Freund oder Feind – Zwei feste Weltbilder wie die Leitplanken des Lebens

Ich habe dem Staat vertraut

von Alexander Wallasch (Kommentare: 14)

Diese Regierung ist in Schwierigkeiten. Scholz, Habeck und Baerbock sind nicht gut für dieses Land. Sie sind auch nicht gut für vierzehnjährige Mädchen auf dem Weg zur Schule.© Quelle: Pixabay / Sonyuser / Youtube / Zeit online, Montage Alexander Wallasch

Politik und Medien wollen es so aussehen lassen, aber kein Bürger in Deutschland, der noch bei klarem Verstand ist, hatte ernsthaft die Idee oder Sorge, dass von diesen traurigen und überalterten Reichsbürgergestalten ein „Putsch“ ausgehen könnte. Der Begriff selbst ist bereits anachronistisch.

Und das liegt zu einem großen Teil auch daran, dass die wenigsten überhaupt jemanden kennen, der irgendetwas mit Reichsbürgern zu tun hat oder gar selbst einer wäre.

Wer beispielsweise am 29. August 2020 in Berlin auf der Querdenken-Demonstration mit Hunderttausenden anderen unterwegs war und dort ein paar Reichsbürger in Seppellederhosen mit schwarz-rot-weißen Fahnen gesehen hat, der hat auch das Lachen der Demonstranten über diese kleine groteske Folklore-Schar aus maximal fünfundzwanzig Leuten noch gut in Erinnerung. Politische Zombies, die irgendetwas davon faselten, den Kaiser wieder haben zu wollen, und dazu feinpolierte Thors-Hammer am Lederband überm weißen Oberhemd trugen.

Andererseits sind mir in der letzten Zeit auch alte Bekannte untergekommen, die mir ganz unvermittelt und mitten in die schönen gemeinsamen Jugenderinnerungen hinein allen Ernstes etwas von der flachen Erde erzählen wollten. Bekannte, die offensichtlich der rot-grünen Cannabis-Freigabe ähnlich entgegenfiebern wie Karl Lauterbach. Will sagen: Kein Schwachsinn scheint heute unmöglich, nicht gedacht zu werden.

Wie sieht es am ersten Tag nach dieser so polit-medial inszeniert wirkenden Reichsbürgerjagd aus? Das große allgemeine Entsetzen ist ausgeblieben. Man darf mutmaßen, dass sich die Bundesinnenministerin mit ihrer „Ich-liebe-doch-alle-Menschen-One-love“-Armbinde den Erfolg dieser Razzia mit dreitausend Beamten ganz anders vorgestellt hat.

Aber was wäre für Faeser erfolgreich gewesen? Die anvisierten Personen sind festgenommen worden, niemand ist mit einem Staatsfeind-Nr-1-Fenstersprung in den Untergrund abgetaucht.

Nein, das angestrebte Erfolgsziel der Bundesregierung lag zweifellos darin, die zuletzt stark erodierende Aussage zu sanieren, dass der Rechtsextremismus die größte Gefahr sei. Verlockend erschien wohl auch, dass eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete mutmaßlich mal ein Tässchen Tee mit seiner Hoheit Preuß hatte und – wieder mutmaßlich – saudummes Zeug in Telegram absonderte.

Aber Kampf gegen Rechts? Sind Spinner, sind Reichsbürger per se antisemitische Nazis? Oder doch nur Monarchie-Trottel, die in den Burgen und Schlössern ihrer Groschenromane hängengeblieben sind?

Ich will Country-Fans nicht zu nahetreten, ich weiß auch, dass Cowboy-und-Indianer-Spiele in der ehemaligen DDR recht beliebt waren. Jedenfalls erinnern mich die Aufzüge dieser Reichsbürger immer ein wenig an das Leben in solchen Western-Städten, wo man Bonanza und die Shiloh Ranch nachspielen kann.

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Tatsächlich sind Reichsbürger aber mehr als nur in Romy Schneiders Spitzenunterwäsche verliebt. Bei Festnahmen sind Beamte ums Leben gekommen. Aber es bleiben doch krasse Spinner ohne jeden Rückhalt in der Bevölkerung. Von der Roten Armee Fraktion (RAF), aus deren Umfeld später sogar Bundesminister rekrutiert wurden, weiß man aus Umfragen, dass zu aktiven Zeiten immerhin jeder vierte Bürger bereit gewesen wäre, Meinhof und Co zu verstecken.

Aber die Gefahr kommt heute noch aus einer ganz anderen Ecke: Mittlerweile hat jede noch so große Spinnerei das Potenzial, eine gewisse Anzahl an Leuten zu erreichen. Das hat aber nicht nur mit den sozialen Medien etwas zu tun.

Woran das liegen könnte, hat mir neulich exemplarisch ein Bekannter geschrieben. Der hatte sich impfen lassen und bereut es heute: „Ich habe dem Staat vertraut.“ Der Deutsche ist ein braver Bürger. Selbst heute noch. Er ist nicht mehr Untertan, aber er ist auch nicht per se staatskritisch. Jedenfalls war das noch vor wenigen Jahren exakt so.

Um zu ergründen, warum das nicht mehr der Fall ist und so viele Deutschen ihren Kompass verloren haben und so orientierungslos durch die politische Landschaft irren, kann ein Blick zurück zur Ära Helmut Kohl hilfreich sein.

Als Kohl verstarb, schrieb ihm der Spiegel einen Nachruf, in dem es über den Kanzler und seine Beziehung zur Presse hieß:

„Freunde waren: Bild, ZDF, Sat.1. Feinde waren: SPIEGEL, Stern, ARD.“

Das sagt zweierlei aus: Zum einen ist es ein Hinweis auf eine emotionale und wenig rationale Beziehung zwischen Politik und Medien. Und zum anderen sind damit zwei Lager definiert, denen sich jeder Bürger jederzeit ebenfalls zuordnen konnte. Zwei feste Weltbilder wie Leitplanken des Lebens.

Spiegel und Co kämpften über fast zwei Jahrzehnte mit Helmut Kohl. Und wer sich noch an die Kanzlerkandidatur des bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß in 1980 erinnern kann, der weiß, wie viel unerbittlicher und schärfer noch mit Strauß gerungen wurde.

Die Feind-Medien schauten Kohl und seiner Regierung auf die Finger. Viele Fehler wurde entdeckt und ganz genüsslich seziert. Blätter wie Stern und Spiegel waren journalistische Frontkämpfer. Im Vergleich zu heute geradezu Speerspitzen der Vierten Gewalt. Das waren auch klare Leitsysteme für die Menschen.

Und Kohl, der als ewiger Kanzler galt, fügte sich erstaunlich starr in dieses System ein. Er akzeptierte den Mechanismus, stellte ihn nicht in Frage, richtete sich ein.

Das war auch noch so, als er ein letztes Mal um die Kanzlerschaft kämpfte und sich gegen den sozialdemokratischen Gerhard Schröder geschlagen geben musste. Kohl wusste wohl instinktiv, dass Schröder und Fischer nun an der Reihe waren, aber er gab den beiden noch den Sparringspartner, wie es die Demokratie verlangte.

Mehr Deutsche, als sie wählten, waren zudem neugierig darauf, was die Grünen beitragen konnten, was sich mit ihnen in der Republik verändern würde.

Und damit begann der eigentliche Sündenfall: Die Schröder-Regierung machte eine Wirtschafts- und Sozialpolitik, wie sie sich die Union nicht besser gewünscht hätte: Agenda 2010, Hartz IV, Genosse der Bosse. Schröders Politik schuf die finanzielle Grundlage für die Vorhaben der Merkel-Regierung, die Bundesregierung übernahm von einem Sozialdemokraten potenziell sanierte Kassen.

Aber damit hatte Schröder nicht den an eine rot-grüne Regierung gestellten Erwartungen entsprochen. Nach ihm kam die Christdemokratin Angela Merkel. Sie übernahm nicht nur die gut geführten Bücher von Schröder, sie wagte ebenso wie Schröder die Zäsur und scherte aus der ihr zugewiesenen Rolle aus.

Die Kanzlerin schwenkte spätestens ab 2008 zunehmend auf einen grün-roten Kurs ein. Und damit standen die traditionellen „Feind“-Medien zunächst verdammt auf dem Schlauch: Da erfüllte schon wieder jemand seine Rolle nicht!

Exemplarisch für diese Desorientierung kann hier das Verhältnis zwischen Angela Merkel und Alexander Osang angesehen werden. Osang titelte schon 2009 für den Spiegel über Frau Merkel „Die deutsche Queen“ und er meinte es auch so. Spiegel-Osang schrieb Sätze wie diesen hier:

„Ein Mitarbeiter aus dem Kanzleramt sagt, dass die größte Veränderung für Angela Merkel seit 2005 das Gewicht ihres Wortes ist. Wenn sie sich über das Wetter äußert, vermuten manche Untergebenen eine Anspielung zum Klimawandel und bereiten schnell irgendeine Vorlage vor.“

Die Deutschen bekamen mit Schröder und Merkel eine Politik, die sie nicht bestellt hatten. Damit war aber auch die Rolle der Medien als Vierte Gewalt aus den Fugen geraten. Die Zeitungen verloren darüber ihre Feinjustierung und in den Schützengräben herrschte ein heilloses Durcheinander. Das angestammte „natürliche“ Verhältnis von Politik und Medien war nachhaltig gestört.

Dieser kurze Ausflug will zeigen, woran es liegen könnte, dass heute so vielen Deutschen ihr Kompass verloren gegangen scheint – Merkels Massenzuwanderungspolitik und Corona-Regime haben eine Vorgeschichte.

Richtig bleibt aber, dass deswegen die wenigsten auf die Idee kämen, in reichsbürgerlicher Manier den alten Kaiser Wilhelm wiederhaben zu wollen. Und schon gar keinen Kaiser Reuß.

An einem neuen Endpunkt dieser sich schleichend etablierenden Desorientierung hat sich die Ampel-Regierung gerade auf einen inszeniert wirkenden Putsch eingelassen, anstatt solchen vollkommen unbedeutenden radikal-folkloristischen Bewegungen mit ein paar gezielten Nadelstichen das Wachstum zu nehmen.

Die taz ist der Sieger des heutigen Tages. Die Zeitung aus Berlin ist regierungsnah aufgestellt, aber sie pflegt der Ampel gegenüber das Verhalten eines rüpelhaften Sohnes: Familie ja, aber immer nur am Meckern. Die taz titelte: „Steinmeier bleibt im Amt.“

Eine wundervolle Schlagzeile, besser kann man diese lächerliche Aktion der dreitausend Polizisten kaum begleiten. Und indem die taz antäuscht, sie nehme diese Razzien ernst, wirkt die Spitze noch treffender.

Bis hierher ist noch nicht einmal der Zeitpunkt der Razzien hinreichend diskutiert: Die Massenzuwanderung wurde von der Ampel auf breiter Front befördert, illegale Migration nicht ausgewiesen, sondern obendrauf legalisiert, empfindliche Eingriffe in die Meinungsfreiheit vorgenommen bis hin zum Verfolgungsgrund „Delegitimierung des Staates“, die Bundesregierung droht damit, Twitter abzuschalten, und eine vierzehnjährige Deutsche mit Migrationshintergrund wird in der deutschen Provinz von einem Migranten mit Duldung abgestochen.

Hat die Ampel wirklich geglaubt, dass sie den Bürgern dieses Märchen mit der Reichsbürger-Nazikeule widerspruchslos unterjubeln kann?

Wie soll das funktionieren, wenn selbst die taz als Kampfblatt der Grünen einen Lachanfall bekommt und weitere Zeitungen davon berichten, dass die USA gerade eben der Bundesregierung ihre Hilfe angeboten hat, den Putsch abzuwehren, die US-Marines aber sowieso nicht landen könnten, weil sich Linksradikale gerade wieder auf die Berliner Landebahnen geklebt haben?

Noch etwas anderes erscheint hier gefährlich: Nämlich diese mittlerweile uferlose Kaltschnäuzigkeit der Ampelregierung gegenüber solchen inneren Widersprüchen, verbunden mit dem Glauben, gegenüber Kritik unverwundbar zu sein.

Das Ende der Debatte ist dort erreicht, wo eine Regierung sich selbst aus der Debatte nimmt und diejenigen politisch verfolgt, welche diese Debatte weiterführen. Und damit sind ganz sicher nicht die Reichsbürger gemeint, sondern all jene Deutschen, die ihren Kompass verloren haben. Oder die von der Regierung gesagt bekommen: Ihr braucht doch gar keinen Kompass mehr, wir sagen Euch schon, wo es lang geht.

Mit dem Kompass geht aber nicht automatisch der gesunde Menschenverstand verloren. Und der sagt ganz vielen Deutsche gerade – nein, er schreit es ihnen ins Ohr:

Diese Regierung ist in Schwierigkeiten! Scholz, Habeck und Baerbock sind nicht gut für dieses Land, sie sind auch nicht gut für vierzehnjährige Mädchen auf dem Weg zur Schule.

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