Sahra Wagenknecht gibt den Parteivorsitz ab. Fabio De Masi soll es jetzt regeln. Wie beurteilen Sie den Rückzug?
Ich weiß nicht, was die persönlichen Beweggründe von Frau Wagenknecht sind. Mir kommt es so vor, als ob sie vielleicht ein ähnliches Schicksal erlebt hat wie ich mit meiner Werteunion. Dass man auf Leute gesetzt hat, denen man vertraute und die man für loyal hielt, allerdings dann merken musste, dass man sich völlig geirrt hatte. Es mag sein, dass sie von einigen ihrer Mitstreiter, denen sie vertraute und die förderte, enttäuscht ist und dass sie sich deswegen zumindest in die zweite Reihe zurückzieht.
Würden Sie ihr eine ähnliche Bedeutung zumessen wie einem Maaßen in der Werteunion?
Sie war sicherlich in noch stärkerem Maße als ich prägend für diese Partei. Das liegt ja schon an dem Namen Bündnis Sahra Wagenknecht. Ich habe immer darauf verzichtet, mich so in den Vordergrund zu stellen. Aber sie hat ja aus ihrem Namen eine Marke und aus der Marke eine Partei und aus der Partei einen Erfolg machen wollen. Ich glaube, da ist sie wesentlich stärker, jedenfalls durch ihre Marke mit der Partei verknüpft, als ich es mit der Werteunion war.
Nun ist Frau Wagenknecht vor Jahren schon mit einer Bewegung gescheitert. Jetzt zieht sie sich aus der Parteispitze zurück. Eine dritte Chance wird es wohl nicht geben.
Das darf man nicht so negativ sehen. Also sie kämpft schon und hat ein Ziel. Sie ist natürlich ideologisch überzeugt. Frau Wagenknecht ist jetzt mindestens einmal, wenn nicht schon ein zweites Mal an den Realitäten gescheitert und hat bemerkt, dass die Betonwand stärker ist als ihr Kopf. Aber das heißt nicht, dass sie aufgibt. So habe ich sie eigentlich nie eingeschätzt, sondern sie ist aus meiner Sicht eine Kämpferin.
Was waren Ihre persönlichen Eindrücke von der Dagen-Buchmesse in Halle?
Ich war nur relativ kurz da. Ich war eingeladen von einem Verleger, der das Buch „Systemüberwindung“ von Helmut Schelsky, das ich neu herausgegeben habe, vorstellen wollte. Ich war beeindruckt, wie viele Menschen dort waren. Die Messe war voll von Menschen, die sich über bürgerliche Literatur informieren wollten. Zu meinem Vortrag auf der Buchmesse kamen überraschend so viele Menschen, dass die Zuhörer auf dem Boden sitzen mussten und sich in den Gängen und im Treppenhaus stauten, weil sie mich unbedingt hören wollten. Das war beeindruckend. Es war sehr angenehm mit ganz normalen nicht ideologisierten Menschen zu diskutieren.
Die bekannte Journalistin Julia Encke nennt die Dagen-Buchmesse in Halle in der FAZ „einen organisierten Angriff auf den Rechtsstaat unter dem Vorwand der Kultur“. Was sagen Sie denn als ehemaliger oberster Schützer der Verfassung zu diesem sehr scharfen Vorwurf?
Mir ist Frau Encke nicht bekannt. Der Vorwurf in der FAZ, es hätte durch die Buchmesse „einen organisierten Angriff auf den Rechtsstaat unter dem Vorwand der Kultur gegeben“, ist sehr schwerwiegend. Wenn die FAZ einen solchen Vorwurf öffentlich äußert, muss sie tragfähige Belege haben, andernfalls muss sie sich natürlich für diese erhebliche Rufschädigung verantworten. Ich konnte bisher nicht erkennen, dass und warum die Buchmesse in Halle ein Angriff auf den Rechtsstaat war. Wer solche unsubstantiierten diffamierenden Behauptungen verbreitet, geht auf sehr dünnem Eis.
Wir können die Ernsthaftigkeit noch an einem weiteren Zitat überprüfen. Frau Encke schreibt auch, die Gegendemonstrationen hätten „den Zusammenhalt der Stadt“ demonstriert und die Protestierenden wären der Messe „als Stadtgemeinschaft“ entgegengetreten. Wie spürbar war denn der Druck aus Halle?
Ich war beeindruckt, wie viele Einheimische vor Ort waren. In einer Tankstelle in Halle wurde ich nach meiner Abreise von einer Verkäuferin angesprochen, die es bedauerte, dass sie nicht dabei sein konnte. Und dann gab es einige weniger Mitglieder der linksextremistischen Terrorgruppe Antifa, die gegen die Buchmesse agitierten. Ich bin überzeugt, dass der überwiegende Teil der Leser der FAZ kein Verständnis dafür hat, wenn die Zeitung mit der Terrorgruppe Antifa sympathisieren sollte.
Bleiben wir noch kurz bei Frau Encke. Sie war 2010 Sprecherin der Jury für den Deutschen Buchpreis zur Frankfurter Buchmesse. Wie sehr muss denn Frau Encke Halle als alternative Buchmesse fürchten? Neben Frankfurt und Leipzig.
Ich glaube schon, dass der Erfolg dieser Buchmesse deutlich gemacht hat, dass eine große Nachfrage nach einer alternativen Buchmesse besteht. Vermutlich hat dieser Erfolg die etablierten Massenmedien überrascht. Diese Medien sind im freien Fall, weil die Leser diesen Medien und ihren Buchmessen das Vertrauen entziehen.
Ich habe den Eindruck, dass die Frankfurter Buchmesse ebenso wie die zahlreichen von den linken übernommen oder geschaffenen Einrichtungen des Kulturbetriebs mit ihren schrägen Produkten, Ergüssen und Auszeichnungen von der breiten Öffentlichkeit kaum mehr wahr- und schon gar nicht ernstgenommen werden. Es ist kulturelle Agitation und Propaganda, die bei den Zielgruppen nicht mehr ankommt, so dass es letztlich als Selbstbeweihräucherung der linken Kulturszene übrigbleibt.
Diese neue Buchmesse in Halle ist natürlich ein Angriff auf das Selbstverständnis der althergebrachten Frankfurter Buchmesse, die allerdings ihre Grundsätze und ihre Werte verraten hat, indem sie letztendlich nur noch ideologische Kulturpolitik betreibt.
Verleger Götz Kubitschek hält die Messe in Halle für einen „Dammbruch“.
Aus seiner Perspektive mag es so sein, weil sein Verlag sehr weit rechts steht. Für die allermeisten Aussteller und Mitwirkenden war diese Messer vermutlich kein „Dammbruch“, weil sie Teil der Mitte der Gesellschaft sind. Eine Mitte, die derzeit von der politischen Linken als rechts diffamiert und ausgegrenzt wird.
Jetzt könnte die Verweigerung linker Buchverlage, auf dieser Messe aufzutreten – den Zugang hätten sie ja bekommen – verführen zu der Aussage, es gab wenig Gegensätze auf der Messe. Wenn ich mir aber etwa „Compact“ anschaue mit einer prorussischen Linie und Dieter Stein von „Junge Freiheit“ mit einer ukrainischen, das sind schon echte Gegensätze, neue Gegensätze.
Es ist ein Kernelement linksradikaler Taktik, niemals bei bürgerlichen oder konservativen Veranstaltungen mitzuwirken. Sie werden es nicht erleben, dass jemand, der zum linken politisch-medialen Establishment zählt, bereit wäre, in einem Medium als Interview- oder Talkshowpartner mitzuwirken, wenn das Medium von der politischen Linken als Feindmedium markiert worden ist. Sie werden es nicht tun, denn ansonsten würde man das Feindmedium aufwerten.
Stattdessen boykottiert man diese markierten Medien, damit man die Möglichkeit hat, sie als Nazi-Medium zu diffamieren. Würde man mit diesen Medien sprechen, dann wäre diese Diffamierung schwieriger. Deshalb gibt es auch keine Politiker aus dem linken Politikbetrieb die zum Beispiel einem Portal wie „Nius“ ein Interview geben, obwohl die Politiker ja eigentlich wegen der Reichweite des Mediums ein Interesse daran haben sollten. Von daher zu glauben, dass linke Verlage und Autoren an einer solchen Buchmesse teilnehmen würden, ist illusorisch.
Sie werden nicht teilnehmen, weil sie wollen, dass eine derartige Buchmesse als rechtsextrem markiert und ausgegrenzt wird. Und eher bürgerliche Verlage und Autoren werden aus reinem Opportunismus und aus Angst, an einer als rechts geframten Buchmesse teilzunehmen, ebenfalls fernbleiben.
Ich war wie gesagt nicht so lange auf der Buchmesse und habe nur wenige Stände besucht. Aus meiner Sicht war es keine rechte und keine rechtsextreme Messe, sondern es waren viele Aussteller und Besucher aus der Mitte der Gesellschaft. Und die Besucher, die ich bei meiner Veranstaltung getroffen hatte, waren ganz normale Bürger, die eine freiheitliche und demokratische Gesellschaft wollen. Und sie wollen weder eine rechte noch eine linke Diktatur.
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Die Rede des Bundespräsidenten zum 9. November hat für große Aufregung gesorgt, mindestens bei der Opposition oder bei oppositionellen Medienorganen. Steinmeier erklärte unter anderem: „Mit Extremisten darf es keine politische Zusammenarbeit geben. Nicht in der Regierung, nicht in den Parlamenten. Wer sich gegen den freiheitlichen Kern unserer Verfassung stellt, der kann nicht Richterinnen, Lehrer oder Soldat sein.“ Und im Abschluss das Zitat „Tun wir, was getan werden muss.“
Es ist bekannt, dass Herr Steinmeier aus der linksextremistischen Szene kam und für den Pahl-Rugenstein-Verlag gearbeitet hatte, der aus Ostberlin bezahlt wurde. Ich habe nie einen Bruch gesehen in seiner Vita. Ich habe ihn immer verdächtigt, dass er seine ursprüngliche linksradikale Überzeugung nie aufgegeben hatte
Hört man seine Rede zum 9. November, so wirkt sie in weiten Teilen phrasenhaft als ob sie von einem gelangweilten KI-Programm erstellt worden sei. Allerdings ist es inzwischen Steinmeiers Technik, die er immer wieder anwendet. Er verwendet Phrasen, denen die meisten seiner Zuhörer zustimmen, die aber zu seinem tatsächlichen Verhalten als Bundespräsident eigentümlich kontrastieren.
Wenn er erklärt, dass wir unsere Demokratie schützen und die Spaltung unserer Gesellschaft überwinden sollten, empfindet man unwillkürlich den Drang, ihm entgegenzurufen, dass gerade er doch dazu beiträgt, dass unsere Gesellschaft gespalten ist. Und dann spürt man, dass Steinmeier mit seinen Worten etwas ganz anderes unter unserer Demokratie und unter Wehrhaftigkeit und unter zahlreichen anderen Worten versteht als Nichtlinke. Und dann kommt das Entscheidende: Er entlarvt sich dann als Altlinker, in dem er diejenigen als politischen Feind identifiziert, die gegen eine linke Gesellschaftsordnung sind, und die verboten oder vernichtet werden müssen. den die Gesellschaft bekämpfen muss.
Feind ist, wer die seine Vorstellung von Demokratie, seine Vorstellung von einer Gesellschaftsordnung und seine Ideologie ablehnen. Aus dem phrasenhaften und eigentlichen Selbstverständlichen, dass wir alle unsere Demokratie verteidigen müssen, wird deutlich, dass es nur um die Verteidigung seiner Vorstellung von Demokratie geht und dass das von ihm oftmals verwendete „Wir“ einen größeren Teil der Wähler ausschließt, weil sie Steinmeiers Vorstellung von einer linksradikalen Demokratie und Gesellschaft ablehnen.
Ich erinnere mich nicht, dass Sie schon einmal erwähnt hätten, dass Sie als oberster Verfassungsschützer Herrn Steinmeier auf der Uhr hatten. Oder vielleicht Vorgänger von Ihnen. Oder spricht man da nicht drüber?
Ich hatte mit ihm zu tun, als er Kanzleramtschef war, da er die Nachrichtendienste koordinierte und die nachrichtendienstliche Lage leitete. Ich hatte damals Zweifel an ihm.
Der Frankfurter Oberstaatsanwalt Benjamin Krause ist Leiter der ZIT „Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität“. Der hat jetzt gegenüber dem Spiegel erklärt, man sei fast mit der Entwicklung eines digitalen Täter-Opfer-Ausgleichs fertig. Und zwar funktioniert das so: Auf einer Videoplattform sprechen dann ein Beleidigter mit einem Beleidiger unter Aufsicht von Sozialarbeitern. Das Ganze wird veröffentlicht. Zitat Krause: „Wir wollen das auf digitale Delikte übertragen.“ Also für mich klingt das nach öffentlichem Pranger.
Ich kann das nicht beurteilen. Es gibt sicherlich allgemein kriminelle Straftaten im Netz, wo ich mir die Frage stelle, ob ein derartiger Täter-Opfer-Ausgleich zureichend ist. Ich sehe jedenfalls vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklung im Staatsschutzrecht die Gefahr, dass das zur politischen Gegnerbekämpfung instrumentalisiert wird.
Wenn man jemanden mutmaßlich beleidigt hat und muss sich dann vor laufender Kamera entschuldigen – ist das nicht Mao, DDR und Pol Pot zusammen?
Mittlerweile gibt es fast täglich Meldungen in den freien Medien, dass Strafverfolungsbehörden und Verfassungsschutz übergriffig werden und einfache Bürger verfolgen. Ich erinnere an die Hausdurchsuchung bei Professor Bolz und an den großen Bericht in der ansonsten regierungsnahen FAZ, wonach ein Professor politisch verfolgt wurde, weil er bei der Familie Elsässer, die das Compact-Magazin herausgibt, übernachtet hatte. Aus meiner Sicht ist das politische Verfolgung. Vor diesem Hintergrund muss man natürlich Sorge haben, dass ein derartiger Täter-Opfer-Ausgleich als weiteres Instrument zur Bekämpfung von missliebigen Personen eingesetzt wird. Es hätte eine unglaublich Pranger- und Demütigungswirkung, wie man sie bisher jedenfalls in freiheitlichen Gesellschaften nicht erlebt hatte.
Die NATO bekommt den Westfälischen Friedenspreis. In der Jury sitzen Merz und Gabriel unter anderem. Wie gerechtfertigt ist denn so ein Preis für die NATO?
So eine Preisverleihung dient weniger dem Geehrten als vielmehr denjenigen, die den Preis verleihen, um sich mit dem Geehrten zu schmücken und um die mit der Ehrung verbundene politische Ausrichtung bekannter zu machen und für sie zu werben. Der Geehrte braucht meistens diesen Preis nicht, weil er schon genügend geleistet hat.
In diesem Fall ist die Preisverleihung eine politische Aussage. Die Jury hat mit der Preisverleihung nicht die Verteidigungsleistungen der NATO ehren wollen, sondern damit zum Ausdruck bringen wollen, dass sie die Politik der NATO in Bezug auf den Ukrainekrieg unterstützt. Diese politische Aussage hat allerdings nichts mit einer ernsthaften Friedenspolitik zu tun.
Ich glaube nicht, dass die ersten Preisträger dieses Friedenspreises, das waren Vaclav Havel und Helmut Kohl eine solche Preisverleihung vor dem Hintergrund der jetzigen Aussagen von NATO-Generalsekretär Rutte und anderen mit Blick auf den Ukrainekrieg für gerechtfertigt halten würden.
Danke für das Gespräch!
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