Wagner-Chef Prigoschin überschreitet den Rubikon

(K)ein Kampf um Moskau – Thomas Fasbender im Exklusiv-Interview

von Alexander Wallasch (Kommentare: 3)

Die Nachrichten überschlagen sich gerade im Minutentakt© Quelle: Youtube/ AFP/FAZ und Thomasfasbender.de Screenshot

Die ukrainische Front hat sich dramatisch nach Moskau verschoben. Aber nicht die ukrainische Armee marschiert auf, Putins Geheimwaffe "Wagnertruppe" hat ihre Kanonen gegen den Kreml gerichtet.

Die Lage sortiert im Exklusiv-Interview für alexander-wallasch.de der Putin-Biograf Thomas Fasbender.

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Haben Sie eine erste Idee davon, wer da gerade Richtung Moskau marschiert? Was ist da los?

Das erste, was mir heute früh einfiel, war der Begriff „Rubikon“. Hier wurde eine rote Linie überschritten. Prigoschin hat Teile seiner Truppen, die in der besetzten Ukraine – auf der russischen Seite der Front – stationiert sind, heute nacht Richtung Moskau geschickt.

Im Internet gibt es Bilder von Wagner-Panzern in Rostow. Am Morgen waren auch in Woronesch die Militäreinrichtungen in der Hand der Wagner-Leute. Inzwischen zieht eine Wagner-Kolonne über die Autobahn Richtung Moskau nach Norden.

Es gibt auch Gerüchte, wonach in St. Petersburg sympathisierende Einheiten übergelaufen sind und sich zum Schutz des Wagner-Hauptquartiers dort aufgestellt haben. Genauso gibt es Meldungen, dass es kremltreue Truppen sind, Sicherheitsorgane, die das Petersburger Hauptquartier besetzt haben und durchsuchen.

Insgesamt ein undurchsichtiges Bild. Ganz offenbar haben wir eine Putschsituation. Sonst hätte Putin auch keine kurzfristig anberaumte TV-Ansprache gehalten. Das ist selbst unter Kriegsbedingungen äußerst ungewöhnlich. Der Ausgang hängt jetzt davon ab, ob es dem Kreml gelingt, auch dem Verteidigungsministerium und den Sicherheitsorganen, dem Innenministerium, die Kontrolle über ihre jeweiligen Truppen zu sichern und gewissermaßen Brandmauern zu errichten, damit es keine Überläufer gibt.


Der Ruf der Wagnertruppen soll beim offiziellen russischen Militär ein sehr guter sein, hoch verehrt vielfach sogar, weil diese Kämpfer oft in die ganz brenzligen Situationen hineingehen. Wie gefährlich wird Putin hier ein Überlaufen?

Ich kann das zu diesem frühen Zeitpunkt nicht quantifizieren. Ich verfolge Dutzende Telegramkanäle, von pro-ukrainischen bis pro-russischen, und die prorussischen sind ja wiederum geteilt in sehr nationalistische und eher gemäßigte. Ja, Sympathien für Prigoschin gibt es offenbar. Das führt mich zur Frage: Wie konnte es dazu kommen? Das Ganze hat sehr viel mit Putins vorsichtiger oder zögernder Reaktion im ersten Kriegsjahr zu tun.

Er hat ja lange gebraucht, um überhaupt eine Teilmobilisierung auszurufen. Er weigert sich bis heute, den Krieg Krieg zu nennen, er sagt immer noch „militärische Spezialoperation“. Nicht wenige in Russland stören sich auch daran, dass er das Kriegsrecht nicht ausruft. Putin hat einen Teil seiner Autorität verloren, weil er sich weigert, die Dinge beim Namen zu nennen und den Leuten die Wahrheit zu sagen.

Aber hat das nicht auch mit der Funktion der Wagnertruppe zu tun, die doch, wenn ich es richtig verstanden habe, immer genau dann eingesetzt wird, wenn man eben keine offiziellen russischen Truppen einsetzen will wie beispielsweise in Syrien und anderswo …

Putin brauchte die Wagner-Truppen, weil er sich geweigert hat zuzugeben, dass er einen Krieg angezettelt hat. Weil er sich nicht getraut hat, eine Generalmobilmachung zu verkünden. Auch die Teilmobilisierung kam ja erst spät. Er hat sich gedacht, ich verlasse ich mich auf die privaten Söldner. Dann hat die Wagner-Gruppe angefangen, in den Gefängnissen Häftlinge zu rekrutieren. Putin hat alles getan, damit sein Krieg wie ein politischer Nebenschauplatz aussieht. Als sei das nichts Besonderes. Damit hat er diese Prigoschin-Natter an seiner Brust gezüchtet.

Sie sind doch der ausgewiesene Putin-Biograf. Was ist denn das für ein Verhältnis zwischen Putin und Prigoschin? Der soll sogar einmal Koch von Putin gewesen sein …

Er war nicht Putins Koch. Am Anfang hat er dem Verteidigungsministerium Catering angeboten. Er war ein Dienstleister. Prigoschin macht mir den Eindruck eines Mannes, bei dem sich ein großes Maß an Ego und Ehrgeiz mit doch begrenzter Intelligenz verbindet. Manchmal kann das helfen. Es hat ihn dazu gebracht, über einen langen Zeitraum hinweg in Positionen zu dienen, wo er Putins Drecksarbeit erledigt hat. Putin hat immer mit schwarzen Kassen und auch Undercover-Auftragsnehmern gearbeitet …

Das können die Amerikaner doch auch, wenn nicht sogar viel besser …

Ich gehe davon aus, dass alle Großmächte das tun. Nach dem Catering kamen die Trollfabriken, sagen wir die russische Antwort auf den manipulativen Demokratieexport im Kontext der Farbenrevolutionen vor 2010, 2014. Etwa die Aktivitäten vor der US-Präsidentschaftswahl 2016.
Da wurde viel rumgespielt. Ich weiß nicht, inwieweit das alles effizient oder effektiv war. Aber Prigoschin hat damals seine Rolle gefunden. Wagner ist auch schon 2012 gegründet worden. Das reicht lange zurück.

Welche Rolle spielen die Tschetschenen an der Stelle? Die sollen wiederum ihre Loyalität gegenüber Putin bestärkt haben …

Kadyrow hat sich in den vergangenen Monaten von Prigoschin abgesetzt. Wahrscheinlich unter dem Druck aus Moskau, weil Kadyrow von Moskau abhängig ist. Er hat wohl verstanden, dass er, wenn er die Wahl hat zwischen Putin und Prigoschin, klugerweise auf Putin setzt.

Wenn der Prigoschin da angeblich mit 25.000 Mann Richtung Moskau geht, ist das nicht ein Himmelfahrtskommando?

Auf den ersten Blick sieht das so aus. Aber wir müssen uns die Strukturen vor Augen halten. Da ist die russische Armee, von der ein großer Teil in der Ukraine kämpft, aber eben nur ein Teil. Dann haben wir die Rosgwardia, die russische Nationalgarde, die Putin aus den früheren Kräften des Innenministeriums rekrutiert hat.

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Das Innenministerium hat schon zur Sowjetzeit Hunderttausende unter Waffen gehabt, die für die innere Sicherheit zuständig waren. Eine Art Prätorianergarde. Die Rosgwardia ist dem Präsidenten direkt unterstellt. Dann sind da noch die Truppen der Geheimdienste und weitere Spezialkräfte. Wie viele hunderttausend Bewaffnete einsatzbereit sind, kann ich nicht sagen, aber es werden einige sein.

Das große Thema sind auch nicht die 25.000 oder 50.000. Das große Thema ist die Sympathie, die ihnen entgegenfliegt. Innerhalb der Sicherheitskräfte ist eine Stimmung gewachsen, die sich gegen den Präsidenten richtet. Wenn sich jetzt eine genügend große Zahl von ihm abwendet und Prigoschin als Kondensationkeim ihrer Hoffnung wählt …

Die Ausgangslage soll doch offenbar gewesen sein, das Prigoschin zwei der Militärführer abgesetzt sehen wollte, und die Reaktion von Putin war, dass er Wagner auflösen wollte …

Es geht um Verteidigungsminister Schoigu und Generalstabschef Gerassimow. Seit Kriegsbeginn hält Putin an ihnen fest, obwohl sie für die blamable Kriegsführung der ersten Monate verantwortlich und fraglos in korrupte Strukturen verwickelt sind.

Aus welchen Gründen Putin das tut, erschließt sich mir auch nicht. Im Januar hat er sogar zugelassen, dass Gerassimow erneut als Oberbefehlshaber der Invasionstruppen in der Ukraine eingesetzt wird. Immerhin hat sich die Lage seither normalisiert, wie gesagt aus russischer Sicht. Die Vorbereitungen für die ukrainische Offensive entsprechen wohl den Standards der Kriegskunst. Das hat sogar das US-amerikanische Institut für Kriegsstrategie bestätigt.

Prigoschins Erfolg ist vor allem ein PR-Erfolg, indem er Putins schwache Flanke – also das scheinbare Nichtstun des Oberbefehlshabers über Monate hinweg – ausgenutzt hat. Einem Teil der Öffentlichkeit und des Militärs hat er sich mit der Forderung eingeschmeichelt, der Präsident müsse endlich durchgreifen und für Ordnung sorgen. Bis vor wenigen Tagen hat er sich dabei nie gegen Putin gewandt. Das hat sich erst jetzt geändert, unmittelbar vor seinem Putsch. Jetzt wirft er der Führung auch vor, den Krieg grundlos angezettelt zu haben. Das geht an Putins Adresse. Damit ist der Fehdehandschuh geworfen.

Offenbar hat er auch die Propagandaarbeit von Putin kontaminiert, indem er öffentlich gesagt hat, dass da täglich 1000 Russen sterben. Die russische Propaganda sagte aber, dass tägliche viele Ukrainer sterben ...

Prigoschin hat zuletzt zwei neue Aussagen gemacht. Die eine war, dass nicht nur die Kriegsführung miserabel sei, sondern der ganze Krieg an den Haaren herbeigezogen. Das zielt natürlich in Richtung Putin. Die Kriegsführung kann ich irgendwelchen Generälen und Ministern in die Schuhe schieben – aber nicht die Kriegsentscheidung.

Das zweite war, dass er behauptet hat, die russische Öffentlichkeit werde über den Kriegsverlauf falsch informiert. In Wahrheit mache die ukrainische Offensive große Fortschritte, die Ukrainer hätten erhebliche Geländegewinne erzielt, und auf der russischen Seite würden Tausende beim sinnlosen Abwehrkampf verheizt. Meines Wissens wird das durch die Tatsachen nicht bestätigt. Die Frontlinie ist immer noch stabil. An kleinen Stellen gibt es Durchbrüche, doch insgesamt hat sich wenig bewegt.

Was viele im Westen offenbar nicht verstehen, das ist ja kein 24/7 Gemetzel …

Die beste Analogie ist der Stellungskrieg ab 1915 im Westen. Von den großen Offensiven abgesehen wurde da auch nur lokal und vorübergehend gekämpft. Man muss umgruppieren, Verluste ausgleichen, Munition ranschaffen. Derzeit ist das Frontgeschehen in der Ukraine weitgehend stabil. Es wird sogar spekuliert, ob die eigentliche Offensive nicht überhaupt erst bevorsteht.

Ist nicht auch dieser Droheneinsatz und die spätere Veröffentlichung dieser grausamen Einzelschläge eine unfassbare Demoralisierung der russischen Soldaten und der Heimat? Teilweise staunt man auch über den schlechten Zustand von Material und Soldaten. Was ist da los?

Natürlich. Andererseits muss man wissen, dass Russen und Ukrainer aus ihrer gemeinsamen sowjetischen Kriegskultur heraus mental anders in diesen Kampf gehen als wir heutigen Deutschen es täten. Die Bereitschaft, für das große Ganze notfalls in den Tod zu gehen, ist doch noch stärker ausgeprägt.

Aber jetzt muss doch die Stunde von Selinskyj schlagen, der nun permanent von der bevorstehenden Offensive spricht, die man aber gar nicht so richtig spürt. Und eine zweite Frage: Was für eine Rolle spielen eigentlich die westlichen Geheimdienste? Die englischen vor allen Dingen, was machen die Amerikaner? Wie stecken die da möglicherweise gar mit Prigoschin zusammen, was wissen Sie dazu?

Die Ukraine hat natürlich eine Menge an Waffen und Munition erhalten. Auch ist ein 40-Millionen-Volk durchaus in der Lage, eine große Armee aufzustellen. Aber die Ukrainer sind weit davon entfernt, an irgendeinem Punkt der Front eine Überlegenheit mit dem Faktor drei oder vier darzustellen. Um die gegnerischen Stellungen wirklich aufzurollen, brauche ich aber eine bestimmte Überlegenheit bei Soldaten, Panzern, Waffen, Munition usw. Die gibt es allenfalls qualitativ bei den westlichen Waffen …

Auch im aufklärerischen Bereich?

Auf jeden Fall bei der Unterstützung durch die Angloamerikaner. Wir wissen, dass deren Geheimdienste und Berater in deutlich größerer Zahl in der Ukraine sind, als es die westlichen Medien berichten. US-Satelliten, aber auch private Systeme wie Starlink oder Palantir geben dem Kiewer Militär entscheidende Daten an die Hand. Auf dem Boden ist es vor allem die Nachtsichttechnik. Nachts erzielen die Ukrainer Geländegewinne, am Tag zählt dann wieder die russische Luftüberlegenheit.

Im Ganzen haben die Russen aber gelernt, mit der westlichen Technik des Gegners zurecht zu kommen. Vor allem in der Defensive. Hinzu kommen die topographischen Bedingungen. Östlich des ehemaligen Stausees bis zum Donbass gibt es nicht viele Orte, an denen die Ukrainer nach Süden durchbrechen können. Auch die Zerstörung des Staudamms kommt derzeit den Russen zugute. Das Gelände westlich des Staudamms ist überschwemmt oder doch völlig vermatscht und auf Wochen militärisch nicht wirklich nutzbar. Zu möglichen Beziehungen zwischen westlichen Diensten und Prigoschin liegen mir keine Informationen vor.

Danke für das Gespräch!

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