Deutschlehrerin aus Potlava: „Wir bleiben hier und schützen unser Land“

Eine Ukrainerin warnt vor Panik: „Beruhigen Sie die Deutschen!“

von Alexander Wallasch

Was denken die Ukrainer über einen drohenden Einmarsch der Russen in ihr Land? Wir konnten mit einer Deutschlehrerin in Potlava sprechen und mit dem Besitzer eines ukrainischen Restaurants in Deutschland, der gerade in der Schweiz Urlaub macht.© Quelle: © Foto: Freepik.com / User10860774

Deutsche Zeitungen sind voll von Warnungen vor einem drohenden Einmarsch der Russen in die Ukraine: Der amerikanische Präsident will von einem Angriff Putins schon in den kommenden Tagen wissen. Vereinzelnd raunen die Medien gar von einem dritten Weltkrieg. Nicht wenige Deutsche legen sich kleine Lebensmittellager im Keller an.

© Foto: Privat

Aber wie geht es dabei den Menschen in der Ukraine, die unmittelbar vom Einmarsch des russischen Militärs betroffen wären?

Wir sprechen dazu mit der Leiterin einer Sprachschule in Poltava. Sie bringt Ukrainern, die nach Deutschland wollen, Deutsch bei. Poltava hat etwa 300.000 Einwohner und liegt in der Zentralukraine. Kiew ist 350 Kilometer entfernt, die russische Grenze etwa 150 Kilometer.

Es ist Sonntagvormittag, der zentral gelegene Corpus Park ist nicht weit von der Sprachschule entfernt, die Kinder lärmen im Hintergrund, unsere Gesprächspartnerin spricht gut deutsch. Zuvorkommend und geduldig werden unsere Fragen beantwortet.

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„Ich unterrichte Menschen, die nach Deutschland auswandern, viele auch mit Familie, auch welche, die in Deutschland arbeiten, welche die studieren wollen. Ich lebe mit meiner Familie in Poltava, im Zentrum der Ukraine. Ich würde nicht sagen, dass es ganz große Panik bei uns gibt. Natürlich haben die Menschen Sorgen, das ist ein Riesenproblem. Die Entwicklung sieht problematisch aus. Aber im Moment leben alle noch ihr normales Leben. Natürlich denken viele daran, wo man im Notfall schlafen kann, wenn etwas passiert. Aber sonst ist hier alles noch ganz ruhig.

Wir haben hier zwar einen Militärflughafen, aber bisher ist da nichts Ungewöhnliches zu beobachten. Die Geschäfte sind weiter geöffnet, alles ganz normal. Sicher denken viele darüber nach, wie denn dieser Angriff passieren wird. Aber alle haben Mut, ich kenne niemanden, der die Idee im Kopf hätte, jetzt wegzulaufen. Wir bleiben hier und schützen unser Land.

Die wenigen Russen, die hier bei uns leben, wollen überhaupt nicht, dass Russland wieder in die Ukraine kommt. Überhaupt nicht. Das ist nur eine politische Frage, würde ich sagen. Es ist auch unter den Russen ganz ruhig, ich habe viele Verwandte von meinem Mann in Russland, es gibt kein Problem. Wahrscheinlich haben auch in Deutschland viele die falschen Nachrichten gehört.

Wir sind da trotz der vielen schlechten Nachrichten ganz pragmatisch. Man muss eben seine Dokumente bereithalten, und wenn etwas passiert, irgendwo einen Platz suchen, um dort sicher zu leben. Mein Mann hat gesagt: Ich schütze das Land, wo ich geboren bin.

Nein, wir sind nicht enttäuscht von Deutschland, Europa und deren Zurückhaltung. Denn wenn Putin das mit der Ukraine macht, dann ist er auch in fünf Minuten in Deutschland. Dann haben wir einen Weltkrieg und nicht nur einen Krieg mit der Ukraine. Aber hier ist wie gesagt noch alles ganz normal. Es werden keine großen Einkäufe gemacht oder so etwas. Die Leute fragen sich: Kann man noch was machen? Was soll man schon machen?

Wir wünschen uns nur Frieden. Mit Herrn Putin ist es leider total schwierig umzugehen, etwas zu besprechen. Er hat sicher seinen Plan, aber welcher soll das sein? Ich kann das überhaupt nicht verstehen. Wir wünschen uns nur Frieden mit Russland, mit Europa, mit allen auf der Welt. Wir haben keine Angst vor den Russen. Wir haben mehr Angst vor Putin, weil man mit ihm nicht gut sprechen kann. Alle sind jetzt bereit, das Land zu schützen. Die Männer sind aber zu Hause, nur das Militär ist in den Kasernen. Ehrlich gesagt glaubt die Ukraine auch nicht, dass Putin einmarschieren wird, denn dann gibt es einen dritten Weltkrieg.

Und: Bitte beruhigen Sie auch die Deutschen. Die Ukrainer haben einen festen Standpunkt: Wir bleiben hier und beschützen unser Land.“

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Ein Ukrainer aus Odessa, der schon seit 1998 ein ukrainisches Restaurant in Deutschland betriebt und der gerade in der Schweiz im Urlaub ist, spricht ebenfalls mit uns über die aktuelle Lage in seinem Herkunftsland:

„Wenn Sie mich fragen, ob die Ukrainer Angst haben … ich glaube, es kommt darauf an, wo sie in der Ukraine leben. Die Ukraine ist groß. Die, mit denen ich spreche, sagen, es sei alles ganz entspannt.

Mein Onkel ist vor einer Woche zurückgekommen, er war zehn Monate dort, auch er sagt, von einer Angst sei nichts zu spüren. Das ist doch alles nur Propaganda. Die Deutschen packen sich den Keller voll mit Lebensmitteln? Ja, (lacht) die tragen auch noch die Masken, wo alle anderen sie schon abgemacht und auch die 2G-Regel abgeschafft haben, nur nicht in Deutschland. Das wird auch so bleiben in Deutschland, ich kann's ja nicht ändern, leider.

Dass Russland einmarschiert in die Ukraine können viele sagen. Es wird dazu viel verschiedenes Zeug erzählt. Ich glaube das nicht. Aber wenn es passiert, dann werden es nicht die Russen sein, dann wird das von der ukrainischen Seite vielleicht provoziert. Und wenn so was passiert, dann hauen die Russen natürlich dagegen, aber selber beginnen die nichts. Die Nationalisten in der Ukraine könnten es provozieren.

Ach, ich kenne so viele Landsleute, die sagen, mich geht das gar nichts an. Die sollen das selber klären. Es geht da nur ums Geld und um mehr nicht. Die sagen: Warum soll ich mein Leben aufs Spiel setzen, wofür? Der Putin hat sich die Krim zurückgeholt. Eigentlich war danach Ruhe. Ich kenne auch viele Ukrainer, die sagen, sie wollen viel lieber zu Russland gehören. Seit dreiundzwanzig Jahren hat sich in der Ukraine nichts geändert. Nur alles wurde verkauft, nur alles an die Amis verkauft. Die Investitionen aus Russland sind weniger geworden. Wenn Russen mit russischen Kennzeichen in die Ukraine fahren, dann werden ihnen heute die Autoscheiben zerkloppt. Ich habe das vor sieben Jahren noch selbst gesehen.

Die Meinungen der Menschen sind gespalten. Das bleibt so. Das wird immer so bleiben. Es gibt immer mindestens zwei Meinungen. Ich frage mich auch, warum in der Ukraine die russische Sprache verboten werden soll. Ich frage Sie, was will die ukrainische Regierung damit bezwecken, das wollen die ja schon seit einigen Jahren. Die wollen in den Großstädten, dass keiner Russisch redet, aber das bekommen die gar nicht hin. Schauen sie sich beispielsweise den Klitschko an, der kann kaum zwei Worte ukrainisch - mehr nicht. Die Straßenschilder sind ja schon lange umbenannt.

Und wenn sie mich nach Odessa fragen, das war schon immer ein Sonderfall. Aber Angst haben sie auch dort nicht. Was das Militär angeht, das wurde alles 1991/92 verkauft. Alles, was noch in vernünftigem Zustand war, wurde verscherbelt. Es geht doch bei diesem ganzen Konflikt nur um eine Bettelei gegenüber der Europäischen Union. Verteidigen könnte sich die Ukraine nur mit der Nato und den USA. Wenn etwas passiert, dann nur mit denen. Sonst wäre in zwei Tagen alles erledigt. Ich glaube aber nicht, dass der Russe einmarschiert.“

Wir konnten jetzt mit zwei ganz unterschiedlichen Menschen aus der Ukraine sprechen. Sicher kann keine der Meinungen repräsentativ sein. Wir können nicht einmal überprüfen, ob die Fakten so alle richtig sind, wie sie unsere freundlichen Gesprächspartner erzählt haben. Aber wir haben ein Stimmungsbild, eine Momentaufnahme aufgenommen. Und vielleicht ist die Zuversicht unser Gesprächspartner sogar ein kleiner Hoffnungsschimmer.

Liebe Leserinen und Leser, die Meinung der Befragten ist selbstverständlich nicht automatisch unsere Meinung. Wir werden in den folgenden Tagen weitere Stimmen aus der Ukraine sammeln und hier abbilden. Nehmen Sie die Stimmen bitte als nicht repräsentativ und informieren Sie sich bitte auch in anderen Medien über die Gefühlslage im Land.

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