„Aus Gründen des Staatswohls“ keine Informationen zu den Nord Stream Anschlägen

Neue Erkenntnisse zu Pipeline-Anschlägen: Regierung geht von „Agieren staatlicher Akteure“ aus

von Alexander Wallasch (Kommentare: 4)

Hier muss man sich die bedeutsame Frage stellen, welche Täterschaft das deutsche Staatswohl wohl mehr angreifen könnte: Die Russlands oder die eines befreundeten Staates/Nato-Mitglieds?© Quelle: Pixabay / DWilliam, TheDigitalArtist, OpenClipart-Vectors I Montage Alexander Wallasch

Die Bundestagsabgeordnete Żaklin Nastić (Linke) stellte eine schriftliche Anfrage an die Bundesregierung mit der Bitte um Antworten, was der Bundesregierung mittlerweile über die Täterschaft zu den Anschlägen auf die Nord Stream Pipelines in der Ostsee bekannt ist.

Die Antwort schrieb Dr. Patrick Graichen, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Anschläge wahrscheinlich von „staatlichen Akteuren“ durchgeführt wurden. Dafür spreche die „hohe Komplexität der Tatausführung“. Es werden demnach militärische Operationen im Auftrag eines Staates vermutet. Die Bundesregierung nennt hier nicht explizit Russland, sie schließt nicht einmal sich selbst aus, sonst hätte dort „fremdstaatlich“ oder „staatliche Akteure einer fremden Macht“ oder Ähnliches stehen müssen.

Zwar betont die Bundesregierung in ihrer Antwort, dass ihr „keine konkretisierenden Erkenntnisse zu dem Sachverhalt, insbesondere zu der möglichen Urheberschaft“ vorlägen. Aber diese Aussage wird anschließend gleich wieder kassiert, wenn es heißt, selbst wenn man Informationen hätte, blieben diese unter Verschluss.

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Interessant ist die Begründung: Die Veröffentlichung von Informationen zu den Anschlägen könnten die Zusammenarbeit der Geheimdienste gefährden. Das kann bedeuten, dass ausländische Dienste solche Informationen gefunden haben, diese aber ausweislich nur mit Geheimhaltungsverpflichtung an die deutschen Dienste und damit an die Bundesregierung weitergegeben haben.

Explizit werden „aus Gründen des Staatswohls“ keine weiteren Auskünfte zum Ermittlungsstand gegeben, soweit sie den deutschen Diensten überhaupt vorliegen.

Hier muss man sich die bedeutsame Frage stellen, welche Täterschaft das Staatswohl mehr angreifen könnte: Die Russlands oder die eines befreundeten Staates/Nato-Mitglieds?

(Die Antwort der Bundesregierung veröffentlichen wir im Folgenden ungekürzt bzw. zugunsten einer besseren Lesbarkeit formatiert und leicht umgestellt.)

Hier zunächst die Frage der Abgeordneten:

„Welche Erkenntnisse (auch geheimdienstliche) liegen der Bundesregierung bisher zu den Ursachen und möglichen Urhebern der Anschläge auf die Unterwasserpipelines Nord-Stream 2 am Montag, dem 26. September um 2:04, und Nord-Stream 1 am Abend desselben Tages um 19:04, vor und welche möglichen Erklärungen zieht die Bundesregierung für den zeitlichen Abstand von exakt 17 Stunden zwischen beiden Explosionen in Betracht?“

Und hier die schriftliche Antwort der Bundesregierung:

„Die Bundesregierung geht von einer gezielten Sabotage der Pipelines Nord Stream 1 und 2 aus. Darüberhinausgehend liegen der Bundesregierung keine konkretisierenden Erkenntnisse zu dem Sachverhalt, insbesondere zu der möglichen Urheberschaft, vor. Wenngleich derzeit keine Erkenntnisse zur Urheberschaft der Sabotage vorliegt, erscheint insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Komplexität der Tatausführung sowie einer entsprechenden Vorbereitung das Agieren staatlicher Akteure wahrscheinlich.

Dänemark und Schweden gehen in ihrem gemeinsamen Brief vom 29. September 2022 an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen von „vermutlich einer Sprengladung von mehreren Hundert Kilogramm“ aus. Dem Militärischen Nachrichtenwesen der Bundeswehr liegen keine gesicherten Erkenntnisse hinsichtlich der Urheberschaft der erkannten Leckagen an den Pipelines Nord Stream 1 und 2 vom 26. September 2022 und dem von der schwedischen Seite berichteten möglichen vierten Leck vom 29. September 2022 vor.

Die technische Komplexität forensischer Untersuchung der Schadensstellen und die damit verbundenen Vorbereitungen werden nach Bewertung des Militärischen Nachrichtenwesens der Bundeswehr nahezu sicher keine kurzfristigen, belastbaren Aussagen zur Urheberschaft zulassen. Anhand des zeitlichen Abstands zwischen den ersten drei Leckagen vom 26. September 2022, kommt das Militärische Nachrichtenwesen der Bundeswehr zu der Bewertung, dass eine zeitgleiche technische Fehlfunktion nahezu ausgeschlossen ist.

Darüber hinaus ist die Bundesregierung nach sorgfältiger Abwägung zu dem Schluss gekommen, dass weitere Auskünfte aus Gründen des Staatswohls nicht – auch nicht in eingestufter Form- erteilt werden können. Die erbetenen Auskünfte unterliegen den Restriktionen der „Third-Party-Rule“, die den internationalen Austausch von Informationen der Nachrichtendienste betrifft.

Die Bedeutung der „Third Party Rule“ für die internationale nachrichtendienstliche Zusammenarbeit hat das BVerfG in seinem Beschluss 2 BvE 2/15 vom 13. Oktober 2016 (Rz. 162-166) gewürdigt.

Lägen solche Informationen vor, wären diese evident geheimhaltungsbedürftig, weil sie sicherheitsrelevante Erkenntnisse beinhalten, die unter der Maßgabe der vertraulichen Behandlung von ausländischen Nachrichtendiensten an die deutschen Nachrichtendienste weitergleitet wurden.

Ein Bekanntwerden von Informationen, die nach den Regeln der „Third-Party-Rule“ erlangt wurden, würde als Störung der wechselseitigen Vertrauensgrundlage gewertet werden und hätte eine schwere Beeinträchtigung der Teilhabe der Nachrichtendienste des Bundes am internationalen Erkenntnisaustausch zur Folge.

Eine mögliche Kenntnisnahme durch Unbefugte würde erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Nachrichtendienste des Bundes mit ausländischen Nachrichtendiensten haben. Würden in der Konsequenz eines Vertrauensverlustes Informationen von ausländischen Stellen entfallen oder wesentlich zurückgehen, entstünden signifikante Informationslücken mit negativen Folgewirkungen für die Genauigkeit der Abbildung der Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland sowie im Hinblick auf den Schutz deutscher Interessen im Ausland.

Ein Bekanntwerden der Informationen würde zudem die weitere Aufklärung geheimdienstlicher Aktivitäten in und gegen die Bundesrepublik Deutschland erheblich erschweren.

Die erbetenen Informationen berühren somit derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass das Staatswohl gegenüber dem parlamentarischen Informationsrecht überwiegt und das Fragerecht der Abgeordneten ausnahmsweise gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung zurückstehen muss.

Selbst eine VS-Einstufung und Hinterlegung der angefragten Informationen bei der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages würde im vorliegenden Fall nicht ausreichen, um der besonderen Sensibilität der angeforderten Informationen für die Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste des Bundes ausreichend Rechnung zu tragen.“

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