Vom steten Kampf gegen Heuschrecken

Oskar Lafontaine wird 80 – Eine deutsche Politikerkarriere

von Alexander Wallasch (Kommentare: 7)

„Wer den Krieg damit rechtfertigt, in der Ukraine werde Demokratie und Freiheit verteidigt, ist entweder nicht informiert oder er verbreitet Propaganda-Lügen.“© Quelle: YouTube / Phoenix, Screenshot

Wer Oskar Lafontaine etwa im Bundeswahlkampf vor bald 15 Jahren erlebt hat, der weiß, wie überaus erfolgreich der Mann einmal darin war, seine Zuhörer mitzureißen.

Lafontaine sprach jene an, die sich abgehängt fühlten und denen die Sprüche von Gerhard Schröder vom „Fördern und Fordern“ noch schrill im Kopf nachhallten, inklusive eines gigantischen Privatisierungskatalogs. Schröder wurde zum Vollstrecker einer Politik, die Helmut Kohl gegen die SPD, gegen die Gewerkschaften und gegen linke NGOs in diesem Umfang niemals hätte durchsetzen können.

Und das rot-grüne Duo Schröder/Fischer verscherbelte vom deutschen Tafelsilber, was nicht niet- und nagelfest war mit dem Argument, dass der Wettbewerb alles günstiger und qualitativ besser mache. Die Bahn, die Bundespost, die Telekom und der Strommarkt – alles wurde privatisiert oder teilprivatisiert. Heute weiß man mit welchen Folgen für den Endverbraucher.

Oskar Lafontaine kämpfte damals an zwei Fronten. Im August 2009 gewann die Linkspartei im Saarland aus dem Stand 21,3 Prozent der Wählerstimmen, ein gigantischer Erfolg, der in seiner Außenwirkung dazu beitragen konnte, dass die Partei „Die Linke“ bei den wenige Wochen später stattfindenden Bundestagswahlen erstmals ein zweistelliges Ergebnis einfuhr und mit 76 Sitzen noch vor den Grünen mit damals 11,9 Prozent in den Bundestag einzog. Auch zur Bundestagswahl im Saarland kam die Linkspartei damals danke Lafontaines Beliebtheit auf über 21 Prozent .

Was man sich in der heutigen Debatte um die Linkspartei vergegenwärtigen muss: Der damalige Erfolg der Linken war keiner gegen die Union, sondern einer gegen einen rot-grünen Privatisierungskapitalismus unter Schröder und Fischer.

Das Manager Magazin bestätigte diese Annahme noch 2017, als es dort hieß:

„Merkel, Schröder: Der ,Genosse der Bosse' legte mit der Agenda 2010 den Grundstein für den Aufschwung in Deutschland: ,Die Basis für den Aufschwung hat zudem nicht Merkel, sondern ihr sozialdemokratischer Vorgänger Gerhard Schröder gelegt, wie die meisten Experten urteilen'.“

Lafontaine und die Linke kümmerten sich indes um die Schwerverletzten dieses Aufschwungs, um die Opfer der „Heuschrecken“. Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering, der Schröder 2004 als SPD-Chef ablöste, hatte damals gegenüber der Bildzeitung geäußert:

„Wir müssen denjenigen Unternehmern, die die Zukunftsfähigkeit ihrer Unternehmen und die Interessen ihrer Arbeitnehmer im Blick haben, helfen gegen die verantwortungslosen Heuschreckenschwärme (...). Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten – sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter. Gegen diese Form von Kapitalismus kämpfen wir.”

Das ist im Übrigen das große Dilemma der heutigen Konservativen und Liberal-Konservativen. Sie opponieren gegen die woke Bewegung unter der Regenbogenflagge, sie opponieren gegen die links-grüne Ampel und ihre unzähligen subventionierten Vorfeldorganisationen, aber sie bleiben tendenziell weiterhin Transatlantiker, Bewunderer des US-Kapitalismus in der Ausprägung der 1950er und 1960er Jahre.

Sie können nicht anders. Die Bonner Republik mit ihren ganzen Schwiemeligkeiten bleibt ihnen immer eine Herzensangelegenheit, vom Vietnam-Engagement über 60 Jahre hinweg bis hin zum Ukrainekrieg sind sie erfolgreiche Verdränger des Offensichtlichen. Oskar Lafontaine konnte das nie, er blieb immer unversöhnlich mit den Systemtreuen. Seine Trennung von Schröder war folgerichtig, er hatte einen anderen Kurs der SPD im Sinn und sah, dass er sich nicht durchsetzen konnte.

Ironie der Geschichte: Sein Widersacher in der SPD, Ex-Kanzler Gerhard Schröder, steht heute vollkommen isoliert da, wo hingegen Lafontaine sich weitestgehend treu geblieben ist.

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Was macht Lafontaine heute? Er wird im September 80 Jahre alt. Seine Wortmeldungen sind rarer geworden, zuletzt postete er auf Facebook Mitte Juli einen Beitrag, indem er befand, dass für die Ukraine das „Konzept der sozialen Verteidigung“ wohl die bessere Lösung gewesen wäre:

„Nach diesem Konzept wehrt sich das angegriffene Land nicht mit Panzern und Raketen, sondern mit Streiks und anderen politischen Maßnahmen gegen den Aggressor. Im Fall der Ukraine, in der wie in Russland ein korrupter Oligarchen-Kapitalismus das gesellschaftliche Leben bestimmt, amtierte jetzt anstelle eines korrupten, dem Westen verbundenen Präsidenten Selenski wie schon in früheren Jahren ein korrupter, Russland verbundener Präsident. Kein Ukrainer und kein Russe hätte im Krieg das Leben verloren, die Ukraine wäre nicht zerstört und das tägliche Leben der Ukrainer wäre unter den Bedingungen des Oligarchen-Kapitalismus weitergegangen.“

So etwas muss man sich in Kriegszeiten erst einmal trauen, zu meinen, dass es gleich ist, ob ein Selenskyj von USA-Gnaden oder ein Russen-Irgendwer die Ukraine regiert.

Und Lafontaine weiter:

„Wer den Krieg damit rechtfertigt, in der Ukraine werde Demokratie und Freiheit verteidigt, ist entweder nicht informiert oder er verbreitet Propaganda-Lügen. Die Ukraine ist eine Diktatur, in der regierungskritische Parteien und Medien verboten sind. Minderheiten werden unterdrückt. Und gegen die russisch-sprachige Bevölkerung in der Ostukraine führt Kiew seit 2014 einen Krieg, der in früheren Jahren von unseren Medien, unter anderem von der ARD als ,Terrorismus' gegeißelt wurde.“

Aktuell geht Sahra Wagenknecht mit der Idee schwanger, eine eigene Partei zu gründen. Und man kann sicher sein, dass Ehemann Lafontaine auch beratend im Hintergrund agiert. Irgendwo hieß es jetzt, Lafontaine habe nicht vor, in der Partei seiner Frau eine vordere Rolle zu spielen.

Lafontaine wird 80 Jahre alt, jede Biografie dieses wechselvollen Lebens kann nur Stückwerk sein. Und so untypisch diese Karriere für Deutschland ist, so genau passt sie heute in dieses zerrissene Land. Oskar Lafontaine wuchs katholisch auf, er hat einen Zwillingsbruder und er wurde 1990 Opfer eines Messer-Attentats, 2009 kam eine Krebserkrankung dazu.

Zum Abschluss die vielen politischen Stationen dieses Mannes aufzuzählen, sprengt bald den Rahmen eines Artikels:

1966: Eintritt in die SPD
1974-1976: Bürgermeister von Saarbrücken
1977 bis1996 Landesvorsitzender der SPD Saarland
1990: Kanzlerkandidat der SPD
1992 bis1993: Bundesratspräsident
ab 1994: Mitglied des Deutschen Bundestags
1998 bis1999: Bundesfinanzminister im Kabinett Schröder I
2005: Austritt aus der SPD, Eintritt in die WASG
2007: Vorsitzender der Linkspartei
2009 bis heute: Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Saarland
2018: Gründung der linken Sammlungsbewegung "Aufstehen" durch Sahra Wagenknecht
2023: Austritt aus der Linkspartei
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