Sachsens Ministerpräsident solidarisiert sich mit Alice Schwarzers offenem Brief

Michael Kretschmer: Mehrheit der Deutschen sind gegen Waffenlieferungen

von Alexander Wallasch (Kommentare: 1)

„Der offene Brief an den Kanzler bildet nicht die Mehrheit der veröffentlichten Meinung ab, aber durchaus die Mehrheitsmeinung der Gesellschaft – auch meine.“© Quelle: © Quelle: Wikimedia Commons / Sandro Halank und Manfred Werner (Tsui), Screenshot / YouTube, WELT Netzreporter, Bildmontage: Alexander Wallasch

Interessant: Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer scheint Nachholbedarf zu haben in Sachen Volksnähe. Vielen in Erinnerung geblieben ist der 46-Jährige nämlich mit seinen teils zynischen Ansagen gegenüber Corona-Maßnahmen-Kritikern und Impfzwang-Gegnern.

Geblieben sind aus dieser unrühmlichen Kretschmer-Periode Twitter-Meldungen wie diese hier zu Beginn der Pandemie, weitere Ausfälle folgten in Serie:

„Niemand wird in Deutschland gegen seinen Willen geimpft. Auch die Behauptung, dass diejenigen, die sich nicht impfen lassen, ihre Grundrechte verlieren, ist absurd & bösartig. Lassen Sie uns Falschnachrichten & Verschwörungstheorien gemeinsam entgegentreten. (SK) #Impfzwang“

Der christdemokratische Nachfolger von August dem Starken trommelt jetzt mächtig gegen die Lieferungen schwerer Waffen in die Ukraine.

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Und es wird noch kurioser: Den Auslöser für Kretschmers neupazifistische Verweigerung war nun ausgerechnet der polit-medial so viel gescholtene offene Brief rund um Alice Schwarzer und weitere prominente Stimmen, die sich gegen die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine aussprachen und damit die Bedenken von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) unterstützen wollten.

Ältere werden sich erinnern, dass es diese Solidaritätsadressen für einen Sozialdemokraten schon einmal gab, als Literaten, Künstler und Medienvertreter Anfang der 1970er Jahre die Wahl von Willy Brandt zum Bundeskanzler unterstützen: „Willy wählen“.

Gegenüber der Bildzeitung äußerte der christdemokratische Ministerpräsident jetzt seine Solidarität mit den Kritikern schwerer Waffenlieferungen.

Und es existiert eine zweite Ebene der Auseinandersetzung: Nämlich die zwischen Kretschmer und Friedrich Merz (CDU), dem Oppositionsführer im Deutschen Bundestag, der Verfechter einer Aufrüstung der Ukraine mit schweren Waffen ist.

Der jetzt parteilose Oskar Lafontaine ließ zuletzt in einem Gastbeitrag für die Weltwoche im Zusammenhang mit den Waffenlieferungen kein gutes Haar an Friedrich Merz: Der sei ein „Blackrock-Lobbyist“, das Unternehmen hätte „prächtig am Anstieg der Aktienkurse der Rüstungskonzerne mitverdient“.

Nachdem die Grünen schon am Samstag auf einem kleinen Parteitag in Düsseldorf mit großer Mehrheit für die Lieferung schwerer Waffen gestimmt hatten, wollte Merz am Montag – ebenfalls in Düsseldorf – die Union auf den flecktarngrünen Weg der schweren Waffen einschwören. Die Opposition also wieder auf Regierungskurs.

Zuletzt hatte die Union noch den von Gesundheitsminister Lauterbach geforderten Impfzwang gekippt und sich dem Bürger erstmals so richtig als Oppositionsfraktion vorgestellt.

Gestern dann Showdown auf der gemeinsamen Präsidiumssitzung von CDU und CSU: Kretschmer versus Merz. Ein echter Fight? Oder nur eine Inszenierung, um der Bevölkerung via Bildzeitung zu suggerieren, dass es sich die Union nicht leicht macht?

Michael Kretschmer soll dabei nach Informationen der Zeitung bemerkenswert Kritisches in die Waagschale geworfen haben. Die Bildzeitung berief sich auf Angaben aus Teilnehmerkreisen sowie eines Sprechers des Ministerpräsidenten:

„Der offene Brief an den Kanzler bildet nicht die Mehrheit der veröffentlichten Meinung ab, aber durchaus die Mehrheitsmeinung der Gesellschaft – auch meine.“

Das ist eine harsche Medienkritik, wie man sie in der Form bisher nur aus der Opposition kennt. Kretschmer stellt sich hier zudem mit verschränkten Armen auch gegen den Botschafter der Ukraine auf. Der nämlich hatte die Briefschreiber um Alice Schwarzer per Twitter zu einer Art Bundesgenossen des Mörders Putin und zu Kindermördern gemacht:

„Diese Prominenten, die der Ukraine schwere Waffen verwehren wollen und damit dem Mörder Putin nur in die Hand spielen, damit er ukrainischen Frauen und Kinder zerbomben kann, haben das Prinzip: 'Nie wieder' mit Füßen getreten. Nichts aus der Geschichte gelernt. Traurig.“

Davon unbeirrt hat der sächsische Ministerpräsident auf der Präsidiumssitzung dazu aufgefordert, die Kritik an den Waffenlieferungen bitte aufzugreifen: „Diese Position muss auch von der Union berücksichtigt werden.“

Und Kretschmer weiter: Es gebe zwar Gründe, der Ukraine notfalls mit Waffen zu helfen, „es geht aber darum, einen Waffenstillstand zu erzwingen. Russland wird auch danach eine Realität sein“.

Der Sachse warnte weiter vor den Auswirkungen harter Sanktionen. Diese träfen uns zum großen Teil selbst.

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Friedrich Merz widersprach dem Ministerpräsidenten vehement. Den Briefschreibern widersprochen hat auch die ukrainische Abgeordnete Kira Rudyk, die Schwarzer direkt anging:

„Wenn so eine prominente Feministin einen Stopp der Waffenlieferungen fordert, ist es eine Schande. Der einzige Weg, das russische Militär zu stoppen, sind schwere Waffen. Ich habe mit Frauen gesprochen, die brutal vor den Augen ihrer Kinder vergewaltigt wurden. Denkt sie nicht an diese Frauen?“

Entlang der Beiträge in den sozialen Medien empfinden viele Deutsche hier ähnlich wie bei den Ausfällen von Botschafter Melnyk: Die Kommentare erscheinen unangemessen, einfach drüber.

Aber muss man nicht Verständnis zeigen, schließlich tobt ein Krieg in der Ukraine. Oder darf man vom politischen Personal der Ukraine trotzdem erwarten, dass sie dem großen Unterstützer Deutschland gegenüber eine gewisse Form der diplomatischen Mäßigung pflegen?

Wenn man Kretschmers Haltung nicht als pazifistisches Feigenblatt der Union verstehen will, dann hat der in Görlitz geborene Ministerpräsident Sachsens durchaus Mut bewiesen. Denn jetzt erfährt er selber einmal, wie vergiftet die Atmosphäre in Deutschland geworden ist, wenn es darum geht, wichtige Fragen ergebnisoffen zu diskutieren.

Kretschmer hat in der Zuwanderungsfrage und insbesondere auch in der Debatte um die Corona-Maßnahmen Spaltung betrieben und er hat daran teilgenommen, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu beschädigen.

Wäre das Thema nicht so blutig ernst, könnte man darüber schmunzeln, dass der etablierte Kretschmer Vertreter der Mehrheitsmeinung sein will. Möglicherweise hat der sächsische Ministerpräsident sogar recht damit, dass die Deutschen mehrheitlich keine schweren Waffen in die Ukraine liefern wollen. Und jetzt?

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