CDU-Chef Merz als eine Art Münchhausen im Till-Eulenspiegel-Gewand

Der umgedrehte Aiwanger: Als Friedrich Merz vor 25 Jahren ein ganz schlimmer Finger sein wollte

von Alexander Wallasch (Kommentare: 4)

Fast rührend, wie Merz sich selbst im Jahr 2000 und mitten in der Midlife-Crisis eine wilde Jugendzeit andichtete.© Quelle: Wikipedia/ Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP), Ausschnitt-Screenshot von Alexander Wallasch

Wer hätte in den Tagen dieser überhitzten Affäre Aiwanger nicht auch gern gewusst, was andere relevante Politiker als Teenager so Dreckiges in ihrem Tornister mit sich herumgetragen haben.

Insbesondere bei den linksradikalen und grünextremistischen Pflänzchen von Künast und Trittin bis SPD-Chefin Esken und Präsident Steinmeier könnte sich eine Zeitreise hinab in den extremistischen Partykeller der Jugend durchaus lohnen.

Eine Leserin hat uns dankenswerterweise auf etwas hingewiesen, das noch einmal mehr geeignet ist, die ganze Bigotterie der Aiwanger-Rezeption aufzuzeigen.

Gehen wir dafür gemeinsam ein Vierteljahrhundert zurück und beobachten Friedrich Merz, damals noch nicht von Merkel abgesägt, noch nicht weich gepolstert bei den Düstermännern von Blackrock untergekrochen und leibhaftiger Oppositionsführer im Deutschen Bundestag versus Schröder und Fischer.

Fischer war vom Steinewerfer und Polizisten schlagenden Linksextremisten zum Außenminister konvertiert und Schröder vom Sozialdemokraten zum Wirtschaftskanzler, zum Boss der Bosse mutiert. Merz hatte es also nicht leicht. Der konservative Sohn eines spießigen sauerländischen Provinzrichters war wohl das, was man gemeinhin einen folgsamen braven Jungen nannte, wenn auch laut Online-Enzyklopädie irgendwie albern, minderbegabt und mit echten schulischen Schwierigkeiten.

Jeder, der in der Zeit aufgewachsen ist, weiß ja, wie es generell um die Buben der Jungen Union bestellt war. Nur die Clearasil-Grünschnäbel der FDP waren noch unbeliebter. Merz studierte später in Bonn und Marburg und erlebte dort wohl als Zaungast das wilde studentische Leben der anderen, während seine Geheimratsecken immer größer wurden. Nur, dass er am Ende der Erfolgreichere sein sollte.

Psychologen kennen diesen Effekt: Da kann sich durchaus glücklich schätzen, wer die Ablehnung der anderen in einen eisernen und troztzigen Willen umbauen kann, sich reinzuschuften in Machtpositionen und in Wohlstand als Ersatzbefriedigung. Was Friedrich Merz aus dem Sauerland gegenüber den wilden Joschka-Revoluzzerjungs aber noch fehlte, war eine Legende, selbst einmal Flickenjeans und Lederjacke getragen zu haben. Da gab es weiße Flecken in der Vita.

Und dann passierte, was der „Spiegel“ im Jahr 2000 ganz genüsslich sezierte und zitierte und was man fast 25 Jahre später durchaus als so etwas wie den umgekehrten Aiwanger bezeichnen könnte: Friedrich Merz behauptete – jetzt als Till Eugenspeigel verkleidet – er sei früher ein rundherum wilder Junge gewesen. Eigentlich ist das rührend, wie da einer im 45. Lebensjahr am Rande der Midlife-Crisis oder schon mittendrin eine Sehnsucht nach den wilden Geschichten der anderen entwickelt hat.

Der Spiegel fragte im Dezember 2000 genüsslich in Richtung Merz: „Hat er seine 'Jugendsünden' nur erfunden?“ Es ist zum Heulen schön, was Merz da für sich reklamierte und ihm der „Spiegel“ nicht zugestehen mochte. Auch damals wurden – wie heute bei Aiwanger – von den Medien alte Schulkameraden ausgegraben und befragt.

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Das Magazin beließ es nicht bei einer Geschichte. Die nächste Schlagzeile lautete: „Easy Rider in Brilon“ und der „Spiegel“ fragte wieder Richtung Merz: „Aber warum tut er das?“ und befand dann:

„Lange Haare, wilde Jagden mit dem Motorrad - Friedrich Merz verklärt seine Jugendjahre, die so wild nicht waren. (...) Und so zeichnete der brave Steuerexperte aus Westfalen in einem Interview mit dem Berliner 'Tagesspiegel' von sich ein so wildes Bild, dass die Geschehnisse in Brilon klangen wie aus einem deutschen Woodstock.“

Das Magazin skizzierte Merz damals als eine Art Münchhausen im Till-Eulenspiegel-Gewand: „Mit einem frisierten Weltkriegsmotorrad sei er in wilden Jugendtagen durchs heimische Brilon gejagt, zur Frittenbude und zurück, 'im Wettlauf mit der Polizei' und immer 'ohne Nummernschild'. Merz war kaum noch zu bremsen. 'Einmal', so feixte er, sei er den Ordnungshütern 'nur um Haaresbreite' entkommen.“

Und als wäre das alles nicht genug, formten ausgerechnet Parteifreunde von Merz den Bezug hinüber zu Joschka Fischer, wie erneut der Spiegel genüßlich aufschrieb:

„Inzwischen rätseln Parteifreunde in den Spitzengremien der Union, was in ihren Friedrich gefahren sein könnte, dass er sich so aufspielt. Warum legt sich der stramme Unionsmann urplötzlich das Image eines jugendlichen Rebellen zu? Treibt ihn der Neid auf Joschka Fischers Spontizeit?“

Als junger Mensch, so Merz in einem Tagesspiegel-Interview, habe er heimlich geraucht, getrunken und mit ohrenbetäubender Rockmusik gegen Elternhaus und Establishment rebelliert. Da fehlte tatsächlich nur noch wenig bis hin zu einer Gebrauchsanleitung, wie man erfolgreich Lack schnüffelt oder sich mit Papas Patex zudröhnt. Es sind wunderbare Sätze über Friedrich Merz, welche der Spiegel damals zu formulieren bereit war, Lyrik, Poesie, was immer:

„Aus dem Auspuff quillt der Duft von Freiheit und Abenteuer, die Rebellenmähne flattert ungezähmt im Abendwind - Friedrich Merz, der Peter Fonda des Hochsauerlandkreises, eine angebrochene Schachtel 'Milde Sorte' in der Tasche.“

Der vernichtende finale Uppercut kommt dann ausgerechnet von einer fiesen „Alice“, die damals mit Merz zur Schule ging:

„Zwar sei Merz, wie sich seine frühere Banknachbarin Alice erinnert, im Briloner Gymnasium Petrinum tatsächlich 'dauernd durch anhaltendes, penetrantes Stören' aufgefallen, aber mit wirklicher Rebellion habe dies wenig zu tun gehabt. 'Das war einfach nur pubertäres Gehabe. Friedrich wollte halt immer das letzte Wort haben'.“

Eigentlich tritt man bei so am Boden Liegenden nicht mehr nach, der Spiegel tat es damals dennoch:

„Fromm und gottgefällig tat er Dienst als gewissenhafter Messdiener in der Kapelle des Städtischen Krankenhauses Maria Hilf, brillierte als Laiendarsteller in dem Freilichtstück 'Till Eulenspiegel und die Katze im Sack'.“

So etwas kann man sich nicht ausdenken. Aber Merz soll sich einiges ausgedacht haben, um wilder zu sein, als es sich beispielsweise ein Hubert Aiwanger nie für sich gewünscht hätte.

Der Chef der Freien Wähler muss sich heute gegen Behauptungen wehren, er sei mit 17 ein übler Nazi gewesen. Friedrich Merz erfand mutmaßlich vor 25 Jahren für sich ein Easy-Rider-Leben, dass es wohl nie gegeben hat. Beide sind heute in durchaus relevanten politischen Positionen angekommen. Der eine auf dem aufsteigenden Ast, der eine schon wieder auf dem Rückmarsch, entscheiden Sie bitte selbst, wer hier welche Rolle besetzen soll.

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