Hohe deutsche Militärs in Kiew: Bald Teil einer neuen Normalität?

Mit Baerbock in Kiew: Deutscher Brigadegeneral und Leiter des Sonderstabes Ukraine

von Alexander Wallasch (Kommentare: 6)

„Da sind fast die ewigen Gesetze der Kriegsführung angewandt worden, vorbildlich angewandt worden. Das war fast was fürs Lehrbuch.“© Quelle: yes--ukraine-org, Bundeswehr.de I Montage Alexander Wallasch

Wie alarmierend ist es in Bezug auf eine Ausweitung des Ukraine-Krieges, wenn ein deutscher Brigadegeneral in Kiew unterwegs ist und diesen Besuch auch noch als einen „zufälligen“ bezeichnet?

Im Ukrainekrieg verschwimmen die Informationen. Wo enden die nüchternen Fakten, wo beginnt die Propaganda? Die journalistische Recherche ist hier erfolgreicher, wenn die Auswahl der Quellen breiter gefächert wird.

So gehört ein Blick auf die Internetseite der Bundeswehr mit dazu. Interessant hier beispielsweise die Mediathek mit Formaten wie „Nachgefragt“.

Und wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Bundeswehr hier in eigenere Sache unterwegs ist, dann schaut man auch entsprechend.

Zuletzt interviewte im Format „Nachgefragt“ ein Hauptmann Michael Vossfeldt den Brigadegeneral Dr. Christian Freuding. Der General leitet den Sonderstab Ukraine im Verteidigungsministerium.

Freuding ist Einsatz erfahren, er war 2002 Kompaniechef der SFOR in Bosnien und Herzegowina, von 2007 bis 2008 Chef des Stabes beim Provinicial Reconstruction Team (PRT) und für ISAF in Kunduz in Afghanistan.

Um zunächst eine Idee davon zu bekommen, was so ein Sonderstab überhaupt macht, ist ein Gespräch hilfreich, das ebenfalls in der Mediathek der Bundeswehr angeboten wird.

Da nämlich unterhalten sich für einen Podcast der Bundeswehr per Funk-Transkription eine Frau Hauptmann mit einem Oberstleutnant aus dem „Lagezentrum Ukraine im Verteidigungsministerium“.

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Die Interviewerin der Bundeswehr äußert die Vorstellung, dass es sich hier um eine Art Gefechtsstand handelt:

„Ein Ort, an dem Großes passiert. Fast wie ein Gefechtsstand. Also eine Befehlszentrale, an dem in laufenden Operationen die militärischen Entscheidungen getroffen werden.“

Der Oberstleutnant präzisiert die Arbeit: Wir sind eher eine „Informationsdrehscheibe (..) also jemand, der Informationen sieht, sammelt und übereinanderlegt, um ein Gesamtbild, ein Gesamtlagebild, zu entwickeln.“

Aber zurück zum 16. September 2022 und zum BW-Gespräch mit Brigadegeneral Freuding. Der soll für das Format „Nachgefragt“ die aktuellen Erfolge der ukrainischen Gegenoffensive einordnen, wie es im Begleittext heißt.

In dem Zusammenhang berichtet der General davon, dass er gerade in Kiew war:

„Ich hatte zufällig Gelegenheit, die letzten Tage – ich selber – in Kiew zu sein. Da ist natürlich eine unglaublich euphorische Stimmung jetzt in der Bevölkerung, aber auch in den Streitkräften. Und das, was da erreicht wurde, darauf können die ukrainischen Streitkräfte auch mit Recht stolz sein. Mit ist da so ein Satz von Präsident Selenskyj vom Wochenende auch sehr markant in Erinnerung: ‚Wir haben die Gegenoffensive nicht Anfang September begonnen, wir haben diese Gegenoffensive am 24. Februar begonnen‘.“

Brigadegeneral Freuding erzählt mit leuchtenden Augen. Das Gespräch dauert knapp fünfundzwanzig Minuten.

Im Weiteren wird über die „strategische List der Ukrainer“ gesprochen und der Zuhörer erfährt unter anderem, dass das Überraschungsmoment „das Kernelement für Erfolg im Gefecht“ sei.

Aber solche Kartentischgespräche verhallen für den Moment, denn die Nachricht schwingt noch nach, dass sich ein deutscher Brigadegeneral in Kiew aufhält und dort mutmaßlich gemeinsam mit den ukrainischen Streitkräften einen militärischen Erfolg über den russischen Aggressor feiert.

Warum ist das eine nachdenklich machende Nachricht?

Schon wenige Tage nach dem Angriff der Russen schrieben beispielsweise die Stuttgarter Nachrichten:

„Es ist der feste Vorsatz der Nato, nicht selbst in diesen Krieg einzugreifen, weil die Folgen unabsehbar wären. Aber man kann auch ohne es zu wollen, in bewaffnete Konflikte hineingezogen werden.“

Ist das jetzt so ein Fall, wo ein General willenlos in einen Konflikt hineingeraten ist? Oder hält sich da jemand einfach nur, wie er es sagt, „zufällig“ in Kiew auf, wie irgendein Urlauber, der sich verfahren hat?

Das würde der Tatsache widersprechen, dass Menschen, die aus der Ukraine kommen, in Deutschland zu hunderttausenden automatisch als Kriegsflüchtlinge anerkannt werden, völlig unabhängig davon, aus welchem Teil der Ukraine sie kommen. Jeder Teil ist asylrechtlich anerkanntes Kriegsgebiet.

Die Lage ist verworren: Weiterhin fahren Flix-Busse Tag für Tag in die Ukraine und zurück. Weder Fahrer noch Unternehmen halten diese Art des Reisens für zu riskant für Personal und Passagiere, gleichzeitig spricht das Auswärtige Amt eine „Reisewarnung/Ausreiseaufforderung“ aus:

„Vor Reisen in die Ukraine wird gewarnt. Deutsche Staatsangehörige sind dringend aufgefordert, das Land zu verlassen. In der Ukraine finden Kampfhandlungen, Raketen- und Luftangriffe statt. (…) Falls Sie das Land nicht auf einem sicheren Weg verlassen können, bleiben Sie vorläufig an einem geschützten Ort. Der Luftraum ist geschlossen. Eine Ausreise ist grundsätzlich auf dem Landweg möglich. Eine Evakuierung durch deutsche Behörden ist nicht möglich.“

alexander-wallasch.de sprach dazu mit einer hochrangigen Quelle bei der Bundeswehr, die uns nähere Informationen zum Aufenthalt des Generals liefern konnte.

So erfahren wir, dass Brigadegeneral Freuding zur „Yalta European Strategy (YES)“-Konferenz nach Kiew eingeladen war, einer hochrangigen Zusammenkunft, die bis 2013 jährlich in Yalta durchgeführt wurde und seit der Annexion der Krim in Kiew tagt.

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Den Vorsitz haben unter anderem ein ehemaliger Präsident Polens, ein ehemaliger schwedischer Außenminister und der deutsche Wolfgang Ischinger, ehemals Botschafter in Washington, Staatssekretär im Auswärtigen Amt und Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz.

Die Konferenz stand unter dem Eröffnungsmotto: „Ukriane: defending all our freedom“.

Redner waren neben Präsidenten Selenskyj auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. Angesichts der hochrangigen Speaker-Liste sind die Resonanz und Einordnung der Veranstaltung in den deutschen Medien mager ausgefallen.

Unser Kontakt bei der Bundeswehr berichtet auch darüber, dass Brigadegeneral Freuding dort Gespräche mit dem ukrainischen Verteidigungsministerium und mit dem stellvertretenden ukrainischen Verteidigungsminister geführt hätte. Demonstriert werden sollte damit, da ist sich unser Kontakt sicher, die enge Zusammenarbeit zwischen den ukrainischen Streitkräften und der Bundeswehr.

Er bestätigt, dass hier im Vorfeld eine Risikoabwägung vorgenommen wurde. Und so, wie die Ukrainer einen Militärattaché-Stab in Berlin habe, habe die Bundeswehr jetzt auch wieder einen Militärattaché-Stab in Kiew. Das wäre Ausdruck einer – soweit man das in Kriegszeiten sagen könne – normalen Arbeitsbeziehung, die besteht, so unser Gesprächspartner.

Er erkennt, bestätigt er uns, aber durchaus den Nachrichtenwert des Aufenthalts eines deutschen Brigadegenerals in Kiew.

Und der Kontakt berichtet weiter, worum es ebenfalls beim Besuch des Generals in Kiew ging: Nämlich darum, die Bedarfe der ukrainischen Armee zu bestimmen, darüber habe man sich ebenfalls ausgetauscht.

Die Anwesenheit eines Brigadegenerals hänge auch von der Größe eines Landes und den Beziehungen zum Land ab. So wäre in Washington ein deutscher Brigadegeneral im Militärattaché-Stab. Liegt damit die Annahme nahe, dass der Besuch von Brigadegeneral Freuding durchaus auch einen symbolischen Charakter hatte?

Warum erklärt General Freuding im Bundeswehrgespräch, er sei „zufällig“ in Kiew gewesen. Vielleicht nur eine missglückte Ausdrucksweise in dem Sinne: Ich war gerade in Kiew!

Unser Kontakt möchte/will/kann uns nicht sagen, ob Freuding direkt mit der Ministerin geflogen ist, auch nicht, wie viele und welche Militärs neben dem Brigadegeneral ebenfalls an Bord waren.

Auf die Frage nach dem direkten Zusammenhang zwischen der zweiten Baerbock-Reise und der Reise von Brigadegeneral Freuding klingt die Antwort geradezu sibyllinisch: zeitlich gesehen, wäre das so gewesen.
Dass die Anwesenheit des deutschen Brigadegenerals aber grundsätzlich von hoher Brisanz ist, zeigt die Nervosität der Nato im Zusammenhang

mit der Frage, ab wann man Kriegspartei ist. Zu dem Thema schrieb der Merkur Ende Juli:

„Die Nato-Mitglieder betonten jedoch immer wieder, man sei keine aktive Partei im Krieg gegen Russland. Das Militärbündnis setzt in seiner Unterstützung für Kiew vor allem auf finanzielle Unterstützung und die Lieferung von schweren Waffen in das Kriegsgebiet. Die Präsenz von Nato-Soldaten auf ukrainischem Boden wird abgelehnt. Zu hoch ist die Gefahr einer Eskalation des Konflikts mit der Atommacht Russland. Wie ein Bericht der New York Times nun aufdeckt, befinden sich offenbar sehr wohl Nato-Einheiten und US-Agenten in der Ukraine.“

Zuletzt noch ein Eindruck vom Sprachbild des Generals mittels eines transkribierten Ausschnitts seines Interviews auf Bundeswehr.de:

„Es ist, wie Sie richtig beschrieben haben, den ukrainischen Streitkräften gelungen, zunächst erst mal Druck im Süden auszuüben. Die russischen Streitkräfte sahen sich gezwungen, ihre Reserven in den Süden zu verschieben. Und dann durch sehr, sehr gute Aufklärungsarbeit ist es gelungen, zunächst die Schwachstelle des Feindes auszumachen, dass ist die Nahtstelle der Verteidigung gewesen, da im Bereich Charkiv. Es ist gelungen, die Kräfte unerkannt heranzuführen - Kräfte innerhalb immerhin im Umfang von bis zu drei Brigaden. Das ist so unsere Einschätzung. Man hat es geschafft, örtliche Kräfteüberlegenheit herbeizuführen im Verhältnis von bis zu eins zu vier und dann im schnellen Stoß mechanisierter Kräfte mit klarer Schwerpunktsetzung den Einbruch zu erzielen, zum Durchbruch auszubauen, sogar Verfolgung noch anzusetzen, das begründet diesen Erfolg der ukrainischen Streitkräfte. Und wenn man da von hinten drauf guckt, im Nachhinein drauf guckt, da muss man fast sagen, da sind fast die ewigen Gesetze der Kriegsführung angewandt worden, vorbildlich angewandt worden. Das war fast was fürs Lehrbuch.“
 

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