Kriegstreiber, Weimer-Unterlassung, Syrien-Rückkehr und Diplomatie mit Putin

Hans-Georg Maaßen: „Wer früher Pazifist war, ist heute mitunter ein Kriegstreiber“

von Hans-Georg Maaßen (Kommentare: 4)

Halloween stand nicht im Kalender.© Quelle: privat

Dr. Maaßen im Interview zu Kriegstreibern, einem Weidel-Sieg über Weimer, Merkels „Compass Mitte“ und über eine „brandgefährliche“ SPD.

Süßes oder Saures zu Halloween: Haben Sie einen Kürbis ausgehöhlt und Süßigkeiten verteilt? Oder gehören Sie zu den Verweigerern dieser neuen Tradition?

Tatsächlich habe ich einfach Halloween vergessen. Das stand nicht in meinem Kalender. Und wenn es nicht im Kalender steht und mich niemand besonders darauf anspricht, denke ich nicht über diesen Tag nach. Ich bin auch keiner, der freiwillig Kürbisse aushöhlt.

Das heißt, dass Sie die Klingel ausstellen mussten?

Bei uns in der Gegend ist das einfach kein Thema, entsprechend mussten wir auch die Klingel nicht ausstellen.

Für den AfD-Abgeordneten Rüdiger Lucassen, verteidigungspolitischer Sprecher seiner Partei, ist, wer Kritik an nächtlichen Fackelaufmärschen der Bundeswehr übt, ein „vaterlandsloser Lump“, ein „Lumpenpazifist“ und ein „Schandmaul“. Ist das der neue Ton in Deutschland?

Das ist jedenfalls nicht mein Ton und ich würde auch raten, sich so etwas nicht zu eigen zu machen, denn das klingt so wie aus der wilhelminischen Zeit. Es ist aus der Zeit gefallen. Und ich glaube, wir haben ganz andere Probleme als das, was Herr Lucassen da anspricht.

Darf man denn diese Thematik noch diskutieren? Darf man sich für eine Diplomatie einsetzen zwischen Russland und der Ukraine oder muss man bei der Merz-Linie bleiben?

Bei der Aussage von Lucassen geht es wohl eher um etwas anderes. Es geht nämlich darum, inwieweit wir hier unsere nationalen Interessen vertreten und inwieweit wir uns für den Frieden in Europa einsetzen, der eben im deutschen Interesse ist. Da sollte man nicht versuchen, durch überzogene Formulierungen von der Problematik abzulenken. Das Problem kenne ich ja ganz gut, dass einem nachher nicht der Inhalt vorgeworfen wird, sondern der Ton. Entscheidend ist, dass wir über Inhalte reden und versuchen, Scheindebatten zu vermeiden und sie – wenn möglich – auch nicht selbst zu befeuern.

Was die Ukraine angeht, brauchen wir eine Bundesregierung, die sich für den Frieden einsetzt und nicht weiter Öl ins Feuer gießt. Und was die Bundeswehr angeht, brauchen wir eine Bundeswehr, die zur Landesverteidigung in der Lage ist und die unsere Bündnisverpflichtungen erfüllen kann. Eine Bundeswehr, die einen wirklichen Korpsgeist hat und die auch in der Lage und willens ist, unser Land zu verteidigen. Der Gradmesser ist also die Sachebene und nicht die Begriffsebene und man sollte es auch nicht anders darstellen oder bespielen.

Wolfram Weimer hat jetzt Unterlassungen von Frau Weidel und anderen unterzeichnet. Was bedeutet das für die Affäre Weimer insgesamt?

Zum einen bedeutet das, dass Sie und diejenigen, die das Thema Weimer und „TheEuropean“ thematisiert haben, erfolgreich waren, weil die von Ihnen ausgelöste Debatte dazu geführt hat, dass das in der Öffentlichkeit bekannt wurde und dass Herr Weimer mit der Unterlassungserklärung Konsequenzen gezogen hat. Zum zweiten denke ich, aus Weimers Sicht soll das bedeuten: Für ihn ist das der Schlussstrich, und er hofft jedenfalls, mit der Unterzeichnung der Unterlassungserklärung davonzukommen.

Sie waren auch Opfer von Herrn Weimer. Warum haben Sie keine Unterlassungsaufforderung gestellt?

Ich sah mich nicht in erster Linie betroffen. Viele andere waren ebenfalls betroffen. Man hätte kollektiv eine Unterlassungserklärung von ihm fordern können. Frau Weidel hat das pars pro toto gemacht, und ich glaube, damit sind auch meine Interessen und die von vielen anderen abgedeckt worden.

Nach der Stadtbildäußerung von Merz gibt es jetzt eine neue Werteunion innerhalb der CDU. Sie nennt sich „Compass Mitte“ und will aber einen Rechtskurs der CDU und ein Ende der Brandmauer verhindern. Das ZDF nennt die Gruppe „Merkels letzte Truppe“.

Es war absehbar, dass in der CDU die Merkelianer jetzt wieder diesen Weg gehen, nachdem sie die Klimaunion als die Repräsentanten der Klimasekte in der CDU gegründet hatten. Jetzt so eine Art linke Merkelunion. Das ist für mich hier eher eine virtuelle Gruppe.

Aber es war konsequent, dass diese Gruppe gegründet wurde, nachdem die Merkelianer in der CDU im Falle Brosius-Gersdorff verloren hatten und die Gefahr bestand, dass sich in der CDU die letzten Konservativen noch zusammentun könnten, um die Brandmauer zu bekämpfen. Ich würde diese Gruppe allerdings nicht überbewerten. Gefährlich sind einige davon in der Tat immer noch. Und die muss man auch im Blick halten.

Im Mittelpunkt dieser „Compass Mitte“ steht Roderich Kiesewetter. Und der ist ja eigentlich ein Hardliner, beispielsweise in Sachen Ukraine-Unterstützung. Er wurde allerdings mit Regierungsantritt von Merz schon früh in den Ausschüssen stillgelegt. Ist das vielleicht auch eine persönliche Abrechnung?

Ich glaube nicht, dass es eine persönliche Abrechnung ist. Kiesewetter vertritt eine Hardliner-Agenda im Ukrainekrieg. Auch in anderen Politikfeldern steht er den Merkelianern wesentlich näher als Merz. Das heißt, die Behauptung, dass jemand, der sich sehr kriegerisch gibt, automatisch zum konservativen Teil einer Partei zu zählen ist, ist damit widerlegt. Diejenigen, die derzeit für die Wehrpflicht sind und die derzeit am liebsten morgen schon in Moskau einmarschieren würden, sind Leute, die man eher zu den politisch Linken zählte. Wer früher Pazifist war, ist heute mitunter ein Kriegstreiber.

Jemand wie Kiesewetter ist dann auf Augenhöhe mit dem grünen Anton Hofreiter?

Ich glaube, so kann man das sagen.

Angenommen, Sie wären der Kommunikationsberater der SPD. Wie kann man denn die Partei von Brandt und Schmidt wieder auf die Überholspur setzen?

Die Partei ist verloren. Sie ist nach meiner Ansicht von Linken und Linksradikalen übernommen worden, die sich mit der gewaltbereiten Antifa solidarisch erklären. Ich würde noch nicht einmal sagen, dass diese Leute wirklich links sind in dem Sinne, dass sie die Interessen der Arbeiter und der kleinen Leute vertreten. Nein, das sind oftmals Ideologen, die eine kollektivistische Agenda vertreten. Und weil es Ideologen sind, sind sie auch nicht bereit, auf die Realität einzugehen. Sie meinen, sie können die Realität durch ihre Ideologie ändern. Ich kann nur hoffen, dass diese SPD in absehbarer Zeit in Deutschland keine politische Rolle mehr spielt, weil diese Partei genauso wie die grüne Partei und die Linkspartei brandgefährlich ist.

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Stichwort Ideologie. Mir ist die Ideologie von Außenminister Wadephul nicht klar. In Syrien erklärt er eine Rückkehr der Syrer für kaum möglich. Zu viel Infrastruktur sei zerstört. Aber wer soll den Wiederaufbau machen, wenn niemand zurückkehrt?

Eine katastrophale Situation im Heimatland ist kein Grund, diesen Menschen in Deutschland weiter politisches Asyl zu gewähren. Die asylrelevante Situation hat sich grundlegend geändert. Weil sich die Verfolgungssituation in Syrien grundlegend geändert hat, entfällt der Schutzstatus und die Betroffenen können und müssen wieder nach Syrien zurückkehren, wo sie beim Wiederaufbau dringend gebraucht werden.

Deutschland wurde 1945 von Deutschen und nicht von Entwicklungshelfern anderer Staaten wieder aufgebaut. Und so sollte es natürlich auch in anderen Ländern sein, die durch einen Krieg zerstört wurden. Diese Aufbauarbeit kann ihnen niemand abnehmen, und es ist natürlich auch in dem Interesse der Syrer, dass sie und nicht fremde Entwicklungshelfer die Zukunft ihres Landes gestalten. Deshalb sollte bei den syrischen Staatsangehörigen, denen wir während der Assad-Diktatur und während des Bürgerkrieges Schutz gewährt hatten, der Schutzstatus überprüft und dann zurückgenommen werden, damit sie – wenn sie kein – Aufenthaltsrecht aus anderen Gründen haben, ihr Heimatland aufbauen können.

Die Aussage von Außenminister Wadephul halte ich insoweit für falsch, weil er damit nicht nur den Syrern, die sich in Deutschland aufhalten, unberechtigt Hoffnung macht, hier ein Daueraufenthaltsrecht zu erhalten oder zu behalten, sondern weil er damit auch wieder Sogeffekte auslöst, dass nämlich Leute, die in Syrien unzufrieden sind, eine Chance hätten, in Deutschland Aufnahme zu finden. Deswegen halte ich die Aussage von Außenminister Wadephul für unverantwortlich und es ist gut, dass er aus seiner eigenen Partei starken Widerspruch erhält. Ich habe den Eindruck, dass Herr Wadephul seinem Amt nicht gewachsen ist und dass er vom grünen Mittelbau des Auswärtigen Amtes, das Baerbock hinterlassen hat, gelenkt und instrumentalisiert wird.

Mal konstruktiv gedacht: Wenn wir die Syrer zurückschicken, um ihr Land wieder aufzubauen, könnte man das nicht damit verknüpfen, dass man den Wiederaufbau finanziell unterstützt und nachher dann davon Vorteile hat. So wie die Amerikaner das nach 1945 taten, als jeder hier einen amerikanischen Kühlschrank und einen Ford kaufen wollte. Kann sich das nicht, wenn wir den syrischen Wiederaufbau unterstützen, auch zum Vorteil für Deutschland entwickeln?

Selbstverständlich könnte man das so machen. Das machen die Amerikaner, die Franzosen, die Briten, die Chinesen, das macht jeder außer Deutschland. Deutschland tritt altruistisch auf und gibt das von seinen Bürgern hart erarbeitete Geld aus, ohne unterm Strich dafür eine Gegenleistung oder ein diplomatisches Dankeschön zu bekommen, wie zum Beispiel die Unterstützung bei unserem langjährigen Vorhaben einen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu erhalten. Das deutsche Geld ist dumm, und das weiß man bei der EU, der UN und in den Ländern, die von uns Geldzuwendungen erwarten.

Ist das nicht auch automatisch ein Freibrief für Asyl in Deutschland, etwa für alle Palästinenser und auch für Menschen aus jedem anderen Land, die Krieg oder auch Umweltzerstörung erlebt haben?

Wie ich eben sagte: Außenminister Wadephuls Aussage kann von Schleusern und von vielen Migranten als Signal für einen Massenzustrom nach Deutschland verstanden werden. Er erweckte nämlich den Eindruck, dass jeder in Deutschland Asyl erhalten könnte, wenn die Situation im Heimatland nur desaströs ist. Seit Ende des Krieges in Syrien sind über eine Millionen Syrer aus dem Ausland dorthin zurückgekehrt, nur von „unseren“ ca. eine Millionen Syrern nicht mal 3.000. Warum wohl?

Die „Welt“ titelte zuletzt, Russland bereite sich bereits auf einen möglichen Krieg mit der NATO vor. Ich kann schwer einschätzen, was Aktion und was genau Reaktion ist. Denn dass sich die NATO auf einen Krieg mit Russland vorbereitet, das ist ja wohl unstrittig, oder?

Die NATO bereitet sich schon seit längerem auf einen Krieg mit Russland vor, und droht Russland immer wieder. Es ist ein gegenseitiges sich Hochschaukeln. Ich sehe Russland nicht allen in der Rolle des Akteurs, sondern es reagiert auch auf das Verhalten der NATO-Staaten.
Wir dürfen nicht verkennen, dass sich auch die Situation für Russland seit Beginn des Krieges deutlich verändert hat. Ich glaube, Russland hat heute auch das politische Interesse, dass von Europa und dass von der EU nie wieder ein Krieg ausgeht. Das heißt, dass aus russischer Sicht die EU und ihre Mitgliedstaaten in Zukunft daran gehindert werden sollten, auf die Ukraine oder einen anderen Staat so einzuwirken, dass sie militärisch für Russland gefährlich werden. Diese russische Perspektive muss man im Blick haben.

Wenn Sie jetzt der Berater von Merz wären, würden Sie ihm da einen Kontakt mit Putin anraten?

Selbstverständlich würde ich ihm das anraten. Russland gehört zu den ersten Staaten, mit denen ein deutscher Bundeskanzler nach der Wahl Kontakt aufnehmen sollte. Sich einer Kontaktaufnahme mit Putin zu verweigern, zeigt, dass er letztendlich nicht verstanden hat, dass es hier nicht um politische Befindlichkeiten, sondern um nationale Interessen geht. Und gerade bei einem Staat, mit dem wir große Probleme und Spannungen haben, muss man Gespräche führen, und zwar auf Spitzenebene, um diese Probleme nach Möglichkeit im eigenen nationalen Interesse aus dem Weg zu räumen.

Wie kann Deutschland wieder ein ernstzunehmender Akteur auf der internationalen Bühne werden? Geht es da immer nur um Wirtschaftskraft oder kann man das auch über ein Wertesystem schaffen?

Es geht um Wirtschaftskraft, um starke Streitkräfte, um Bildung, aber auch um eine politische Elite, die von ausländischen Regierungen respektiert wird. Leider hatten wir in den letzten Jahren sehr viel Pech mit unserer politischen Elite.

Danke für das Gespräch!

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