Am Samstag war Nikolaustag. Wie wichtig sind Rituale für eine Gesellschaft?
Rituale sind extrem wichtig, weil sie eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft schlagen. Sie erinnern uns an die Menschen, die vor uns lebten und die Kultur aufgebaut haben, von der wir heute profitieren. Gleichzeitig machen sie uns bewusst, dass wir Verantwortung für die nachfolgenden Generationen tragen. Deshalb können Rituale und Traditionen – übrigens auch die kirchliche Liturgie – manchmal sogar wichtiger sein als die reinen Inhalte, um die es dabei geht.
Hat diese generationenübergreifende Kontinuität auch etwas Beruhigendes für den alternden Menschen?
Auf jeden Fall. Man fühlt sich geborgen, nicht isoliert, sondern als Teil eines größeren Ganzen – wie ein Glied in einer Kette. Ein einzelnes Glied klingt zunächst unscheinbar, aber wenn es fehlt, hält die Kette nicht mehr. Gerade für ältere Menschen gibt das Hoffnung und Halt: Man weiß, dass man dazugehört.
In einer Gesellschaft, die gerade über die Rentendebatte einen Generationenkonflikt heraufbeschwört – ist diese Kontinuität und die daraus resultierende Geborgenheit mehr wert als drei Euro mehr im Portemonnaie?
Natürlich braucht jeder eine auskömmliche materielle Grundlage. Aber danach kommt etwas anderes: das Gefühl, in dieser Gesellschaft wirklich aufgehoben zu sein. Genau das vermitteln Traditionen, Werte und Rituale wirkungsvoller als jede Geldspritze.
Angela Merkel hatte 2017 im Koalitionsvertrag Geld für den Kampf gegen Einsamkeit freigemacht, später wurden damit Mehrgenerationenhäuser finanziert. Im aktuellen Koalitionsvertrag finde ich das nicht mehr. Bleibt Einsamkeit trotzdem ein Thema?
Ich bin weder Mitglied der Bundesregierung noch habe ich am Koalitionsvertrag mitgeschrieben. Den Ansatz von Frau Merkel, dass der Staat sich in alle Lebensbereiche der Bürger einmischen und für alles zuständig sein soll, habe ich schon immer für falsch gehalten. Der Staat soll Freiheit sichern – durch innere und äußere Sicherheit –, für gute Infrastruktur und ein solides Bildungswesen sorgen. Das ist schon genug. Mehrgenerationenhäuser sind kein Staatsauftrag; das muss die Gesellschaft selbst organisieren.
Der Mensch ist dem Menschen aber oft ein Wolf. Soziale Marktwirtschaft und Regulierung haben sich nicht grundsätzlich als schlecht erwiesen – gerade, damit die Starken nicht alles an sich reißen und unter ihnen ein Prekariat entsteht.
Genau deshalb brauchen wir einen Staat: Freiheit darf nicht nur den Reichen zustehen. Eine rein libertäre Ordnung würde dazu führen, dass sich die Starken durchsetzen – das muss ebenso verhindert werden wie ein Bürgerkrieg der Schwachen gegen die Starken. Wir brauchen eine staatliche Grundordnung aus Freiheit und Gerechtigkeit. Wenn der Staat das leistet, hat er schon mehr als genug zu tun und sollte sich nicht um Mehrgenerationenhäuser oder die Rettung des Weltklimas kümmern.
Wie haben Sie die Resonanz auf Ihren offenen Brief an den Verfassungsschutz erlebt? Wie wichtig ist hier Öffentlichkeit?
Die Resonanz war enorm – sehr viele Zuschriften über X, E-Mail und meine Webseite. Vielen ist erst dadurch wieder bewusst geworden, wie stark der Verfassungsschutz aus dem Ruder läuft und seit meinem Ausscheiden als Verfassungsschutzpräsident von den Regierungen als Instrument gegen politische Gegner missbraucht wird. Das gilt übrigens nicht nur für das Bundesamt, sondern besonders für einige Landesämter, allen voran Thüringen. Dort werden Regierungskritiker delegitimiert, verächtlich gemacht und Rufmord betrieben – und das alles im Namen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Eine Schande.
Können Sie ausschließen, dass da auch persönliche Motive gegen Sie als ehemaligen Präsidenten eine Rolle spielen?
Das kann ich natürlich nicht ausschließen.
Am Freitag fanden bundesweit Schülerproteste gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht statt – offenbar basisdemokratisch, nicht von Regierung oder NGOs gesteuert. Schulfrei gab es diesmal aber nicht, anders als bei „Fridays for Future“ oder Demos gegen Rechts. Warum?
Ganz einfach: Weil diese Proteste nicht von der Regierung organisiert oder gutgeheißen wurden. Sie richteten sich gegen die offizielle Linie. Da kann man nicht erwarten, dass Bund oder Länder sie auch noch mit schulfreien Tagen belohnen.
Ist es nicht trotzdem erfreulich, dass aus der Jugend plötzlich eine eigenständige Gegenbewegung entsteht?
Prinzipiell ja. Man darf aber nicht übersehen: Die jungen Leute demonstrieren hier nicht für das Gemeinwohl oder für andere, sondern weil sie selbst betroffen sind.
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Zeitgleich wird die Wehrpflicht ja quasi durch die Hintertür wieder eingeführt. Wie viel näher ist die deutsche Jugend damit dem Tod im Schützengraben gekommen?
Ich war früher ein Befürworter der Wehrpflicht. Aber den heutigen Politikern – ich denke da zum Beispiel an Herrn Kiesewetter, Herrn Pistorius oder auch an Herrn Merz – würde ich keine eigenen Kinder anvertrauen. Ich traue ihnen keine verantwortungsvolle Verteidigungspolitik zu.
Die AfD hat eine neue Jugendorganisation gegründet, und schon wenige Tage später positioniert sich der thüringische Verfassungsschutz und bastelt offenbar am nächsten Verbotsverfahren. Wozu dann überhaupt auflösen und neu gründen, wenn es immer wieder passiert?
Jeder weiß um den Untersuchungsausschuss gegen den Thüringer Verfassungsschutzpräsidenten Kramer, der aus meiner Sicht für dieses Amt völlig ungeeignet ist und es zugunsten der politischen Linken instrumentalisiert. Seine Einschätzungen zur angeblichen Verfassungsfeindlichkeit sind weder objektiv noch fachlich fundiert, sondern interessengeleitet.
Campact, der Verband der Familienunternehmer, zur Caus Rossmann und dm – wie groß ist die Macht der NGOs? Besitzen sie die Hoheit über die Debattenräume, und wenn ja, wie kann man sie zurückgewinnen?
Viele dieser NGOs wurden von der politischen Linken als Vorfeldorganisationen gegründet, um Dinge zu tun, die der Staat selbst nicht tun darf: politische Gegner ausforschen, diffamieren, diskreditieren, einschüchtern – klassische Zersetzung. Das machen sie hochprofessionell.
Immer mehr konservative oder rechts positionierte Menschen geraten wegen Meinungsäußerungen mit der Justiz in Konflikt. Gegenwehr ist teuer und aufwendig. Wäre eine Art „rechte“ anwaltliche Hilfsorganisation sinnvoll?
Ich würde es nicht „rechts“ nennen. Wir brauchen eine Hilfsorganisation für all diejenigen, die politisch verfolgt, ausgegrenzt oder diffamiert werden und bei denen die Justiz versagt oder zum Handlanger der Politik wird.
Wenn wir auf Olaf Scholz und seine „Zeitenwende“ zurückblicken – glauben Sie, dass er sich das alles allein im Kanzleramt ausgedacht hat?
Nein. Scholz war nach meiner Meinung umgeben von linken und linksradikalen Thinktanks, die ihm und der gesamten Regierung die Ideen lieferten. Er machte nicht allein Politik – er wurde mit Konzepten versorgt.
Die EU hat Elon Musk 120 Millionen Euro Strafe aufgebrummt. Kommt es jetzt zum Showdown der Giganten? Ist eine Abschaltung von X in Europa realistisch?
Brüssel hat sich komplett isoliert und versteht die Welt außerhalb des eigenen „Sowjet“ nicht mehr. Brüssel und die Unterstützer legen sich mit einer Macht an, wo sie nur verlieren können. Die USA werden mit dem sog. „Granite Act“ reagieren, nach dem die EU bei der Verfolgung von amerikanischen Staatsbürgern oder Unternehmen zu gigantischen Schadensersatzsummen, die mindestens bei 10 Millionen US-Dollar beginnen, verurteilt werden. Europäer, die als Fact-Checker oder in anderer Weise als Zensoren an der Einschränkung der Meinungsfreiheit beteiligt waren, sollen nicht mehr in die USA einreisen dürfen. Schon in der Grundschule lernt man: Leg dich nicht mit Stärkeren an. Frau von der Leyen und ihre Unterstützer werden das noch schmerzhaft erfahren – auch persönlich.
Wo ist der „große weiße Raum“ der echten Entscheider? Wer sitzt da wirklich?
Stellen Sie sich vor, Sie sind Kriminalbeamter. Am Anfang wissen Sie auch nicht, wer der Täter, wer der Auftraggeber und was das Motiv ist. Man beginnt mit einer Arbeitshypothese, entwickelt einen Anfangsverdacht, später vielleicht einen dringenden Tatverdacht. Aber solange die Ermittlungen laufen, spekuliert man nicht öffentlich über Namen. Es gibt dringende Verdachtsmomente, aber ich würde mich damit noch zurückhalten.
Wolfram Weimer ist weiter im Amt. Wir hatten Mitte Oktober gewettet, ob er Silvester noch im Amt sein wird. Ich war der Überzeugung: nein. Sieht so aus, als gewinnen Sie die Wette. Habe ich die Vorwürfe überbewertet?
Nein. Unter normalen Umständen hätte Herr Weimer längst gehen müssen. Dass er noch im Amt ist, zeigt nur, wie unnormal die Umstände sind: Die Vorwürfe sind kaum in den Mainstream-Medien angekommen, es gab keinen medialen Druck – außer in den freien Medien – und auch aus dem Parlament kaum welche, von der AfD abgesehen.
Die anderen Oppositionsparteien und die meisten Medien stehen letztlich in einer Linie mit der Regierung: Man greift einander nicht an, weil man sonst selbst dran sein könnte. Ein stillschweigender Nichtangriffspakt. Als Merz aus Südafrika sagte, an den Vorwürfen sei nichts dran, war das ein vernehmliches „Basta“. Die Medien sind brav gefolgt.
Vielen Dank für das Gespräch!
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Kommentar von F. Lo
„Viele dieser NGOs wurden von der politischen Linken als Vorfeldorganisationen gegründet, um Dinge zu tun, die der Staat selbst nicht tun darf: politische Gegner ausforschen, diffamieren, diskreditieren, einschüchtern – klassische Zersetzung. Das machen sie hochprofessionell.“
Und gegenwärtig wird anscheinend auf der juristischen Ebene hart daran gearbeitet, dass explizite Aktionen gegen die AfD/gegen „Rechts“ vom Staat geadelt werden. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, sitzt die linke NGO Gesellschaft für Freiheitsrechte an einem umfangreichen Gutachten für ein AfD-Verbotsverfahren. Und wenn man schon dabei ist, will man auch gleich „das Gemeinnützigkeitsrecht sowie Fragen der öffentlichen Förderung“ mit behandeln. „Unser Gutachten wird ein wichtiger Wegweiser für die öffentliche Diskussion. Es könnte aber auch andere Debatten prägen wie jene zu den zulässigen AfD-kritischen Tätigkeiten gemeinnütziger oder öffentlich geförderter Organisationen.“
Ich interpretiere das persönlich mal so: Weil der Verfassungsschutz die AfD als gefährlich einstuft, muss das aktive Eintreten gegen sie (Statements, Broschüren, Veranstaltungen, Demos) künftig „gemeinnützig“ sein und könnte von Ministerien offiziell mit finanziert werden. Da müsste man ja nur die Abgabenordnung zu Gemeinnützigen Zwecken (§ 52) etwas uminterpretieren oder am besten doch ein bisschen umformulieren. Derzeit begünstigt Nr. 24 z. B. „die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens im Geltungsbereich dieses Gesetzes; hierzu gehören nicht Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen oder die auf den kommunalpolitischen Bereich beschränkt sind …“. Wenn der Kampf gegen Rechts nun nicht mehr als Einzelinteresse bestimmter Kreise gelten sollte, sondern geradezu geboten wäre, um die Verfassung und den Gesamtstaat zu schützen, ist manches zu Gunsten der Vereine und NGOs denkbar.
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Kommentar von T S
"Ist es nicht trotzdem erfreulich, dass aus der Jugend plötzlich eine eigenständige Gegenbewegung entsteht?"
Schön wärs. Hab am Freitag diese Schülerantikriegsdienstkundgebung gesehen und vor lauter Palästina- und Krawallrotflaggen kaum einen Unterschied zu sonstigen Antifantiansammlungen erkennen können. Auch dieser Protest wurde frühzeitig gekapert und in deren eigenem Sinne umgeleitet.
Wie der Großteil der Jugend wirklich denkt und handelt wird man erst in einigen Jahren erkennen, denn das wird eher lautlos und unterschwellig geschehen.
Erinnern wir uns doch mal zurück wie es war als wir in diesem Alter für den Staatsdienst mustern lassen mußten - da gab es eine Menge Ideen wie man dem zuvorkommen kann, oder dafür sorgen kann nicht mit einem T1 - T3 rauszukommen. Daß die Anfragen an die KDV-Beratungsstellen schon jetzt zunehmen ist jedenfalls eine erfreuliche Nachricht.