Die große Analyse: Kanzlerwahl und AfD-Verbot

Hans-Georg Maaßen: Exklusiv von der freien Seite der Brandmauer

von Hans-Georg Maaßen (Kommentare: 4)

Die Wahl angenommen.© Quelle: Phoenix/Screenshot, privat, Montage: Wallasch

Wir sprechen mit Dr. Maaßen über den langen Tag der Kanzlerwahl, über Tricksereien und gebrochene Wahlversprechen, über die Aufgabe der Neuen Medien in den kommenden Jahren und über den 80. Jahrestag der Kriegsniederlage.

Was bedeutet eine Kanzlerschaft Merz für Deutschland?

Das ist eine Kanzlerschaft des „Weiter so“. Eine Politikwende ist es schon deshalb nicht, da aus dem größeren Koalitionspartner der Ampelkoalition, nämlich der SPD, der kleine Koalitionspartner dieser Koalition geworden ist und dieser Koalitionspartner maßgebend die Politik bestimmen wird. Er wird dafür sorgen, dass es keine Politikwende gibt. Und das zeigt auch der Koalitionsvertrag.

Aber woher kamen denn dann die Erwartungen? Bei vielen – auch bei einigen neuen Medien – wurden durchaus Hoffnungen in Friedrich Merz gesetzt.

Das war ein relativ naives politisches Verständnis. Merz ist nicht konservativ, sondern er war getrieben vom Ehrgeiz, Bundeskanzler zu werden, und er hat ganz offensichtlich vor der Bundestagswahl seine Wähler belogen, als er sagte, er sei für die Schuldenbremse. Er belog sie über seine wirklichen Ziele und erweckte den Eindruck, mit ihm würde es Zurückweisungen an der Grenze geben. Ihm ging es nur darum, die Wähler dazu zu bringen, ihn zu wählen. Dabei war ihm jede Täuschung Recht.

Und jetzt fühlen sich immer mehr Wähler von Merz und seiner CDU um ihren guten Glauben und ihre Stimme betrogen. Die Hoffnungen, die in ihn gesteckt wurden, waren aber völlig unberechtigt. Das hätte eigentlich jeder sehen müssen. Merz hatte von Anfang an gesagt, dass er keine Koalition mit der AfD eingehen wollte, wodurch klar war, dass er nur eine Koalition mit der SPD oder den Grünen eingehen konnte und deshalb mit Parteien koalieren würde, die sich eindeutig gegen eine Politikwende positionierten.

Was wäre Merz widerfahren, wenn er eine schwarz-blaue Koalition erwogen hätte?

Merz ist nicht der Mann mit Rückgrat, der eine Zusammenarbeit mit der AfD durchgesetzt hätte. Wir hatten es ja gesehen, als er einen Entschließungsantrag zur Migrationspolitik eingebracht hatte und wie er reagierte, als wegen der Zustimmung der AfD die politische Linke protestierte. Er ist der Mann, der beim geringsten Gegenwind, der von der Linken kommt, einknickt.

Dazu passt, dass Thorsten Frei heute im Frühstücksfernsehen die Öffnung zur Linken hin mit einem Ende des Unvereinbarkeitsbeschlusses in Aussicht gestellt hat.

Es geht um die Zweidrittelmehrheit. Es geht auch darum, eine Allianz oder einen Block aller Parteien gegen die AfD zu schmieden. Von der Partei Die Linke bis zur CSU sind sie nun bereit, gegen diejenigen, die auf der freien Seite der Brandmauer stehen, eine gemeinsame Politik zu machen. Das wurde jetzt noch einmal deutlich. CDU und CSU haben keinerlei Berührungsängste mehr gegenüber der linksextremistischen Partei Die Linke, die früher SED hieß.

Gestern gab es eine Annäherung der Union an die Linkspartei. Die Geschäftsordnung ließ sich nur mit Zweidrittelmehrheit ändern, um noch am gleichen Tag in einen zweiten Wahlgang zu gehen. Warum war das so wichtig, diesen einen Tag nicht abzuwarten?

Es waren rein taktische Gründe. Einen Tag abzuwarten bedeutet ein weiterer Tag, an dem die Gegner von Merz Gelegenheit gehabt hätten, Gespräche zu führen, um ihn als Bundeskanzler zu verhindern. Es war aus seiner Perspektive klug, im unmittelbaren Anschluss an den ersten Wahlgang den zweiten durchzuführen, weil jeder Tag, den es länger gedauert hätte, nicht nur Ungewissheit bedeutet hätte, sondern für Merz auch die Gefahr, dass sich gegen ihn eine Koalition bildet, die einen Gegenkandidaten aufstellt.

Merz sagte gestern im ARD-Abendprogramm, es habe nur drei Abweichler insgesamt gegeben bei SPD und Union im zweiten Durchgang. Woher will er das so genau wissen? Die Wahl war doch geheim.

Ich weiß auch nicht, woher er das weiß. Ich vermute, er geht einfach vom Ergebnis aus und unterstellt, dass ansonsten alle Fraktionsmitglieder von CDU/ CSU und SPD für ihn gestimmt hätten und dass er keine Stimmen von den Grünen und von den Linken bekommen hat. Das weiß man allerdings nicht, und deswegen ist die Aussage von Merz einfach nur eine kühne Behauptung.

Im Plenum gab es gestern verschiedene Fraternisierungsszenen zwischen den Wahlgängen, etwa wo Baerbock mit Spahn und Merz herzlich beieinanderstanden. Mutmaßlich hatten die Grünen hier bereits zugesagt, mit einem gewissen Stimmenkontingent die Merz-Wahl abzusichern.

Das ist zwar Spekulation, aber eine naheliegende. Zumal die CDU den Grünen in den letzten Monaten immer wieder entgegengekommen ist, nicht zuletzt auch bei der Änderung des Grundgesetzes, als das Ziel Klimaneutralität bis 2045 ins Grundgesetz aufgenommen wurde.

Die AfD ist jetzt wieder Oppositionsführer im Deutschen Bundestag, aber doppelt so stark. Dafür hat sie bereits das Kainsmal „rechtsextrem eingebrannt“ bekommen. Wie denkbar ist jetzt obendrauf ein Verbotsverfahren?

Die AfD wird heute schon fast so behandelt, als ob sie verboten wäre. Ihr werden als größter Oppositionspartei wesentliche parlamentarischen Rechte vorenthalten. Ob das nun der Vorsitz eines Ausschusses, die Mitgliedschaft im Ältestenrat oder gar die Position des Vizepräsidenten des Bundestages ist.

Es ist zutiefst undemokratisch, wie hier mit einer Oppositionspartei umgegangen wird. Selbst der SED hat man in den 1990er Jahren trotz der von dieser Partei zu verantwortenden Mauertoten und der politischen Verfolgung in der DDR die normalen parlamentarischen Rechte zugestanden.

So kann man in einer Demokratie nicht mit der größten Oppositionspartei umgehen. Das wissen Merz und Klingbeil sicherlich, und sie tun es trotzdem. Vor diesem Hintergrund gehe ich auch davon aus, dass die etablierten Parteien nicht zögern werden, auch ein Verbotsverfahren gegen die AfD einzuleiten, um ein weiteres Anwachsen dieser Partei und vor allem Machtoptionen nach den nächsten Landtagswahlen zu verhindern. Dann hätten wir eigentlich keine nennenswerte Opposition in Deutschland mehr.

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Wie konkret kann man abmessen, wie relevant Aussagen Einzelner für eine Partei insgesamt sind? In den letzten Jahren gab es immer wieder ein Zitat von Höcke und eins von Gauland, um die AfD zu diskreditieren. Jetzt hat man viel mehr Zitate gesammelt, wohl bis hinunter auf die Bezirksebene. Aber niemand kennt diese 1100 Seiten. Wie kann der normale Bürger die Relevanz einzelner Aussagen für die Partei insgesamt einschätzen?

Je umfassender so ein Bericht, desto klarer wird, dass eigentlich nichts oder nur wenig als Belastungsmaterial vorhanden ist. Läge eine klare Verfassungsfeindlichkeit der Partei vor, könnte man dies auf zwei oder drei Seiten darstellen. Klare Aussagen, die eine Verfassungsfeindlichkeit begründen, lägen vor, wenn die AfD zum Beispiel erklären würde, im Falle einer Regierungsverantwortung freie Wahlen abzuschaffen oder die Rechte der Opposition einzuschränken, politische Gegner und Menschen, die anderer Meinung oder Herkunft sind, auszugrenzen, ihnen die Existenzgrundlage zu entziehen oder sie zu kriminalisieren. Das wären ganz klare verfassungsfeindliche Aussagen, und das könnte man auf zwei oder drei Seiten darstellen.

Weil aber offensichtlich keine derartigen ausdrücklichen Forderungen der AfD nachzuweisen sind, benutzt der Verfassungsschutz wie schon in anderen Fällen einen Kniff, indem er unterstellt, die AfD sei so geschickt, dass sie ihre eigentlichen Ziele verbergen wolle und in Wirklichkeit etwas anderes anstrebe als sie sage.

Und um dann nachzuweisen, dass die AfD entgegen ihren öffentlichen Aussagen etwas anderes wolle, bedarf es eines erheblichen argumentativen Aufwands, bei dem Aussagen einzelner Parteimitglieder gesammelt und interpretiert werden müssen. Einzelne Aussagen einfacher Parteimitgliedern sind grundsätzlich unerheblich, es sei denn, diese Parteimitglieder haben steuernden Einfluss auf diese Partei oder sie entsprechen letztlich den Positionen der Parteiführung.

Der zweite Tag der Kanzlerschaft fällt morgen auf den 8. Mai, den 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs. Was bedeutet Ihnen persönlich der Tag, und was bedeutet er für Deutschland?

Der 8. Mai ist der Tag der Kriegsniederlage. Ein schmerzhafter Tag für das deutsche Volk, insoweit, als dass wir ein Drittel unseres Staatsgebiets verloren haben, und viele Millionen Menschen durch den Krieg ums Leben kamen. Es starben auch viele Deutsche nach dem offiziellen Ende der Kriegshandlungen, insbesondere im Zusammenhang mit der Vertreibung aus ihrer Heimat.

Der 8. Mai bedeutet ein Tag der Befreiung für die vielen, die auf Grund ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer politischen Überzeugung von den Nazis und ihren Helfern verfolgt und ihrer Menschenrechte beraubt wurden.

Der 8. Mai bedeutete für das gesamte deutsche Volk eine Chance des Neuanfangs, weil der Totalitarismus des Naziregimes beendet wurde, und er war für die Deutschen im Westen Deutschlands die Möglichkeit, unter der Herrschaft der Westalliierten eine freiheitliche Demokratie aufzubauen, die den Deutschen im Osten des Landes bis 1990 verwehrt blieb.

Der 8. Mai ist ein Tag der Mahnung, weil Deutschland über rund zwölf Jahre in einer Welt des Wahns und des ideologischen Irrsinns gefangen war, in der Menschen von Mitbürgern aus blindem Fanatismus verfolgt und ermordet wurden. Und diese Tatsache muss uns ermahnen und zu denken geben.

Wenn man nur auf den Nationalsozialismus rekurriert, greift man zu kurz. Der Nationalsozialismus wird niemals als Nationalsozialismus wiederkommen, da er ein Produkt seiner Zeit war. Der Nationalsozialismus war ein Totalitarismus und er kann wie das Böse unterschiedliche Gestalten annehmen und wiederkommen. Er wird sich anders nennen und anders auftreten, aber blinder ideologischer Fanatismus, politische Verfolgung Andersdenkender, Kriegshetze und Menschenrechtsverletzungen können unter anderen Gestalten wieder kommen. Das Böse hat viele Gesichter.

Sie haben als Parteivorsitzender der Werteunion heute für eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland geworben in einer Pressemitteilung. Damit stehen Sie ziemlich alleine da. Warum, und woher soll eine starke Friedensbewegung kommen?

Der überwiegende Teil der Menschen in Deutschland will Frieden. Er will, dass wir auf dem europäischen Kontinent nachbarschaftlich und friedvoll zusammenleben. Wir haben über Jahrhunderte nachbarschaftlich mit Russland zusammengelebt. Wir werden hoffentlich noch viele Jahrhunderte in mittelbarer Nachbarschaft mit den Russen zusammenleben. Deswegen müssen wir uns auf die Zeit nach dem Ukrainekrieg, die hoffentlich bald beginnt, vorbereiten. Und das bedeutet, wir müssen auch wieder aufeinander zugehen und miteinander leben. Es wird auch eine Zeit nach Putin geben. Es ist in unserem Interesse, dass wir hier wieder zu normalisierten Beziehungen auf dem europäischen Kontinent kommen.

Was wünschen Sie sich von den Neuen Medien in der Zukunft während der Kanzlerschaft von Friedrich Merz?

Von den neuen Medien erwarte ich, dass sie die Regierungspolitik kritisch begleiten. Und ich glaube, es wird viele Gründe geben, die Regierungspolitik zu kritisieren. Und ich erwarte letztendlich auch Unterstützung für all diejenigen, die politisch ausgegrenzt und verfolgt werden in Deutschland, die den Mut haben, sich zu äußern und mit Repressalien, Rufmord und Ausgrenzung rechnen müssen. Und ich erwarte insoweit auch Solidarität.

Danke für das Gespräch!

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