Bürger.

X-Userin „Doreen Peter“ will wissen: „Gibt es eigentlich politische Veränderungen, die sich auch mal positiv für Deutschland auswirken könnten?“

Ich sehe derzeit auch das Überwiegen der negativen politischen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten. Und ich habe auch den Eindruck, immer wenn es zwei Alternativen für politische Entscheidungen gab, hat man die Entscheidung gewählt, die letztendlich vom Ergebnis her negativ für unser Land ist.

Wir sehen negative Entwicklungen in der Innenpolitik, ob das nun die Wirtschaftspolitik ist oder die Migrationspolitik ist. Wir sehen negative Entwicklungen im Bereich des europäischen Zusammenhalts und des Bestehens der europäischen Institutionen. Der Ukrainekrieg ist eine negative Entwicklung zu unseren Lasten. Um die Frage der Userin zu beantworten: Leider sehe ich keine positive Entwicklung, schon gar nicht eine, die die ganzen negativen in irgendeiner Weise kompensieren würde.

X-User „Christian Fluegel“ will wissen: Herr Maaßen, bedauern Sie rückblickend, dass unter Ihrer Mitwirkung die CDU mit der Werteunion einen streitbaren Kern liberal/konservativer Kräfte verloren hat?

Nun, die Werteunion als Verein wollte ja auch immer in der CDU wirken und mitwirken und mitmachen und wollte eigentlich auch Einfluss darauf nehmen, dass die CDU wieder zu ihrem Markenkern zurückfindet. Die Werteunion ist ausgegrenzt worden, sie ist von der CDU als „Krebsgeschwür“ diffamiert worden. Gegen mich ist ein Parteiausschlussverfahren von Merz initiiert worden. Das war eine klare Aussage der Parteiführung: Sie wollen keine Kursänderung, weder mit einer Werteunion noch eine Kursänderung aus eigener Kraft.

Die CDU ist mittlerweile eine linke Partei, die nur so tut, als ob sie konservativ oder freiheitlich sei. Vor diesem Hintergrund war und ist es unerlässlich, dass wir eine bürgerliche Kraft haben als Alternative zur CDU/CSU, weil eben CDU und CSU ihren konservativen Zielen längst nicht gerecht werden, im Gegenteil, sie verraten sie.

Die letzte Leserfrage kommt von X-User „Jens Thaele“. Er will wissen: Wie hoch schätzt Hans-Georg Maaßen die Wahrscheinlichkeit ein, dass es zu einer „echten“ Trendwende zu logikorientierter und unserem Staat und Gemeinwohl nützender Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik kommen könnte?

Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Die Entwicklung ist derzeit eher eine negative Entwicklung in vielen Themenbereichen, insbesondere im Themenbereich der Meinungsfreiheit. Und es wird noch einige Zeit dauern, bis wir die Talsohle erreicht haben. Ich sehe die Talsohle noch nicht.

Wenn Sie mich fragen, wann sie erreicht ist, vielleicht in einem Jahr oder zwei Jahren. Aber ich bin dennoch zuversichtlich. Es wird nicht ewig so weitergehen, und wir werden die Kurve bekommen und es wird wieder bergauf gehen: Mit anderem politischem Personal werden wir die Politikwende hinbekommen.

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Noch ein paar Fragen von mir: Das Bundesamt für Verfassungsschutz will sein Personal bis 2027 um über 35 Prozent aufstocken. Macht das Sinn?

Man könnte glauben, dass der Verfassungsschutz anstrebt, der größte Arbeitgeber in Deutschland zu werden: Immer mehr Personal, immer mehr Befugnisse. Ich halte diese Entwicklung für falsch. Richtig wäre es, wenn der Verfassungsschutz seinen originären Aufgaben nachkommen würde, nämlich Terrorismus, Sabotage und Spionage zu bekämpfen, anstatt politische Gegner zu überwachen.

Ich hätte mir gewünscht, dass der Verfassungsschutz bei der Aufklärung des Anschlages auf die Nord-Stream-Pipelines eine wesentliche Rolle spielt oder diesen Anschlag sogar verhindert hätte. Aber das ist leider nicht der Fall. Ich habe den Eindruck, dass diese Behörde jetzt personell aufgepumpt wird mit Blick auf politische Gegnerbekämpfung, so wie das die vorherige Bundesregierung und nach meinem Eindruck auch diese Bundesregierung vorhaben, nämlich unter der Überschrift „Kampf gegen Rechts“ – politische Gegner durch den Verfassungsschutz überwachen zu lassen. Darin sehe ich eine Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.

Der niedersächsische Verfassungsschutz schrieb im Oktober 2024 via X: „Auch wir sind Antifa. Selbstverständlich.“ Der Bundesverfassungsschutz sortiert die Antifa allerdings teilweise als Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ein. Ist der niedersächsische Verfassungsschutz demnach ein Fall für den Verfassungsschutz?

Ich habe mit einer derartigen Aussage – „Auch wir sind Antifa“ – große Probleme. Gerade der Verfassungsschutz muss wissen, dass Antifa nicht irgendein Wort ist, sondern Antifa ist eine der ältesten linksextremistischen, gewaltorientierten Bestrebungen in Deutschland. Wer sich solidarisch mit denen erklärt, wird selbst zu einem Problem für unsere Verfassungsordnung.

BKA und Verfassungsschutz – sind hier manche Themen nicht doppelt belegt? Wie wäre es, den Verfassungsschutz aufzulösen und die wirklich objektiv kriminellen Fälle zum BKA zu geben?

Die Trennung zwischen Verfassungsschutz und Polizei ist grundsätzlich so, dass der Verfassungsschutz im polizeilichen Vorfeld tätig werden darf, aber auch nur, wenn es um eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung geht. Also dann, wenn eine Systemüberwindung angestrebt wird, wenn aus einer freiheitlichen Demokratie eine totalitäre Gesellschaftsform gemacht werden soll. Dagegen darf die Polizei mit ihren umfangreichen Befugnissen erst dann tätig werden, wenn eine konkrete Gefahr besteht oder wenn es um die Strafverfolgung geht.  

Das heißt also: Der Verfassungsschutz im Vorfeld darf keine polizeilichen Maßnahmen einsetzen und soll grundsätzlich auch im Geheimen arbeiten und nicht jede Beobachtung an die große Glocke hängen, wie das derzeit der Fall zu sein scheint.

Die Aufgabenteilung ist eigentlich sinnvoll, aber diese Aufgabenteilung ist in Teilen auch erodiert, indem der Verfassungsschutz jetzt nicht nur Organisationen überwacht, die die freiheitliche demokratische Grundordnung abschaffen wollen, sondern auch Einzelpersonen, die nach seinem Verständnis den Staat delegitimieren und Regierungspolitiker verächtlich machen. Diese Ausweitung der Überwachung auf Regierungskritiker begründet eine Gefahr für die Meinungsfreiheit und damit für unsere freiheitliche Grundordnung.

Markus Söder will nun doch ganz konkret wehrpflichtige Ukrainer an die Front schicken. Umstrittenes Thema auch im rechten Lager. Was ist Ihre Meinung?

Wir haben ein Asylrecht und das Asylrecht dient grundsätzlich dazu, dass Menschen, die politisch verfolgt werden oder denen bei der Rückkehr in den Heimatstaat Folter oder Tod droht, temporär davor geschützt werden. Und nun haben wir in Deutschland Regierungspolitiker, die offenkundig der Auffassung sind, Deutschland sollte durch die Abschiebung von Ukrainern dafür Sorge tragen, dass die ukrainische Armee mit wehrfähigen Männern ausgestattet wird. Das widerspricht der Konzeption des asylrechtlichen Schutzauftrags des Grundgesetzes.

Deutsche Gerichte verzeichnen aktuell einen drastischen Anstieg von Asylklagen. Immer mehr Ukrainer beantragen Asyl, wechseln also den Status. Was kommt da auf uns zu?

Das war abzusehen. Die Erfahrung zeigt, dass Ausländer, die ihren Aufenthaltsstatus in Deutschland verlieren und denen dann die Abschiebung droht, vielfach in das Asylverfahren „flüchten“, damit sie nicht abgeschoben werden.  Und je höher die Schutzquote für Staatsangehörige eines Landes ist, desto größer ist die Chance für Asylsuchende, über das Asylrecht doch noch einen legalen Aufenthalt zu erhalten. Als man entschieden hatte, eine derart große Zahl von Ukrainern einreisen zu lassen, war es natürlich auch absehbar gewesen, dass nicht wenige Ukrainer versuchen werden, über das Asylrecht dauerhaft einzuwandern.

Danke für das Gespräch!

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