Bernd Neumann über eine Partei ohne Anschluss

Das Paradoxon der AfD – Und der Grund für ihre bizarre Situation

von Alexander Wallasch (Kommentare: 4)

Niemand will Tino Chrupalla als Kanzler, und nur eine Minderheit Friedrich Merz. Die AfD bräuchte einen begnadeten Populisten und Menschenfänger. Einen rechten Robert Habeck.© Quelle: Pixabay / moinzon

Ein Kolumnist und sein Leser – Eine Debatte, wie sie wünschenswert ist: Intelligent vorgetragen und offen diskutiert. Wohin will die AfD, woher kommt sie und lässt man sie auch?

Kolumnist Jan-Heie Erchinger hatte sich in seiner letzten Kolumne an die Frage herangetastet, wie es sich mit der Ausgrenzung der AfD in den Parlamenten verhält. Und er hat das mit aller Sorgfalt und Feingefühl gemacht.

Viele Leser in den sozialen Netzwerken, auf der Webseite und per elektronischer Post haben sich mit dem Thema auseinandergesetzt und auch miteinander gerungen. Bernd Neumann hat einen Kommentar geschickt, den wir intern gerne debattiert haben und den wir hier allen unseren Lesern zur Diskussion stellen wollen.

Hier der Kommentar von Bernd Neumann vom 11.11.2022:

Die Gründung der AfD entsprang der naiven Fehleinschätzung honoriger, aber mit den Niederungen der Politik gänzlich unbewanderter westdeutscher Konservativer aus dem Beritt von CDU und FDP über das Wesen und die Leitplanken des deutschen Parteienstaates. Diese Konstellation half ihr – der entscheidende Unterschied zu den „rechten“ vorherigen Parteien und auch den Republikanern – im Bürgertum eine kritische Phase lang nicht als „zu rechts“ oder gar Nazis à la NPD abgestempelt zu sein, also wählbar zu sein, dazu kam eine gewisse Bekanntheit einiger Gründer, insbesondere von Olaf Henkel.

Der Kern ihrer Transformation lag in der Wahlniederlage 2013, als sie den Einzug in den Bundestag verpasste. Dadurch entstand eine ungute Zwischenphase, in der sie in Selbstbeschäftigung versank, verstärkt durch die Fassungslosigkeit ihrer Protagonisten über die völlige Maßlosigkeit der Angriffe aus dem etablierten und linksliberalen Spektrum. Im Grunde aber litt sie auch daran, dass hier Menschen Politik machen wollten, die im Inneren ihres Wesens das Wesen von Politik eigentlich verachteten.

Bekanntermaßen hatten mit all dem Neudazugekommene aus dem Dunstkreis rechtsradikaler oder nationallinker Formationen kein Problem. Das war die Stunde von Akteuren wie Björn Höcke und Andreas Kalbitz, und einigen, die längst vergessen sind, denken wir nur an Frauke Petry. Höcke ist noch dabei, weil er sich nie selbst überschätzt hat und seine Ambitionen auf Thüringen beschränkte. Andere, wie Petry oder Meuthen, taten das nicht und lernten die Unerbittlichkeit des Politzirkus kennen, bis sie untergingen.

Das Paradoxon der AfD – und der Grund für ihre bizarre Situation – liegt darin, dass sie in der Tat die einzige echte und glaubwürdige Opposition gegen den Linksliberalismus und das ihm zugrunde liegende Systems des Grundgesetzes von 1949 darstellt, auch zehn Jahre nach ihrer Gründung. Das würde sie für die linksliberalen Grundgesetzler von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP gefährlich machen, wenn – ja wenn sie die Mehrheit rechts der SPD (ca. 55 %) realisierbar machte. Trotzdem bewahrt und stabilisiert sie zugleich das linksliberale System in einer Weise, dass sie nahezu unverzichtbar geworden, ist, umso mehr, als dass die FDP inzwischen diese Funktion gänzlich eingebüßt hat.

Der geniale Schachzug des Systems war und bleibt, die AfD zwar als Hofnarr in die Parlamente zu lassen, sie dann dort aber mit der Nazi-Werdung so zu isolieren wie Ebola-Infizierte. Damit werden kritische 10 bis 15 Prozent rechts der SPD annihiliert, ohne die Stimmenanzahl links der Mitte zu verringern. Die CDU KÖNNTE zwar in der Theorie mit der AfD eine Regierung ohne Grüne und SPD bilden. Doch weil man die AfD außerhalb der linksliberalen Satisfaktionsfähigkeit stellt, die CDU aber auf ebendiese angewiesen ist, um ihrem Funktionärskader weiterhin ausreichenden Zugriff auf die Ressourcen des Staates zu verschaffen, stabilisiert und erhält die AfD nunmehr diesen linksliberalen Block sicher und zuverlässig – obwohl sie, zumindest in Teilen der Illusion nachhängt, genau das aufbrechen zu können. Diese Illusion ist der Wurm, mit dem man den Fisch AfD verleitet, sich diesen demütigenden Exerzitien überhaupt zu unterziehen – gut, die Diäten, wie 15k pro Monat im Bundestag sind auch ein Argument. Längst sind auch in der Union alle Funktionäre verschwunden, die sich ein Leben außerhalb dieses Blocks auch nur vorstellen können. Friedrich Merz, Ritter von der traurigen Gestalt, ist der Archetyp dieser postkonservativen Kohorten.

Damit dieses Setup aufgebrochen werden kann, sind nur zwei Szenarien denkbar: Die AfD verschwindet wieder aus den Parlamenten. Für die „Sache“ ihrer Wähler änderte das praktisch nichts, denn parlamentarisch kann die AfD, so wie die Dinge stehen, nichts erreichen und das Auskommen eines Teils ihres Funktionärskorps im Diätenwesen ist für die Wähler nicht von Belang. Wenn das aber passierte, kann die Union den konservativen Teil der Wähler nicht mehr bei der AfD abladen und komplett ignorieren – er würde zumindest in Teilen wieder zu ihr drängen und dort Aktion und Änderung einfordern. Nicht, dass er damit weit käme, nicht weiter als 2011 jedenfalls – aber inzwischen ist die CDU weitgehend Opposition. Die Arroganz der Macht der Merkel-Jahre kann sie bis auf weiteres nicht ausüben. Die von Liberalkonservativen seit acht Jahren herbeiphantasierte konservative Renaissance (in der Union) hätte so eine zumindest theoretische Chance. Praktisch stünden ihr wohl die Interessen des Funktionärskorps der Union entgegen, die an Konservatismus noch nie interessiert waren, seit 1946.

Das andere Szenario implizierte, dass die AfD so viele Stimmen erhielte, dass an ihr vorbei keine linke oder linksliberale Koalition mehr gebildet werden kann. Dazu müsste sie wohl mindestens 35 Prozent oder mehr holen, wenn nicht gar eine Mandatsmehrheit (also 45 % plus). Perspektivisch ist das derzeit nur, und das auch nur unter Vorlage allergünstigster Umstände, für die Bundesländer Sachsen und Thüringen vorstellbar. Im Westen sind die Menschen so konditioniert, dass das undenkbar ist. Corona hat gezeigt, dass sie im Krisenfall bloß einem links konnotierten Autoritarismus folgen, aber keine Alternative zu Grün-Links suchen.

Sonst aber und erst recht im Westen bleibt die AfD nur ein Garant des Linksliberalismus, wider Willen, aber de facto. Daraus kann sie sich nur befreien, wenn sie aufhört, der Illusion des Parteienstaates zu erliegen. Die Westdeutschen werden noch lange nichts anderes wählen als die vier Parteien CDU, Grüne, SPD und FDP. Wir haben auch gerade in den USA gesehen, dass in überreifen Wohlstandsgesellschaften eben Unzufriedenheit mit der Regierung kein Grund für Parteienwechsel darstellt. Die Menschen wählen moralisch, und nicht politisch.

Niemand will Tino Chrupalla als Kanzler, und nur eine Minderheit Friedrich Merz. Die AfD bräuchte einen begnadeten Populisten und Menschenfänger. Einen rechten Robert Habeck. Das letzte Mal, dass es einen gab im deutschen Sprachraum, war in Österreich Jörg Haider. Wenn sich so einer fände, könnte Bewegung in die Sache kommen. Ansonsten noch 50 Jahre Mitte-Links.

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