Die politische Bigotterie mal auf die Spitze getrieben vom Oppositionsführer

Friedrich Merz ist ein Meister der Cancel Culture – Jetzt wirft er es linken Aktivisten vor

von Alexander Wallasch (Kommentare: 2)

Seine Aussage zur Cancel Culture machen Friedrich Merz selbst zu einem lupenreinen linken Aktivisten – jedenfalls gemessen an den von ihm selbst betriebenen Diffamierungen gegen Andersdenkende.© Quelle: YouTube / Tom Bernd, ZDFheute Nachrichten I Bildmontage Alexander Wallasch

Die sprichwörtliche eierlegende Wollmilchsau wäre ihm gegenüber wohl eine überschaubare Größe, wollte man den Mann politisch einordnen: Die Rede ist von Friedrich Merz (CDU).

Der Ex-BlackRock-Aufsichtsratsvorsitzende ist CDU-Chef und seit Nikolaus 2021 Oppositionsführer im Deutschen Bundestag. In einem Welt-Interview hat er sich aktuell darüber beschwert, dass eine Cancel Culture aus den USA nach Europa herüberschwappt.

Außerdem wirft er „linken Aktivisten“ vor, sie würden den Begriff „Kampf gegen Rechts“ oft missbrauchen, um ihre Ziele zu erreichen.

Problem dabei: Merz wäre dann selbst ein linker Aktivist, der solche Begriffe schon missbraucht und Cancel Culture betrieben hat. Nein, schlimmer: Merz nutzt solche Diffamierungsinstrumente, um seine Karriere voranzubringen.

Beispiel?

Als ihm die Ludwig-Erhard-Stiftung 2018 einen Preis überreichen wollte, lehnte Merz diese Auszeichnung ab. Er wollte den Preis nicht annehmen, weil er von Roland Tichy überreicht und vom Publizisten und Stiftungsvorsitzenden Tichy mit einer Laudatio begleitet werden sollte, wie das üblich ist.

Ein klassischer Fall von Cancel Culture. Und Merz fehlte zudem der politische Anstand, seine Gründe öffentlich zu machen geschweige denn, das Gespräch mit Tichy zu suchen. Das Handelsblatt bemerkte zum Vorfall im Juli 2018:

„Der CDU-Politiker hat dafür Gründe. Er selbst will sich nicht äußern. Doch in einer internen E-Mail, die dem Handelsblatt vorliegt, schildern Jury-Mitglieder des Ludwig-Erhard-Preises Merz’ Beweggründe. Er tue sich grundsätzlich schwer mit Preisen, habe Merz mitgeteilt, ‚in diesem Fall aber besonders, weil er nicht mit dem Vorsitzenden der Stiftung auf einer Bühne auftreten wolle‘.“

Die merzsche Variante der Cancel Culture ist deshalb besonders verwerflich, weil sich der Christdemokrat der Debatte um seine Entscheidung entzogen hat, er hat den Dingen, die dann folgten, einfach ihren Lauf gelassen, seinem Vernichtungswerk zugeschaut, er hat den ersten Dominostein umgeschmissen und so getan, als wasche er seine Hände in Unschuld. Dass daraufhin Jury-Mitglieder ihre Mitarbeit aufkündigten und Tichy später nicht mehr Vorsitzender der Stiftung war, die er über viele Jahre engagiert geführt hat, war Merz schnurzpiepegal.

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Dabei hätte es einen viel gewichtigeren Grund für Merz geben können, den Preis nicht anzunehmen. Der nämlich wurde von der Stiftung 2016 an Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder verliehen. Damit aber hatte Merz damals überhaupt keine Probleme.

Am 29. März 2022 twittert Friedrich Merz wiederum über Schröder:

„Die Ereignisse der letzten Tage sollten Gerhard Schröder nun endgültig dazu veranlassen, seine berufliche Tätigkeit in #Russland zu beenden. Auch für einen ehemaligen deutschen Bundeskanzler gibt es Grenzen des Anstands, die er nicht überschreiten sollte.“

Für einen ehemaligen BlackRock-Lobbyisten und Profi in Sachen Cancel Culture gelten solche Anstandsgrenzen offenbar nicht.

Im April 2019 lobte Merz gegenüber der Bild am Sonntag die Agenda-Politik von Schröder noch in höchsten Tönen:

„Schröder hat gezeigt, dass man als Bundeskanzler nicht lange Zeit im Amt bleiben muss, um Großes zu leisten: Die Vollbeschäftigung von heute verdankt unser Land in erster Linie diesem Bundeskanzler und seiner erfolgreichen Agenda 2010.“

Aber zurück zum aktuellen Welt-Interview. Die Zeitung fragt Merz, ob der so oft beschworene „Kampf gegen Rechts“ nicht auch ein Kampf gegen die Meinungsfreiheit wäre.

Die Zeitung hätte auch fragen können: Ist es nicht auch für sie an der Zeit, sich ganz persönlich für ihre Cancel-Culture-Attacken gegen Andersdenkende und deren Meinungsfreiheit zu entschuldigen? Aber Merz und die Welt sitzen da im selben Boot, auch die Welt hat viele Gelegenheiten mitgenommen, Andersdenkende auszugrenzen und zu diffamieren.

Aber was antwortet der CDU-Chef?

„Wenn man sieht, zu welchen Auswüchsen dieser „Kampf gegen Rechts“ führt, dann muss man schon sagen: Teile unserer Gesellschaft sind regelmäßig auf einem Auge blind. Linke Aktivisten missbrauchen den schwammigen Begriff „Kampf gegen Rechts“ auch allzu oft, um gegen völlig legitime Meinungen des demokratischen Spektrums (…) vorzugehen.“

Diese Aussage allerdings macht Friedrich Merz selbst zu einem lupenreinen linken Aktivisten – jedenfalls gemessen an der von ihm betriebenen Cancel Culture.

Merz ist Nachfolger von Angela Merkel an der Spitze der CDU. Und er hat es nie für nötig gehalten, sich offen von Merkels grünsozialistischer Politik zu distanzieren. Auch inhaltlich sind bei Merz kaum Ausfallschritte vom Merkel-Kurs erlebbar. Und im Zweifel schweigt er lieber.

Aber wohl, weil es gegenüber der Welt für den Moment nichts kostet, macht der Christdemokrat auf dicke Hose und schwingt sich auf, der letzte Ritter der Tafelrunde für die Meinungsfreiheit zu sein, der Schlachter wird jedenfalls verbal zum radikalen Tierschützer:

„Die größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit ist aus meiner Sicht inzwischen die Zensurkultur, die man im angelsächsischen Sprachgebrauch auch ‚Cancel Culture‘ nennt.“

Aber was sollen solche hohlen Phrasen? Würde es der Oppositionsführer im Bundestag auch nur einen Funken ernst damit meinen, müsste er benennen, dass die Regierung seiner Vorgängerin im Verbund mit den öffentlich-rechtlichen und privaten Alt-Medien überhaupt erst den Boden bereitet hat, diese Cancel Culture in Deutschland hoffähig zu machen.

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Heiko Maas und andere haben unter anderem mit #NetzDG und #DSGVO zudem einen gesetzlichen Rahmen für diese Cancel Culture geschaffen. Das interessiert Merz nicht und die Welt fragt im Interview auch nicht nach, als Gelegenheit war, diese großen Töne einmal auf ihren tatsächlichen Inhalt abzuklopfen – eine verpasste Chance.

Oder doch: Zum Schluss des Kurzinterviews gibt Merz gegenüber der braven Zeitung noch einen Hinweis, wie wenig er von Freiheit versteht und wie sehr ihm die seiner Mitbürger an Besagtem vorbei geht:

Auf die merkwürdige Frage, welche Freiheit er sich nicht gestattet, antwortet Merz, für ihn sei Rauchen „Teil meiner kulturellen Freiheit“ gewesen. Er hätte immer gerne geraucht. Aber es wäre am Ende seiner Gesundheit nicht bekommen, also hätte er es gelassen.

Wie jämmerlich aber ist das im Zusammenhang mit dem Freiheitsbegriff aus dem Mund des deutschen Oppositionsführers?

Darauf muss man Friedrich Merz mit einer besorgniserregenden ARD-Umfrage antworten, wonach infratest dimap Anfang September 2019 herausgefunden hat, dass unter anderem 64 Prozent der Brandenburger und sogar 69 Prozent der Sachsen die Aussage bejahen, "bei bestimmen Themen wird man heute ausgegrenzt, wenn man seine Meinung sagt".

Und das Institut Allensbach hatte im gleichen Zeitraum ermittelt, dass die Mehrheit der Deutschen glaubt, sich in der Öffentlichkeit heute nicht mehr zu allem frei äußern zu können. Viele gehen dann lieber still in die Ecke eine schnelle Kippe rauchen.

Friedrich Merz raucht nicht mehr, er gibt lieber Interviews, in denen er eine Cancel Culture kritisiert, die er selbst perfekt beherrscht.

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