Verlorenes Feindbild, erschöpfte Gesellschaft und ein Gesundheitssystem am Abgrund

Ein Interview mit Hans-Georg Maaßen über die drängendsten Themen unserer Zeit

von Alexander Wallasch

"Ein Interview-Buch kann ich mir gut vorstellen, wenn es die Leser wünschen."© Quelle: privat

Die Gesellschaft ist erschöpft, das Gesundheitssystem droht zu kollabieren, und die Bürger fragen: Wohin führt das? Dazu: Politische Verfolgung, gestörte Sommerinterviews und ein nicht enden wollender Krieg am Rande Europas.

Lähmt die Kanzlerschaft Merz Gesellschaft, Politik und Medien? Ist mit der Ampel das klare Feindbild verloren gegangen?

Ja, in der Tat. Es ist für manche das klare Feindbild verloren gegangen, weil man in Merz den Hoffnungsträger gesehen hatte. Nicht umsonst haben 14 Millionen Merz bei der Bundestagswahl gewählt. Und diese Leute sind nun teils orientierungslos und verstehen die Welt nicht mehr, weil sie dachten, wenn sie Merz wählen, würden sie eine konservative Politik bekommen.

Aber das, was Merz macht, ist im Grunde die Fortsetzung der Ampelpolitik, nur dass er es anders nennt, anders verkleidet. Er setzt die grün-rote Politik fort, hat sie aber als konservativ verkleidet, das verwirrt die Leute selbstverständlich. Man denkt an das trojanische Pferd. Es nennt sich CDU, die Leute erwarten entsprechend konservative Politik, tatsächlich ist aber der staatszersetzende Neosozialismus im Bauch des Holzpferdes.

Nehmen wir das Beispiel mit den Richtern beim Bundesverfassungsgericht: Da spielt die CDU den Arglosen, als sei sie von der SPD über den Tisch gezogen worden, aber in Wirklichkeit macht die Union wissentlich und willentlich alles mit, mit Ausnahme von einzelnen wie Saskia Ludwig aus Brandenburg, die dafür jetzt mit linken Diffamierungskampagnen überzogen wird.

Also ja, das klare Feindbild der Bürgerlichen ist verloren gegangen, und man traut sich noch nicht, sich offen einzugestehen, dass Friedrich Merz nichts anderes fortsetzt als die Politik von Rotgrün, nur dass er es anders nennt und obendrein wie Merkel, die Leitfigur der CDU, so tut, als ob es alternativlos wäre.

Auch oppositionelle Medien bleiben im Daueralarmmodus. Zeit für eine Pause, die Reibungsverluste sind enorm groß. Mein Vater fuhr alle Jahre mal zur Kur. Sind wir reif für die Kur? Aber ich kenne kaum noch jemanden, der zur Kur fährt.

Vor dreißig Jahren war jeder 60-Jährige mindestens einmal zur Kur gewesen. Manche sogar häufiger. Das war damals völlig normal. Das war das Selbstverständnis eines jeden Arbeitnehmers, dass man alle zwei oder vier Jahre zur Kur gehen konnte. Sang- und klanglos hat sich das geändert.

Aber viele Menschen sind derzeit einfach erschöpft; erschöpft von den privaten Problemen, erschöpft von den Problemen am Arbeitsplatz und den Ängsten, was die Zukunft angeht. Und erschöpft von einer Politik, wo mancher sich jetzt nach der Bundestagswahl und nach den ersten politischen Entscheidungen von Merz fragt: Wo soll das noch hinführen?

Die Menschen sind erschöpft und brauchen eigentlich zumindest eine geistige Kur, damit sie nicht verrückt werden.

Wäre das ein Thema für die Werteunion, hier mal zu schauen?

Wir können nicht bei allen Themen gleich präsent sein. Das Thema „Kur“ ist derzeit, glaube ich, nicht so das Entscheidende. Das Entscheidende ist, dass unser Gesundheitssystem und das Pflegesystem nicht in den nächsten ein, zwei Jahren kollabieren. Da müssen wir einfach Angst haben.

Das ganze System droht zu kollabieren, weil wir verantwortungslose Politiker in diesen Funktionen haben, die, wenn sie regierten, immer nur kleine Veränderungen am System vorgenommen haben, immer wieder dem Gesundheitssystem neue Lasten aufgebürdet haben. Und jetzt ist es nicht mehr durch kleine Änderungen reformierbar.

Wir brauchen grundlegende Änderungen des Gesundheits- und Pflegesystems. Diese Regierung hat aber nicht den Willen, die Kraft und den Mut zu grundlegenden Veränderungen oder zu einem Neuanfang.

Wir laufen hier also sehenden Auges in die Katastrophe. Und das Thema „Kur“ ist eher ein randständiges Thema. Auch wenn ich das gerne aufgreifen würde, weil viele eine Kur verdient hätten. Aber das Gesundheitswesen ist derzeit in höchster Not, und es müsste gerettet werden von verantwortungsvollen Politikern, die ich leider nicht in den verantwortlichen Positionen sehe.

Nun hat Querdenken-Gründer Michael Ballweg eine Zwangskur bekommen über neun Monate U-Haft. Der Prozess läuft viele Monate, längst geht den Staatsanwälten die Luft aus. Was ist Ihr Fazit?

Also ich würde es nicht euphemistisch als „Kur“ bezeichnen, sondern als illegale Freiheitsentziehung, so muss man es nennen. Man hat Michael Ballweg die Freiheit entzogen, aus offensichtlich politischen Gründen. Wenn es so ist, dann ist es politische Verfolgung und, wenn es politische Verfolgung ist, müssen die Verantwortlichen, die das angeordnet haben und die da mitgewirkt haben, auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

Einfach mal so Leute hinter Gitter zu bringen und grinsend zuzuschauen, wie die dann Monate hinter Gittern ihr Leben fristen, ist kein Kavaliersdelikt. Ich erwarte, dass die Verantwortlichen, die das angeordnet haben – auch in der Justiz – vor Gericht gestellt und abgeurteilt werden.

Das Sommerinterview mit Alice Weidel wurde von Linksradikalen samt Lautsprecherwagen empfindlich gestört. Mit dabei auch die von der Regierung subventionierten „Omas gegen Rechts“. Technisch wussten schon die Nazis mit solchen Lautsprecherwagen die politischen Rivalen mundtot zu brüllen. Die Radikalen sind Wiederkehrer, können das aber ganz gut ausblenden.

Jeder Vergleich mit der Zeit des Nationalsozialismus ist in Deutschland tabuisiert. Und wenn man das Tabu bricht, muss man mit der Höchststrafe, nämlich mit massiver Diffamierung, Diskreditierung und Ausgrenzung rechnen. Eine schwierige Situation auch deshalb, weil sich derzeit so ziemlich jedes politische Lager mit Grauen an bestimmte Aspekte der nationalsozialistischen Terrorherrschaft erinnert fühlt, zum Teil zu Recht, zum Teil, weil man es auf den politischen Gegner projiziert. Sprech- und Denkverbote machen unsere Gesellschaft nur immer weiter kaputt und machen auch die Menschen kaputt und verrückt, das ist mein persönliches Gefühl zu der Sache.

Aber man muss den ganzen Sachverhalt um das Sommerinterview auch gar nicht mit dem Nationalsozialismus vergleichen. Man kann es auch mit den Sozialisten der Sowjetunion oder der DDR vergleichen. Hayek hatte schon darauf hingewiesen, dass die Nationalsozialisten nur die hässlichen Geschwister der Sozialisten waren, auch wenn diese Tatsache im Mainstreamdiskursraum ebenfalls verteufelt und negiert wird Aber die Sozialisten waren die Feinde der Meinungsfreiheit und hatte abweichende Meinungen mit Rufmord, Ausgrenzung und Haft bestraft.

Was beim Sommerinterview von Frau Weidel auffallend war, ist, dass Zeit und Ort der Aufzeichnung von ARD-Angehörigen an die linksextremistische Szene verraten worden waren und dass die Polizei nicht eingriff. Nachdem, was vom einem der linksradikalen Störer bekannt wurde, liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass es ein kollektives Zusammenwirken von Mitarbeitern der ARD sowie von Vertretern von Sicherheitsbehörden mit Linksextremisten zum Nachteil der AfD gab.

Man hätte annehmen können, dass es da auch eine Art Bannmeile gibt. Tatsächlich gibt es so etwas, Demonstrationen bedürfen der Genehmigung des Innenministeriums. Es sind Filme aufgetaucht von Polizisten, die den Bus begleiten. Kann man da schon eine Inszenierung vermuten?

Wenn so etwas stattfindet, auf dem Gelände oder am Gelände des Deutschen Bundestages, dann bleibt das natürlich nicht unbemerkt. Es gibt kaum einen Platz oder ein Gelände in Berlin, wo so viel Polizei oder so viele Kameras sind, als dass das nicht auffallen würde. Sei es die Polizei des Deutschen Bundestages, die für den Schutz des Bundestages zuständig ist, die Landespolizei Berlin oder die Bundespolizei, die für die Regierungsgebäude zuständig ist.

Dass dies nicht frühzeitig aufgefallen ist, dass das nicht frühzeitig gestoppt wurde, ist für mich unglaubhaft. Ich gehe eher davon aus, man hat es wissentlich und willentlich laufen lassen, um auch die gewünschten Effekte zu erzielen. So sind auch Aussagen eines Linksextremisten zu verstehen, der sich dazu geäußert hatte.

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Greift der Effekt als Sympathiekundgebung für Frau Weidel, möglicherweise über die AfD-Klientel hinaus?

Ich weiß nicht, ob das positiv für Alice Weidel ist. Meine Erfahrung ist: Wähler wollen keine Opfer wählen, sondern Wähler wollen starke Persönlichkeiten. Opfer sein macht sich zwar immer wieder gut in den bunten Zeitungen, also Opfer zu sein und Mitleid zu erheischen. Aber ich glaube, die Leute wollen keine Opfer wählen, sondern die wollen Parteien und Persönlichkeiten wählen, die sich durchsetzen können, die stark sind, die sich wehren und denen sie auch zutrauen, dass sie die Politik in Deutschland gestalten können.

Natalie Pawlik ist Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Sie hat als russlanddeutsche Spätaussiedlerin automatisch den deutschen Pass bekommen, 1992, mit sechs Jahren. In einem Interview wird sie widerspruchslos als Deutsche mit Migrationshintergrund vorgestellt. Können Sie ihr mal den Unterschied erklären?

Ich bin auch Berliner mit Migrationshintergrund, weil ich vom Niederrhein komme. Also insoweit ist Frau Pawlik natürlich auch eine Deutsche mit Migrationshintergrund. Allerdings muss man hier folgenden Unterschied sehen: Das Grundgesetz geht selbst von einem ethnisch-kulturellen Volksbegriff aus, was in Artikel 116 des Grundgesetzes angelegt ist. Und zwar ist danach Deutscher nicht nur derjenige, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, sondern auch derjenige, der deutscher Volkszugehöriger ist. Man mag diese Unterscheidung und den „ethnisch-kulturellen Volksbegriff“ politisch ablehnen wollen, aber so ist die Rechtslage.

Nach diesem ethnisch-kulturellen Verständnis der Väter und Mütter des Grundgesetzes sind damit auch all diejenigen Deutsche, die nie in Deutschland in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 lebten, sondern sich im Ausland zum „deutschen Volkstum“ bekennen. Das sind auch Deutsche, selbst wenn sie in Russland, in Rumänien oder in den anderen Staaten lebten, und diese Deutschen erhalten die deutsche Staatsangehörigkeit sofort nach dem Grenzübertritt.

Wundert es Sie nicht, dass der 116er noch nicht von einer Zweidrittelmehrheit abgeschafft wurde?

Das kann noch kommen. Machen Sie die bitte nicht darauf aufmerksam.

Was mag sich Berlin und die Bundesregierung von diesen Online-Akkordeinbürgerungen versprechen?

Diese Frage müssten Sie in erster Linie an die frühere Innenministerin Faeser und an Herrn Wegner, den Regierenden Bürgermeister von Berlin, stellen, die diese Akkord-Einbürgerungen – oder die Fließband-Einbürgerung – betreiben. Ich persönlich gehe davon aus, dass sie damit eine politische Intention verbinden. Man kann aus deren Verhalten den Eindruck gewinnen, dass nicht das Volk die Regierung wählen soll, sondern dass die Regierung sich hier das Volk wählt, sich das Volk selber aussucht, so jedenfalls macht es den Anschein.

Der Ukrainekrieg scheint in Vergessenheit geraten. Wird überhaupt noch gekämpft? Es gibt kaum Nachrichten über den Kriegsverlauf. Das Einzige, was wir hören, sind die steigenden Kosten für Deutschland.

Ich glaube, man könnte das umschreiben mit dem Ausdruck „Im Osten nichts Neues“. Es ist mehr oder weniger ein Stellungskrieg, vielleicht jetzt mit mehr Gebietsgewinnen für die russische Seite als noch vor einem Jahr. Aber das ist keine positive Nachricht für die deutschen Mainstream-Medien, die eigentlich schon den baldigen Fall von Moskau erwartet hatten.

Deswegen wird wahrscheinlich auch nicht darüber berichtet, weil all die finanziellen Zusagen – die Unterstützungsleistungen für die Ukraine – nicht den gewünschten Effekt hatten. Sondern die Russen haben Geländegewinne erzielt und gehen Schritt für Schritt weiter.

Noch mal zu den Amerikanern: Die verkaufen uns jetzt die Waffen, die wir in die Ukraine liefern und bezahlen. Es ist ein gutes Geschäft. Aber nicht für alle.

Ich finde Donald Trump durchaus gut. Ich war ja auch bei der Inauguration dabei gewesen. Trump ist ein starker Mann, der sich für die Interessen der Amerikaner einsetzt, aber nicht unbedingt für unsere Interessen. Das muss man einfach sehen, er ist der Präsident der Amerikaner und nicht unser Präsident und vertritt die Interessen der Amerikaner. Und aus der Perspektive ist es ein gutes Geschäft. Die Amerikaner verkaufen uns für teures Geld Waffen, die wir der Ukraine schenken.

Donald Trump hat gesehen: Die Europäer - oder besser die Deutschen, weil wir ja im Wesentlichen die Zeche bezahlen – sind so verpeilt, ein derartiges Geschäft zu machen, das zu unserem offenkundigen Nachteil ist. Unbestritten ist das ausgesprochen positiv für die amerikanische Rüstungsindustrie, vielleicht auch für die ukrainische Armee und für diejenigen, die ansonsten von den Waffenlieferungen profitieren. In der Privatwirtschaft gibt es nicht viele Geschäftspartner, die sich selbst ins Knie schießen und dafür auch noch Geld bezahlen.

Was ist gerade das wichtigste Thema für die Werteunion?

Das aktuellste Thema ist Strukturaufbau, der Parteiaufbau. Daran arbeiten wir. Die Bundestagswahl kam für uns zu früh. Oder wir kamen zu spät für die Bundestagswahl. Das war uns klar gewesen. Und jetzt müssen wir Schritt für Schritt die Partei so aufbauen, dass wir die Chance haben, in den Bundestag einzuziehen. Spätestens 2029, am besten aber früher.

„Hans Georg Maaßen im Interview“ ist von uns beiden fast unbemerkt Mitte Juni ins vierte Jahr gegangen. Wann kommt das Buch?

Also ich hatte mich auch schon gewundert, dass wir schon so lange zusammenarbeiten. Das ist ja eine lange Zeit und eine sehr schöne Zusammenarbeit. Ein Interview-Buch kann ich mir gut vorstellen, wenn es die Leser wünschen.

Danke für das Gespräch!

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